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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.07.2023

Knisternde Slow-Burn-Liebesgeschichte, aber zu wenig Handlung…

A Crown of Fangs and Fury
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Prinzessin Élèntine wird von ihrem Vater nach einem langen Krieg mit dem König der Werwölfe verheiratet, um den Frieden zu sichern. Für Élèntine, die als Kind schwer ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Prinzessin Élèntine wird von ihrem Vater nach einem langen Krieg mit dem König der Werwölfe verheiratet, um den Frieden zu sichern. Für Élèntine, die als Kind schwer von einer solchen Kreatur verletzt wurde, ist es nicht leicht, sich in ihrem neuen Leben mit ihrem unterkühlten, abweisenden Ehemann und einem Volk, das sie nicht will, zurechtzufinden…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel

Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Blut, Gewalt, sexualisierte Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schl+mpe (1x)

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- Werwölfe
- Slow-Burn-Liebesgeschichten (= dt. sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte)
- Enemies-to-Lovers (= dt. Feindschaft verwandelt sich in Liebe)
- zartes Love Triangle (dt. Liebesdreieck)
- Arranged Marriage (= dt. arrangierte Heirat)
- starke weibliche Hauptfigur
- Liebesgeschichte im Fokus, Handlung als Beiwerk
- mittelalterlich angehauchte Fantasy-Welt

Meine Rezension

„Seine Stimme war tief und samtig weich, wie ein Kissen, auf das ich mich fallen lassen wollte.“ Seite 136

„A Crown of Fangs and Fury” wurde mir von einer Bookstagram-Kollegin empfohlen und mit einigen geschickt platzierten Sätzen wärmstens ans Herz gelegt. Obwohl mich die letzten Geschichten, die im Selfpublishing erschienen sind, alle auf die eine oder andere Weise enttäuscht hatten, war ich mal wieder bereit, der Sparte eine neue Chance zu geben. So zog das Buch mit dem wunderschönen Cover auch schnell bei mir ein.

Nun gleich zur wichtigsten Frage: Hält meine Pechsträne an? Reiht sich „A Crown of Fangs and Fury” ein in die lange Reihe von SP-Enttäuschungen? Hier kann ich Entwarnung geben: Nein, Ursa Jaumanns Debüt hat mich durchaus positiv überrascht, mir gefallen und mich ein paar Stunden ganz gut unterhalten. Ein Jahreshighlight war es für mich aber auch nicht, dazu gleich mehr.

„Mir blieb nur ein kurzer Blick über die Schulter zu Floréane, die wie eingefroren in ihrem wunderschönen, roten Kleid auf dem eingeschneiten Waldweg stand. Ein Spritzer Blut auf weißem Samt.“ Seite 15

Zuerst möchte ich aber auf die Stärken dieses Romans eingehen. Ganz zentral ist für mich hier die überzeugende Liebesgeschichte, die mich wirklich begeistert und berührt hat. Die Autorin lässt ihren zwei Hauptfiguren viel Zeit, sich gegenseitig kennen- und (nach der anfänglichen Abneigung = enemies to lovers) lieben zu lernen. Ein Werwolfkönig, der langsam auftaut, Gespräche über Consent, knisternde Momente, tiefe Blicke und eine ausgezeichnete Chemie zwischen den beiden machten es mir als Leserin leicht, mit Élèntine und Cayden mitzufühlen und auf den ersten Kuss usw. hinzufiebern. Und wenn die Liebesgeschichte bei einem Romantasy-Buch stimmt (die ja im Mittelpunkt steht), dann stimmt schon einmal sehr viel!

Aus feministischer Sicht haben mir die immer stärker und selbstbewusster werdende Hauptfigur, die unaufgeregte Einbindung von LGBT-Themen und die relativ gleichberechtigte Gesellschaftsform der Werwölfe gefallen. So ist es im (mittelalterlich angehauchten) Königreich Darington im Gegensatz zu Élèntines Heimat üblich, dass Frauen praktische Hosen tragen und dass ein Volk von je einem weiblichen und einem männlichen Werwolf gemeinsam angeführt wird, damit die Interessen aller Geschlechter vertreten werden. Die letzten Seiten und den Schluss fand ich besonders stark, weil alle vorher sorgsam ausgelegte Puzzle-Teile plötzlich an ihren Platz fallen und die Geschichte zu einem sehr gelungenen, runden Ende geführt wird – inklusive Drama, unerwarteter Wendungen, großer Emotionen und eines spannenden Showdowns.

„Die Türme aus dunklem Stein reckten sich wie eine Schattenhand der untergehenden Sonne entgegen, als wollten sie sie vom Horizont reißen.“ Seite 16

Es gab allerdings auch ein paar Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben. Insgesamt mochte ich den flüssigen, anschaulichen Schreibstil zwar und das Korrektorat hat sich ohne Zweifel bezahlt gemacht, aber nach einer Weile sind mit doch ein paar Wiederholungen und „Lieblingsformulierungen“ aufgefallen, die mich zunehmend gestört haben. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie oft die Protagonistin ihre Fingernägel in irgendetwas gekrallt oder gebohrt hat (oft!), aber zumindest weiß ich dank der Kindle-Suchfunktion, dass ganze 68 Mal im Buch gegrinst wird – das ist einfach zu viel (vor allem, da es auch noch gehäuft bei manchen Figuren oder in manchen Kapiteln auftaucht). Solche Dinge hätte man noch rauslektorieren können – und auch sollen.

Sehr genervt hat mich auch, dass sich die Heldin (und teilweise auch andere Figuren) immer wieder nicht nachvollziehbar, ja, sogar teilweise richtig dumm verhält und dabei nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Freund:innen praktisch grundlos in Gefahr bringt. Aber dann ist sie am Boden zerstört, wenn eine Mission, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war (und das ist einem als Leser:in so etwas von sonnenklar!), auch wirklich schiefgeht. Tja, mein Mitleid hielt sich da beim Lesen in Grenzen. Versteht mich bitte nicht falsch – ich liebe eigenwillige Frauenfiguren, die sich von der Männerwelt nichts vorschreiben lassen, aber dann bitte doch mit Sinn und Verstand! Nach einer Weile hat mir Cayden, ihr Ehemann, wirklich leidgetan, der alle Hände voll damit zu tun hat, seine scheinbar völlig lebensmüde Gemahlin immer wieder vor sich selbst und ihren „guten“ Ideen zu schützen.

Außerdem war der Plot den Großteil des Buches über doch recht dünn – hier hätte ich mir mehr Handlung, mehr Worldbuilding (Gesellschaftssystem), Spannung und Tiefe gewünscht. Wenn der Plot nur Beiwerk ist, dann reicht mir das nicht – ich bin aber sicher auch nicht die typische Romantasy-Leserin. Und: Auch wenn die zwei Liebenden wunderbar ausgearbeitet sind, so bleiben viele Nebenfiguren doch etwas blass – sie hätten noch mehr Farbe vertragen. Auf manche Formulierungen hätte ich zudem verzichten können – ich weiß, es geht hier um ein Wolfsrudel usw., aber wenn ich Worte wie „er ist der Alpha“ lese, MUSS ich einfach an diese selbsternannten Flirt-Coaches denken und meine Augen verdrehen. Keine Ahnung, warum ich euch das erzähle, das soll nämlich gar keine Kritik am Buch sein – ich schätze, ich wollte es mir einfach nur von der Seele schreiben! ;)

Mein Fazit

Was die Enemies-to-Lovers-Liebesgeschichte angeht, hat Ursa Jaumann bei ihrem Debüt alles richtig gemacht – und das sage ich selten über Liebesgeschichten! Die Schwächen (wenig Handlung, fehlende Spannung, unlogisches Verhalten, Wiederholungen) haben mich zwar gestört, vermiesen konnten sie mir mein Leseerlebnis aber zum Glück nicht. So hat mich „A Crown of Fangs and Fury“ doch einige Stunden lang ganz gut unterhalten und konnte mich emotional abholen. Ich sehe jedenfalls Potential und greife sicher gerne wieder einmal zu einem Buch von dieser Autorin. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung gibt es von mir nicht, aber für Fans von sich langsam entwickelnden Liebesgeschichten mit Fantasy-Setting ist dieser Roman sicher einen Blick wert!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 3 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 3,5 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 3,5 Sterne
Liebesgeschichte: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 4 Sterne
Figuren: 3,5 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Tempo: 3,5 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 2 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.05.2023

Roman mit Humor und Tiefe, aber auch Längen!

Die Geschichte von Kat und Easy
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach fast 50 Jahren treffen sich 2 Jugendfreundinnen in Griechenland wieder. Vieles blieb damals ungesagt, ein Unfall hat alles verändert. Werden die 2 Frauen endlich ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Nach fast 50 Jahren treffen sich 2 Jugendfreundinnen in Griechenland wieder. Vieles blieb damals ungesagt, ein Unfall hat alles verändert. Werden die 2 Frauen endlich den Mut aufbringen, miteinander zu reden und die Geheimnisse von damals offenzulegen?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Ich-Erzählerin, Präteritum und Futur
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz bis mittel

Inhaltswarnung: Alkohol, Drogen, Tod von Menschen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen (dieser Abschnitt ist inspiriert von @sassthxtic auf Lovelybooks):

- Jugend in den 70er-Jahren
- erste Liebe
- Urlaub in Griechenland
- alte Freund*innen treffen sich nach langer Zeit wieder
- Schilderungen von Drogenkonsum
- Beziehungen und Unausgesprochenes im Fokus
- Geschichten, die langsam ins Rollen kommen


Meine Rezension

„Kat hat die Macht. Sie hat die Macht, Wörter zum Leuchten zu bringen und Räume mit ihrer Wut zu verpesten.“ E-Book, Position 27

Bei diesem Buch haben mich damals tatsächlich die ersten Sätze der Leseprobe so neugierig gemacht, dass ich es unbedingt lesen musste, ohne auch nur eine Rezension dazu gesehen zu haben. Obwohl die Geschichte eher kurz ist, musste ich sie allerdings dreimal beginnen, weil ich davor irgendwie nie über das erste Kapitel hinausgekommen bin. Da aber bekanntlich aller guten Dinge drei sind, kommt nun endlich meine Rezension!

„Easy hat keine Angst, Easy ist sicher, dass immer einer neben ihr stehen wird, um sie aufzufangen.“ E-Book, Position 418

Für mich ist „Die Geschichte von Kat und Easy“ ein Buch, das man durchaus als leichte Sommerlektüre zwischendurch lesen kann, aber sicher nicht gelesen haben MUSS. Gefallen haben mir an diesem Roman der locker-leichte, flüssig lesbare Schreibstil, der Humor, der mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht hat (besonders die Szenen mit Lothar als fünftes Rad am Wagen waren wirklich witzig), und die unausgesprochenen Dinge und Geheimnisse von damals, die in der Gegenwart nach und nach aufgedeckt werden.

Wissen muss man hierbei, dass das letzte Viertel der mit Abstand stärkste Teil des Buches ist, weil sich die zuvor oberflächliche, irgendwie banale Geschichte dort in etwas Besseres, Spannenderes, Tiefgründigeres verwandelt, was ich sehr mochte und mich auf den letzten Seiten auch berührt hat. Das liegt sicher auch daran, dass einem die Figuren zwar erst ganz am Ende (vorher bleiben sie einem zu fern), aber eben doch irgendwie ans Herz wachsen, besonders Fripp. ♥

„Wenn wir gelassen altern wollen, müssen wir gute Verliererinnen werden und das Loslassen lernen.“ E-Book, Position 1230

Leider muss man ziemlich geduldig sein, um es überhaupt so weit zu schaffen, da der Roman immer wieder Längen und Durststrecken bereithält. Ich glaube auch, dass Menschen, die selbst in den 70ern ihre Jugend erlebt haben, aus Nostalgiegründen mehr Freude mit „Kat und Easy“ haben werden – mich aber als Kind der 90er konnten die ziemlich ausführlichen Schilderungen von banalen Jugendsorgen und Drogenkonsum über weite Strecken leider nicht wirklich fesseln. Dafür konnte ich nicht tief genug in diese Zeit eintauchen, dafür waren die Beschreibungen einfach nicht atmosphärisch genug. Da habe ich schon deutlich bessere Bücher über diese Zeit gelesen. Aus feministischer Sicht bin ich leider auch nicht ganz zufrieden, weil doch einige Rollenklischees und Geschlechterstereotype in der Geschichte vorkommen.


Mein Fazit

„Die Geschichte von Kat und Easy“ ist meiner Meinung nach vor allem ein Buch für die ehemaligen (und bestenfalls nostalgischen) Jugendlichen der 70er und für geduldige Leser_innen, die auf der Suche nach einer eher leichten Sommerlektüre für zwischendurch sind, die erst am Ende wirklich in die Tiefe geht. Mich hat die Geschichte stellenweise gut unterhalten, stellenweise sehr berührt (vor allem im letzten Viertel), stellenweise aber auch ziemlich gelangweilt. Für mich ist es deshalb ganz klar ein Roman, den man lesen kann, aber sicher nicht gelesen haben muss.

Bewertung

Cover / Aufmachung: 3 Sterne
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 3 Stern
Ende: 5 Sterne ♥
Schreibstil: 4 Sterne
Humor: 5 Sterne ♥
Protagonistinnen: 3,5 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Spannung: 2 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 3 Sterne
Einzigartigkeit: 2 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.05.2023

Nicht so gut wie die Vorgängerbände, aber macht trotzdem wieder viel richtig!

Wir Verratenen
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Endlich haben Smilla und ihre Wahlfamilie den vermeintlich sicheren Hafen Brüssel erreicht. Doch als es dort zu ersten Hinrichtungen durch die mächtige Alleinherrscherin ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Endlich haben Smilla und ihre Wahlfamilie den vermeintlich sicheren Hafen Brüssel erreicht. Doch als es dort zu ersten Hinrichtungen durch die mächtige Alleinherrscherin kommt, holt Smilla ihre dunkle, schmerzhafte Vergangenheit ein. Und schon bald muss sie sich fragen: Was ist wichtiger – Sicherheit oder Freiheit?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band 3/3 ("Wir Verlorenen")
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel

Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Suizid, Depression, Übelkeit, Erbrechen, Gewalt, Blut, Alkohol- und Drogenmissbrauch
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥


Meine Rezension

„Manchmal glaubte Smilla, dass die Menschen in der Welt nach der Plage nicht mehr wahrhaftig glücklich sein konnten.“ E-Book, Position 700

Als ich 2020, mitten in der Pandemie (stellenweise war das wirklich unheimlich), mit meiner Bookstagram-Kollegin Julia (@seiten_hieb) Band 1 der Reihe („Wir Verlorenen“) gelesen habe, bin ich ganz ohne Erwartungen an die Lektüre herangegangen – und wurde extrem positiv überrascht. Nach dem ersten Band, den ich wirklich gut fand, und dem zweiten, den ich absolut GELIEBT habe ♥, hatte es das Finale natürlich von Anfang an schwerer – die Erwartungshaltung war einfach eine ganz andere! Monatelang habe ich auf die Veröffentlichung hingefiebert und konnte den Erscheinungstermin kaum abwarten.

Doch wie war die Lektüre denn nun für mich? Auch wenn ich für das Buch bloggen und es vorab lesen durfte, gibt es für euch natürlich wie immer eine ehrliche Rezension. Deshalb: Ganz so emotional abholen, fesseln und begeistern wie Band 2 konnte mich das Finale leider nicht – ABER das ist natürlich Kritik auf hohem Niveau. Einige schöne, unterhaltsame Lesestunden konnte ich trotzdem mit der Geschichte verbringen.

„Die Angst erwachte. Dunkel und schuppig stieg sie in Smillas Kehle auf.“ E-Book, Position 2978

Das lag hauptsächlich an zwei Dingen, die für mich auch dieses Mal wieder vollkommen gestimmt haben: Schreibstil und Figuren. Jana Taysen kann eben einfach schreiben und erzählen, das beweist sie auch in Band 3 wieder! Ihr Schreibstil ist klar, mitreißend, bildhaft, eingängig und stellenweise wirklich wunderschön (Vergleiche, Metaphern). Am besten gefallen hat mir aber, wie großartig – wie einfühlsam und nuanciert – sie Smillas Innenleben (Gedanken / Gefühle) und ihre psychischen Probleme und Ängste beschreibt, die erst jetzt, im sicheren Hafen Brüssel, so richtig aufbrechen und zum Vorschein kommen. Alleine deshalb weiß ich schon jetzt, dass ich auch die nächsten Bücher der Autorin lesen werden – ich bin so gespannt, was da in der Zukunft noch kommt! ♥

„Wie verpuppte Schattenwesen hatten sie [die Erinnerungen] sich dort versammelt, auf der Schwelle zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, nie ganz da, aber auch nie ganz vergessen.“ E-Book, Position 1603

Auch die Figurenzeichnung stellte sich wieder als sehr liebevoll und gelungen heraus. Beim Lesen hat man wirklich das Gefühl, dass man es mit echten Menschen mit einer Vergangenheit, mit Stärken und Schwächen, aber auch mit Fehlern zu tun hat – und das liebe ich an dieser Reihe! Es war so schön, die liebgewonnenen Charaktere wiederzutreffen, deshalb fühlte sich die Lektüre für mich wieder an wie heimkommen.

„Sie hörte [ihn] ein paar Mal ein- und wieder ausatmen, als wollte er etwas entgegnen und verlöre jedes Mal aufs Neue den Mut.“ E-Book, Position 2159

Eine feministische Analyse lässt mich ebenfalls sehr glücklich zurück. Es gibt viele Dinge, die ich an der #WirVerlorenen-Trilogie schätze, aber der unaufdringliche Feminismus (der die ganze Reihe durchzieht) gehört ohne Zweifel zu meinen absoluten Highlights. ❤️ Die Frauenrollen im Buch sind beispielsweise sehr vielfältig und modern angelegt - auf Geschlechterstereotype und unreflektierte toxische Männlichkeit wird verzichtet. Wir treffen im Buch auf viele starke, glaubwürdige weibliche Figuren: auf intelligente, mächtige Führungskräfte, auf knallharte Soldatinnen und sogar auf eiskalte Killerinnen. Die Männer im Buch dürfen im Gegenzug auch mal weinen, sie leiden unter Schuldgefühlen, sie sind positive Vorbilder und kümmern sich liebevoll um ihre leiblichen und adoptierten Kinder. In einer freundschaftlichen Beziehung auf Augenhöhe wird zudem die Familienarbeit gerecht aufgeteilt - da geht einer Feministin natürlich das Herz auf. Das alle passiert ganz ohne viel Aufregung, als wäre es selbstverständlich - was es zwar sein sollte, aber in unserer Welt/Gesellschaft leider noch lange nicht ist. Auch LGBTQ+-Personen kommen übrigens in der Geschichte vor - ganz selbstverständlich, unaufgeregt, ohne billige Klischees.

Näher eingehen möchte nun noch auf ein sehr negativ konnotiertes Gefühl: Wut - denn die ist im Buch vor allem weiblich, was etwas ganz Besonderes ist. Frauen wird ja oft (sowohl in Geschichten als auch im wahren Leben) nicht zugestanden, wütend zu sein - von klein auf lernen sie, dass das nicht "ladylike" ist und sich nicht gehört, sodass sie, wenn sie einmal wütend werden, dieses intensive Gefühl oft unterdrücken oder auf sich selbst richten. Nicht so im Buch. Autorin Jana Taysen beweist Mut und hat keine Angst davor, auch die Schwächen und Schattenseiten ihrer Protagonistin zu zeigen. Sie lässt Smilla die Kontrolle verlieren, schlechte Entscheidungen treffen, anderen Menschen wehtun - UND eben auch eine tiefe Wut empfinden, die sich dann so heftig in einem Streit entlädt, wie ich es selten zuvor in einem Buch gelesen habe. Dabei attackiert sie einen Mann, der sie eben NICHT schmunzelnd mit einer Hand zurückhält, weil es so süß ist, wie sie sich aufregt (oft gehört), sondern von der Situation und ihrer Kraft und ihrer unbändigen Wut überfordert ist und einige Spuren vom Kampf davonträgt. Mitten im Streit taucht übrigend plötzlich die Garde (Polizei/Militär in Brüssel) auf und nimmt ironischerweise an, dass Smilla das Opfer sei (Wut und körperliche Gewalt wird Frauen einfach nicht zugetraut) und sich nur in Notwehr verteidigt habe und schlägt ihr vor, den Typen anzuzeigen. Ich habe diese mutige Szene so geliebt!

„Wenn das Buch so viele Stärken hat, woran lag es dann, dass sie nicht auf ganzer Linie überzeugen konnte?“, fragt ihr euch nun bestimmt. Natürlich bleibe ich euch auch hier keine Antwort schuldig! Ich persönlich hätte mir mehr Tempo, Handlung und Spannung gewünscht - denn gerade die spannungsgeladenen, emotional berührenden, dramatischen, schockierenden Ereignisse des zweiten Bandes fand ich so toll! Ein paarmal konnte ich Smillas Verhalten außerdem nicht ganz nachvollziehen (da waren für mich Brüche erkennbar), gerade weil man sie ja nach 3 Bänden schon sehr gut kennt. Das Ende (das Anklänge an „Der Report der Magd“ enthält) kam mir zudem deutlich zu früh (gerade wurde es richtig spannend!) und war mir auch zu offen, aber das ist sicherlich Geschmackssache.


Mein Fazit

Auch wenn mich das Finale nicht ganz so begeistert und umgehauen hat, wie ich mir das erhofft habe, macht auch „Wir Verratenen“ wieder viel richtig – besonders was die Figurenzeichnung, den Schreibstil und den Feminismus betrifft. Die „Wir Verlorenen“-Reihe wird jedenfalls weiterhin einen Ehrenplatz in meinem Regal haben und mir als emotional mitreißende, fesselnde, spannende, berührende, tiefgründige Dystopie voller glaubwürdiger, toller Figuren in Erinnerung bleiben. Danke an Jana Taysen für die vielen schönen Lesestunden und eine der besten deutschen Dystopien, die derzeit auf dem Markt sind! Für mich heißt es nun Abschied nehmen, was mir alles andere als leichtfallen wird – aber für die Glücklichen unter euch, die auf mich gehört haben und bei denen Band 1 jetzt schon im Regal steht (oder bald im Regal stehen wird) 😉, fängt die Geschichte gerade erst an! Ich wünsche gute Unterhaltung!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 5 Sterne ♥
Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 3,5 Sterne
Einstieg: 4 Stern
Ende: 3 Sterne
Schreibstil: 5 Sterne ♥
Protagonistin: 5 Sterne ♥
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 2 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.09.2022

Hochinteressante Grundidee, aber sehr gewöhnungsbedürftiger Schreibstil!

Der letzte weiße Mann
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Es ist ein Morgen wie jeder andere – und doch verändert er alles, denn der eigentlich weiße Fitnesstrainer Anders wacht mit dunkler Hautfarbe auf. Immer mehr Menschen ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Es ist ein Morgen wie jeder andere – und doch verändert er alles, denn der eigentlich weiße Fitnesstrainer Anders wacht mit dunkler Hautfarbe auf. Immer mehr Menschen verwandeln sich, die weiße Mehrheit im Land wird langsam zur Minderheit. Militante Gruppen wollen das aber nicht akzeptieren, es kommt zu Aufständen, bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Ermordungen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figurale Erzählweise, Präteritum
Perspektive: weibliche und männliche Perspektive im Wechsel
Kapitellänge: kurz

Tiere im Buch: +/- Kaulquappen werden unabsichtlich von Kindern getötet, ansonsten werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Content Note / Inhaltswarnung: Tod von Menschen, Rassismus, Diskriminierung, Hassverbrechen, Gewalt (auch gegen Kinder), Krankheit, Trauer, Suizidgedanken, Erbrechen, Drogen,
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Rezension

„Eines Morgens wachte Anders, ein weißer Mann, auf und stellte fest, dass seine Haut sich unleugbar tiefbraun gefärbt hatte.“ E-Book, Position 40

Bei diesem Buch haben mich die positiven Rezensionen der Kritiker·innen im englischsprachigen Raum und die erfrischende, spannende Grundidee (ich liebe ja sowieso Dystopien / Utopien! ♥) neugierig gemacht. Außerdem war der Autor schon zweimal für den britischen Booker Prize nominiert – auch das weckte mein Interesse.

Kurz: Habe ich das großartige Buch bekommen, das ich erwartet hatte? Nicht ganz! Aber habe ich diesen Roman trotzdem gerne gelesen und konnte ich von der Lektüre etwas für mich mitnehmen? Ja, definitiv! Dabei fiel mir der Einstieg alles andere als leicht, weil ich große Schwierigkeiten mit dem ungewöhnlichen Schreibstil hatte. Mein Problem: Mohsin Hamid weigert sich schlicht, Punkte zu setzen! Seine Sätze gehen deshalb alle (fast ausnahmslos!) über mindestens einen Absatz, wenn nicht sogar über eine ganze Seite, was ich beim Lesen sehr mühsam und anstrengend fand. Dabei habe ich überhaupt nichts gegen lange, verschachtelte Sätze, WENN die Komplexität der Gedanken diese erfordert. Das war aber hier überhaupt nicht der Fall, hier werden meist ohne jede Notwendigkeit in einfachem Vokabular verfasste Hauptsätze bandwurmartig aneinandergereiht. Da hätte man (als Service für Leser·innen) ganz einfach Punkte setzen können – und es auch sollen. Hätte das Buch nicht nur 160, sondern 300 Seiten oder noch mehr gehabt, hätte ich es mit Sicherheit abgebrochen, aber so konnte ich es aushalten.

Mit der Zeit habe ich mich dann zum Glück an die Sprache gewöhnt und ich bin auf einige sehr schöne, tiefgründige, fast schon weise Zitate und treffende, berührende Beobachtungen menschlichen Verhaltens gestoßen, was mir sehr gut gefallen hat. Man könnte sagen, mir ist das Buch schlussendlich doch noch ein bisschen ans Herz gewachsen und ich kann nun zumindest verstehen, warum der Autor mit seinen Texten schon für Preise nominiert war.

„Anders‘ Straße war stockdunkel, und auch auf den Hauptstraßen war die Beleuchtung lückenhaft, als fehlten ihr Zähne.“ E-Book, Position 172

Die Grundidee ist natürlich erfrischend anders und hochinteressant. Mohin Hamid wagt in seinem Roman (der am Anfang etwas an Kafkas „Verwandlung“ erinnert) ein Gedankenexperiment: Was würde passieren, wenn weiße Menschen sich plötzlich verwandeln würden und eine dunkle Haut bekämen? Was würde das mit der Gesellschaft machen? Wäre so eine Zukunft utopisch oder doch dystopisch? Wäre eine Welt ohne unterschiedliche Hautfarben eine bessere, friedlichere? Im Mittelpunkt stehen hier Themen wie Rassismus (der alle Bereiche des Lebens durchdringt), das Leben als Schwarze Person in einer weißen Mehrheitsgesellschaft, Identität, Verschwörungstheorien, menschliches Zusammenleben, Angst und Hoffnung.

„[…] sagte Anders, er sei nicht sicher, ob er noch derselbe Mensch sei, anfangs hatte er das Gefühl gehabt […], aber so einfach war das nicht, wie die Menschen um einen herum sich verhielten, beeinflusste ja auch, wie man war, wer man war […]“ E-Book, Position 430

Dabei liefert Mohsin Hamid keine einfachen Antworten, sondern lässt vieles offen und seine Leser·innen eigene Schlussfolgerungen treffen. Einerseits mochte ich das, andererseits wurden mir aber rassistische Denkweisen und Äußerungen nicht immer klar genug benannt und kritisiert, sodass ich glaube, dass sie manchen (nicht dafür sensibilisierten Menschen) vielleicht entgehen könnten. An manchen Stellen hätte ich mir außerdem einfach noch MEHR gewünscht: mehr Tiefe, mehr Emotionen, mehr Atmosphäre, mehr Spannung, mehr Details (zum Beispiel darüber, was auf den Straßen genau passiert). So konnte sie mich leider emotional nicht immer so erreichen, wie ich mir das erhofft hatte.

Die Figuren überzeugten mich dafür mit jeder Seite mehr. Am Anfang war mir besonders Oona noch unsympathisch; sie wirkte sehr distanziert, aber nach und nach taut sie auf und man beginnt, sie und Anders (auch zusammen als Liebespaar) zu mögen. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass die Hauptfiguren noch eine Spur greifbarer gewesen wären, dass sie einen noch ein wenig näher an sich herangelassen hätten, dass ich noch ein bisschen mehr mit ihnen mitfühlen hätte können.

Aus feministischer Sicht gibt es bei diesem Buch allerdings gar keine Beschwerden, denn es verzichtet auf gegenderte Beleidigungen und Sexismus und präsentiert uns stattdessen eine starke weibliche Hauptfigur und eine einvernehmliche Beziehung auf Augenhöhe. Zum Glück verzichtet der Autor hier auch auf den sexualisierenden und objektifizierenden Male Gaze (= männlichen Blick) und beschreibt seine weiblichen Figuren (genauso wie die männlichen) einfach als das, was sie sind: Menschen mit Persönlichkeit. Leider ist das bei männlichen Autoren auch im Jahr 2022 immer noch nicht selbstverständlich (looking at you, Chris Whitaker!), deshalb gibt es von mir dafür ein Lob!

Mein Fazit

Nach einem schwierigen Einstieg habe ich doch noch begonnen, „Der letzte weiße Mann“ zu mögen. Das lag an der hochinteressanten Grundidee, an den spannenden Fragen, die der Autor stellt, an den schönen Zitaten und den Figuren, die mir langsam doch ein wenig ans Herz gewachsen sind. Auf ganzer Linie überzeugen konnte mich dieser utopische / dystopische Roman dennoch nicht; ich hätte mir noch etwas mehr Tiefe, mehr Emotionen und vor allem mehr Punkte (= kürzere Sätze) gewünscht. Von mir gibt es trotzdem eine Empfehlung, aber keine uneingeschränkte: Schaut euch vor der Lektüre unbedingt die Leseprobe an! Wenn sie euch überzeugt, steht ein paar interessanten Lesestunden, die auch euch sicherlich zum Nachdenken bringen werden, nichts mehr im Wege!

Bewertung

Cover / Aufmachung: 3 Sterne
Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 3 Sterne
Einstieg: 2 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 3 Sterne
Figuren: 3,5 Sterne
Spannung: 3 Sterne
Wendungen: 3 Sterne
Atmosphäre: 2 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3,5 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 5 Sterne ♥
Einzigartigkeit: 4 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir dreieinhalb Sterne!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 09.08.2022

Vielschichtiger, tiefgründiger Literaturklassiker, der zum Nachdenken anregt!

Der Vorleser
0

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Michael sich krankheitsbedingt übergeben muss, kommt ihm eine fremde Frau zu Hilfe. Von der Familie wird er zu ihr geschickt, um sich mit Blumen zu bedanken. Er ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Als Michael sich krankheitsbedingt übergeben muss, kommt ihm eine fremde Frau zu Hilfe. Von der Familie wird er zu ihr geschickt, um sich mit Blumen zu bedanken. Er ist 15 Jahre alt, sie ist 36 und wird seine erste Liebe / Affäre. Da sie selbst nicht lesen kann, liest er ihr jeden Tag aus Klassikern vor. Doch eines Tages verschwindet sie plötzlich. Jahre später sieht sie Michael sie unter unerwarteten Umständen wieder und erfährt, dass sie die ganze Zeit ein schreckliches Geheimnis hatte…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präteritum
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: sehr kurz

Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: NS-Zeit, Holocaust, Tod von Menschen, Beziehung zwischen einem Minderjährigen und einer Erwachsenen, toxische Beziehung, Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): nicht bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: ---

Kurzrezension

„Warum? Warum wird uns, was schön war, im Rückblick dadurch brüchig, dass es hässliche Wahrheiten verbarg?“ Seite 38

„Der Vorleser“ gilt als literarischer Klassiker, den man gelesen haben muss, und als beliebte Schullektüre. Pflichtbewusst gekauft, verstaubte das Buch aber zuerst einmal 2 Jahre in meinem Regal, bis ich in den Sommerferien dieses Jahres endlich Lust darauf hatte.

Zuerst: Hat mir das Buch gefallen? Ja, durchaus! Aber ist es auch so großartig wie angepriesen? Da bin ich mir nicht so sicher. Auf meine hohen Erwartungen folgten zwar ein paar unterhaltsame, interessante und tiefgründige Lesestunden, aber leider auch Ernüchterung. Den ruhigen, unaufgeregten Schreibstil mochte ich, die philosophischen und moralischen Fragen, die immer wieder gestellt werden, haben mich zum Nachdenken angeregt, was mir ebenfalls gefallen hat. Aber Achtung: „Der Vorleser“ ist ein Literaturklassiker, der zwar viele (und vor allem: die richtigen) Fragen stellt, der aber keine klaren, einfachen Antworten liefert!

Die ernsten Themen (NS-Vergangenheit, Literatur, Schuld, Erwachsenwerden, erste Liebe, Analphabetismus) und ihre tiefgründige Ausarbeitung haben mich ebenso überzeugt wie die komplexen, glaubwürdigen Figuren (besonders Hanna ist sehr gut gelungen) und der sympathische, selbstkritische, nachdenkliche Protagonist. Teilweise ist diese Mischung aus Liebesgeschichte, Roman und Justizkrimi wirklich spannend geschrieben und es gibt einige unerwartete Wendungen. Aus feministischer Sicht fallen die starken, intelligenten, beruflich erfolgreichen Frauenfiguren positiv auf (besonders da der Roman 1995 erstmals erschienen ist), auch die Darstellung von Frauen als Täter·innen ist außergewöhnlich und bemerkenswert. Die Verfilmung, für die Kate Winslet sogar einen Oscar erhalten hat, werde ich mir auf jeden Fall noch anschauen!

Leider enthält das vielschichtige Buch aber auch sehr langatmige, zähe, handlungsarme Passagen, bei denen ich nur im Schneckentempo vorangekommen bin. Ich kann mir gut vorstellen, dass Schüler·innen hier die Geduld verlieren und das Buch abbrechen könnten. Außerdem könnten ihnen die teilweise recht expliziten sexuellen Beschreibungen unangenehm oder peinlich sein.

Doch wenn man sich die Frage stellt, ob dieses Buch als Schullektüre (für die Oberstufe, früher würde ich das Buch mit einer Klasse nicht lesen) geeignet ist, muss noch ein Punkt angesprochen werden: Hochproblematisch ist natürlich die toxische, teilweise sogar gewalttätige Beziehung / Affäre zwischen dem Minderjährigen Michael (15 Jahre alt) und der Erwachsenen Hanna (Mitte 30). Gesetzlich wäre so eine Beziehung zumindest in Österreich erlaubt, moralisch bleibt sie trotzdem mehr als fragwürdig, ist in meinen Augen sehr problematisch und grenzt für mich an sexuellen Missbrauch wegen der unterschiedlichen Lebenserfahrung und des Machtgefälles (das Hanna bewusst ausnutzt). Wenn das Buch in der Schule besprochen wird, sollte dieser Aspekt auf jeden Fall nicht ignoriert, sondern klar angesprochen und diskutiert werden.

Mein Fazit

„Der Vorleser“ ist ein unterhaltsamer, tiefgründiger, interessanter Literaturklassiker, der zum Nachdenken anregt und mir trotz seiner langatmigen Passagen insgesamt gut gefallen hat. Wird das Buch als Schullektüre verwendet, sollte darauf geachtet werden, die ernsten Themen (NS-Vergangenheit, Schuld) altersgerecht aufzubereiten und auch die problematischen Aspekte der Geschichte (Altersunterschied in der Beziehung) nicht unter den Teppich zu kehren, sondern klar anzusprechen. Von mir gibt es jedenfalls eine Leseempfehlung!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Inhalt, Themen, Botschaft: 4 Sterne
Tiefe: 5 Sterne ♥
Umsetzung: 3,5 Sterne
Worldbuilding: 4 Sterne
Einstieg: 4 Sterne
Ende: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist: 4 Sterne
Figuren: 5 Sterne ♥
Spannung: 3 Sterne
Tempo: 3 Sterne
Wendungen: 4 Sterne
Atmosphäre: 3 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4 Sterne
Feministischer Blickwinkel: 4 Sterne
Einzigartigkeit: 5 Sterne ♥

Insgesamt:

❀❀❀,5 Sterne

Dieses Buch bekommt von mir 3,5 Sterne!

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