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Veröffentlicht am 20.07.2023

Schrill, freakig, überambitioniert

Der Kaninchenstall
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Blandine ist die tragische Heldin im Kaninchenstall, einem heruntergekommenen Wohnblock in der fiktiven Stadt Vacca Vale, Indiana. Mitten im »Rust Belt«, in den ehemaligen Industriehochburgen, wo die Zukunftsaussichten ...

Blandine ist die tragische Heldin im Kaninchenstall, einem heruntergekommenen Wohnblock in der fiktiven Stadt Vacca Vale, Indiana. Mitten im »Rust Belt«, in den ehemaligen Industriehochburgen, wo die Zukunftsaussichten heute gegen null gehen. Die 18-Jährige hat bereits einiges hinter sich, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie geschoben, beginnt sie ein Verhältnis mit ihrem Musiklehrer, bricht die Schule ab, obwohl sie als hochintelligent gilt. Sie arbeitet in einem Diner als Bedienung und wohnt mit drei jungen Kerlen zusammen, die aus Spaß Tiere töten und ständig high sind. Das kontaktscheue Mädchen ist der Mystikerin H. v. Bingen verfallen und träumt davon, ihren Körper zu verlassen. In dem Moment, wo sie es tatsächlich tut, startet die Geschichte und wir machen einen Schwenk quer durch die verschiedenen Appartements voller hoffnungsloser Existenzen, die, nur getrennt durch papierdünne Wände, nicht umhinkommen, am Leben ihrer Nachbarn teilzuhaben. Eine psychisch kranke Mutter, die Angst vor den Augen ihres Babys hat; ein verzweifelter Mann, der ein Online-Date sucht und nur Ablehnung erfährt; eine Frau, die auf einem Online-Portal für Nachrufe Kommentare moderiert und am liebsten ungesehen bleiben will.
Hinzu kommt eine ehemalige Hollywood-Kinderschauspielerin, die ihren eigenen Nachruf schreibt und ihr Sohn, der als »fluoreszierender Mann« einen Racheakt plant. Und, und, und.
All die Schicksale rasen mit immenser Geschwindigkeit auf sich zu und kehren zu dem Moment zurück, als Blandine ihren Körper verlässt.
Was sich verrückt anhört, ist es auch. Und ich brauchte drei Anläufe, um in die Geschichte zu finden. Im 1. Drittel hatte ich nur Fragezeichen im Kopf und ich kann gut verstehen, wenn viele das Buch frühzeitig abbrechen. Im letzten Drittel wurde es besser, was mich etwas besänftigt hat. Vollgepackt mit bissiger Gesellschaftskritik, von Machtmissbrauch, sozialer Ungerechtigkeit, Chancenlosigkeit bis hin zu falschen Versprechungen der Politik fühlte sich das wie eine rasante Achterbahnfahrt an.

Guntys Blickwinkel auf die gescheiterten Existenzen ist ein anderer, wenig Empathie erzeugender, deprimierender Blick. Sie will aufrütteln, provozieren, das gelingt ihr sicher auch. Ja, es ist schrill, hier wird das Stilmittel der Übertreibungen ausgereizt, hier wird mit Textstilen gespielt, was letztlich auch Sinn macht, da Reizüberflutung eine große Rolle spielt, Internet, TV, Werbung, alles prasselt unaufhörlich, ungefiltert auf die Menschen ein. Hier wird zwischen den Perspektiven gesprungen, in der Chronologie, im Erzählstil – das erfordert Aufmerksamkeit, sonst endet es im Chaos. Das, was Gunty hier macht, ist sicher innovativ und modern, bleibt aber Geschmacksache.
Tess Gunty hat unumstritten Talent. Manche Kapitel sind rhetorisch so stark, dass ich pausenlos zitieren könnte. Doch die Kluft zu anderen Kapiteln wird damit um so größer, in denen die Vergleiche hinken, die Formulierungen angestrengt originell sein wollen. Und dann die pausenlosen Aufzählungen und Wiederholungen, puh. Das wurde mir mit der Zeit zu anstrengend. Insgesamt hinterlässt es bei mir den Eindruck, als seien die einzelnen Geschichten unabhängig voneinander entstanden und hinterher zusammengefügt worden.
Dann schweift sie wieder ab, will viel, manchmal zu viel, findet spät zu Blandine zurück. Vielleicht bin ich da altmodisch, aber fragmentierte Geschichten, die sich als experimentelles Konstrukt erweisen, sind nichts für mich. Ihr komplettes freakig, absurdes Figuren-Panoptikum agiert für sich und scheint nur geschaffen, um all die großen Themen eines Gesellschaftsromans unterzubringen. Zum Teil zeigt sie es sehr eindrucksvoll, andere Szenen waren für mich total überflüssig, weil sie zu nichts führen. Sprachlich grenzen sich die Figuren nicht voneinander ab und manche langweilten mich, sodass ich ganze Kapitel quer gelesen habe.

Vielleicht war es etwas zu überambitioniert, was mich am Ende völlig erschlagen hat. Leider konnte mich die Geschichte emotional nicht erreichen.
Mich hatte die Sichtweise einer jungen Autorin auf das Thema der aussterbenden Industriestädte interessiert im Gegensatz zu Russo, den ich inzwischen zu schätzen weiß und zu dem ich auch zurückkehren werden.
Wie gesagt, es ist einfach Geschmacksache.

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Veröffentlicht am 23.06.2023

Überkonstruierter Plot, voller Klischees

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
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In der Kleinstadt Aurora verschwand vor 33 Jahren die 15-jährige Nola. Nun wird ihre Leiche gefunden, und zwar im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert. Er wird zum landesweiten Skandal, denn ...

In der Kleinstadt Aurora verschwand vor 33 Jahren die 15-jährige Nola. Nun wird ihre Leiche gefunden, und zwar im Garten des berühmten Schriftstellers Harry Quebert. Er wird zum landesweiten Skandal, denn er gibt zu, damals ihr Geliebter gewesen zu sein, obwohl er viele Jahre älter war als sie. Die Anklage lautet Mord, denn bei dem Skelett wird Qs Manuskript gefunden. Marcus Goldman, sein ehemaliger Schüler und einziger Freund hält zu ihm und will seine Unschuld beweisen. Goldman, inzwischen selbst ein erfolgreicher Schriftsteller, hat eine Schaffenskrise und beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln, da er von Qs Unschuld überzeugt ist. Und sein Verleger wittert das große Geschäft.

Dicker schreibt flüssig und gut lesbar, weshalb ich das Buch mit über 700 Seiten in Kürze verschlungen hatte. Seine Zeitsprünge zwischen 2008 und 1975 gelingen mühelos, so dass wir Leser immer mitten im Geschehen sind.

Aber es gibt viel, das mich gespalten zurücklässt. Auch wenn die Ausgangslage vielversprechend war, hat mich mit der Zeit immer mehr genervt. Was kriegen wir hier eigentlich? Eine zweifelhafte Lolita-Liebesgeschichte, ein Whodunnit-Krimi in einer amerikanischen Kleinstadt von einem Schweizer und einen Seitenhieb auf die Verlagsbranche wie man Bestseller macht. Wir suhlen uns ein wenig in der »Schriftstellerkrankheit«, erhalten Schreibtipps in Form von Kalendersprüchen und müssen uns mit einer Menge Figuren rumschlagen, die entweder stereotyp, platt oder überzeichnet sind, bestenfalls noch angestrengt komisch, manche sogar überflüssig. Ich denke da an Marcus’ Mutter, die ich am liebsten an die Wand geklatscht hätte und die nichts für die Geschichte getan hat. Und sprachlich entgleist er ab und zu auf das Niveau einer Vorabendserie.

Kleine Kostprobe?
»Oh, allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich!«
»Meine Nola, allerliebste Nola, Nola, meine Liebe! … Ich liebe Dich, ich liebe Dich über alles. Verlass mich nicht. Wenn Du stirbst, sterbe auch ich. Du bist das Einzige in meinem Leben, was zählt. Vier Buchstaben: N-O-L-A.«

Dieses ganze Gesülze zwischen Q und Nola war so ziemlich das Einzige, das wir über die Liebe erfahren, warum und wieso sie zu seiner Muse wird – keine Ahnung.

Erscheint mir wie eine riesige Selbstbeweihräucherung, denn der Autor wird nicht müde, seine Nebenfiguren permanent wiederholen zu lassen, wie genial und großartig doch die beiden Autoren sind. Es mag viel über die Dummheit der Figuren aussagen, aber beim Lesen nervt es. Übrigens wie alle seine Redundanzen und davon gibt es viele. Hätte man den zwanghaft überkonstruierten Plot um mindestens 200 Seiten gekürzt, wäre es leichter zu ertragen gewesen.

Die einzig wahre Enthüllung an dem Buch mag für manche sein, dass es vor Augen führt, wie Bestseller gemacht werden. Und das hat erstaunlich viel mit der Realität zu tun. Reichlich mit der Werbetrommel Krawall machen und Millionen fallen darauf rein – und das, bevor auch nur eine einzige Zeile je gelesen wurde. Ja, so funktioniert der Literaturbetrieb und deshalb schlagen bei mir alle Alarmglocken an, wenn Bücher Vorschusslorbeeren bekommen und mit der Gießkanne an Vorableser verteilt werden.

Tja und so sind Dickers Voraussagungen eingetroffen, auch aus seinem Buch wurde ein Bestseller gemacht!

Ja, man kann einige Wendungen in einem Krimi konstruieren. Aber hier waren es mir zu viele. Am Ende haut uns Dicker eine vermeintliche Wahrheit nach der anderen um die Ohren, gibt auf den letzten 200 Seiten noch mal richtig Gas, dass ich fast erschlagen wurde von dem Tempo und den Enthüllungen. Aber letztlich war es mir auch egal, wer sie nun warum umgebracht hat, und ehrlich – ich habs auch schon wieder vergessen.

Zum Schluss noch ein Kalender-Schreibtipp von Q oder Dicker, je nachdem wie man es sieht:
»Ein gutes Buch, Marcus, ist ein Buch, bei dem man bedauert, dass man es ausgelesen hat!«
Stimmt, trifft nur hier nicht zu!

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Veröffentlicht am 13.05.2023

Nette Idee - schlecht umgesetzt

Babel
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Mein Fazit gleich vorweg. Wenn die Äußerung von Dennis Scheck, dies sei das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry Potter, stimmt, dann sehe ich schwarz für das Genre.
Ich hatte mich wirklich auf das ...

Mein Fazit gleich vorweg. Wenn die Äußerung von Dennis Scheck, dies sei das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry Potter, stimmt, dann sehe ich schwarz für das Genre.
Ich hatte mich wirklich auf das Buch gefreut, das als spektakulärer Weltbestseller angekündigt wurde, habe mich auf Fantasy eingestellt, bekommen habe ich aber – ja was eigentlich? Es ist lediglich ein Roman, der in den 1830ern in einem alternativen Oxford spielt, mit einem Schuss Magie in Form von Silberwerken.
Zu Beginn konnte Kuang mich noch mitreißen. Robin wird als kleiner Junge aus China nach England gebracht, um an der Oxford Universität Übersetzung zu studieren. Doch das ist kein Akt der Menschlichkeit. Babel braucht Menschen, die in anderen Sprachen träumen und denken, denn nur sie können die Magie in den Silberbarren herstellen, die das Empire am Laufen halten. Doch über die Wirkungsweise der Magie erfahren wir nur wenig oder banales. Die Grundidee ist ganz nett, aber zu wenig ausgearbeitet. Und dann wird es zunehmend zäh.
Kuang wollte ihr ganzes Wissen über Etymologie unterbringen. Allein dafür scheint sie das Magiesystem geschaffen zu haben. Doch fühlte sich das für mich wie viele trockene Vorlesungen an. Statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wurde ich mit viel zu vielen unnötigen Details überschüttet. Wenn der Text nicht ausreichte, nutzte sie noch unzählige Fußnoten, um noch mehr Infos mitzuteilen. Schlimmer war aber, dass in den Fußnoten Dinge stehen, die der Erzähler nicht wissen konnte, die nicht zum Fortgang der Handlung beitrugen, sondern nur das Wissen der Autorin kundtaten. Irgendwann habe ich sie einfach nicht mehr gelesen.

Es fällt mir immer noch schwer, das Buch zusammenzufassen. Denn das war die größte Schwäche des Buches – die Zusammenhangslosigkeit. Mal gibt es ein Stück Handlung, das dann wieder abbricht, dann folgen eintönige Vorträge, dann erfolgt ein Zeitsprung, der keine nachvollziehbare Entwicklung beinhaltet, dann folgt wieder Geschichtsunterricht. Dieses Buch ist einfach nicht gut erzählt. Es gab keine Überraschungen, keine neuen Erkenntnisse, keine Wendungen. Der Plot ist dünn und lückenhaft, die Figuren nur Sprachrohre der Autorin.
Durch die großen Zeitsprünge versäumt es Kuang, ihre Charaktere glaubhaft zu entwickeln. Ihre Handlungen sind sprunghaft, teils naiv, oft nicht nachvollziehbar. Mir scheint es, als wollte sie unsere heutigen modernen Ansichten zu Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Imperialismus darstellen, denn von Zeigen kann nicht die Rede sein. Und es passt auch nicht in die damalige Zeit. Immer wieder kommt es zu Szenen, die deutlich machen, wie rassistisch und frauenfeindlich die Menschen damals waren. Doch das reicht nicht, Kuang muss es uns anschließend noch erklären und uns sagen, wie wir das zu bewerten haben. Hält sie ihre Leser wirklich für so unmündig?
Ach ja, Gesellschaftskritik gab es dann auch noch, als Kuang über die Auswirkungen der industriellen Revolution und den nahenden Opiumkrieg schreibt. Auch die wurde nicht glaubhaft mit den Charakteren verbunden. Wir betrachten alles nur durch die Babel-Blase, die Auswirkungen auf den Rest der Gesellschaft werden nur reingeworfen. Spürbar, nachvollziehbar war hier nichts.

Und der Schluss war für mich nichts als provoziertes Drama, das dem Ganzen dann noch die Krone aufgesetzt hat. Das schlechteste Ende, das ich je gelesen habe, schade, dass ich nicht spoilern darf.

Ich habe am Ende keine Ahnung, welche Geschichte Kuang mir wirklich erzählen wollte, sie hat sich komplett in Statements verzettelt.

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Veröffentlicht am 08.04.2023

Langweilig, klischeehaft, unitalienisch

Schwarze Tage
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Prolog: Ein kleines Mädchen wurde entführt, die Geldübergabe misslingt, weil der Fahrer tödlich verunglückt. Damit versucht er, eine B-Story in Gang zu bringen, die hineinkonstruiert wirkt. Nur zu dem ...

Prolog: Ein kleines Mädchen wurde entführt, die Geldübergabe misslingt, weil der Fahrer tödlich verunglückt. Damit versucht er, eine B-Story in Gang zu bringen, die hineinkonstruiert wirkt. Nur zu dem Zweck, die Neugier auf den nächsten Band anzufüttern, aber sie wird nur noch 2 Mal im Buch erwähnt und steht in keinem Zusammenhang mit der Story. Und hinterm Ofen konnte sie mich nicht vorlocken.
Den eigentlichen Fall, ein Mord an dem Besitzer eines mit Sternen dekorierten Trüffel-Restaurants, übernehmen Commissario Vito Carlucci und seine neue Kollegin Laura Gabbiano. Wenn man das weiß, weiß man auch schon alles von dem Buch.
Nach wenigen Seiten entpuppte sich die Story als 0-8-15-Tatort-Plot, dem es an allem fehlte, vor allem aber an Italien. Man hätte ihn auch in Hintertupfingen spielen lassen können. Die Figuren waren so unitalienisch wie Fr. Meier, meine sächsische Nachbarin. Da half es auch nicht, ihnen Schimpfwörter wie bastardo oder pazzo in den Mund zu legen.
An Laura hätte der Autor wohl noch eine Weile basteln sollen, denn zu Beginn überhäuft er uns mit Klischees, Frau findet nichts in ihrer zu großen Tasche, Frau kommt am ersten Tag zu spät, Frau fährt mit Highheels zum matschigen Tatort. Der Rest von ihr war auch eher stereotyp aus der Presse gestanzt.
Anstatt mir irgendetwas Neues zu präsentieren, langweilt er mich mit so erstaunlichen »Neuigkeiten«, dass Giftmorde meist von Frauen begangen werden. Man verbeißt sich in eine Verdächtige, wo doch längst allen klar ist, dass die Dame es nicht war. Das Buch war kein Appetitanreger, obwohl lecker gekocht wurde, leider auf einer Spannungsparflamme.

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Leichte Unterhaltung ohne Tiefgang

Ginsterhöhe
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Im Mittelpunkt des historischen Romans steht das reale Dorf Wollseifen in der Eifel. Die Geschichte spielt 1919 – 1949. Albert Lintermann kehrt 1919 mit einer schweren Kriegsverletzung zurück, weshalb ...

Im Mittelpunkt des historischen Romans steht das reale Dorf Wollseifen in der Eifel. Die Geschichte spielt 1919 – 1949. Albert Lintermann kehrt 1919 mit einer schweren Kriegsverletzung zurück, weshalb sich seine Frau von ihm abwendet. Trotz 2 weiterer Kinder bleibt die Ehe schwierig. Leni, die Verlobte von Alberts Freund Henning, der im Krieg gefallen ist, heiratet Meller, der später Mitglied der NSDAP wird. In der Nähe von Wollseifen wird von den Nazis eine Schulungsstätte gebaut, so dass das Dorf im 2. WK zur Zielscheibe wird.

Aufgrund der ersten positiven Rezensionen habe ich mich sehr auf das Buch gefreut. Ich finde die Idee der Autorin sehr gut, die Geschichte eines Dorfes aufzuzeichnen, das sonst in Vergessenheit geraten wäre. Dabei hält sich an belegbare Fakten, hat etliche Interviews geführt und gibt dem ganzen einen spürbaren Zeitgeist.
Leider blieb die Geschichte weit hinter meinen Erwartungen zurück, auch hinter den Eindrücken vom Klappentext. Betrachtet man die Zeitspanne, war das sicher eine der bewegtesten Zeiten in Deutschland. Aber ich konnte weder die Schrecken und Folgen des 1.WKs spüren, noch die Auswirkungen der Inflation oder die aufkommende Bedrohung durch den Nationalsozialismus. All das war begraben unter den, für meinen Geschmack, zu detailliert geschilderten Alltagssituationen der Dorfbewohner. Es mögen sicher die Probleme eines jeden Dorfes in der Zeit gewesen sein, ob man sich nun einen stinkenden Traktor anschafft oder Wasserleitungen zulegt. Aber echte Nöte und Sorgen durch die gesellschaftlichen Umwälzungen waren für mich nicht spürbar.

Gut geschildert war der Zusammenhalt der Dorfbewohner, die sich gegenseitig eine große Stütze waren. Die Figuren selbst fand ich oft stereotyp, farblos und oberflächlich, außer Meller, der Nazi, der war für mich die am besten ausgearbeitete Figur, wenn auch etwas einseitig. Aufgrund der leichten Sprache ließ sich das Buch zu Beginn schnell weglesen. Dann allerdings wechselten unzuverlässig die Perspektiven, so dass nicht immer klar war, aus wessen Sicht nun geschrieben wurde. Mal mitten im Kapitel, aber auch mitten im Absatz. Das war für mich teils nur noch ein Wirrwarr. Etwas Spannung kam dann im 2. Teil auf, als die NS die Schulungsstätte gebaut hat und die Stimmung im Dorf deutlich zwiegespalten war.
Ich denke, die Geschichte hätte großes Potenzial gehabt. Für mich war’s nichts, zu oberflächlich, zu seicht, zu emotionslos. Aber ich bin sicher nur die falsche Zielgruppe, das Buch wird seine Liebhaber finden. Meinen Ansprüchen hat es nicht genügt.

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