Suffolk Gegenwart:
Iris ist Archäologin mit Leib und Seele, ein wahres Arbeitstier, und so bemerkt sie es auch nicht, als sich ihr Mann Stück für Stück zurückzieht. Als er ihr schließlich klipp und klar sagt, dass er auszieht aus ihrem gemeinsamen Haus, fällt Iris aus allen Wolken. Selbst ihr Vorschlag es nochmals mit ihr zu probieren und ihre Bitte, er möge sie doch während seines Urlaubs begleiten nach Suffolk, wo sie als Leiterin einer archäologischen Ausgrabung engagiert wurde, lässt ihn völlig kalt. So muss Iris, zutiefst verletzt, allein ihre Reise antreten und zwar in dem Bewusstsein, dass sie nun nicht nur ihre große Liebe verloren hat, sondern auch ihr gemeinsames Haus, dessen Unkosten sie allein unter keinen Umständen tragen kann.
So will sie sich, in Suffolk angekommen, zunächst Hals über Kopf in die Arbeit stürzen, doch das ist leichter gesagt als getan, denn die Arbeiter vor Ort, geben sich äußerst wortkarg und sie wird zu allem Überfluss auch noch in ein sehr abgelegen liegendes Haus einquartiert. Frustriert will sie sich beschweren, doch der ominöse Caleb, angeblich auch ehemaliger Leiter der Ausgrabung, geht gar nicht erst an sein Handy. So macht sich Iris kurz entschlossen auf, um ihn auf eigene Faust im Dorf zu suchen. Als sie vor ihm steht, ist sie überrascht, denn Caleb ist ausgerechnet der Mann, der sie ein paar Tage im Dunklen überrascht hatte, als sie sich ein alleinstehendes Haus näher angeschaut hatte und der ihr gegenüber alles andere als freundlich auftrat…
Orford 1903:
Die seit Jahren mit Rodney Treyane verheiratete Lady Meredith, findet eines Tages mit ihren Kindern Fabia und Theo einen völlig verwahrlosten, abgemagerten Jungen am Fluß und beschließt sogleich, ihn aus Dankbarkeit dafür, dass Gott einst ihr jüngstes Kind, das schwer erkrankt war, wieder gesunden ließ, aufzunehmen und ihn wie ein weiteres Kind aufzuziehen. Der Junge, der sich vom Aussehen her stark von den anderen abgrenzt, wird fortan Emanuel genannt und baut besonders zu Fabia ein enges Verhältnis auf. Die mitfühlende Fabia hasst es, wenn ihr gewalttätiger Vater wieder einmal Emanuel in den Keller hinabzitiert, um ihn zu verprügeln, doch Emanuel erduldet sämtliche Grausamkeiten, die ihm von Seiten seines Ziehvaters angetan werden, ohne Angst zu zeigen, was den Ziehvater noch mehr verärgert. Als beide Jungen das schulpflichtige Alter erreichen, gehen sie aufs College, was Emanuel Zeit gibt, zu einem jungen, wissbegierigen Mann heranzureifen, der ehrgeizige Pläne hat. Er will Arzt werden und später einmal Fabia heiraten. Doch dann bricht der erste Weltkrieg aus und die Karten werden neu gemischt….
„Das Haus an der Mündung“ von Victoria Jones, verlockte mich zunächst durch sein stimmungsvolles Cover. Und da sich auch der Klappentext so las, als habe ich hier eine Lektüre a la Kate Morton, Katherine Webb oder Kimberley Wilkins vor mir, konnte ich auch nicht wirklich widerstehen, da ich Romane liebe, in denen die Helden oder Heldinnen ein dunkles, lange zurückliegendes Geheimnis lüften müssen.
Der Roman wird abwechselnd auf zwei Zeitebenen erzählt. Während im Teil, der in der Gegenwart spielt, eine junge Archäologin im Fokus steht, die sich, nachdem sie von ihrem Mann verlassen wurde, zunächst einmal wieder neu sortieren muss und schließlich in Caleb eine verwandte Seele findet, ist die Handlung, die in der Vergangenheit spielt, um einiges komplexer gestaltet und auch fand ich die Akteure, Fabia und Emanuel ein wenig sympathischer, so dass mich deren Geschichte einfach noch mehr fesseln konnte, selbst wenn ich Iris und Calebs Story ebenfalls mochte.
Emanuel ist ein junger Mann, der ein wenig an Brontes ungezügelten und düsteren Romanheld „Heathcliff“ erinnert, jedoch ist Emanuel im Gegensatz zu Heathcliff um ein Vielfaches milder gestimmt und verabscheut Gewalt. Man leidet mit ihm mit und wünscht sich beim Lesen stets, dass doch endlich einmal jemand von den übrigen Geschwistern oder zumindest die Mutter, für den Jungen einsteht, um ihn zu beschützen, doch leider sind sämtliche Personen typische Vertreter ihrer Zeit, die es nicht wagen, die Initiative zu ergreifen. Bis auf Fabia, verharren sie in ihrer Passivität und selbst das Hausmädchen Ceridwen vermag es leider nicht, Emanuel vor Schlägen zu schützen, was mich beim Lesen sehr aufbrachte. Aber es verleiht der Geschichte auch die gewisse Portion Glaubwürdigkeit, denn in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg waren die Menschen halt noch gefangen in den, ihnen vorgegebenen Konventionen.
Die Autorin hat einen eindringlichen Schreibstil und eine sehr bildhafte Ausdrucksweise und auch die Beschreibungen der Örtlichkeiten fand ich anschaulich dargebracht.
Ich konnte mich daher sehr gut in die Geschichte vertiefen und habe sie leider viel zu schnell ausgelesen gehabt und das trotz der immerhin 479 Seiten, was für das Erzähltalent der Autorin spricht.
Obwohl ich mir gewünscht hätte, dass Iris ein wenig offener und freundlicher vom Wesen her gestrickt gewesen wäre, und das Ende des Roman ruhig etwas happyendlastiger hätte ausfallen dürfen, möchte ich dennoch nicht weniger als 5 von 5 Punkten vergeben, weil mich der Roman so sehr packen konnte.