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Veröffentlicht am 04.06.2023

Was Träume bewirken können

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„Das Buch ist für dich“, so die Widmung am Anfang und so ist es auch geschrieben, in der Anredeform und in der Vergangenheit, wie ein fortlaufender Brief. Das führt schon manchmal dazu, dass man über Worte ...

„Das Buch ist für dich“, so die Widmung am Anfang und so ist es auch geschrieben, in der Anredeform und in der Vergangenheit, wie ein fortlaufender Brief. Das führt schon manchmal dazu, dass man über Worte stolpert, die man doch sehr selten in der Vergangenheitsform und zweiten Person Singular verwendet. („Du wechseltest“, „du öffnetest“ …)

Sophie hat sowohl ihren Vater als auch ihre beste Freundin verloren. Eines Tages stolpert in einem Büchercafé ein fremder Mann über ihre Hundeleine und Sophies Kaffee ergießt sich auf das Hemd des Fremden. Beide entschuldigen sich, mehr passiert erstmal nicht.

Zurück in Hamburg wird sie in den nächsten Wochen zunehmend unruhiger. In ihre nächtlichen Träume schleicht sich der Fremde von der Insel, sie lernt ihn im Traum immer besser kennen. Die beiden sind vertraut miteinander. Dann wacht sie auf und kann nicht mehr einschlafen. Ihr Tagesrhythmus verschiebt sich so, dass sie ihren Mann kaum mehr sieht. Sie arbeitet, wenn er schläft und schläft, wenn er zuhause ist.
Sie wartet jede Nacht auf die Rückkehr des Fremden in ihre Träume und irgendwann fällt auch ihrem Mann auf, dass da etwas mit seiner Frau nicht stimmt. Nach einer Aussprache trennen sie sich einvernehmlich.

Sophie fährt zurück nach Rügen. Ob es wohl möglich ist, den Fremden wiederzufinden? Sie mietet sich in einem kleinen Haus ein, ihre Nachbarin in der anderen Haushälfte ist eine über 70-jährige Fischerwitwe. Mit Marlene versteht sie sich auf Anhieb und sie freundet sich auch mit einer Malerin, Ella, an. Als sie die Suche nach dem Mann ihrer Träume schon fast aufgeben will, findet sie ihn doch noch. Wird die Realität mit den Träumen mithalten können? Wird sie in der Realität jemals so vertraut mit ihm sein, wie sie es in ihren Träumen war?

Auch wenn es auf der äußeren Ebene um die Suche nach diesem Mann geht, so ist Sophie auch auf der Suche nach sich selbst. In ihrer Ehe hatte sie sich zusehends verloren, die beiden Verluste, der ihres Vaters und der ihrer besten Freundin Tessa, haben sie in eine tiefe Krise gestürzt, aus der ihr Mann ihr weder helfen kann noch will. Er scheint mehr die Annehmlichkeiten einer Partnerschaft zu genießen und sich neue Annehmlichkeiten zu suchen, wenn die alten nicht mehr verfügbar sind. Und so werden die kleinen Traumfluchten zu einer großen Flucht nach vorne und ins Ungewisse.

Sophie hilft ihre Direktheit. Nicht jeder hätte unter dem Vorwand, für den Schaden bezahlen zu wollen, dem Fremden ihre Adresse und Telefonnummer gegeben. Und sie erzählt Anton sogar von ihren Träumen, sie macht sich schwach und zeigt dabei doch innere Stärke. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Die beiden freunden sich an, auch wenn sich keine engere Beziehung zwischen ihnen anbahnt. Aber auch Freundschaft kann inspirierend sein, nie fiel ihr die Arbeit des Übersetzens von Romanen aus dem 19. Jahrhundert leichter als auf Rügen. Und schließlich greift sie selbst zur Feder.

So haben die Träume Sophie zu einem ganz neuen Leben verholfen. Als sie es sich selbst noch nicht eingestehen wollte, sagte ihr Unterbewusstsein ihr bereits, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmte, dass mit den beiden Verlusten auch in ihrem Leben eine Änderung anstand. Der Zufall führte sie nach Rügen und dort findet sie schnell neue Freunde. Anton ist dabei eigentlich nur Steigbügelhalter, zumal ihm seine Unabhängigkeit einfach zu wichtig ist. Aber da sind Marlene und Ella und da scheint nach einem Jahr auch Robert der Fotograf zu sein. Das Ende bleibt offen, vielleicht verabschiedet sie sich mit dieser Buchvorstellung von ihren Träumen und kommt wieder in der Realität an.

Ich mochte das Buch, es sprach mit mir. Auch das Cover passt dazu, man kann sich Sophie vorstellen, wie sie sich bei Sonnenaufgang auf dem Rücken der Sonne entgegentreiben lässt. Und gerade das Überspringen des letzten Jahres lässt so vieles offen, es regt die Phantasie an.

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Veröffentlicht am 30.05.2023

Der lange Atem der Geschichte

Verhängnisvolle Lügen an der Côte d’Azur
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Der mit Léon Duval befreundete Richter Dussolier wird auf offener Straße erschossen. Ein Racheakt dafür, dass Dussolier den bekannten „Paten“ Cosenza hinter Gitter gebracht hatte? Die Polizei geht offenbar ...

Der mit Léon Duval befreundete Richter Dussolier wird auf offener Straße erschossen. Ein Racheakt dafür, dass Dussolier den bekannten „Paten“ Cosenza hinter Gitter gebracht hatte? Die Polizei geht offenbar davon aus.

Léon Duval ermittelt parallel zu einer Pariser Einheit, die extra für den Fall abgestellt wurde. Er besucht Cosenza im Gefängnis und kommt zu dem Eindruck, dass seine Familie mit diesem Attentat nichts zu tun hatte. Da gibt es aber neue Banden, die sich in Cannes breit machen wollen, vor allem die von Driss Abidi.

Duvals Recherchen ergeben, dass Dussolier sich kurz vor seinem Tod mit der Staudammkatastrophe von Malpasset beschäftigt hatte. 1959 waren bei einem Bruch des Staudammes 423 Menschen zu Tode gekommen und niemand war je beschuldigt worden, diese Katastrophe herbeigeführt oder mitverschuldet zu haben. Duval weiß wenig über diese Zeit und beginnt, auch in der Vergangenheit zu forschen. Eine Reportage in Arte gibt der algerischen Befreiungsfront FLN die Schuld an dem Unglück.

Duval nimmt Kontakt zu allen möglichen Stellen auf, den Pieds noirs (französischen Einwanderern aus Algerien), Anwohnern und Zeitzeugen und lässt zunächst einmal nicht locker. Auch nicht, als die Behörden den Fall schon lange zu den Akten gelegt haben und Dussoliers Tod als bedauernswerten Kollateralschaden im Kampf der Banden untereinander abstempeln. Doch dann holt ihn ein nicht erwarteter Schlag gegen die eigene Familie ein.

Was ich an Christine Cazons Büchern mag, ist, dass sie sehr oft einen realen Hintergrund haben. Ich konnte mich in diesem Fall eines profunden Nicht-Wissens rühmen, ich hatte von dieser Katastrophe noch nie gehört. Bei ihren anderen vorangegangenen Fällen erging es mir ähnlich. Man erfährt in Romanform, was unsere Nachbarn im südlichen Frankreich beschäftigt und so behält es sich auch am besten. Und so würde ich das Buch nicht nur als Krimi bezeichnen, sondern auch als Gesellschaftsstudie.

Es mag nicht durchgehend spannend sein, bietet aber darüber hinaus einigen Stoff zum Nachdenken.

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Veröffentlicht am 19.05.2023

Ein Leben für die Fotografie

Das Licht im Rücken
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Sandra Lüpkes hat sich mit dem Buch „Das Licht im Rücken“ der Geschichte der Leica, aber noch mehr der Geschichte der Familie Leitz vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des 2. Weltkrieges angenommen.

Anfang ...

Sandra Lüpkes hat sich mit dem Buch „Das Licht im Rücken“ der Geschichte der Leica, aber noch mehr der Geschichte der Familie Leitz vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des 2. Weltkrieges angenommen.

Anfang des 20. Jh. verdiente die Firma ihr Geld noch hauptsächlich mit Mikroskopen und doch gab es damals schon begnadete Tüftler im Unternehmen, die Visionen für die Zukunft hatten. Oskar Barnack ist einer von ihnen, er träumt von und entwickelt an einer Kamera, die in jede Jackentasche passt und bei der es nicht Stunden dauert, bis ein Bild entstanden ist. Auch der Transport der schweren Glasplatten würde der Vergangenheit angehören. Es gehören mutige unternehmerische Entscheidungen dazu, diesen Weg einzuschlagen, Ernst Leitz der Zweite trifft diese Entscheidung und letztendlich gibt der Erfolg dem Unternehmen Recht.

Im Umfeld der Familie Leitz gibt es in Wetzlar mehrere Familien, deren Schicksal im Buch ebenfalls beleuchtet wird. Da ist zum einen die Familie Gabriel, Herr Gabriel ist Jude, seine Frau Christin. Ernst Leitz ist mit Herrn Gabriel schon seit Jugendtagen befreundet. Schon in den 20er Jahren merkt man die ersten Ressentiments in der Stadt, die von den rechten Parteien eifrig unterstützt werden. Die Gabriels betreiben einen Geschenkeladen und Sohn Milan und Tochter Dana helfen schon als Kinder fleißig mit, bis die Schikanen der Nazis die Kunden aus ihrem Laden fernhalten.

Da sind am Rande aber auch Alma und Ulli, die Geschwister Julie und Gustav Schlemm und später die Partner der Kinder Elsie, Ernst und Ludi. Und in den 30er Jahren treten die neuen Machthaber immer stärker in den Vordergrund, so dass die Familie sogar fürchten muss, enteignet zu werden.

Schlaglichter werden in erster Linie auf Ernst den Zweiten und seine Tochter Elsie geworfen, die Söhne sind nur am Rande Teil des Geschehens und selbst Hedwig, Ernsts zweite Frau nach dem Selbstmord seiner ersten Frau Elisabeth tritt selten auf.
Ernst und seine Tochter sind beide mit einem großen Gerechtigkeitssinn ausgestattet, sie gehören für die Nationalsozialisten den falschen Parteien an und sie machen keine Unterschiede zwischen den Rassen. Da können Schwierigkeiten nicht ausbleiben und Elsie wird sie am eigenen Leibe erfahren. Sie hat aber auch das nötige Selbstbewusstsein, sich gegen diese Schikanen zur Wehr zu setzen.

Für mich war das Buch so ein Zwischending zwischen Familienroman und Firmengeschichte. Immer in gewisser Weise neutral, niemals rührselig, selbst wenn die Situation es zugelassen hätte. Diese neutrale Schreibweise macht aber auch die schrecklichen Ereignisse erträglicher.

Das Titelbild zeigt ein Bild, wie es mit der alten Technologie niemals möglich gewesen wäre. Eine Momentaufnahme, vielleicht ein Bild von Danas Überfahrt nach England, die von Sturm und hohen Wellen begleitet war mit dem Licht im Rücken, einem der wichtigsten Lehrsätze für angehende Fotografen.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Nordic Noir

Der Bojenmann
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Frank Schätzing hat es treffend in seinem Kurzkommentar beschrieben „Elb-Kolorit und Fischkopp-Charme treffen auf Nordic Noir“
Von Nordic Noir gibt es in diesem Krimi eine ganze Menge. Ein Serientäter ...

Frank Schätzing hat es treffend in seinem Kurzkommentar beschrieben „Elb-Kolorit und Fischkopp-Charme treffen auf Nordic Noir“
Von Nordic Noir gibt es in diesem Krimi eine ganze Menge. Ein Serientäter geht um in Hamburg. Er plastiniert seine Opfer und inszeniert sie – zunächst einmal kaum als Leichen erkennbar – an markanten Orten in Hamburg. Da kann es schon mal sein, dass man auf dem Weg in die Elbphilharmonie an einer Leiche vorbeispaziert und es gar nicht gemerkt hat.
Das Morddezernat um Kommissar Knudsen steht vor mehr als einem Rätsel und wäre da nicht der frühere Lotse und Freund Knudsens, Oke Andersen, dann würde die Kommission noch länger im Dunkeln tappen.
Zusätzlich zu ganz viel Spannung hat das Buch auch das Zeugs dazu, neue Touri-Ziele zu erschließen oder auf zukünftige Stadtentwicklungsprojekte für Hamburg hinzuweisen. Da wird nicht nur die größte Modell-Eisenbahnanlage der Welt thematisiert und Werbung für die Elbphilharmonie gemacht, da steht auch schon die Zukunft in den Startlöchern und sei es als Spekulationsobjekt der Immobilienfirmen, wenn ab 2028 der ehemalige Tschechen-Hafen frei wird und genutzt werden kann. Zum Seemannsclub „Duckdalben“ gibt es bereits geführte Touren und ich könnte mir vorstellen, dass das Buch diesen Touren weitere Interessenten zuführen wird. Ich würde mich auf jeden Fall beim nächsten Besuch in Hamburg danach erkundigen.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Nichts ist wie es scheint

Lavendel-Zorn
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Carine Bernard hat mit „LavendelZorn“ den 5. Krimi in der Reihe der Lavendel-Krimis und den 4. Krimi um die Ermittlerin und Commissaire Lilou Braque geschrieben. Die Krimis spielen im beschaulichen Städtchen ...

Carine Bernard hat mit „LavendelZorn“ den 5. Krimi in der Reihe der Lavendel-Krimis und den 4. Krimi um die Ermittlerin und Commissaire Lilou Braque geschrieben. Die Krimis spielen im beschaulichen Städtchen Carpentras in Südfrankreich.
Lilou wollte endlich mal einen Tag mit ihrem Partner am Badesee verbringen. Dieser Tag wird durch einen Leichenfund empfindlich gestört. Im Wasser treibt eine Frauenleiche, die auch recht bald identifiziert werden kann. Die tote Dame ist Mitarbeiterin in einem Notariat vor Ort. Zunächst ist von einem Unfall auszugehen und die Gendarmerie lehnt Ermittlungen ab.
Doch schon am nächsten Tag wird die Polizei zum Vorgesetzten der Toten gerufen, er hat sich offenbar erschossen, die Türen seines Amtszimmers waren von innen verschlossen, von Fremdverschulden kann also nicht ausgegangen werden.
Lilou glaubt jedoch nicht an Zufälle und beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Spurensuche gestaltet sich schwierig und im Umfeld der beiden Opfer scheint es auch keine Ungereimtheiten zu geben. Charlene Thomas war glücklich liiert und Notar Sousteron führte wohl ein gänzlich korrektes und unauffälliges Leben. Man kann im Buch über vier Kapitel nachvollziehen, dass dieser Teil der Polizeiarbeit mühevoll ist, man stochert im Leben eines Verstorbenen herum, sucht nach einem Motiv, sei es für Mord oder Selbstmord und zunächst einmal scheint alles in bester Ordnung zu sein, nirgendwo ergibt sich ein Anhaltspunkt.
Die Autorin versteht es gut, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten. Und wäre da nicht Kommissar Zufall gewesen, dann hätte der Mörder mit seiner Tat straffrei davonkommen können. Es hätte sein können, dass die Lügen des Täters überzeugender wirkten als die Beteuerungen des Tatverdächtigen.
So wurde aus Unfall und Suizid doch noch eine veritable Mordermittlung.
Ich fand den Krimi sehr lesenswert und habe ihn in einem Rutsch durch gelesen.
Dennoch habe ich eine kleine Kritik: Das Cover mit dem Lavendelfeld und dem pittoresken Haus ist wunderschön und natürlich muss zur Reihe der Lavendel-Krimis auch ein Feld mit Lavendel abgebildet werden. Der Titel allerdings gefällt mir nicht ganz so gut.
Er erinnert mich an die Ostfriesen-Krimis von Klaus-Peter Wolf, da gibt es auch "Ostfriesenzorn". Vor allem auch im Zusammenspiel mit Lavendel erschließt sich mir der Sinn nicht.

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