Was Träume bewirken können
Wo du mich findest„Das Buch ist für dich“, so die Widmung am Anfang und so ist es auch geschrieben, in der Anredeform und in der Vergangenheit, wie ein fortlaufender Brief. Das führt schon manchmal dazu, dass man über Worte ...
„Das Buch ist für dich“, so die Widmung am Anfang und so ist es auch geschrieben, in der Anredeform und in der Vergangenheit, wie ein fortlaufender Brief. Das führt schon manchmal dazu, dass man über Worte stolpert, die man doch sehr selten in der Vergangenheitsform und zweiten Person Singular verwendet. („Du wechseltest“, „du öffnetest“ …)
Sophie hat sowohl ihren Vater als auch ihre beste Freundin verloren. Eines Tages stolpert in einem Büchercafé ein fremder Mann über ihre Hundeleine und Sophies Kaffee ergießt sich auf das Hemd des Fremden. Beide entschuldigen sich, mehr passiert erstmal nicht.
Zurück in Hamburg wird sie in den nächsten Wochen zunehmend unruhiger. In ihre nächtlichen Träume schleicht sich der Fremde von der Insel, sie lernt ihn im Traum immer besser kennen. Die beiden sind vertraut miteinander. Dann wacht sie auf und kann nicht mehr einschlafen. Ihr Tagesrhythmus verschiebt sich so, dass sie ihren Mann kaum mehr sieht. Sie arbeitet, wenn er schläft und schläft, wenn er zuhause ist.
Sie wartet jede Nacht auf die Rückkehr des Fremden in ihre Träume und irgendwann fällt auch ihrem Mann auf, dass da etwas mit seiner Frau nicht stimmt. Nach einer Aussprache trennen sie sich einvernehmlich.
Sophie fährt zurück nach Rügen. Ob es wohl möglich ist, den Fremden wiederzufinden? Sie mietet sich in einem kleinen Haus ein, ihre Nachbarin in der anderen Haushälfte ist eine über 70-jährige Fischerwitwe. Mit Marlene versteht sie sich auf Anhieb und sie freundet sich auch mit einer Malerin, Ella, an. Als sie die Suche nach dem Mann ihrer Träume schon fast aufgeben will, findet sie ihn doch noch. Wird die Realität mit den Träumen mithalten können? Wird sie in der Realität jemals so vertraut mit ihm sein, wie sie es in ihren Träumen war?
Auch wenn es auf der äußeren Ebene um die Suche nach diesem Mann geht, so ist Sophie auch auf der Suche nach sich selbst. In ihrer Ehe hatte sie sich zusehends verloren, die beiden Verluste, der ihres Vaters und der ihrer besten Freundin Tessa, haben sie in eine tiefe Krise gestürzt, aus der ihr Mann ihr weder helfen kann noch will. Er scheint mehr die Annehmlichkeiten einer Partnerschaft zu genießen und sich neue Annehmlichkeiten zu suchen, wenn die alten nicht mehr verfügbar sind. Und so werden die kleinen Traumfluchten zu einer großen Flucht nach vorne und ins Ungewisse.
Sophie hilft ihre Direktheit. Nicht jeder hätte unter dem Vorwand, für den Schaden bezahlen zu wollen, dem Fremden ihre Adresse und Telefonnummer gegeben. Und sie erzählt Anton sogar von ihren Träumen, sie macht sich schwach und zeigt dabei doch innere Stärke. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Die beiden freunden sich an, auch wenn sich keine engere Beziehung zwischen ihnen anbahnt. Aber auch Freundschaft kann inspirierend sein, nie fiel ihr die Arbeit des Übersetzens von Romanen aus dem 19. Jahrhundert leichter als auf Rügen. Und schließlich greift sie selbst zur Feder.
So haben die Träume Sophie zu einem ganz neuen Leben verholfen. Als sie es sich selbst noch nicht eingestehen wollte, sagte ihr Unterbewusstsein ihr bereits, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmte, dass mit den beiden Verlusten auch in ihrem Leben eine Änderung anstand. Der Zufall führte sie nach Rügen und dort findet sie schnell neue Freunde. Anton ist dabei eigentlich nur Steigbügelhalter, zumal ihm seine Unabhängigkeit einfach zu wichtig ist. Aber da sind Marlene und Ella und da scheint nach einem Jahr auch Robert der Fotograf zu sein. Das Ende bleibt offen, vielleicht verabschiedet sie sich mit dieser Buchvorstellung von ihren Träumen und kommt wieder in der Realität an.
Ich mochte das Buch, es sprach mit mir. Auch das Cover passt dazu, man kann sich Sophie vorstellen, wie sie sich bei Sonnenaufgang auf dem Rücken der Sonne entgegentreiben lässt. Und gerade das Überspringen des letzten Jahres lässt so vieles offen, es regt die Phantasie an.