„Ich habe diese Frauen geliebt, gefürchtet, gehasst. Sie haben Fragen in mir geweckt über Familien, Töchter, Mütter und über mich selbst.“ (Lena Gorelik)
In einem prachtvollen Anwesen am See leben sie zusammen, die Frauen einer Familie, denen die Männer nach und nach abhandengekommen sind. Wie zahlreich die dunklen Flecken ihrer Geschichte sind, weiß nur eine von ihnen, die enigmatische Großmutter, die immer den Schein zu wahren wusste. Als Leni sich weigert, genau das zu tun, wird sie still und heimlich verstoßen. Zurück bleibt ihre Schwester, die nun allein gegen eine verhängnisvolle Tradition ankämpfen muss. Annika Reich erzählt von Schwestern, Müttern, Töchtern und Großmüttern, die der trügerischen Anziehungskraft weiblichen Verrats erliegen, auch wenn sie sich nichts mehr als gegenseitigen Beistand wünschen. Bis die Großmutter stirbt und die Geister der Vergangenheit sich nicht länger verstecken lassen.
Eine tolle Familiengeschichte, die sehr viel Dramatik und Familiengeheimnisse beinhaltet, aber dennoch auch eine unterhaltsame und kurzweilige Story hat. Mir gefällt das Cover und die vielen Generationen, ...
Eine tolle Familiengeschichte, die sehr viel Dramatik und Familiengeheimnisse beinhaltet, aber dennoch auch eine unterhaltsame und kurzweilige Story hat. Mir gefällt das Cover und die vielen Generationen, Traditionen und Ansichten, die hier zum Vorschein kommen. Der Schreibstil ist angenehm und flüssig und die Figuren sind vielschichtig und stark. Ein sehr gutes Buch, das ich gerne empfehle.
Männer sterben bei uns nicht ist die Geschichte von Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind. Es klingt nach einem gemütlichen Zusammenleben auf einem großzügigen Anwesen direkt am See. Fünf ...
Männer sterben bei uns nicht ist die Geschichte von Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind. Es klingt nach einem gemütlichen Zusammenleben auf einem großzügigen Anwesen direkt am See. Fünf Häuser gibt es auf diesem Anwesen. Alle diese Häuser gehören Luises Großmutter. In einem davon lebt Luise mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Leni. Die Hoffnung, das Anwesen einmal weiter zu führen, liegt auf der jungen Luise. Luise, die immer bemüht ist, zu sein, wie es am besten in Großmutters Bild passt. - Alles andere wird einfach ausgeblendet. Gilt als nicht existent.
Und genau so verschwindet eines Tages Luises ältere Schwester Leni. Leni, die ihrer kleinen Schwester Halt gibt. Leni, die alle Sorgen und Nöte versteht und immer für Luise da ist. Leni, die plötzlich nicht mehr da ist. Weil es Luise gibt. Luise, die scheinbar genau die Richtige ist.
"Ich war das Lieblingskind, aber eben nur in einer ganz bestimmten Version, nur wenn ich genau den Platz einnahm, den Großmutter für mich vorgesehen hatte." - Seite 196
Männer sterben bei uns nicht zeigt mir bereits auf den ersten Seiten, dass die Wohnlage noch so idyllisch sein kann, wenn das Zwischenmenschliche fehlt. Wenn eine familiäre Verbundenheit keine Verbundenheit garantiert. Wenn Mitgefühl aufgrund eigener Interessen gar durch Animositäten ersetzt wird. Was bleibt, ist ein verkrustetes Herz bis über den Tod hinaus.
Annika Reich erzählt die Geschichte in einem nüchternen Tonfall. Gleichzeitig lässt sie keinen Zweifel daran, dass ihre Charaktere unter der Familiengeschichte leiden. Durch diese Erzählweise fehlt mir die emotionale Nähe zu den Charakteren. Damit ist es mir möglich, die Frauen aus der Ferne zu betrachten. Diese Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind und die sich selbst so wenig emotionale Nähe geben können.
"Eure Großmutter wollte es nie wahrhaben, aber auch wir gehören dazu, wir zerrupften Rosen." "Ich gehörte nie dazu, zerrupft oder unzerrupft", sagte Olga. "Ich durfte nicht einmal ihre Stifte benutzen. Weißt du das noch, Luise? Sie räumte sie weg, wenn ich kam, sie machte die Schränke zu." - Seite 183
Männer sterben bei uns nicht ist für mich ein ruhiges, zum Nachdenken anregendes Leseerlebnis.
Fazit
Männer sterben bei uns nicht ist für alle, die sich nicht scheuen, verbildlicht an Luises Seite das durch die Großmutter gelebte Patriachat zu erleben.
"Wir Frauen der Familie wohnten in einem Anwesen am See, das vor Pracht, Verheißung und Verhängnis vibrierte wie sonst nur große, destruktive Lieben. Allein in meiner Kindheit wurden zwei Frauen angeschwemmt, ...
"Wir Frauen der Familie wohnten in einem Anwesen am See, das vor Pracht, Verheißung und Verhängnis vibrierte wie sonst nur große, destruktive Lieben. Allein in meiner Kindheit wurden zwei Frauen angeschwemmt, die sich aus Liebeskummer ertränkt hatten. Dass es ein unglücklicher Zufall war, erfuhr ich erst viel später, änderte aber nichts an der Tatsache, dass das Anwesen diese Anziehungskraft besaß, die für Frauen selten glücklich endete. Männer starben bei uns nie, Männer kamen und gingen."
Dies sind die ersten Worte und Gedanken in Annika Reichs Roman "Männer sterben bei uns nicht" und gleich war ich mehr als begeistert von diesem Buch - sprachlich, inhaltlich und gedanklich weiterschweifend. Schon allein in diesen wenigen Worten sind mehre, riesige Bilder enthalten, die diesen Roman prägen. Das Anwesen, ein Hof mit einem Herrenhaus und vier kleineren Häusern in der Nähe eines Sees. Hier leben die Frauen einer Familie; das männliche Geschlecht hat es nie lange ausgehalten, nur seine gewaltigen Schatten hinterlassen, die das Verhalten der Frauen, den Umgang mit den Gesellschaftsnormen und die Familie bis ins kleinste Detail prägten, wenn nicht sogar ein Korsett schnürten, das Generationen überdauert, strikt weitergegeben und immer enger wurde. Erst mit dem Tod der Großmutter, dem stets forderndem Oberhaupt, bricht dieses Schema auf und doch stehen wieder nur die Bewertungen der anderen und das Erbe im Raum, das erneut Schatten, Anforderungen, sowie Erwartungen auf zukünftige Generationen und in diesem Fall auf Luise wirft.
In diesem Roman erzählt sie von der Beerdigung ihrer Großmutter und durchkramt in zahlreichen Rückblenden ihre Erinnerungen an einzelne Gespräche, Erlebnisse und das Leben auf dem Anwesen. Als Leserin lernt man so die einzelnen Frauen der Familie, ihre Gedanken und (Lebens-)Erwartungen, sowie Zweifel und Trauer in all ihren Facetten und verschiedenen persönlichen Ausprägungen kennen, befasst sich fast sich schon automatisch mit dem, was es bedeutet die zugewiesene Rolle und damit einhergehende Erwartungen zu (er-)füllen, sich dem Druck der Macht und dem vorherrschenden Gesellschaftsnormen zu beugen oder eben übergangen zu werden und doch stets auf der Suche nach Antworten zu sein.
"Großmutter denkt, dass sie nur leben kann, wenn sie's wie die Männer macht. Sie denkt, Macht wäre immer nur die Macht der Männer und dass sie sie nur behalten kann, wenn sie herrscht wie sie. Dass sich Macht auch teilen lässt, daran glaubt sie nicht. Sie denkt übrigens, dass du die Einzige von uns bist, die klug genug ist, sich nicht von vornherein auf die Seite der Opfer zu schlagen. [...] Sie dachte immer, du wärst die Einzige, die so ein Leben zu schätzen weiß."
Ach, ich habe dieses Buch geliebt, habe mir unzählige Gedanken über Erwartungen und das Erbe bzw. die Weitergabe von Familien'anforderungen' gemacht und bewundert wie Annika Reich sich diesem sehr komplexen und heiklen Thema nähert. Dabei liefert sie nicht unbedingt viele Antworten, aber das Bedarf es vielleicht auch gar nicht, da jeder Leser*in eine eigene Geschichte mitbringt und vielleicht ähnliche Situationen und Gedanken nachempfinden kann. Mit knapp 200 Seiten ist es ein recht dünnes, aber dafür, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, sehr schweres Buch, das Zeit und Raum benötigt; nicht einfach so hinuntergeschlungen werden kann. Das Leben der Frauen dieser Familie, die Veränderungen, die mit dem Tod des Oberhaupts eintreten, die vorherrschende gesellschaftliche Norm und Vererbung... man kann sich in allen Ausprägungen der einzelnen Protagonistinnen, die alle so unterschiedlich und doch nahbar sind, wiederfinden.
Die weitervererbte Last der Erwartungen, zugewiesene Rollen und Machtkämpfe - das sind Themen, die auch mich immer wieder beschäftigen und mit denen ich bei fast jedem Besuch in der Heimat erneut konfrontiert sehe. Vielleicht ist es gerade auch deshalb ein Buch, das mich gerade in diesen Punkten sehr bewegt hat. Und es ist halt nicht nur eine Geschichte, es ist die Geschichte einer jeden nachfolgenden Generation, die sich immer wieder mit dem Umgang der alten, vorherrschenden Strukturen befassen, sich neu finden und neue Rollen erkämpfen muss. Oder sich für dem Familienfrieden fügt und in eine Rolle gepresst wird, die nicht unbedingt ins eigene Weltbild passt und sich dennoch in ihr beweisen und weiterkämpfen muss. Ich könnte nun noch über weitere Gedanken, die angeschwemmten Frauen, die einzelnen Familienmitglieder, die Bedeutungen des Anwesen mit dem Herrenhaus und dem heruntergekommenen Haus mit samt den gesammelten 'Andenken' des männlichen Geschlechts und und und sprechen. In diesem Roman gibt es so viel zu entdecken und erstaunlicher Weise ist es doch nur so ein komprimierter Roman. Ich hätte Luise und ihre Familie, die Auseinandersetzungen mit ihren Erinnerungen, dem Schicksal und dem Leben, die ganzen Gedankenwelten und zwischenmenschlichen Interaktionen wirklich gerne noch viel länger begleitet. Von mir eine große Leseempfehlung!
Vorweg sei bemerkt, dieses Buch habe ich zweimal gelesen, bevor ich es einschätzen kann. Angetrieben durch eine magische Fesselung an die bedrückende Stimmung, welche der Roman bei mir zurück ließ, blätterte ...
Vorweg sei bemerkt, dieses Buch habe ich zweimal gelesen, bevor ich es einschätzen kann. Angetrieben durch eine magische Fesselung an die bedrückende Stimmung, welche der Roman bei mir zurück ließ, blätterte ich sofort von Seite 204 zurück zum Anfang und begann erneut suchend zu lesen. Ich wollte besser verstehen, aufklären oder erfassen, konnte dies jedoch nur begrenzt. Nun blicke ich mit einem Kloß im Bauch auf eine latent paternalistische Beziehungskultur, toxische Weiblichkeit und verborgene Misandrie, die Annika Reich in ihrem Buch „Männer sterben bei uns nicht“ konstruiert.
Luise ist in den Dreißigern, als ihre Großmutter stirbt. Anlässlich der Beerdigung treffen sich die Frauen wieder, die man gemeinhin als Verwandtschaft bezeichnen würde, die Großmutter geringschätzte und gar aussortierte. In Rückblenden, die jeweils einen Ankerpunkt im angrenzenden Kapitel haben, schildert Luise Bruchstücke ihrer Erinnerungen und Beziehungen. Dazu gehört immer wieder die Erwähnung, Luise habe als Kind zweimal eine tote Frau im angrenzenden See gefunden. Ebenso wird immer wieder deutlich, dass Luise in der großmütterlichen Dynastie bevorteilt und das Anwesen erben wird. Dieses Anwesen prägt Großmutters Wesen, ihr Handeln und Steuern. Sie wird zusammen mit dem Anwesen zum Kern der Familie, eher einer Dynastie von Frauen. Eine „Großmutter“, für die „das Wahren der Form immer die Lösung für alles gewesen ist - Beziehungen, Stil, Gartengestaltung, Vergangenheitsbewältigung.“ Das führt dazu, dass in dieser Familie Gefühle vermieden werden, sie einsam machen, besiegt oder verkleidet oder betäubt werden müssen. Jede hat ihre Strategie, mit Großmutters Geringschätzung umzugehen. Männer werden frühzeitig entfernt, ignoriert oder sie fliehen, finden nur - wenn überhaupt - in Erinnerungen Platz, werden aber zum Schein von Großmutter immer mitgedacht. Zum Sterben und damit zu einem wirklich wichtigen Beitrag zur Welt, kommt es nur bei Frauen.
Das Buch ist in einem kunstvollen Stil geschrieben, der poetisch und zum Teil malerisch durch einen eher schwachen Plot führt. Es wird ein Schmetterling verscheucht wie eine schlechte Idee, Häuser schweigen und die Familie muss getrimmt werden wie ein Japanischer Garten. Solch anmutige stilistische Mittel, Allegorien und Metaphern nehmen mich mit der latent bedrückenden Stimmung in einen Bann.
Ich gebe eine Leseempfehlung für Freundinnen und Freunde poetischer Sprache, die sich gern in Stimmungen hingeben und auch mit offenen Fragen zurückbleiben können.
Es geht um die Frauen einer Familie, die gemeinsam in einem prachtvollen Anwesen am See leben. Nur die Großmutter kennt die dunklen Flecken der Familiengeschichte und wahrt nach außen den Schein. Doch ...
Es geht um die Frauen einer Familie, die gemeinsam in einem prachtvollen Anwesen am See leben. Nur die Großmutter kennt die dunklen Flecken der Familiengeschichte und wahrt nach außen den Schein. Doch dann stirbt die Großmutter und die Vergangenheit lässt sich nicht mehr verstecken.
Das Buch hat mich unfassbar begeistert! Es hat zwar nur knapp zweihundert Seiten, beinhaltet aber Generationen an Subtext. Die wahren Konflikte der Familie werden sehr laut totgeschwiegen.
Was mich besonders berührt hat, war wie die Familiengeschichte gleichzeitig aus der Sicht eines Kindes und eines Erwachsenen erzählt wird und Erinnerungen sich verändern und mit der Zeit anders bewertet werden können. Gerade dadurch, dass man über gewisse Dinge nicht spricht, wirkt die Familiengeschichte sehr schwammig und hat in mir eine starke Unruhe ausgelöst.
Sprachlich hat mich das Buch auch sofort gepackt. Es gibt wunderbar stimmungsvolle sprachliche Bilder und es werden mit wenigen Worten viele Gefühle, für die es eigentlich keine Worte gibt, vermittelt.
Die Charaktere fand ich sehr interessant. Einerseits habe ich sie als leere Gefäße wahrgenommen, die man mit den Gedanken der vorherigen Generation füllen wollte, andererseits waren sie fast eine Einheit, die trotzdem gegeneinander ausgespielt wurde.
Ich verstehe aber auch, dass das Buch viele Menschen verwirrt. Durch die Zeitsprünge muss man sich ziemlich konzentrieren und manchmal war die Stimmung auch für mich etwas erdrückend.
Letztendlich war es für mich durch den treffenden Humor, die sprachliche Raffinesse und die Emotionen, die es in mir ausgelöst hat, ein absolutes Highlight.
Die einzige Entschuldigung dafür, dass dieses Buch noch nicht verfilmt wurde, ist, dass es bisher noch nicht erschienen ist.