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Veröffentlicht am 31.05.2023

Ein Bericht über die Kolonialzeit in Ostafrika

Nachleben
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„… ich mag Geschichten, aus denen man etwas lernen kann.“ Das lässt Abdulrazak Gurnah eine Figur in seinem Roman „Nachleben“ sagen und man hat nach der Lektüre ebendiesen Romans das Gefühl, dass auch Gurnah ...

„… ich mag Geschichten, aus denen man etwas lernen kann.“ Das lässt Abdulrazak Gurnah eine Figur in seinem Roman „Nachleben“ sagen und man hat nach der Lektüre ebendiesen Romans das Gefühl, dass auch Gurnah genau diese lehrreichen Geschichten besonders mag. Er nutzt das Mittel der Literatur, um seine Leser:innen über das selten beleuchtete Thema der kolonialen Besetzung Ostafrikas durch das Deutsche Kaiserreich aufzuklären.

Dies schafft er anhand von vier Protagonist:innen, denen er in variierender Erzählgeschwindigkeit und mit wechselndem Fokus durch die Zeit der Besetzung durch die deutsche Kolonialmacht und darüber hinaus bis in die bundesdeutsche Geschichte hinein folgt. Zwei dieser Protagonisten, Ilyas und Hamza ziehen beide für die deutsche Schutztruppe in den Krieg gegen die britischen Truppen. Ungeschönt aber auch urteilsfrei berichtet Gurnah über das Leben als sogenannter Askari und „das Leben danach“, nach dem Krieg, nach der Gewalt. Denn so deute ich den Titel des Buches „Afterlives“, statt dem Leben nach dem Tod, scheint hier das Leben nach dem Krieg für ein fernes Land (Deutschland) auf ostafrikanischem Boden. Nüchtern berichtet er von dem Spannungsfeld zwischen Unterdrückung durch die Besatzungsmacht und gleichzeitig die Faszination für „die deutschen Tugenden“. Der Autor fällt dabei eben kein Urteil, weder über seine Protagonist:innen noch über die Kolonialmacht. Er lässt das Geschehen für sich sprechen.

Mit dieser berichtenden, nüchternen Erzählweise musste ich erst einmal warmwerden und bin es wahrscheinlich nicht einmal jetzt geworden, nach Beenden der Lektüre. Und gleichzeitig kann ich anerkennen, was Gurnah hier macht und dass dies eine bewusst gewählte Distanz ist. Manchmal wirkt der Roman mehr wie ein historischer Lehrbuchtext, als ein literarisches Werk. Emotional mitreißend war die Lektüre für mich dadurch nur selten. Gleichzeitig habe ich aber sehr viel über diese geografische Region Ostafrika (ich möchte nicht von einem speziellen „Land“ sprechen, da die Ländergrenzen durch die Kolonialmächte gezogen und die vielen verschiedenen Bevölkerungsschichten in einen Topf geworfen wurden), ihre Geschichte um die Jahrhundertwende 19./20.Jh. und das Leben im Öffentlichen unter einer Besatzungsmacht wie auch im Privaten mit verschiedenen religiösen Vorstellungen, ethnischen Zugehörigkeiten, Bildungsständen und finanziellen Mitteln. Besonders im Mittelteil webt der Autor zusätzlich eine Liebesgeschichte ein, sodass dieser Roman sich keinesfalls ausschließlich im Kriegsgeschehen bewegt und von Gräueltaten berichtet.

Ich muss zugeben, dass ich zunächst vom Roman enttäuscht war. Da für mich persönlich ein Autor, der den Literaturnobelpreis erhalten hat, das Kriterium erfüllt, dass er mit seinen Büchern eine Symbiose aus gekonnter literarischer Form und wichtigem Inhalt schafft. Das wichtige historische Thema erkenne ich hier definitiv an, aber die literarische Form scheint nicht wirklich besonders oder herausragend. Meine eigenen Ansprüche waren schon vor der Lektüre aufgrund des Nobelpreises sehr hoch, wahrscheinlich zu hoch. Denn - mal provokativ gefragt - was kann ein Autor dafür, wenn sein Werk von irgendeinem Gremium ausgezeichnet wird? Man sollte ein Werk auch gesondert davon betrachten können.

Aufgrund des Schreibstils, inklusive der berichtenden, funktionalen Erzählweise und der mir nicht immer nachvollziehbaren Tempiwechsel, schwankte ich direkt nach Beenden des Buches zwischen 3 und 4 Sternen, habe mich aber aufgrund sehr aufschlussreicher Beiträge im Rahmen einer Leserunde schlussendlich doch für das Aufrunden entschieden. Gurnah erzählt eine historisch wichtige, weiterhin erschreckend wenig beleuchtete Geschichte, nämlich die der Deutschen in Ostafrika, aber eben aus Sicht der ansässigen Bevölkerung. Eine Perspektive, die aus der Feder des britisch-sansibarischen Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah unbezahlbar ist, denn wir befinden uns erst am Anfang der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte, die bisher entweder kleingeredet oder aus Sicht der Kolonialmacht geschrieben wurde. Umso wichtiger die Stimmen von Autor:innen, die vom afrikanischen Kontinent stammen und lang unterdrückte Perspektiven ans Tageslicht befördern.

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Veröffentlicht am 31.05.2023

Interessant im historischen Kontext

Töchter Haitis
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Im Rahmen der Reihe vom Manesse Verlag kann man nun mal wieder eine gänzlich unbekannte, moderne Klassikerin aus einem Land entdecken, was in unserer heutigen Literaturwelt leider kaum auftaucht. Marie ...

Im Rahmen der Reihe vom Manesse Verlag kann man nun mal wieder eine gänzlich unbekannte, moderne Klassikerin aus einem Land entdecken, was in unserer heutigen Literaturwelt leider kaum auftaucht. Marie Vieux-Chauvet gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zur Bevölkerungsgruppe der sog. „Mulatten“ in Haiti. Haiti, ein Land, in dem es die einzige erfolgreiche Revolte gegen eine Kolonialmacht, nämlich Frankreich, gab, was seitdem jedoch durch ein ständiges Auf und Ab in seiner Politik gekennzeichnet ist.

All dies und noch mehr erfährt die Leserschaft des Romans „Töchter Haitis“. Allein mithilfe des Romantextes der Autorin wäre es jedoch schwer, ein Verständnis für die Gegebenheiten und die Geschichte Haitis zu entwickeln. So macht in diesem Falle das Gesamtpaket aus prosaischem Text sowie Anmerkungen des Verlags, Nachwort von Kaiama L. Glover, Professorin an der Columbia University, und editorische Notiz den großen Wert dieser Veröffentlichung aus.

Im Roman von Vieux-Chauvet begleiten wir die Ich-Erzählerin Lotus durch die politischen Unruhen Anfang des 20. Jahrhunderts in Haiti. Sie gehört eigentlich der bevorzugten und machthabenden Bevölkerungsgruppe der Mulatten an. Laut Anmerkungen war „Mulatte“ ursprünglich eine Bezeichnung für Personen mit einem schwarzen und einem weißen Elternteil, die nach Vertreibung der Franzosen zur tonangebenden Schicht wurden und im haitianischen Kontext eine gängige (Selbst-)Bezeichnung, kein beleidigender, rassistischer Begriff, wie im Deutschen. Gleichzeitig ist Lotus allerdings die Tochter einer Prostituierten, was sie in einen niederen Gesellschaftsstand bringt. Und sie ist eine Frau, was ihre Möglichkeiten in der Zeit der Handlung einschränkt. Somit verbindet die Autorin in diesem aus dem Jahre 1954 stammenden Roman die Themen „race, class und gender“. Die Protagonistin verliebt sich in einen Revoluzzer und schwankt im gesamten Roman zwischen politisch-gesellschaftlichen Engagement und Liebe für diesen Mann, wird Teil der Bewegung, die sich gegen die festgefahrene Ordnung aufbäumt, hat aber scheinbar gar kein intrinsisches Interesse daran, sondern scheint nur ihren Geliebten gefallen zu wollen. Über den gesamten Roman hinweg versucht sie, mit sich selbst und ihren Selbstzweifeln ins Reine zu kommen. So gestaltet sich der Roman fast wie eine späte Coming-of-Age-Geschichte.

Lotus ist jedoch keine Sympathieträgerin in diesem Roman. Sie ist psychisch auffällig, wankelmütig und melodramatisch. Das macht sie für die Leser:innen unglaublich anstrengend. Ihr Gehabe ist nur schwer auszuhalten und nervt kolossal über den gesamten Roman hinweg. So oft stellt sie sich selbst als ein sensibles, naives Frauchen dar, dass diese Figur aber auch andere der Nebenfiguren antiquiert wirken. Ebenso altmodisch wirkt die überschwänglich, theatralische Sprache. Jedes Auf und Ab von Lotus‘ Gehabe macht die Sprache mit und unterstreicht den aufgeplusterten, antiquierten Stil des Buches. Würde ich allein dies bewerten, wäre ich wohl bei 2,5 bis 3 Sternen gelandet.

Für mich war die Lektüre allerdings ungemein lehrreich und damit mehr als lohnenswert bezüglich des Wissenszuwachses. Da der Verlag mit seiner Aufarbeitung durch Anmerkungen, Nachwort und editorische Notiz wirklich eine herausragende Arbeit geleistet hat, hat er enorm zu meinem Verständnis der Relevanz des Romans im historischen Kontext und bezogen auf die Rolle der Frauen dort beigetragen. So habe ich über Haiti, dessen Geschichte, die politisch-gesellschaftlichen Zerwürfnisse und die Einwohner unglaublich viel gelernt. Insgesamt also ein durch die Aufarbeitung des Verlags lesenswertes Buch für alle, die mehr über Haiti erfahren möchten.

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Solide Endzeit-Novelle

Die Nacht danach
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In Nikodem Skrobisz‘ nur 99 Seiten dünnen eBook „Die Nacht danach“ entwickelt er eine Versuchsanordnung für den Moment kurz nach einem Atomkrieg. In einem nicht näher benannten westlichen Land entdecken ...

In Nikodem Skrobisz‘ nur 99 Seiten dünnen eBook „Die Nacht danach“ entwickelt er eine Versuchsanordnung für den Moment kurz nach einem Atomkrieg. In einem nicht näher benannten westlichen Land entdecken Scott und Sarah, ein Ehepaar ein einem Trailerpark, und Henry und Celine ein Pärchen, was sich nur für einen One-Night-Stand in der Luxusstrandvilla von Henrys Vater getroffen hat, Blitze am nächtlichen Himmel. Die darauffolgenden roten Atompilze in der Ferne lassen auf einen nuklearen Angriff schließen und bringen die beiden Paare zu ganz unterschiedlichen Schutzmaßnahmen. Scott, ein Afghanistan-Veteran, schaltet schnell und schleppt seine Ehefrau schnellstmöglich in die zumindest ein wenig Schutz bietende Kanalisation. Henry muss mit Celine nicht auf das Abwassersystem zurückgreifen, hat ihm doch sein Vater unter dem Haus einen luxuriösen, mit allem was das Prepperherz sich wünscht ausgestatteten, ABC-sicheren Bunker hinterlassen.

Nun schreibt Skrobisz die divergierende Geschichte dieser beiden Paare, die unterschiedlicher in sozioökonomischem Status und Ausgangssituation nicht sein könnten, über einen Zeitraum von grob zwei Wochen fort. Der Überlebenskampf bekommt ganz unterschiedliche Qualitäten und läuft auf einen Showdown hinaus.

Zugegebenermaßen gefiel mir der Einstieg in diese Geschichte tatsächlich nicht sonderlich. Das lag hauptsächlich an den psychologisch eher unrealistischen Reaktionen der verschiedenen Protagonisten auf das Niedergehen der vielen, markerschütternden Atombomben. Da werden währenddessen und kurz danach knackig-coole Sprüche gemacht, die an Action-Filme aus den 90ern erinnern, in denen der Held immer einen flotten Spruch draufhatte, egal in welcher brenzligen Situation er sich befand. Gut, nun wird die Geschichte vom Autor als „Ein (sic) Tragikomödie, die von der Struktur ein Kammerspiel ist, erzählt in Romanform.“ beschrieben. Komödienhaft waren die Kommentare allerdings für mich nicht, eher – wie gesagt – unrealistisch. Und „tragisch“ ist nun einmal die Grundlage dieser Geschichte: ein Atomkrieg. Tragik im Speziellen bietet über die aus diversen Endzeitszenarien in Film- und Buchform bekannten Probleme im Überlebenskampf hinaus, die Geschichte nicht.

Was die Geschichte jedoch zu bieten hat, ist mit Fortlauf der Lektüre eine sehr gute Darstellung der Atmosphäre während den ersten Tagen nach einem Atomkrieg und dem knappen Überleben. So fühlt man sich an Cormac McCarthys Beschreibung der Düsternis einer untergehenden Welt in „Die Straße“ erinnert. Der Vorteil von Skrobisz‘ Buch: Es ist weitaus kürzer und demnach keinesfalls so langatmig, wie es bei McCarthy manchmal der Fall ist. Die für mich aber größten Stärken dieser Veröffentlichung sind die moralischen Fragen, die das Buch im Verlauf aufwirft: Wofür lohnt es sich überhaupt so etwas zu überleben? und Was ist zielführender und moralisch vertretbarer; Kooperation oder seine eigenen Wege gehen, um zu überleben? Auch wird durch die unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen der beiden Paare die Frage der Überlebenschancen im Spannungsfeld „arm vs. reich“ aufgeworfen.

Meines Erachtens handelt es sich hierbei um eine solide Novelle, die als Ausgangspunkt das Szenario eines Atomkrieges wählt, und kurz und knapp den ein oder anderen Denkanstoß geben kann. Das ist sicherlich am besten für Leser:innen geeignet, die sich zuvor gedanklich eher wenig mit dem Thema beschäftigt haben und nun damit erstmals in Berührung kommen. Für Leser:innen, die sich schon eingehender diesbezüglich belesen haben, wird das Buch keine signifikant neuen Erkenntnisse bieten können. Somit also ein guter Startpunkt, der durchaus noch Potential nach oben hat. Ausgehend von den zuvor veröffentlichten Werken des 23jährigen Autors ist definitiv von diesem Potential auszugehen und seine zukünftigen Veröffentlichungen sollten im Auge behalten werden.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Ein Krimi in den Weiten des Weltraums

Fern vom Licht des Himmels
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Tade Thompson, ein nigerianischer Psychiater und Schriftsteller, versucht sich in seinem neuen Buch „Fern vom Licht des Himmels“ an einem wilden Genre-Mix im Weltall. So handelt es sich hierbei meines ...

Tade Thompson, ein nigerianischer Psychiater und Schriftsteller, versucht sich in seinem neuen Buch „Fern vom Licht des Himmels“ an einem wilden Genre-Mix im Weltall. So handelt es sich hierbei meines Erachtens hauptsächlich um einen Science-Fiction-Roman, der eine Krimi-Geschichte erzählt und sowohl afrofuturistische, schaurige als auch mystische Elemente einbaut. Das ist ziemlich viel auf einmal und die Frage ist, ob Thompson dieses Jonglierkunststück auch hinbekommt.

Ein sogenanntes Siedlungsschiff namens Ragtime macht sich von der Umlaufbahn der Erde auf den Weg in ein fernes Sonnensystem, um den Kolonie-Planeten Bloodroot zu erreichen. Rund 1500 Passagiere befinden sich an Bord des von einer KI gesteuerten Raumschiffs in einem Schlafzustand, um die zehn Jahre Reisezeit unbeschadet zu überstehen. Eigentlich geht nie etwas schief, wenn eine KI ein Raumschiff befehligt, aber zur Sicherheit fliegt immer auch ein:e menschliche:r erste:r Maat mit, um im Fall der Fälle das Ruder übernehmen zu können. So wird Michelle „Shell“ Campion vor allen anderen aus dem Schlaf geholt und entdeckt, dass ca. 30 ihrer Passagiere ermordet wurden, während sie „schlief“. Der KI des Schiffs kann sie scheinbar auch nicht mehr trauen, so holt sie sich Hilfe von Bloodroot. Es wird der Ermittler Fin mit seinem Partner einem „Künstlichen“ auf die Ragtime geschickt, um herauszufinden, was dort los ist und ob weiterhin eine Gefahr besteht. Es gesellen sich noch weitere zusätzliche Passagiere zu der Truppe und es beginnt eine actionreiche Geschichte um dieses zusammengewürfelte Team, welches im Raumschiff nicht nur versucht den oder die Mörder:in zu finden, sondern auch zu überleben.

Der Roman ist ganz nach Tade Thompson Manier aufgebaut. Wie man es schon von der Wormwood-Trilogie kennt, nimmt der Autor seine Leserschaft an die Hand und begleitet in den Kapiteln durch eine personale Erzählweise wechselnde Charaktere. Damit niemand durcheinander kommt, sind die Kapitel mit dem Namen der beobachteten Person versehen. Durch kleinere Rückblenden erfährt man nach und nach mehr von den Personen und gleichzeitig erhöht sich von Kapitel zu Kapitel die Geschwindigkeit der Geschehnisse in der Erzähl-Gegenwart. Die Figuren erhalten durch die Rückblicke und Einblicke in ihre Gedankenwelt eine gewisse psychologische Tiefe, die mir aber im Vergleich zu den Figuren der Wormwood-Reihe etwas zu wenig ausgeprägt ist. Dieser Eindruck plus noch andere Faktoren lassen bei mir die Vermutung aufkommen, dass sich Thompson beim vorliegenden Roman während des Schreibens noch nicht so richtig klar darüber war, ob dies der Start zu einer weiteren Reihe werden sollte. Das wird meines Erachtens zusätzlich deutlich durch den Plot und die Aufklärung im Roman aufgeworfener Fragen. Gerade im letzten Drittel des Buches zieht der Autor die Erzählgeschwindigkeit massiv an, die Ereignisse überschlagen sich, man kommt kaum noch mit, sich das alles während des Lesens heranzuimaginieren, nur um dann auf wenigen Seiten den Sack zuzumachen, schnell jedem Charakter eine Abschlusssequenz zusammenzuschreiben und dann das Buch zu beenden. Mich hat das Buch irgendwie unbefriedigt zurückgelassen. Es wirkt wie ein Zwischending zwischen einem Stand Alone und dem Auftakt einer Serie. Man könnte sich sowohl mit ersterem abfinden, wäre aber auch nicht überrascht, wenn in einem Jahr der nächste Teil veröffentlicht werden würde.

Während mir die ersten zwei Drittel des Romans sehr gut gefallen haben, besonders die erneut eingewebten Themen, die heutzutage noch als gesellschaftskritisch vor allem im Bezug auf nigerianische Zustände einzuordnen sind, wie Homosexualität, Geschlechtsidentität und Kolonisation. Mir gefiel auch sehr, dass als Transitstation zwischen zwei Einstein-Rosen-Brücken eine vollständig von Nachkommen nigerianischer Raumfahrer:innen gegründete Raumstation mit mehreren Millionen Einwohnern eingeführt wurde. Dort wird auch noch Yoruba gesprochen und die Verwaltung liegt vollständig in der Hand dieser nigerianischen Nachfahren. Das Konzept erinnert an „The Expanse“-Ideen und könnte noch viel stärker thematisiert und ausgebaut werden, wird aber nur angeschnitten. Auch die psychologische Tiefe rückt mir ob der zunehmenden Action zum Ende hin etwas zu stark in den Hintergrund.

Der Autor schreibt selbst in seinem Nachwort, dass es sich nicht um eine Space Opera handelt und vorerst (!) als Stand Alone angelegt ist. Somit muss ich damit arbeiten, was mir der Autor in diesem Buch erzählt und das ist mir insgesamt etwas zu wenig, wenn auch gleichzeitig auf der Plotebene sehr – vielleicht zu – viel.

Insgesamt konnte mich der Roman über weite Strecken sehr gut unterhalten und ist einfach durch die kurzen, gut strukturierten Kapitel ein absoluter Pageturner. Mir wurde es zum Ende hin einfach etwas zu viel von allem, weshalb ich dem Buch sehr gute 3 Sterne gebe und es durchaus für eine kurzweilige (Hard) Science-Fiction-Lektüre empfehlen kann.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Kurzweilige Geschichten in einer Genre-Potpourri-Sammlung

Menschen und andere seltsame Wesen
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In ihrer Anthologie versammeln Monika Loerchner (geb. 1983)und Leveret Pale aka Nikodem Skrobisz (geb. 1999) 22 Kurzgeschichten aus zwei Jahren kreativer Zusammenarbeit. Dabei entstand eine Geschichte, ...

In ihrer Anthologie versammeln Monika Loerchner (geb. 1983)und Leveret Pale aka Nikodem Skrobisz (geb. 1999) 22 Kurzgeschichten aus zwei Jahren kreativer Zusammenarbeit. Dabei entstand eine Geschichte, an der beide Autor:innen mitgewirkt haben, die restlichen teilen sich in Geschichte von der einen und der anderen Person auf. Inhaltlich rangieren die Geschichten zwischen verschiedensten Genres. So gibt es viele phantastische Geschichten, einige skurrile, aber auch richtig böse und blutrünstige. Auf mich machten dabei die meisten den Eindruck, dass sie mit einem Augenzwinkern zu lesen sind. Zwei meines Erachtens tiefgründigere, ernstere Geschichten tauchen ebenso auf.

Es ist schwer diese wilde Sammlung an Kurzgeschichten der beiden Autor:innen zusammenzufassen, da man hier viele Topoi in einen Topf werfen müsste. So tauchen in einer Geschichte scheinbar durch eine Ansteckung psychotisch und damit gewalttätig gewordene Menschen auf, in einer anderen Zombies, in einer weiteren sprachfähige Tiere, Aliens oder Drachen. Aber auch die Geschichten mit „nicht-phantastischen“ Menschen sind skurril und abwegig. Menschen zeigen hier ungewöhnliche Verhaltensweisen, die häufig gegen andere Menschen gerichtet sind.

Sprachlich variieren die Geschichten recht stark. Sind manche stilistisch sehr einfach gehalten, können andere durch tolle Beschreibungen und Tiefe glänzen. Meines Erachtens merkt man den Unterschied in Schreib-/Lese- und eventuell auch Lebenserfahrung den unterschiedlichen Generationen an, denen die beiden Autor:innen angehören. So konnten mich meist die Texte von Loerchner sprachlich mehr überzeugen, besser ins das Geschehen ziehen und die Atmosphäre entsprechend vermitteln. Nichtsdestotrotz zeigt auch Pale in der ein oder anderen Geschichte seine Stärken und kann mit den entsprechenden Geschichten herausstechen.

Mit einer abschließenden Bewertung dieser Sammlung tue ich mich jedoch schwer, da die einzelnen Geschichten so stark in stilistischer Qualität, Genre und Inhalt variieren. Ich bin ganz ehrlich, mir hat zum Beispiel die erste Geschichte eher weniger gefallen. Hätte ich diese als Leseprobe vorab gelesen, hätte ich wohl das Buch nicht im Gesamten weiterlesen wollen. Im Gesamtpaket habe ich sie aber für mich als reine trashige Splatter-Geschichte verbucht. Andere mitunter sehr blutrünstige und einfach übertrieben gewalttätige Geschichte, musste ich lesen, weil sie nun einmal im Buch dazugehören, habe sie aber nicht sonderlich gern gelesen. Das ist einfach nicht das, was ich gern lese. Da haben mir die unerwarteten Szenarien und so manch eine unvorhersehbare Wendung am Ende der ein oder anderen Geschichte schon besser gefallen. Ich habe auch das Gefühl, dass das Cover des Buches mich nicht ausreichend auf die gewalttätigen Inhalte vorbereitet hat. Das Cover sieht dafür viel zu ausgeglichen, lieb, gewöhnlich aus. Erst nach der Lektüre erkennt man, dass sich so einige Protagonisten auf das Cover verirrt haben.

Was mich nachdenklich gestimmt hat während der Leserunde, an der ich zusammen mit Loerchner und Pale teilnehmen durfte, dass ich bei zwei Geschichten von Loerchner mit sehr ernsten, tiefgründigen Themen (Vergewaltigung und Selbstmordgedanken) diese beim Lesen nicht als solche erkannt habe. Bei der Geschichte, in welcher die Vergewaltigung implizit erwähnt wird, habe ich diese nicht einmal als solche identifizieren können. Auch anderen Teilnehmer:innen ist dies so ergangen. Meine Vermutung ist, dass diese Geschichten zwischen den vielen skurrilen, unterhaltsamen Geschichten untergegangen sind. Sie würden vielleicht besser in eine andere Geschichtensammlung passen, um dort besser im Kontext verstanden zu werden.

So schwanke ich abschließend sehr bezüglich der Sternebewertung. Mein persönlicher Leseeindruck bewegt sich eher im 3-Sterne-Bereich. Da ich jedoch wenig Leseerfahrung mit Krimi-, Thriller-, oder blutrünstigen Geschichten (Horror?) habe, kann ich diese nur schwer im Kontext der Genre einschätzen. Mir fehlen hier die Vergleichsmöglichkeiten. Manche Geschichten waren für mich eher banal in ihrer Aussage und andererseits gab es aber auch die ein oder andere Perle (z.B. „Delphys Mobil-Reisen“, „Im Wald“, „Gülen hat es satt“) in der Sammlung. Man sollte sich jedenfalls eher auf Geschichten aus dem kurzweiligen Unterhaltungssektor einstellen und am besten selbst ein Bild machen. Unter diesem Gesichtspunkt und weil ich es grundsätzlich toll finde, dass sich diese beiden Menschen zusammengetan haben, um gemeinsam ein Buch zu veröffentlichen, runde ich meine 3,5 Sterne jetzt einfach auf die ganze Bewertungszahl 4 auf.

3,5/5 Sterne

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