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Veröffentlicht am 19.12.2023

Retour - à la nature mit Luc Verlain!

Retour
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Bei dem Aquitaine-Krimi "Retour" von Alexander Oetker handelt es sich um dessen Krimidébut, das als tb, broschiert bei Hoffmann und Campe (2017) erschien. 'Retour' ist also Luc Verlains erster Fall und ...

Bei dem Aquitaine-Krimi "Retour" von Alexander Oetker handelt es sich um dessen Krimidébut, das als tb, broschiert bei Hoffmann und Campe (2017) erschien. 'Retour' ist also Luc Verlains erster Fall und spielt im herrlichen SW Frankreichs, dem Aquitaine; unweit von Bordeaux und seinen Weinbergen des Médoc, aber auch dem rauen Wind des Atlantiks gelegen.


Im Gegensatz zu vielen seiner Ermittler-Kollegen ist Luc Verlain (siehe auch dessen HP unter http://www.lucverlain.de) ein Kommissar, der es versteht, zu leben (sich also der Mentalität des 'savoir vivre' verschrieben hat): Er liebt gutes Essen, seinen Jaguar, seine Freundin(nen) und es mangelt ihm auch nicht gänzlich an sozialer Kompetenz: Die schwere Erkrankung seines Vaters veranlasst ihn, von Paris zurück ins Aquitaine zu kehren, das er vor 15 Jahren verließ, um seine Polizeikarriere in der Metropole fortzusetzen, was ihm auch gelungen ist.

Dennoch wird aus seiner Ansicht, dass es dort vermutlich viel ruhiger zugeht als in Paris, vorläufig nichts: Kurz nach seiner Ankunft wird ein 17jähriges Mädchen aus einem nahegelegenen kleinen Ort tot am Strand aufgefunden - die Ermittlungsarbeiten laufen an und im neu zusammengestellten Team gibt es von Beginn an eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Anouk Filipetti, der jungen und attraktiven Kollegin Luc's sowie Hugo; allerdings gibt es in der Kooperation auf Leitungsebene mit Etxberria, dem Basken, eher Misstöne und Luc muss mit Diplomatie vorgehen, da er dem Basken quasi vor die Nase gesetzt wurde...


Im Laufe der Ermittlung wird deutlich, dass der Baske dem langjährigen Freund des Mädchens, Hakim, durchaus zutraut, einen Mord an ihr begangen zu haben, Luc jedoch ermittelt in alle Richtungen und erhält einen Hinweis auf einen unbekannten zweiten Mann, der durchaus auch als Täter in Frage kommen könnte....


Alexander Oetker lässt Luc Verlain eine Haltung einnehmen, die mir sehr gefällt und die nicht unpolitisch ist (gerade in der jetzigen Zeit, in der Populisten und reaktionäre Kräfte und Parteien in ganz Europa auf Stimmenfang sind!) - Luc verabscheut Ignoranz, Rassismus und Vorverurteilungen und rettet einem seiner Kollegen dennoch 'Kopf und Kragen'....


Herrlich zu lesen sind auch die Landschaftsbeschreibungen der Aquitaine, wobei man als Leser große Lust bekommt (so man sie noch nicht kennt), die Koffer zu packen oder den Rucksack und sich sofort auf den Weg dorthin zu begeben. Humorvoll zeigt sich der Autor, als er die Gäste eines Chateaux in den Weinbergen des Médoc beschreibt, die aus reichen Briten, Amerikanern und Parisern bestehen: "Sie gaben sich hier den Korkenzieher in die Hand"....

(Zitat, S. 124) Das lässt den eingefleischten Krimileser, der auf humorvolle Einlagen und Parodien steht, doch sehr schmunzeln ;)


"Retour" ist ein Wohlfühlkrimi mit Anteilen eines kleinen "Reiseführers" durch die Aquitaine mit dem sympathischen jungen Kommissar Luc Verlain einerseits, andererseits nimmt der Autor auch Stellung zu den terroristischen Anschlägen in Nizza und in Paris, die ganz Frankreich und die Welt schockierten; die Franzosen aber nicht dauerhaft in Schockstarre zu versetzen vermögen.

So hat Luc, der einerseits Paris sehr liebt und sein Leben dort, doch Sehnsucht nach der Ruhe und dem Meer der Region, aus der er stammt: Aquitaine!


Die Direktive und das "Zurückpfeifen" des Präfekten wirkt glaubwürdig: In der Tat hatten Macht und Geld schon immer einen gehörigen (und selten gerechten) Einfluss auf Politik und die Justiz.


Der Stil Alexander Oetker's ist leicht und eingängig zu lesen; der Spannungsbogen blieb erhalten und der Plot war schlüssig, der Leser gefordert, mitzurätseln, wer die 17jährige Caroline ermordete.

Das Nachwort des Autors ist sehr berührend und spiegelt die aufrichtige Liebe zur "Grande Nation" (wo er einige Jahre als Korrespondent arbeitete und lebte) und der französischen Lebensart (die ich mit ihm teile) wieder und "Retour" ist sozusagen ein 'Amuse gueule", ein Appetitanreger, der Lust macht auf weitere Fälle von Luc Verlain und auf eine Reise ins Aquitaine.


Einzig der Auslöser der Rückreise Luc's, sein Vater, hätte sich über mehr Tiefgang, Infos und auch Kontakte mit seinem Sohn im Krimidébut sehr gefreut, leider blieb dies etwas zu sehr an der emotionalen Oberfläche für mich. Ein "Merci" sowie Hinweise zur HP runden den Krimi ab. Auf den Buchinnenseiten sind Karten vorhanden, an denen man sich sehr gut orientieren kann bei der Reise durch Aquitaine.


Fazit:


Ein unterhaltsames, spannendes und gut zu lesendes, dabei nicht unpolitisches Krimidébut mit viel Lokalkolorit sowohl der Pariser Metropole als auch besonders der Region Aquitaine; einem herrlichen Flecken im SW Frankreichs, dem man unbedingt einmal mit seinem Besuch aufwarten sollte! Eine Leseempfehlung von mir mit 4 Sternen, 91° auf der 'Krimi-Couch' und - noch etwas Luft für das Entwicklungspotential des Ermittlers - nach oben

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Veröffentlicht am 16.11.2023

Flüchten oder Standhalten

Beuteherz
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"Beuteherz" von Ulrika Rolfsdotter erschien (TB, 447 Seiten) im Heyne-Verlag (Penguinrandomhouse Gruppe). Übersetzt aus dem Schwedischen wurde der Kriminalroman von Sabine Thiele.

Ich war auf den 1. Fall ...

"Beuteherz" von Ulrika Rolfsdotter erschien (TB, 447 Seiten) im Heyne-Verlag (Penguinrandomhouse Gruppe). Übersetzt aus dem Schwedischen wurde der Kriminalroman von Sabine Thiele.

Ich war auf den 1. Fall von Annie Ljung sehr gespannt, da sie (wie auch die Autorin) denselben Beruf hat wie ich). Nie zuvor habe ich einen Krimi gelesen, in dem eine (schwedische) Sozialarbeiterin/-pädagogin ermittelt und muss sagen, dass mir das Début der Autorin sehr gut gefallen hat!


Inhalt:


Als ihr Cousin Sven Bergsen Annie anruft, die sich in Stockholm seit einigen Jahren vor allem um misshandelte Frauen kümmert, kehrt sie in den Ort ihrer Kindheit und Jugend in Nordschweden zurück, in den sie niemals wieder fahren wollte: Lockne. Doch ihre demente Mutter braucht sie, auch wenn die Beziehung zu ihr schon länger eher schwierig ist. Es ist kurz vor Ostern und sie nimmt sich vor, nur einige wenige Tage zu bleiben. Mit Sven und seiner Frau Lillemor hat sie ein herzliches Verhältnis, dementsprechend freuen sich beide, dass Annie zu Besuch ist. Kurz darauf verschwindet ihre Nichte Saga, die ihr mit 17 Jahren zum Verwechseln ähnlich sieht, spurlos. Obwohl ihr Unwillen gegen diesen Ort, den sie in jungen Jahren verlassen musste, deutlich spürbar ist, lässt sie nun Sven und Lillemor nicht in dieser äußerst belastenden Situation alleine, da diese stets nach Birgitta, Annies Mutter schauen. Sie begegnet zwangsläufig Josef Hoffner, dessen Vater Sven im Suff bei einem Kartenspiel einen Wald abluchste, den Sven, der faktisch pleite ist, da der kleine Lebensmittelladen schon längst nicht mehr läuft, von Johan zurückhaben will. Nach einiger Zeit bilden sowohl die Dorfbewohner als auch die Polizei Suchtrupps, die jedoch in starkem Schneefall keine Ergebnisse zeigen. Die verzweifelten Eltern gehen nicht davon aus, dass Sara davongelaufen ist: Doch wo ist die Tochter zu finden - und ist sie noch am Leben in dieser Kälte?


Meine Meinung:


Ulrika Rolfsdotter ist ein Name, den ich mir zweifellos merken werde: Der Kriminalroman wirkt auf mich sehr authentisch und interessant, da Annie, die Hauptprotagonistin, die Stelle ihrer Freundin Helena in der Nähe von Lockne antritt (Elternzeitvertretung) und sehr menschlich reagiert, als ihre Nichte spurlos verschwindet: In ihrer Profession beim Jugendamt gibt sie der Polizei Informationen, die zum Auffinden von Sara hilfreich sein könnten. Sie besitzt kriminalistische Fähigkeiten, Scharfsinn und Intelligenz, trägt jedoch selbst ein Traumata in sich, das mit dem Ort Lockne zu tun hat und sich erst nach und nach dem Leser erschließt. Mir waren besonders Annie Ljung, Gunnar Edholm und Sven und Lillemor sympathisch; auch die Rolle der dementen Mutter Birgitta gab einem zu Denken: Was meinte sie mit "Hilf dem Mädchen?" Was wusste sie wirklich, die sich mit Sara, die in Birgittas Pflegeheim jobbte, sehr gut verstand? Und was hat es mit dem Gedicht von Sara auf sich, das Annie bei ihrer Mutter in einer Schublade findet?


Die Autorin versteht es, von Beginn an Spannung aufkommen zu lassen, die sich im letzten Drittel noch steigert. Der Stil ist sehr atmosphärisch; die Kapitel kurz und die Sprache eingängig und schnörkellos; es sind kurze und prägnante Sätze, die den Spannungsbogen halten. Verdachtsmomente fallen auch auf diverse andere Figuren, die im Krimi auftauchen und der Plot ist nicht vorhersehbar. Allerdings habe ich einen Kritikpunkt: Trotz kriminalistischem Spürsinn von Annie gibt es für mich einen Stolperstein in ermittlungstechnischer Hinsicht, denn geübte KrimileserInnen (eins meiner Lieblingsgenres) werden hier evtl. vor Anna fündig und erkennen, vor wem man sich besser in Acht nehmen sollte. Da die Themen jedoch sehr vielschichtig sind (z.B. Schuldgefühle, Traumata, Demenz, Alkoholismus und Zerrütung von Familien, aber auch Freundschaft und die Arbeit sozialer Dienste bei Jugendämtern) und die Spannung absolut vorhanden war, hat mich dies nur am Rande gestört: Ich sehe auf jeden Fall Potential nach oben!


Fazit:


Ein starker, spannender, etwas feministischer Krimi aus Nordschweden, der mir aufgrund der Authentizität, der Klarheit im Stil und der Vielfalt der relevanten Themen sehr gut gefallen hat. Eine starke Frau, deren Profession Sozialpädagogin ist und die hier mit Intelligenz und Scharfsinn brilliert, begibt sich an den Ort, den sie nie wiedersehen wollte. Setzt sich schlussendlich mit ihrer eigenen Vergangenheit (und ihren Dämonen) auseinander. Sehr gerne empfehle ich "Beuteherz" und hoffe auf weitere Fälle für Annie Ljung!


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Veröffentlicht am 08.08.2023

Dupin in der erlesenen Welt der Weine und Winzer

Bretonischer Ruhm
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"Bretonischer Ruhm" von Jean-Luc-Bannalec (brosch, TB, 336 S.) erschien im KiWi-Verlag, Köln, 2023. Es ist bereits der 12. Fall von allen (und hoffentlich nicht der letzte) mit dem streckenweise urkomischen, ...

"Bretonischer Ruhm" von Jean-Luc-Bannalec (brosch, TB, 336 S.) erschien im KiWi-Verlag, Köln, 2023. Es ist bereits der 12. Fall von allen (und hoffentlich nicht der letzte) mit dem streckenweise urkomischen, caféliebenden und überhaupt jede Form von erlesener Kulinarik liebenden Kommissar Dupin. Auch hier werden Fans der Krimireihe auf ihre Kosten kommen:


Inhalt:


Die Hochzeitsreise von Jaques Dupin und seiner Claire führt die beiden in die südliche Bretagne und an die Loire, wo sie "jeden Tag einer Weintraube widmen" wollen und erlesene Weingüter gebucht haben: Die erste Station führt sie in die 'Fontaine aux Bretons', die Cécile Cast, einer Freundin von Claire, gehört. Kaum angekommen und Pläne für die folgenden Tage bei erlesenen Köstlichkeiten - jeweils begleitet von excellenten Weinen, wie von Dupin bekannt - schmiedend, geschieht der Mord an Brian Katell, dem Ex-Mann von Cécile, dem sie noch immer nahe steht: Aus 'rein freundschaftlichen Gründen', die besonders Claire wichtig sind, ermitteln nun nicht nur Dupin höchstselbst, sondern auch Claire und Cécile, die natürlich über besondere Ortskenntnisse und Hintergrundwissen verfügt. Während Claire in allen Bänden zuvor immer unscheinbar blieb, tritt sie hier erstmals in den Vordergrund und ist von dem Vorhaben, gemeinsam zu ermitteln, nicht mehr abzubringen. Lelouche, der vor Ort zuständige Kommissar, ist über die 'undercover-Ermittlung' des Rivalen Dupin alles andere als erfreut; letzten Endes aber machtlos. Lelouche macht eine nicht sehr gute Figur und das Aufeinandertreffen der beiden Ermittler erinnerte mich stets an das "Hase und Igel" Spiel: In allen Kommissariaten der Bretagne scheint eins klar zu sein: Dupin ist einfach der Beste (was auch Nolwenn so sieht).


Auf dem Weingut von Brian, dem noch ein weiteres Opfer folgen soll, lernen wir dessen Mitarbeiter kennen: Marchand und dessen Sohn, die zeitlebens Verwalter des Weinguts sind; Emily Pic, eine talentierte Winzerin, die eine große Zukunft vor sich hat und sehr ehrgeizig ist; Anne-Sophie Joly, einst Erbin eines weiteren Weinguts und Brians Lebensgefährtin sowie Damien Dantec, der PR-Chef Brians, der für die Vermarktung der Weine zuständig ist. Ein alter Freund von Brian, Alain Chevrier, wollte mit Brian eine Reihe von Weinbars eröffnen: Das Projekt ist fast beendet, als Brian ermordet aufgefunden wird: Was wird nun daraus werden?


Meine Meinung:


Auch im vorliegenden Band der Dupin-Reihe, die erst zur Mitte hin an Spannung Fahrt aufnimmt, nimmt die Beschreibung der Region um Pornic sowie die bretonische Speisekarte, Lokalitäten, die empfehlenswert sind sowie sehr erlesene Weine als Begleiter excellenter Mahlzeiten einen breiten Raum ein. Da ich die Atmosphäre in den Bannalec-Krimis sehr schätze und bei jedem Café, ohne den es einfach nicht geht, schmunzeln muss, hat mich dies nicht weiter gestört. Bannalec lässt auch hier wieder seine Leserschaft mitfiebern und -rätseln: Wer könnte ein Motiv haben, wer der Mörder (oder die Mörderin) sein? Claire erlebt man als toughe Ehefrau, die ihren eigenen klugen Kopf hat und nun Konturen annimmt, die zuvor nicht sichtbar waren. So "mogeln" sich die ErmittlerInnen 'inkognito' stets an wachhabenden Polizisten vorbei, um in der Domaine nach Spuren zu suchen; dies fand ich persönlich am spannendsten, da Dupin nicht Dupin wäre, wenn er denn nicht riskante, aber durchaus erfolgreiche Aktionen lieben würde. Der Autor legt erfolgreich falsche Fährten und die Auflösung hat mich überraschen können (wenn ich hier auch evtl. mildernde Umstände gelten lassen würde). Interessant fand ich auch die Ausflüge in die Welt der Verkostungen und wirklich sehr alten, edlen Weine, die mitunter ein Vermögen wert sind! Auch wenn die Brigade Dupins (Nolwenn, Riwal - eine Lieblingsfigur von mir und Kadeg) diesmal nur eine Nebenrolle spielen und Spechte in Schach halten, die Dupins Haus attackieren, waren sie doch irgendwie bei jedem Schritt "mit dabei" - denn ohne sie kann ich mir keinen Dupin-Krimi vorstellen. Ich hoffe, dass der von Dupin geliebte Citroen XM reparabel ist: Mir gefällt er auch sehr viel besser als der DS7-E ;)


Fazit:


Gerne empfehle ich auch diesen (bereits 12.) Kriminalroman um den kultigen Kommissar Dupin; eine besondere Empfehlung geht an Liebhaber erlesener Weine und bretonischer Spezialitäten, viel Bretagne-Atmosphäre (diesmal den Süden) und einem sehr kniffligen Fall, den Dupin und Gattin Claire sowie Cécile, beste Freundin Claires, souverän und undercover lösen:

Etwas blamable für Lelouche, zum Schmunzeln der LeserInnen und zur Freude Dupins & Team, "der ja eigentlich nur auf Hochzeitsreise war".

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Veröffentlicht am 30.05.2023

Die Pharmacie Littéraire en route - oder auch: unterwegs zu sich selbst

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
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"Das Bücherschiff des Monsieur Perdu" aus der Feder der wundervollen Schriftstellerin Nina George ist gewissermaßen der Anschluss an "Das Lavendelzimmer", das vielen bekannt sein dürfte und weltweit Anerkennung ...

"Das Bücherschiff des Monsieur Perdu" aus der Feder der wundervollen Schriftstellerin Nina George ist gewissermaßen der Anschluss an "Das Lavendelzimmer", das vielen bekannt sein dürfte und weltweit Anerkennung fand (eins meiner Lieblingsbücher). Der Roman erschien bei Droemer Knaur (HC, gebunden, 2023,München, 379 Seiten) und reiht sich auf wunderbare Weise in die mir bekannten "Bücher über Bücher" - und auch Menschen - Reihe ein. Ich würde empfehlen, "Das Lavendelzimmer" zuerst zu lesen, zwingend notwendig ist es jedoch nicht, um auch dieses Buch für Bibliophile (und solche, die es noch werden wollen) sehr empfehlen zu können!


Monsieur Perdu lebt seit 3 Jahren mit Catherine, einer leidenschaftlichen Bildhauerin, im Süden Frankreichs. Perdu ist leidenschaftlicher Buchhändler, der Bücher und Menschen, die zusammenpassen, liebend gerne zusammenbringt und an einem Buch gegen Seelenleiden schreibt; das er "Die große Enzyklopädie der kleinen Gefühle" nennen wird und dessen Einträge man im Romanverlauf verfolgen - und oftmals darüber schmunzeln kann. Lulu, sein Bücherschiff, hat er seinen Freunden gegeben; doch losgelassen hat ihn weder Schiff noch der eigentliche Ankerplatz in Paris nicht, wie man feststellen kann: So beschließt er nach über 4 Jahren, über die Champagne, die Marne und die Seine wieder seine "Pharmacie Littéraire" in Paris anzusteuern. Auf dem Weg, auf dem Max ihn begleitet, Freund von Perdu und Victoria (der Tochter von Manon, falls man den Vorgänger kennt) und werdender Vater, passieren natürlich viele unvorhergesehene Dinge und wir lernen einige sehr liebenswerte Menschen auf dieser Reise kennen:


Da ist Cuneo und Samy, die Perdu halfen, "Lulu" wieder flott zu bekommen und beste Freunde sind, ebenso wie Max und Victoria; Ella, die lange im Verlagswesen tätig war und Pauline, ihre zuerst recht mürrische 16jährige Nichte (eine meiner Lieblingsfiguren im Roman); Dominique, später "Oma Dommi" genannt und der kleine Theo, dem es die Sprache verschlagen hat und dem Perdu sehr gerne helfen möchte, sie wiederzufinden; die Eltern von Perdu - Lirabelle und Joaquin - sowie Emile, ein Hafenbrigadier, der sich heimlich wünscht, wieder Bücher zu lesen und seinen Vorgesetzten, LeRoy im Grunde nicht ausstehen kann.


Meine Meinung:


Wie in all' ihren Büchern, nimmt Nina George ihre Leserschaft von der ersten Seite an mit ("Liebe auf den ersten Satz" - ein Zitat aus dem Roman, die es wirklich gibt!) und man ist als literarische "Mitreisende" oftmals gefangen von der zauberhaften Wortakrobatik, die die Autorin bis zur Perfektion beherrscht (wenn sie z. B. von der Allesmöglichkeit spricht). LektorInnen sind für sie "Co-Bildhauer des Wortgesteins"; viele teils poetische und philosophische Betrachtungen zu allen Facetten des literarischen - und auch realen Lebens liest man erstaunt, verzaubert von der sprichwörtlichen Sprachdynamik: Stilistisch ist der Roman ein Lesegenuss, es sind schöne Sätze oder Worte zu Büchern und Menschen zu finden, die nur George so auszudrücken vermag. (Erinnerungsdiamanten, z.B.) Der Stil ist poetisch, atmosphärisch, auch mal kritisch (Handy-Nutzung und das direkte Gespräch, das verloren zu gehen droht), zuweilen herzerwärmend und auch mal schnodderig in der Sprache (alle naslang) sowie humorvoll. Anderes regt zum Nachdenken an oder zum Innehalten, z.B.


"Ein Buch richtet sich stets an das Innere, stellt Fragen und lebt mit dem Lesenden in die Antworten hinein" (Zitat S. 277).


Die Themen sind so vielfältig wie das Leben selbst (Freundschaft, Liebe, Ängste, Heimat, gutes Essen, Lieben und wieder lieben lernen, Loslassen können, Optimismus, Gedankenreisen, Älterwerden u.v.m.). Auch werden viele bekannte Romantitel und AutorInnen genannt, die BücherfreundInnen bekannt sein könnten - oder es noch werden.


Fazit:


Der Roman ist eine Wohlfühllektüre auf hohem Niveau und gleichzeitig eine Schiffs- und literarische Reise mit Lulu vom Süden Frankreichs zurück nach Paris, wo ein Fest gefeiert werden sollte, das unterstreicht, dass es auch eine Reise zu sich selbst für Monsieur Perdu gewesen ist: Gemeinsam mit FreundInnen versteht er, nun angekommen in seinem Leben, dieses gebührend zu feiern! Ein Chapeau von mir für die unglaublich schön zu lesende "Wortakrobatik" der Autorin und eine Empfehlung sowie 4* am Literaturhimmel!


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Veröffentlicht am 04.05.2023

Zwei Familien und ein düsteres Geheimnis

Das Geheimnis des Mädchens
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"Das Geheimnis des Mädchens" von Emily Gunnis erschien (HC, gebunden, 432 Seiten, 2022) im Heyne-Verlag der Penguin Randomhouse Verlagsgruppe, München. Es handelt sich bereits um den dritten Roman, der ...

"Das Geheimnis des Mädchens" von Emily Gunnis erschien (HC, gebunden, 432 Seiten, 2022) im Heyne-Verlag der Penguin Randomhouse Verlagsgruppe, München. Es handelt sich bereits um den dritten Roman, der in deutscher Sprache veröffentlicht (und von Carola Fischer übersetzt) wurde. Die beiden Vorgänger hatten mir schon sehr gut gefallen und im Roman 'Das Geheimnis des Mädchens' ist die Autorin ihrem sehr atmosphärischen, unterhaltsamen und hochspannendem Schreibstil treu geblieben. Die Themen des Romans geben starken Frauen, hier besonders Tessa James in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sie als Hebamme aufgrund ihrer großen Erfahrungen sehr beliebt war, ihre Stimme und daher würde ich sie ins Genre "sehr lesenswerte Frauenromane" - oft mit historischen Hintergründen und Familiengeheimnissen - einordnen.


Inhalt:


East-Sussex, England, 1945:

Auf Yew Tree Manor liegt die junge Hausherrin Evelyn Hilton in den Wehen. Die komplizierte Geburt bringt ihren Arzt an seine Grenzen und so ruft er die Hebamme Tessa James zu Hilfe, um die Verantwortung auf sie abzuwälzen. Als Evelyn stirbt, wird Tessa dafür verurteilt. Ihre Tochter Bella und deren kleiner Sohn (Alfie) sind dem Zorn des Witwers Wilfred Hilton ausgesetzt, der die beiden um jeden Preis auf ihrem Haus vertreiben will. Eine folgenschwere Entscheidung.


1969: Während einer Silvesterfeier verschwindet die sechsjährige Alice Hilton spurlos aus Yew Tree Manor und taucht nie wieder auf. Wieder richtet sich der Zorn der Hiltons gegen die Familie James. Ein Netz aus Lügen und Intrigen zieht den Graben zwischen den beiden Familien immer tiefer und kostet mehr als einen Menschen das Leben.


2017: Als erneut ein Mädchen auf dem Anwesen von Yew Tree Manor verschwindet, weiß Willow James, dass sie das Geheimnis der Hebamme, ihrer Ururgroßmutter, lüften muss, damit nicht wieder ein Kind für eine jahrzehntealte Fehde mit dem Leben bezahlt.

(Quelle: Verlagstext)


Meine Meinung:


Emily Gunnis, eine junge englische Autorin, deren Romane ich mit großem Lesegenuss lese, versteht es auch hier wieder, ihre LeserInnen in die spannende, emotionale und hochdramatische Geschichte zwischen zwei Familie, die in mehreren Generationen vor sich hinschwärt, eintauchen zu lassen. Es handelt sich um einen Roman auf drei Zeitebenen, die dem Leser anfangs etwas abverlangen (die Autorin hat jedoch am Buchanfang einen Stammbaum der Familie Hilton und James angelegt, den ich immer mal aufgeschlagen habe); aber durch die klare Abgrenzung ist die Handlung gut zu verfolgen. Ich verlegte mich in der Beschreibung des Inhalts ausnahmsweise auf den Verlagstext (Klappentext), da hier die Spoilergefahr groß ist und ich anderen LeserInnen nicht die Freude zu nehmen, in diese Geschichte voller Intrigen, Lügen, Verletzungen, Zurückweisungen, Geheimnissen - aber auch Liebe und Nähe einzutauchen.


Der Ort des Geschehens ist ein herrschaftliches Haus, Yew Tree Manor in East-Sussex, dem viel Land angeschlossen ist und auf dessen Anwesen ein altes Pfarrhaus steht: Dieses ebenfalls schöne, wenn auch kleinere Haus bewohnt die Familie James, die das Recht erhalten hat, zeitlebens dort zu wohnen. Bis sich mit Tessa, die mit Evelyn befreundet ist, ihr Leben jedoch während der schweren Geburt nicht mehr retten kann, alles verändern sollte. Wir lernen Tessa als eine starke, hilfsbereite und sehr gutherzige, sozial gerecht denkende Frau kennen, die in schwierigen Zeiten, als Ärzte die sehr sensible medizinische Tätigkeit der Geburtshilfe übernehmen wollten, jedoch keine besondere Ausbildung erfahren hatten. So war der Beruf der Hebamme, seit Jahrhunderten GarantInnen für neues Leben, das geboren wurde und ob der Erfahrungen dieser Frauen die Gebärenden sich in guter Obhut wussten, einem Wandel unterworfen, dem auch Tessa nicht entfliehen konnte.


Auch ihre Tochter Bella erleben wir als starke Frau, die ihren Sohn Alfie (den sie mit dem im Krieg gefallenen Eli Hilton hat), alleine und mit Hilfe Tessas groß. In der dritten Zeitebene (der Gegenwart) erkennt Willow, dass sie das Familiengeheimnis um die Fehde mit den Hiltons lüften muss, um weiteres Unheil vermeiden zu können. Sie wickelt ein wichtiges Bauprojekt als Architektin ab, da das Herrenhaus Yew Tree Manor an einen Investor verkauft werden soll - und das alte Pfarrhaus dafür abgerissen werden muss: Doch was ist damals wirklich passiert, als Alice verschwand? Wieso ist sie nie wieder aufgetaucht?


Dies überlasse ich den geneigten LeserInnen, es herauszufinden und hatte einige Stunden großen Lesegenuss mit dieser dramatischen Geschichte, deren Spannung ab Mitte des Romans nochmal gewaltig zunimmt und man das Buch nur ungern aus der Hand legt. In der Anmerkung legt die Autorin die Intention für die Thematik dar: Die Faszination des Berufs der Hebamme, deren Geschichte in England sie aufgreift und verdeutlicht. Weitere Themen sind Lügen, Schuld, Manipulation, Geheimnisse, Traumatas, Ängste, Selbstsucht; aber auch Liebe, Stärke und positive Entwicklungen eines Menschen, der Nähe und Liebe zuzulassen lernen kann - das Spektrum menschlicher Emotionen ist reichhaltig und authentisch skizziert.


Fazit:


Eine dramatische, hochspannende, emotionale und sehr geheimnisvolle Geschichte der Fehde zwischen zwei Familien im südlichen England des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart: Eine packende Story mit Tiefgang und Emotionen, die ich gerne weiterempfehle und auf Neues von Emily Gunnis hoffe!

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