Abgefahrene Geschichte mit unerwarteten Richtungswechseln
Kachelbads Erbe„Kachelbads Erbe“ kommt zunächst wie ein Science-Fiction- und Phantastik-Roman daher mit seiner Geschichte um Kachelbad, der in den 1980er Jahren in Los Angeles für ein Kryonik-Unternehmen arbeitet. Er ...
„Kachelbads Erbe“ kommt zunächst wie ein Science-Fiction- und Phantastik-Roman daher mit seiner Geschichte um Kachelbad, der in den 1980er Jahren in Los Angeles für ein Kryonik-Unternehmen arbeitet. Er friert Menschen auf deren Wunsch und nach Zahlung beträchtlicher Summen direkt nach deren Ableben in flüssigen Stickstoff zusammen mit mehreren „kalten Mietern“ in große Tanks ein, damit diese in einer ferneren Zukunft, wenn es bessere Behandlungsmöglichkeiten, bessere Lebensumstände, bessere Was-auch-immer gibt, wieder aufgetaut und zum Leben erweckt zu werden.
Nun ist der Roman wirklich ganz erfrischend interessant geschrieben. Wir lesen nämlich die letzten quasi Memoiren von sechs „kalten Mietern“ ein und desselben Tanks. Sowie einleitend ein Kapitel verfasst von einer von Kachelbad angeworbenen Mitarbeiterin Rosary, wodurch wir nicht nur mehr über die Kryonik-Firma, erste Eindrücke von Kachelbad sondern auch dessen Fähigkeit sich unsichtbar zu machen, erhalten. Die Unsichtbarkeit, zu welcher nicht nur Kachelbad in der Lage ist, macht den phantastischen Teil dieses Buches aus. Die Sciene-Fiction kommt durch die Kryonik. Und ganz unerwartet breitet sich mithilfe der verschiedenen Dossiers zu den „kalten Mietern“ und deren Lebensgeschichten eine psychologische Tiefe aus, die ich zunächst gar nicht dem Stoff zugetraut hätte. Zuletzt dreht sich auch noch ein großer Teil des Romans um ein schwerwiegendes, medizinisch-gesellschaftspolitisches Tabuthema der 1980er Jahre, was dem Roman noch einmal einen ganz neuen Dreh verleiht.
Mich konnte Hendrik Otremba, der 1984 geborene deutsche Musiker, Autor und bildender Künstler, mit seinem zweiten Roman und dessen kreativer Umsetzung definitiv überzeugen. Mit jedem neuen Kapitel öffnete sich eine neue Welt. Zwischenzeitlich hatte ich zwar mal kurzzeitig das Gefühl, dass Otremba die Kurve nicht mehr kriegt und gar nicht mehr so richtig weiß, wohin er mit seinem Roman eigentlich will, konnte dann aber doch das Thema der Kryonik wieder einfangen. Das Ende des Romans ist für mich nicht wirklich greifbar geworden, aber genau das passiert ja bei Leuten, die sich unsichtbar machen können. Sie verschwinden und lassen die Umstehenden mit Fragezeichen in den Köpfen zurück. Das hat mir sehr gut gefallen. Eine wirklich empfehlenswerte Lektüre für alle, die mal literarisch etwas wagen möchten. Die Genregrenzen hin zum dunklen Thriller verwischen. Hier bekommt man nichts Eindeutiges, ein Puzzle, was man bis zum Schluss dabei ist zusammenzusetzen. Interessante Figurenzeichnungen, nicht alltägliche Handlung. 4,5 Sterne.