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Veröffentlicht am 01.10.2023

Bitterböser LA Roman

Alles schweigt
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Wahrheit ist immer etwas, was man in der Wahrnehmung gestalten kann. Das jede nfalls ist die Erfahrung von PR-Spezialistin Mae Pruett, zuständig für die Krisenkommunikation der Schönen, Reichen und Berühmten. ...

Wahrheit ist immer etwas, was man in der Wahrnehmung gestalten kann. Das jede nfalls ist die Erfahrung von PR-Spezialistin Mae Pruett, zuständig für die Krisenkommunikation der Schönen, Reichen und Berühmten. Als sie aus dem Mittleren Westen nach Los Angeles gekommen ist, führte ihr Weg sie nach Hollywood, wenn auch etwas anders als bei den vielen, die nach Leinwandruhm streben. In Jordan Harpers Roman "Alles schweigt" ist Mae diejenige, die Probleme zurecht biegt - mit der Exklusivnews für gefügige Journalisten, mit viralen Social-Media-clips, die Alkohol- oder Drogenausfälle ihrer Klienten in Vergessenheit geraten lassen.

Illusionen über ihre Arbeit hat sie längst nicht mehr, aber das Geld, das sie bei dem "Ungeheuer" verdient, ist gut. Und das Ungeheuer ist nicht nur die Firma, für die Mae arbeitet, es ist das ganze System, in dem jede Schweinerei zum Verschwinden gebracht werden kann, wenn man nur die richtigen Leute kennt.

Als ihr Mentor und direkter Vorgesetzter Dan sie zu einem Treffen bestellt, dass gefährlich nach Rendez-vous aussieht, ist Mae irritiert und enttäuscht. So was wollte sie eigentlich immer vermeiden. Doch in einem Geschäft, in dem Täuschung alles ist, ist auch das lauschige Treffen Verschleierung für einen ganz anderen Plan. Dan hat etwas vor, etwas, das beiden so viel Geld einbringen kann, dass sie die Arbeit für das Ungeheuer hinter sich lassen können, ein anderes Leben führen wollen. Was Mae dafür tun muss, soll sie am nächsten Tag erfahren. Doch auf dem Weg zum Treffpunkt wird Dan erschossen - angeblich bei einem missglückten Raubüberfall. Der Täter wird kurz danach von der Polizei erschossen.

Fall gelöst? Mae weiß, wie man die Wirklichkeit zurechtbiegt. Sie ist überzeugt: Es war Mord. Sie fängt an, heimlich zu ermitteln. Der einzige, dem sie traut, ist Chris Tamburro, ihr Ex, ein Ex-Polizist, einer, der ebenfalls für eine Variante des Ungeheuers arbeitet, im Bereich der raueren Jobs.

Es wird eine ganze Weile dauern, bis Mae und Chris das volle Ausmaß des Hornissennests erkennen, in das sie mit ihren Nachforschungen stechen. Es geht um Geld, um Macht, um berühmte Namen und die Vertuschung einer schon lange andauernden Missbrauchsserie. Alle tuscheln, niemand sagt etwas - doch Mae und Chris wollen nicht länger schweigen. Erpressung, Politik, Gefälligkeiten, ein schwangerer Teenager - und Menschen, die über Leichen gehen, um die Wahrheit verborgen zu halten: Es wird brandgefährlich für das Ermittlerduo in diesem bitterbösen, spannenden und oft auch zynischen Roman über ein Hollywood jenseits der strahlenden Lichter.

Harper sorgt immer wieder für neue Wendungen und Entwicklungen, so dass die ganze Komplexität des Falles, aber auch die Motive unterschiedlicher Player, erst nach und nach enthüllt werden. Genremäßig ist "Alles schweigt" schwer zuzuordnen - Gesellschaftsroman, Kriminalroman? Auf jeden Fall aber ein Buch, das fesselt und die dunkle Seite von LA zeigt.

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Veröffentlicht am 23.09.2023

Die Tote im Lavafeld

Verlogen
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Seit einem halben Jahr ist eine junge Frau in einer isländischen Kleinstadt verschwunden, doch vermisst wird sie offenbar nicht einmal von ihrer 16-jährigen Tochter. Alkoholabhängig, nicht besonders ...

Seit einem halben Jahr ist eine junge Frau in einer isländischen Kleinstadt verschwunden, doch vermisst wird sie offenbar nicht einmal von ihrer 16-jährigen Tochter. Alkoholabhängig, nicht besonders zuverlässig, hat die alleinerziehende Mutter einen Abschiedsbrief hinterlassen. Wollte sie mit einem Suizid aus all ihren Problemen flüchten? Doch als in einem Lavafeld eine weibliche Leiche gefunden wird, scheidet für die ermittelnde Polizistin Elma und ihr Team ein Selbstmord oder Unfall schnell aus. Zu sehr wirkt die Tote wie abgelegt und versteckt. Doch wer könnte Interesse daran haben, eine Frau zu töten, die eh schon länger auf der Verliererseite des Lebens steckte?

In "Verlogen", dem zweiten Band von Eva Björg Aegisdottir Reihe um die isländische Polizistin Elma, ist der Titel bereits Programm. Denn zahlreiche Lügen müssen auf der Suche nach der Wahrheit aufgedeckt werden. Dabei versteht es die Autorin gut, ihre Leser*innen ebenfalls mit manchem Täuschungsmanöver zu überraschen, zu dem auch verschiedene Erzähperspektiven beitragen.

Denn da geht es einerseits um eine junge Mutter mit vielen Problemen, die ihr Kind nicht lieben kann und deren Tochter selbst verhaltensauffällig und aggressiv ist. Angesichts des Vermisstenfalls ist die Idee naheliegend, dass hier eine Vorgeschichte geschildert wird. Oder ist es doch alles ganz anders?

Motive, die problematische Mutter aus dem Weg zu schaffen, hätte selbst die eigene Tochter: Schließlich kann sie nun endlich ganz bei den Pflegeeltern leben, bei denen sie zuvor jedes zweite Wochenende verbracht hatte und die sie nur zu gerne adoptiert hätten. Pflegeeltern, die ihr zudem alle möglichen Statusartikel bieten können, die sich die Mutter nicht leisten konnte. Pflegeeltern, die auch alles tun würden, um "ihr" Kind ganz für sich zu haben?

Komplizierte Mutter-Tochter-Beziehungen, die Unfähigkeit zu Lieben, die Sehnsucht nach Freundschaften, Einsamkeit und Isolation - die Autorin entwickelt komplexe Beziehungsgeflechte und sorgt immer wieder für überraschende Wendungen. Dieses Buch hat mir sogar noch besser als der erste Band der Serie gefallen, es ist spannend und mit interessanten, vielschichtigen Figuren. Auch das Privatleben der Polizisten ist nicht ohne Höhen und Tiefen. Diese Island-Kriminalromane schüren Ungeduld auf einen weiteren Band der Reihe

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Veröffentlicht am 24.08.2023

Die Slow Horses im walisischen Schneegestöber

Joe Country
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Disclaimer: Ich war vermutlich voreingenommen, als ich "Joe Country" von Mick Herron las. Denn ich fand bereits die Vorgängerromane großartig, habe den Autor als intelligent, spannend und mit diesem sehr ...

Disclaimer: Ich war vermutlich voreingenommen, als ich "Joe Country" von Mick Herron las. Denn ich fand bereits die Vorgängerromane großartig, habe den Autor als intelligent, spannend und mit diesem sehr britisch-selbstironischen schwarzen Humor erlebt - da gehe ich von vornherein mit großem Wohlwollen an jedes neue Buch des Autors heran. Wobei er dadurch ja auch hohe Erwartungen zu erfüllen hat. Und gleich vorrneweg, ich bin auch diesmal nicht enttäuscht worden.

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings, Herron hat die Angewohnheit, sich seiner Figuren öfter mal gewaltsam zu entledigen. Als Leser ist man daher gut beraten, keine der Figuren zu sehr ins Herz zu schließen, auch wenn die Spionage-Pechvögel aus dem Slough House dazu einladen können.

Die ungeliebten Versager des MI5 haben diesmal nicht nur mit den Ätz-Kommentaren ihres Chefs Jackson Lamb zurechtzukommen, sondern auch mit einer Rettungsmission, die sie ins tiefste Schneegestöber in Wales führt. Dabei spielen auch die privaten Abgründe und Schicksalsschläge eine Rolle: River Cartwrights ungeliebter Vater, der ungeplant und uneingeladen auf einer Beerdigung auftaucht, sorgt wie schon im Vorgängerband für allerlei gewaltsame Konflikte, doch vor alles ist es Louisa Gray, die zu einem Alleingang in die Kälte aufbricht, als der Sohn ihre toten Geliebten und Ex-Kollegen verschwindet.

Der Teenager, so stellt sich nach und nach heraus, ist auf zufällig auf brisante Informationen gestoßen - und hat sich mit einem plumpen Erpressungsversuch in Lebensgefahr gebracht. Louisas Rettungsmission läuft aus dem Ruder, als sie feststellen muss, dass sie es mit zu allem entschlossenen Gegnern zu tun hat. Werden die übrigen Mitglieder des disfunktionalen Teams rechtzeitig als Verstärkung hinzukommen, oder werden sie sich vorher gegenseitig zerfleischen? Und für welche zusätzlichen Komplikationen sorgt die Dauerfehde zwischen Lamb und der nunmehr zur MI5-Chefin aufgestiegenen Diana Taverner?

Herron wäre nicht Herron, wenn nicht auch dieser Roman mit ein paar Anspielungen gewürzt wäre, die durchaus Erinnerungen an tatsächliche Skandale im Königreich wachrufen. Dabei verbindet er einmal mehr einen gekonnten Spannungsaufbau mit bildhafter Sprache a la Raymond Chandler und einem recht boshaften Humor. Hier trifft intelligente Spannung wie einst bei John le Carré auf schrage Figuren, die auch in Douglas Adams Weltraumabenteuern nicht wesenfremd gewirkt hätten. Das ist einfach nur großartig, und es bleibt zu hoffen, dass Herron nicht zu lange zögert, bis er seine Slow Horses wieder ins Rennen schickt.

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Veröffentlicht am 24.06.2023

Episches Gangsterdrama voller Spannung

City of Dreams
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Der erste Teil von Don Winslows Gangster-Triologie "City on Fire" über Aufstieg und Fall eines irisch-amerikanischen Gangsterclans in Neuengland, über Bandenkriege, Liebe, Ehrgeiz und Verrat erinnerte ...

Der erste Teil von Don Winslows Gangster-Triologie "City on Fire" über Aufstieg und Fall eines irisch-amerikanischen Gangsterclans in Neuengland, über Bandenkriege, Liebe, Ehrgeiz und Verrat erinnerte mich mit seiner dramatischen Wucht an eine griechische Tragödie. Teil zwei, mit dem Titel "City of dreams", steht dem nicht nach. Auch wenn es sicher gut ist, das erste Buch zu kennen (und meine Lese-Empfehlung hat es sowieso!) verrät der Autor mit Rückblenden genug über Geschichte und Vergangenheit seines Protagonisten Danny Ryan, damit neue Leser*innen dem Plot problemlos folgen können.

City on Fire spielte noch in der Ostküstenstadt Metropole, in "City of Dreams" verlagert sich das Geschehen vor allem nach Los Angeles und Las Vegas. Danny Ryan, frisch verwitwet mit einem kleinen Sohn und einem zunehmend dementen Vater, ist mit seinen letzten Getreuen auf der Flucht: Vor den einstigen Freunden der irischen Gang, vor der italo-amerikanischen Konkurrenz, der mexikanischen Drogenmafia, vor FBI und korrupten Polizisten. Ganz schön viel für einen Mann, der endlich mal wieder ein ganz normales und gerne auch nicht von Kriminalität geprägtes Leben leben möchte.

Untertauchen, den Ball flach halten - das ist die Devise Danny Ryans. Doch es ist schwer, der Vergangenheit zu entkommen, vor allem, wenn einige seiner Gang-Mitglieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sich als Berater in eine Hollywood-Produktion über die irische Mafia reinzudrängen und obendrein Ärger mit einer Gewerkschaft mit Nähe zu einer italienischen "Familie" zu provozieren, ist ungefähr das Gegenteil von unauffällig. Danny, loyal bis zur Selbstaufgabe, muss seine Leute wieder auf Spur kriegen.

Bis zum Rollercoaster-Finale dieses ebenso rasanten wie dramatischen Romans sorgt Winslow für Spannung. Gewaltszenen gibt es reichlich, doch Danny Ryan ist eigentlich ein Mann mit einem moralischen Kompass (oder liegt es am katholischen Schuldkomplex?). Er glaubt eigentlich an Gut und Böse, Schuld und Vergebung, Hölle und Rechenschaft. Liebe ist in der Welt von Winslows Figuren immer etwas Verzweifeltes, und es ist angesichts der vielen Tragödien vielleicht kein Wunder, dass viele von ihnen auch mit einem Suchtproblem kämpfen müssen. Nicht nur Danny ist auf der Suche nach Erlösung, doch für jeden ist das etwas anderes - Liebe, Geld, Macht, Rache.

"City of Dreams" hat mich als für sich stehendes Buch überzeugt und schürt gleichzeitig Spannung und Erwartungen an den Abschlussband. Nicht zuletzt ist es auch ein Zeit- und Gesellschaftsporträt einer Zeit, in der der Wertekompass nicht nur in der kriminellen Welt des Danny Ryan ein anderer war als heute. Ein Krimi Noir ist dieser Roman ohnehin. Wie wird das Epos wohl enden?

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Veröffentlicht am 06.06.2023

Ein Fremder bis in den Tod?

Auf dem Nullmeridian
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In seinem Buch "auf dem Null-Meridian" lotet Shady Lewis die Erfahrung von Fremd-Sein in einer Mehrheitsgesellschaft vielschichtig, ja geradezu philosophisch aus. Mit seinem Ich-Erzähler eint ihn die Herkunft ...

In seinem Buch "auf dem Null-Meridian" lotet Shady Lewis die Erfahrung von Fremd-Sein in einer Mehrheitsgesellschaft vielschichtig, ja geradezu philosophisch aus. Mit seinem Ich-Erzähler eint ihn die Herkunft aus der Minderheit der christilichen Kopten in Ägypten. Dieser Erzähler hat es aus der Sicht seiner Familie geschafft: Schließlich arbeitet er in London als Sozialarbeiter für die Vergabe von Sozialwohnungen in einem Büro, so richtig mit Schreibtisch und Bürostuhl! Ein Onkel dagegen, der sich schon Jahre zuvor über das Mittelmeer nach Großbritannien durchgeschlagen hat, viele Rückschläge und Hindernisse überwinden musste, putzt ungeachtet seines Bildungsabschlusses immer noch Toiletten. Wie stolz ist er auf den Neffen, der in einem Verwaltungsjob angekommen ist!

Dabei, so der Erzähler, sind die weißen Briten in der Arbeit überhaupt nicht präsent, allenfalls ferne Vorgesetzte: Nahezu sämtliche Sozialarbeiter, Sachbearbeiter, Psychologen, mit denen er zu tun hat, sind ebenfalls Migranten, in der Regel in verschiedenen Braun- und Schwarztönen, ganz wie ihre Klienten. Und er kommunistische englische Kollege, so ein nigerianischer Kollege, der die Menschen in verschiedene Arten des Schwarz-seins kategorisiert, sei doch schon aufgrund seiner politischen Auffassung selbst als schwarz anzusehen.

Der Anruf eines Freundes aus Ägypten reißt den Erzähler aus seiner Routine: Er soll die Beerdigung eines jungen geflüchteten Syrers organisieren, der nach Gefängnis, Folter, dramatischer Flucht unerwartet in seinem Bett starb. Zwar versuchte die verzweifelte Familie, aus Ägypten nach London zu erreichen, doch der Tod des Sohnes und Bruders ist offenbar kein Grund für eine Visumserteilung. Der Todesfall ist letztlich ein weiterer Aspekt der Bürokratie und Fall-Verwaltung der lebenden und toten Fremden.

Mal nachdenklich, mal sarkastisch, mal dramatisch überspitzt wie ein Märchen aus tausendundeiner Nacht schildert Lewis die Bemühungen seines Protagonisten, einen würdigen letzten Abschied zu organisieren. Dabei reflektiert er immer wieder auch seine eigene Rolle, die Erfahrungen, aber auch die Konkurrenz und Abgrenzung von Minderheiten untereinander. Das findet keineswegs nur in Europa statt - schon in der Kindheit in Ägypten war der Erzähler höchst erleichtert, als er herausfand, dass die syrischen Flüchtlinge in der Hackordnung noch unter den Kopten zu stehen schienen. Endlich konnte auch er jemanden als "minderwertig" beschimpfen!

Zugleich wird die Last sichtbar, die durch Druck und Erwartung im Herkunftsland auf den Migranten lasten: Ein Scheitern im neuen Land wäre eine Schande für alle. Die mit den Jahren zunehmende Entfremdung und demütigende Erfahrungen in Europa sind nur dann zu ertragen, wenn man im Alter den erworbenen Wohlstand demonstrativ mit einem Altersruhesitz in der einstigen Heimat unter Beweis stellen kann.

Lewis schreibt genau beobachend, geradezu nüchtern und ohne Larmoyanz. Erregte Opferdebatten gibt es nur in den Äußerungen einiger KollegInnen des Erzählers. "Auf dem Nullmeridian" ist ein ruhig erzählendes und nachdenklich machendes Buch mit einem kleinen Moment rührender Menschlichkeit am Schluss.

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