Ein nicht hinreichend ausgearbeiteter Reiseplan...
Die Reisenden der NachtVier Generationen starker Frauen, die den Widrigkeiten und Auswüchsen totalitärer, diktatorischer Herrschaftsstrukturen unterworfen sind und allesamt dazu gezwungen werden, sich mit einer tiefgreifenden ...
Vier Generationen starker Frauen, die den Widrigkeiten und Auswüchsen totalitärer, diktatorischer Herrschaftsstrukturen unterworfen sind und allesamt dazu gezwungen werden, sich mit einer tiefgreifenden Frage auseinanderzusetzen: Was ist man bereit zu tun, um die Menschen zu schützen, die man am meisten liebt?
Armando Lucas Correa vereint in „Die Reisenden der Nacht“ politische, soziale, biografische, mehrgenerationale sowie poetische Aspekte. Ausgangspunkt ist die Geschichte der jungen Schriftstellerin Ally, die im Zuge des Hitler Regimes ein Mischlingskind zur Welt bringt und dieses schweren Herzens zusammen mit einem jüdischen Ehepaar ins vermeintlich sichere Kuba verabschiedet, um es zu schützen. Doch hier kommt es Jahre später zu Unruhen und zur Machtergreifung Fidel Castros…
Correa setzt sich in seinem Roman ein ehrgeiziges Ziel: An Hand der Geschichten vier starker Frauen, die dieselben Wurzeln teilen, sollen die Widrigkeiten und Ungerechtigkeiten totalitärer Ideologien dargelegt werden. Im Zuge dessen werden philosophische Fragen um Schuld, Gewissen und Reue aufgegriffen; all dies garniert mit tiefgreifenden Aspekten rund um Kriegsverbrechen, Homosexualität und Religion. Angesichts dieser Dichte an großen, einschneidenden Themen ist es wohl unvermeidlich, dass etwas auf der Strecke bleibt.
Am zentralsten ist meines Erachtens die fehlende Tiefe der einzelnen Hauptprotagonistinnen. Bei jedem Abschnitt, in dem eine neue weibliche Figur eingeführt wird, hatte ich wiederholt gehofft, dass sich Correa nun endlich die Zeit nimmt und der starken Frau Tiefe, Charakter und Persönlichkeit verleiht, um endlich die Chance zu bekommen mitzufühlen! Leider kratzt der Autor meiner Ansicht nach jedoch immer nur an der Oberfläche, was zu einem großen Teil auch dem knappen, abgespaltenem, auflistendem Erzählstil geschuldet ist, der den Spagat aus allwissendem Erzähler und einfühlender Betrachtung nicht stimmig vereinen kann.
Weiter setzt Correa in seinem an sich sehr gut recherchierten Roman Zeitsprünge als gliederndes Element ein. Was anfangs passend ist, um die Handlung voranzutreiben, wird vor allem gegen Ende des Buches fast überfordernd, da die Sprünge hier zu häufig, zu groß, zwischen mehreren Generationen schwankend und insgesamt zu hektisch werden. Das macht es dem/der LeserIn meines Erachtens schwer im Lesefluss zu bleiben und mit den ohnehin farblosen Hauptprotagonistinnen mitzufühlen.
Hinzu kommt, dass Correa im Zuge seines ehrgeizigen Ziels, gleich vier Generationen von Frauen zu begleiten, immer wieder neue Personen und NebendarstellerInnen einführt. Das ist zwar nachvollziehbar, schließlich ist ein (soziales) Leben komplex, der Autor schürt damit aber teilweise Verwirrungen und Unstimmigkeiten. Das wird auch dadurch verstärkt, dass die Namen der ProtagonistInnen - vor allem gegen Ende des Romans - teils nicht konstant gleich geschrieben werden.
Dadurch, dass „Die Reisenden der Nacht“ unterschiedlichste gesellschaftliche Themen und politische Herrschaftsstrukturen aufgreift, häufen sich unweigerlich auch dramatische Schicksale, grausame Ereignisse und schmerzhafte Erfahrungen. Leider machte es die Summe dieser Ereignisse für mich fast unmöglich mitzufühlen und in ihrer Bedeutungsschwere zu begreifen, was meiner Ansicht nach leider auf Kosten der Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des Romans geht.
Schade ist auch, dass viele philosophische Fragen – allem voran das Thema Schuld und Vergebung – lediglich oberflächlich behandelt und ebenso angerissen werden, wie diverse Themenstränge rund um Kultur, Philosophie, Politik, Psychologie oder Soziologie. Armando Lucas Correa hätte gut daran getan, sich für eine „Überschrift“ seines Romans zu entscheiden.
Insgesamt hat die „Reisenden der Nacht“ dem Grunde nach das Potenzial etwas Neues, Kreatives und Großes zu sein; letztlich bleibt es aber bei einer interessanten, höchst ehrgeizigen Idee, die jedoch charakterlos und oberflächlich umgesetzt wurde. Schade!