Starke Frauen
KaDeWe. Haus der Wünsche„...Paul hatte sich im Vorfeld noch einmal ausführlich mit Riekes Personalakte beschäftigt und wusste, dass sie erst im kommenden Sommer dreißig Jahre alt würde. Normalerweise waren die Aufsichtsdamen ...
„...Paul hatte sich im Vorfeld noch einmal ausführlich mit Riekes Personalakte beschäftigt und wusste, dass sie erst im kommenden Sommer dreißig Jahre alt würde. Normalerweise waren die Aufsichtsdamen mindestens 10 Jahre älter...“
Paul Bergmann ist der kaufmännische Leiter des KaDeWe. Rieke Krause hatte sich mit viel Fleiß und Einsatzbereitschaft nach und nach hochgearbeitet. Sie arbeitet schon einige Zeit als Aufsichtsdame, wird aber nun im Januar 1927 offiziell berufen und vorgestellt.
Die Autorin hat eine fesselnde Fortsetzung ihrer Geschichte über das KaDeWe geschrieben. Das Buch zeichnet sich durch seine umfangreiche Recherche, die in den vielen Fakten und Zusammenhängen zum Ausdruck kommt, und den ausgereiften und sehr gut ausgearbeiteten Schriftstil aus. Letzterer sorgt dafür, dass das Geschehen lebendig wirkt und auch mich schnell in seinen Bann gezogen hat.
Neben vielen anderen stehen besonders zwei Frauen im Mittelpunkt. Durch Rieke erlebe ich nicht nur die Entwicklung des KaDeWe mit, sondern werde auch mit den Problemen in den Arbeiterviertel von Berlin konfrontiert. Dr. Judith Bergmann, Pauls Tochter, dagegen gehört zum gehobenen Mittelstand. Sie befasst sich allerdings in ihrer Forschung mit sozialen Fragen alleinerziehender Mütter und führt mich als Leser in manch Elendsquartier.
Das KaDeWe wird nun von Martin Tietz geleitet, der mit Judith liiert ist. Von ihm stammt auch dieser neue Name des Warenhauses. Er erklärt Judith Etliches zum Werdegang seines Vaters.
„...Ich möchte damit in die übergroßen Fußstapfen meines Vaters treten. Habe ich dir schon erzählt, dass er es war, der Orangen in Berlin vom Luxusgut zu einem Obst gemacht hat, das sich heute nahezu jeder leisten kann?...“
Judith weiß es besser. Nicht jeder kann sich Orangen leisten. Martin stellt ihr daraufhin welche für ihre Arbeit mit den Ärmsten der Armen zur Verfügung.
Martin lässt das KaDeWe aufstocken und großzügig ausbauen. Dass die aufstrebenden Nationalsozialisten seinen Plänen bald im Wege stehen werden, ignoriert er. Seine jüdischen Wurzeln hatten ja bisher niemand interessiert. Auch Judith ist Jüdin. Anders als Martin ist sie von den ersten Krawallen erschüttert.
Der Umbau des Warenhauses hat viel Geld verschlungen. Als der Boykottaufruf gegen jüdische Warenhäuser kommt, gerät die Firma in eine Schieflage. Jetzt sieht der Textileinkäufer Gunter Perl seine Stunde gekommen.
Für Rieke und ihren Mann Peter geht es anfangs aufwärts. Peter erhält die Stelle als Dekorateur, nachdem er als Haustischler seinen Einfallsreichtum und seine handwerklichen Fähigkeiten bewiesen hat. Doch als Mitglied der SPD gerät er bald ins Fadenkreuz der Nazis.
Zu einem der besonderen Szenen gehört das stille Gespräch von Paul am Sarg von Adolf, dem Gründer des KaDeWe.
„...Ich hätte dir noch viele weitere (Anmerkung: Jahre) gegönnt.Aber vielleicht hast du das Gleiche wie beim Verkauf deines Konzerns getan und dich zum richtigen Zeitpunkt davongemacht. Wer weiß, was die Zukunft in diesem Land für uns Juden noch bereithält...“
Es gäbe noch viele Stellen im Buch hervorzuheben. Erwähnenswert ist der Mieterstreik in Berliner Hinterhäusern. Auch die Stellung der Frau in der NSDAP wird ausführlich dargestellt. Sanni, Riekes Schwester, macht dort Karriere.
Ein Personenregister zu Beginn und sowie ein Quellenverzeichnis runden das Buch ab. Hinzu kommt ein Nachwort, dass einerseits Fiktion von Realität trennt und andererseits einen Ausblick auf die weitere Entwicklung der historischen Personen gibt.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.