Wer bezahlt für die Träume von einem besseren Leben?
Der vierte und damit letzte Roman, den ich von Balzano gelesen habe, dreht sich wieder um sein Kernthema „Fortgehen und Dableiben“. Er erzählt die Geschichte von Daniela, eine Rumänin, die ihre Familie ...
Der vierte und damit letzte Roman, den ich von Balzano gelesen habe, dreht sich wieder um sein Kernthema „Fortgehen und Dableiben“. Er erzählt die Geschichte von Daniela, eine Rumänin, die ihre Familie verlässt, um in Italien als schlechtbezahlte Pflegerin zu arbeiten.
Im ersten Teil „Wo bist du“ erleben wir aus der Perspektive des zwölfjährige Manuels, wie es sich für ihn anfühlt, als seine Mutter eines Morgens verschwunden war. Der arbeitsscheue Vater hat schon lange keinen Job mehr und das bisschen Geld, das Daniela verdient, reicht nicht, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Doch Manuel träumt von einem einfachen Leben, für ihn zählt die Nähe der Familie, das Zusammensein.
„Zu Hause hieß es die ganze Zeit nur: „Das hat sie für uns getan“, „Wir sollten ihr dankbar sein“, „Was sie alles auf sich nimmt für die Familie“ … Mich überzeugte das kein bisschen. Und wenn mein Vater Sachen sagte wie: „Sie wischt den Alten den Arsch ab, damit du studieren kannst“, hätte ich ihm am liebsten geantwortet: und damit du dich auf dem Sofa mit Bier vollaufen lassen kannst.“ S.30
Im zweiten Teil „Weit weg“ kommt Daniela selbst zu Wort und schildert uns nicht nur ihre Beweggründe, sondern auch die harte Arbeit als 24/7-Pflegekraft in verschiedenen Familien, die mit der Pflege ihrer Angehörigen selbst überfordert sind. Wozu freie Tage nehmen, wo sie doch jeden Euro braucht, um ihn in die Heimat zu schicken. Also arbeitet sie bis zur Erschöpfung, die in ihrer Heimat einen eigenen Namen hat – Italienkrankheit. Doch mit dem, was sie zu Hause erwartet, hat sie nicht gerechnet.
Angelica, die älteste Tochter, hat sich in all den Jahren der Familie entfremdet und wir erfahren im dritten Teil „Bumerang“, wie sie sich ihre Zukunft vorstellt.
Das Tolle an dem Buch war tatsächlich, dass Balzano sich hier für die drei unterschiedlichen Perspektiven entschieden hat. Das machte für mich das ganze Leid, das diese Entscheidung mit sich brachte, greifbar und nachfühlbar. Zu sehen, welche Auswirkungen das auf jeden Einzelnen hat, dass die eigenen Träume nicht immer die der Kinder sind, war sehr ergreifend. Das große Problem der Arbeitsmigration bekommt hier ein sehr persönliches Gesicht, mit all dem Leid, das daraus erwächst. Erschreckend war für mich auch, dass es speziell in Rumänien für die bis zur Erschöpfung arbeitenden Frauen einen eigenen Begriff gibt „Italienkrankheit“ oder „Italiensyndrom“. Dabei ereilt die Kinder hier noch das bessere Schicksal, denn sie haben ihre Großeltern, die sich liebevoll um sie kümmern. Andere Kinder landen einfach im Heim und werden somit zu „Eurowaisen“. Ein wirklich brisantes Thema, das er tief ausgearbeitet hat, was allerdings etwas zu Lasten der Charaktere ging, die mich diesmal nicht so tief berühren konnten wie in seinen anderen Romanen.
In seinem mehrseitigen Nachwort erläutert Balzano, wie er zu dieser Idee gekommen ist und dass er in Rumänien Einrichtungen besucht hat, die sich um die zurückgebliebenen „Home-Alone-Children“ kümmern.
Nichtsdestotrotz möchte ich das Buch schon allein der Thematik wegen wärmstens empfehlen. Denn die hallt auch jetzt nach Tagen noch immer in mir nach. Ich spüre die tragische Sehnsucht, die schon im Titel angelegt ist. Mit so vielen Träumen könnte man den Satz: „Wenn ich wiederkomme“ beenden und doch bleiben sie alle auf der Strecke.