Realistisch, gefühlvoll, fesselnd
Sie packte eine Handvoll Erde, dann noch eine, und machte immer weiter, bis sie ihren Bauchmuskeln eine letzte Anstrengung abverlangen und sich hochstemmen konnte.
Der plötzliche Schwall frischer Luft ...
Sie packte eine Handvoll Erde, dann noch eine, und machte immer weiter, bis sie ihren Bauchmuskeln eine letzte Anstrengung abverlangen und sich hochstemmen konnte.
Der plötzliche Schwall frischer Luft brachte Sam zum Würgen. Sie spuckte Blut und Erde aus. Ihr Haar war verfilzt. Sie betastete ihren Kopf. Ihr kleiner Finger glitt in ein winziges Loch. Der Knochen fühlte sich glatt an innerhalb der kreisrunden Öffnung. Dort war die Kugel eingedrungen. Sie hatten ihr in den Kopf geschossen.
Sie hatten ihr in den Kopf geschossen.
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INHALT:
28 Jahre ist es her, dass zwei Männer in der Küche von Familie Quinn standen, Mutter Gamma töteten und den Töchtern unaussprechliche Dinge antaten. Die ältere Schwester, Sam, flehte die junge Charlotte an zu fliehen - und das tat sie. Seitdem plagen sie Schuldgefühle, und wirklich aufgehört wegzulaufen hat sie nie. All die Schrecken ihrer Vergangenheit kommen wieder hoch, als sie zufällig die Erste am Schauplatz eines Amoklaufs ist. Täter und Waffe sind schnell identifiziert, aber es ist alles nicht so einfach, wie es den Anschein hat. Und so macht sich Charlie auf die Suche nach der Wahrheit, was es auch kostet.
MEINE MEINUNG:
Karin Slaughter ist sicherlich eine der bekanntesten Thriller-Autorinnen und doch ist ihr neuester Roman erst der zweite, den ich von ihr lese. In diesem Genre mag ich lieber Einzelbände - und genau solch einer ist "Die gute Tochter". Die Geschichte lebt vom atmosphärischen, ungeschönten und dialoglastigen Schreibstil, der nie langweilt, sondern im Gegenteil so sehr fesselt, dass es schwierig ist, sich von den Seiten zu lösen. Unterteilt ist das Buch in drei Teile, die perfekt aufeinander aufbauen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass die vorangestellten Prologe des ersten und zweiten Teils besser getauscht worden wären - das hätte mehr Sinn ergeben.
Charlie ist eine ziemlich unperfekte Protagonistin, die gerade dadurch Identifikationspotenzial bietet: Impulsiv und mutig bahnt sich sich als Anwältin einen Weg durch eine von Männern dominierte Welt und fällt dabei nicht nur einmal auf die Nase. Sie ist so lebendig und glaubwürdig in ihren Ängsten und Zweifeln, dass man sie schnell ins Herz schließt. Zu ihrer Schwester Sam hatte sie immer ein eher schwieriges Verhältnis, weil diese ungleich rauer ist, mehr der Mutter ähnelt und doch genauso ein Kämpferherz in sich trägt wie auch Charlie - Reibungen vorprogrammiert. Großartig fand ich die gute Seele der Familie, Lenore, deren spannendste und überraschendste Eigenschaft erst spät enthüllt wird und die ich hier nicht bereits offenbaren will. Und weil auch die Nebencharaktere so lebendig gezeichnet sind, kommt es einem bald so vor, als würde man sie alle persönlich kennen.
Obwohl es eigentlich - vergleichsweise - überraschend wenig um die Tätersuche und auch um das Gerichtsverfahren geht, kommt nie Langeweile auf. Die Autorin hat ein fast schon unheimliches Gespür für realistische, oft schmerzhaft in die Tiefe gehende Dialoge und für menschliche Schicksale, die einem die Kehle zuschnüren. Es gelingt ihr fabelhaft, die Ängste über das Grauen der Vergangenheit mit dem Amoklauf in einer Grundschule zu verbinden, ohne dass dies konstruiert wirkt. Zwar konnte ich mir die Wahrheit hinter den Morden relativ früh denken und auch das Motiv war nicht schwer zu erraten - das ist der Spannung aber kaum abträglich. Der Showdown ist eventuell ein bisschen zu dramatisch, aber das hält sich noch in Grenzen - und mit dem letzten Kapitel wird dem Leser ein sehr guter und runder Abschluss geboten, der nach all dem Schrecken endlich Hoffnung verspricht.
FAZIT:
"Die gute Tochter" ist Karin Slaughters neuester Thriller und zugleich ein Einzelband, was ich sehr begrüße. Ihre Figuren sind so gut charakterisiert, dass es begeistert, und die Geschichte packt sowohl in den emotionalen als auch den brutalen Momenten. Ein Lesevergnügen, das keine Abstriche in Sachen Tiefe und Glaubwürdigkeit macht. 4,5 Punkte.