Nur eine Sommerromanze?
Die verlorene Tochter„Bevor Sie sie aufmachen, sollten Sie sich vergewissern, dass Sie die Vergangenheit wirklich aufdecken wollen. Wenn man erst einmal Bescheid weiß, kann das einiges verändern.… Manche Geheimnisse bleiben ...
„Bevor Sie sie aufmachen, sollten Sie sich vergewissern, dass Sie die Vergangenheit wirklich aufdecken wollen. Wenn man erst einmal Bescheid weiß, kann das einiges verändern.… Manche Geheimnisse bleiben besser im Verborgenen.“ (S. 26) Als Lily nach 4 Jahren in Neuseeland wieder nach London kommt, findet sie die Einladung einer Kanzlei vor. Dort wird ihr als Nacherbin ihrer Großmutter eine Schachtel ausgehändigt, die beim Abriss eines privaten Heims für ledige Mütter gefunden wurde. Lilys Großmutter wurde direkt nach der Geburt zur Adoption freigegeben, hat das aber nie erfahren. In der Schachtel findet Lily ein Programm der Mailänder Scala von 1946 und ein handgeschriebenes Rezept auf italienisch. Da ihr nächster Job als Kellermeisterin sie sowieso nach Italien führt, beschließt sie, vor Ort Nachforschungen anzustellen.
„Sie war diejenige, die das Glück ihrer Familie wenden sollte. Das Gewicht der Welt ihrer Familie lastete auf ihren Schultern, und manchmal drehte sich ihr bei dem Gedanken der Magen um, genau so schmerzhaft wie sonst, wenn ihr Körper nachts verzweifelt nach Nahrung schrie.“ (S. 30) Seit frühester Kindheit bekommt Estée sehr viel Ballettunterricht und sehr wenig zu essen. Ihre Mutter ist überzeugt, dass Estée das Talent zur Primaballerina hat, wenn sie nur hart genug dafür arbeitet. Als sie 1938 in die Ballettschule der Mailänder Scala aufgenommen wird, scheint das Ziel fast erreicht, aber dann beginnt der zweite Weltkrieg.
„Hast du manchmal das Gefühl, dass dein ganzes Leben für dich entschieden wurde?“ (S. 66) Die ProtagonstInnen haben viel gemeinsam. Lily hat sehr an ihrem verstorbenen Vater gehangen, ist sich in Italien aber plötzlich nicht mehr sicher, ob sie ihren Beruf gewählt hat, weil sie es so wollte, oder weil er von einem eigenen Weingut geträumt und ihre Ausbildung bis ins kleinste Detail geplant hatte. Außerdem verliebt sie sich in Antonio, den Sohn ihres Arbeitgebers, dabei hat sie bisher Beruf und Privatleben strikt getrennt. Aber vielleicht ist das mit ihnen ja auch nur eine Sommerromanze?
Estée hat das Ballett immer geliebt, aber das extrem harte Training und die lieblose Behandlung durch ihre Mutter lassen sie an diesem Traum zweifeln. Ihr Leben ist von Verzicht geprägt. Sie darf kein Gramm zunehmen und keinen Freund haben. Dass sie sich schon in frühester Jugend verliebt hat, weiß niemand. Als sie erste Erfolge an der Scala feiert, meldet sich ihre Jugendliebe nach Jahren der Trennung bei ihr und sie verbringen einen unvergesslichen Sommer. Aber auch sein Weg ist ihm durch seine Familie vorherbestimmt.
„Die verlorene Tochter“ ist eine solide, leicht vorhersehbare Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen, die mir zum Ende hin leider etwas zu pathetisch und gewollt dramatisch wurde. Die Entscheidung, die Lilys Urgroßmutter dazu brachte, ihr Kind wegzugeben, fand ich etwas überstürzt, da sie sich ohne nachzuprüfen auf nur einen Fakt gestützt hat. Dafür haben mir das Setting und das italienische Flair sehr gut gefallen. Für mein vollkommenes Glück diesbezüglich hat mir nur noch das geheime Familienrezept gefehlt, das letztendlich für die Auflösung gesorgt hat und oft erwähnt wurde.