Ein "gutes Buch" - weil es mich nicht überzeugt hat
Wann ist ein Buch ein „gutes Buch“? Diese Frage stelle ich mir, als ich im Italienurlaub auf dem Balkon sitze, „Liebewesen“ zuschlage und die gelesenen 219 Seiten Revue passieren lasse.
Wir hätten da ...
Wann ist ein Buch ein „gutes Buch“? Diese Frage stelle ich mir, als ich im Italienurlaub auf dem Balkon sitze, „Liebewesen“ zuschlage und die gelesenen 219 Seiten Revue passieren lasse.
Wir hätten da Lio, die Ich-Erzählerin. Eine Gegenwart, die von der Vergangenheit geprägt ist. Eine dysfunktionale Beziehung, die auf wechselseitiger Abhängigkeit beruht. Und den Fokus auf unterschiedliche Mutterfiguren, die sich teilweise gegen das Dasein als Mutterfigur entscheiden.
Haben mich die Charaktere und der Plot so in den Bann gezogen, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen kann? Nein. Und ich glaube, das ist es, was mir fehlt. Es fällt mir schwer, eine Bindung zu Lio und Co. aufzubauen. Ich lache nicht mit ihnen, ich weine nicht mit ihnen. Für mich erwachen sie nicht zum Leben. Aber gut, sie sind ja auch keine Lebewesen. Nur Liebewesen, die sich selbst so hassen, dass ihre innere Zerrissenheit ihre Liebe wesentlich in Stücke reißt. Und diese Fetzen in lautes Schweigen hüllt, das noch mehr Distanz schafft. Zueinander. Und zu mir.
Vielleicht kann ich also nicht mit den Charakteren fühlen, weil sie selbst nicht fähig sind, Emotionen zuzulassen. Meine Leere ist ihre Leere. Ist meine Lehre, dass es nicht den einen Faktor für das „gute Buch“ gibt. Ein Buch kann in meine Top Reads kommen, weil es mich packt. Weil die Thematik mit meinen Erfahrungen und Interessen resoniert. Weil die Charaktere mir wichtig sind. Weil ich daraus lerne. Weil ich herzhaft lache und bitterlich weine. Weil ich gar nicht darüber nachdenken muss, warum’s gut ist.
Liebewesen ist ein „gutes Buch“, weil es mich nicht überzeugt hat. Und genau aus diesem Grund zum Nachdenken anregt. (Achso, und weil ich das Cover liebe.)