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Veröffentlicht am 29.06.2023

hm ...

99 Ideen fürs Beten
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Eigentlich habe ich mich gefreut auf diese Buch, denn ich bete oft und gerne, danke dem göttlichen Wesen auch hin und wieder - in Kirchen, welcher Konfession auch immer, auf Reisen auch in stiller Andacht ...

Eigentlich habe ich mich gefreut auf diese Buch, denn ich bete oft und gerne, danke dem göttlichen Wesen auch hin und wieder - in Kirchen, welcher Konfession auch immer, auf Reisen auch in stiller Andacht in Synagogen., Meditationsashrams, Buddhistischen Tempeln und auch im überkonfessionellen Raum der Stille am Brandenburger Tor, spende für das House of One in Berlin, lasse regelmäßig meine Kirchensteuer vom Gehalt abziehen und überweise jeden Sommer einer kleinen evangelischen Kirchengemeinde nördlich der Lutherstadt Wittenberg die vom dortigen Gemeinderat empfohlene Zusatzspende, um die dortige Kirchenarbeit zu unterstützen.

Meine Freude beim Lesen von "99 Ideen fürs Beten" hielt jedoch nicht lange an. Zuerst fand ich wieder bei bestimmten Tipps: Nr. 7 Beten mit 363-Grad-Perspektive, womit danken gemeint ist - Nr. 17 alleine in einer Kirche eine Kerze entzünden - Nr, 29 in leerer Kirche Lieblingsplatz finden - Nr. 35 tagsüber Gebetsanker werfen - Nr. 51 eine Viertelstunde betend im völligen Schweigen verbringen - Nr. 54 Fürbitte durch Dank ersetzen - Nr. 74 Im kreativen Schreiben gedanklich ausatmen - Nr. 84 Von anderen Konfessionen lernen.

Okay, dass in anderen Tipps ständig auf die Bibel verwiesen wird, ist okay. Hätte man beim Buchtitel vielleicht erwähnen sollen, diese Fixierung auf das Christentum. Manches ist da etwas übertrieben bzw. ziemlich schräg: Nr. 19 Beten beim Autofahren auf bestimmte KFZ-Kennzeichen - Nr. 26 Menschen beim Einkaufen oder im Fitnesstudio segnen - Nr. 49 WhattsApp-Gebetskreis gründen - Nr. 60 Nach Smartphone-Timer-Vorgabe beten - Nr. 80 Für globale Bibelverbreitung beten - Nr. 82 Beten auf wahllos im Autoatlas aufgeschlagene Orte.

All das klingt schon ziemlich sektenhaft, ist aber noch tolerierbar. Jedoch gibt es Tipps, die mir ganz über aufstoßen: Nr. 31 Beten für Politiker - Nr. 33 Beten für stärkere Gegenkraft - Nr. 47 Gott mit Löwengebet ehren - Nr. 87 Bete mit biblischen Psalmen für Politiker

Das hinterlässt bei mir ein verdammt ungutes Gefühl. Assoziationen an die Evangelikalen Hassprediger, Abtreibungsgegener und Trump-Unterstützer in den USA werden wach und ich frage mich, wer das alles überhaupt geschrieben hat. Das kann doch nur ein Mann sein, der da ständig auf Herrn Jesus und den Herrgott und die Herren Politiker und die Autoschilder beten lässt - oder

Bingo: Autor Ulrich Wendel ist ein umtriebiger Vielschreiber aus der Szene der evangelikalen Freikirchen. Wie brutal und sektenhaft es dort zugeht, davon hat eine Aussteigerin in der TAZ berichtet. Ein absolut lesenswerter Artikel, der als Antidot für den alttestamentarischen Chauvinismus von ""99 Ideen fürs Beten" wärmsten zu empfehlen - auch und gerade Männern, die Beten und Christentum nicht als Egotrip verstehen wollen.

Was bleibt? Der olle Martin Luther, welcher mit Katharina Bora eine Nonne heiratete, die aus dem Kloster geflüchtet war. Nur. 69, das "Vierfache Kränzlein", empfiehlt zu fragen, was Gott von einem will, wofür man danken kann, wofür um Vergebung bitten und war erbitten.

Dieses Kränzlein täglich zu beten, empfehlen ich dem Herrn Autor Ulrich Wendel, auf dass er mit dem Missionieren aufhöre und den Stimmen jener Frauen lausche, die bei den Amtskirchen an die Spitze streben, Pastorinnen sind und engagierte, weltoffene, tolerante Christinnen.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Wellness Esoterk für die Begüterten – fast gänzlich frei von Ironie

Der schlauste Mann der Welt
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Am 24. Februar 2023, dem Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine, einem blutigen Gemetzel, das unsägliches Leid bringt, in dem Zigtausenden gestorben sind, das schier nicht enden will – zu diesem ...

Am 24. Februar 2023, dem Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine, einem blutigen Gemetzel, das unsägliches Leid bringt, in dem Zigtausenden gestorben sind, das schier nicht enden will – zu diesem Jahrestag erscheint »Der schlauste Mann der Welt« von Bestseller-Autor Andreas Eschbach, gelesen von Profi-Hörbuchsprecher Matthias Koeberlin.

Es plätschert so dahin in diesem Roman, der ausgiebig ein Leben in Luxus-Strandhotels schildert, in schier unerschwinglichen Suiten in Zürich, New York und anderswo, wo sich die Schönen und Reichen treffen. Der Autor schildert als Ich-Erzählung einen Menschen, der seine Ignoranz gegenüber den Problemen dieser Welt, seine Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit mit asiatischer Meditations-Philosophie legitimiert, fast distanzlos, und vorgetragen wird dies mit einschmeichelnder Stimme, die direkt ins Ohr geht.

So viel Eleganz! Und doch, es bleibt ein fader Geschmack zurück. Was fehlt – fast unmerklich dank der einschmeichelnden Manieriertheit der Erzählung – ist eine irgendwie auch nur im Ansatz vorhandene kritische Reflexion jener High-Society-Heuchelei, die hier genüsslich geschildert wird. Da war Tom Wolfe mit seinem vor einem Vierteljahrhundert erschienenen »Fegefeuer der Eitelkeiten« ein gutes Stück weiter.

Fast möchte man glauben, mit dem Erscheinungsdatum von »Der schlauste Mann der Welt« am 24. Februar 2023 wolle irgendjemand ganz gezielt die Opfer des Jahrestags verhöhnen. Besonders schlau ist es auf jeden Fall nicht.

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Veröffentlicht am 29.06.2023

... mit Hang zur Geschichtsklitterung

„Terrorbrecher Christus“ und IM „Bruder“
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Eine wissenschaftliche Studie an der Universität Jena mit "Geschmäckle": Ein DDR-Bischof wird als wackerer Bürgerrechtler dargestellt, letztendlich um die 30 Jahre nach der Wende immer noch nicht aufgearbeiteten ...

Eine wissenschaftliche Studie an der Universität Jena mit "Geschmäckle": Ein DDR-Bischof wird als wackerer Bürgerrechtler dargestellt, letztendlich um die 30 Jahre nach der Wende immer noch nicht aufgearbeiteten Verbrechen eines Großteils der evangelischen Pfarrer und Kirchenfunktionäre ungeschehen zu machen. Das wichtigste Buch zu diesem Thema von 1995 wird in einer kleinen Fußnote als "Betroffeneheitsliteratur" abgewertet, was deutlich zeigt, wie sehr es im 2020 erschienenen "Terrorbrecher Christus" um Grunde um Täter-Opfer-Umkehr geht - ganz im Sinne alter Stasi-Bonzen, die ungeschoren davongekommen sind und immer noch Macht und Einfluss haben.

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Veröffentlicht am 29.06.2023

hm ...

Das Bitcoin-Komplott
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Eigentlich hat Bestseller-Autor Andreas Brandhorst alles richtig gemacht: Er hat ausführlich zum Thema Bitcoin (S. 21, S. 594 ff) recherchiert, kurz vor der Romanveröffentlichung zeitaktuell einen männlichen ...

Eigentlich hat Bestseller-Autor Andreas Brandhorst alles richtig gemacht: Er hat ausführlich zum Thema Bitcoin (S. 21, S. 594 ff) recherchiert, kurz vor der Romanveröffentlichung zeitaktuell einen männlichen Bundeskanzler eingebaut (S. 209), Corona-Impfungen erwähnt (S. 16), schmeißt mit Dollar- und Euro-Milliarden plus Finanzwirtschafts-Fachbegriffen um sich (S. 29, 39 ff), ist auch Tablet-computermäßig auf der Höhe der Zeit (S. 35 ff), Cum-Ex erklärt (S. 298) und mit so „wichtigen“ Fakten um sich schmeißt, wie „Wusstet ihr, dass fast achtundvierzig Prozent der Einwohner von Genf nicht über das Schweizer Bürgerrecht verfügen?“ Zudem nennt er seinen Helden Francis Forsythe, wodurch bewusst oder unbewusst Assoziation und Konnationen zu einem grandiosen britischen Thrillerautor entstehen.

Damit hat es sich aber auch schon. Frederick Forsyth kann wirklich schreiben. Der Brite kann lebendige Charaktere entwickeln, mit denen der Leser mitgehen kann, ist ein Meister der dokufiktionalen Literatur, er verwebt dokumentarische Fakten mit fiktionalen Elementen derart kunstvoll, dass die Leser vor Spannung fiebern und zugleich über weltpolitische Zusammenhänge bestens informiert werden. Beispiel: „Der Schakal“. Allein die deutsche Übersetzung verkaufte sich in Hunderttausenden von Exemplaren.

Was Andreas Brandhorst hingegen tut, nennt man in der literarischen Welt „Infodumping“: Er erschlägt die Lesern mit sinnloser Anhäufung von Fakten, was nicht Spannung, sondern gähnende Langeweile erzeugt. Es nützt nicht, dass er seine Figuren ständig auf dem Globus herumhüpfen lässt, von stürmischen Nordseeinseln nach Frankreich und anderswo, schließlich sogar in einer beheizten Telefonzelle in der Arktis, wo es wohlige 14 Grad warm ist (S. 499)

Romane funktionieren über Gefühle, über die Identifikation des Lesern mit dem Protagonisten. Und die Grundregel der Literatur vernachlässigt der Autor auf sträfliche Weise. Ganz offensichtlich hat er in seinem ganzen Bitcoin-Computerrecherchen im Internet vergessen, dass Leser lebendige Menschen sind und als solche angesprochen werden wollen. Auch missachtet Brandhorst die goldene Regel „Show, don't tell“, wonach ein Autor nicht über die Befindlichkeiten seiner Protagonisten schreiben soll, sondern sie zeigen. Die einzige (wirklich einzige!) interessante Figurenbeschreibung – allerdings viel zu spät, weil hier schon ein Großteil der Leser die Lust an der Identifikation mit den Romanfiguren verloren haben dürfte:

Sie schien zu schweben, fand Forsythe. Wie auch immer sie sich bewegte, es sah nach einem langsamen, eleganten Tanz aus, nach einem anmutigen Fließen und Strömen, in dem alles weich war. (S. 64)

Figurenbeschreibung:

Monsieur Lefèvre (...) hatte dunkles Haar, graue Augen und eine Nase, die etwas zu lang wirkte in einem kantigen Gesicht. (S. 52)

Dubois war einige Jahre jünger, um die vierzig, mit einem schmaleren Gesicht, aschblondem Haar und wachen blaugrünen Augen. (S. 52)

(...) ließ eine Frau mit goldenen Augen und langem blonden Haar eintraten. (S. 63)

Michail Petrowitsch Tassarow – mit fünfzig Jahren zehn Jahre jünger als Kowalkow und ein ganzen Stück größer – gestikulierte vage. (S. 111)

Xanadu blieb stehen, mit den Händen auf seinen Schultern, und sah, dass er keine Erektion hatte. (S. 213)

„Die Frau war ungewöhnlich schon.“ (S. 559)

Eine Frau mit schulterlangem blonden Haar (S. 576)

(Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, außer Augen- und Haarfarbe und Körpergröße gibt es meist keine Einführung, sondern geht es gleich weiter in nichtssagende Dialoge voll von Infodumping.)

Dialoggestaltung:

An einer Stelle hier er verblüfft inne: Manipulierte Bremsen?“ (...) „Es war kein Unfall“, sagte sie, „Jemand hat die Bremsen des Wagens manipuliert.“ (S. 80)

„Jemand hat daran gedreht“sagt er. (S. 178 unten) „Daran gedreht?“ (S. 179 oben )

„Lieber Himmel.“ „Ja, vielleicht solltest du ihm danken, dem Himmel.“ (S. 191)

„Wer sind Sie?“ „Geheimdienst“, zischte Martin. „Ich bin kein Feind“, sagte Lefèvre. Wollen Sie behaupten, ein Freund zu sein?“ (S. 261)

„Dakota sah auf die tote Frau hinab. „Du hast die erschossen.“ „Sie wollte mich erschießen“, gab er zurück. (S. 365)

„Waren die Daten beschädigt?“, fragte er nach einer Weile. „ „Nein.“ „Aber es sollte so aussehen“, war Martin überzeugt. „Ein fremder Leser sollte verwirrt sein.“ „Wäre möglich.“ (S. 414)

„Was hat ihr ausgefressen, wenn ich fragen darf?“ Wir sind einer Weltverschwörung auf der Spur“, antwortete Martin. „Nicht weniger als das. Hm.“ Henry schwieg einige Sekunden lang. (S. 475)

Epilog:

„Ich sitze hier, schreibe unsere Geschichte und frage mich: Haben wir die Welt gerettet?“ (S. 585)

Lächerlich, anmaßend und vollkommen aus der Zeit, diese männlich-chauvinistische Heldenpose angesichts des Ukraine-Krieges, wo Millionen von Menschen gemeinsam und solidarisch um die Rettung ihrer eigenen Welt kämpfen. Und wenn der Roman dann schließt, wird dem Leser die ganze Hohlheit der Erzählung, ihr primitiver literarische Stil noch einmal vor Augen geführt.

„Die Geschichte endet hier. Ich muss jetzt gehen, meine Frau wartet auf mich.“ (S. 587)

Interview:

Der Autors meint, er wäre 2019 auf die Idee gekommen, einen Roman über Bitcoin zu schreiben (S. 593). Hätte er sich doch mehr Zeit genommen, anstatt ein aus Wikipedia und Googel mit Copy und Paste hingeklatschtes Machwerk – so zumindest der Eindruck des Rezensenten – zu fabrizieren. Welchen Gedanken die Leser aus dem Buch mitnehmen sollten? „Dass wir in einer Welt leben, die sich rasend schnell verändert.“ schreibt der Autor (S 596). Ach nee, welch großartige Erkenntnis!

Fazit:

Das „Bitcoin Komplott“ verdient weder die Bezeichnung „Roman“ noch das Etikett „Sachbuch“. Basis jeden Romans sind eine emotional ansprechenden Figurenentwicklung, literarisch gestaltete Szenen Szenen und Dialoge, die den Leser einladen, der Handlung zu folgen.

Davon kann in diesem Buch nicht ansatzweise die Rede sein. Zudem ist es vollgestopft mit Fakten-Aneinanderreihungen, die dem Genre Sachbuch zuzurechnen wären. Doch auch in dieser Sparte ließe sich „Das Bitcoin Komplott“ nicht beheimaten, ist doch das unerträglich ausufernde Infodumping mit linkisch konstruierten Verschwörungstheorien vollgekleistert.

„Spiegel Bestseller-Autor“ prangt stolz auf dem Cover, die Marketingsmaschine läuft und in Deutschlands Buchhandlungen liegt das Buch ganz vorne auf den Auslagen. Warum sich der etablierte Verlag S. Fischer Verlag darauf eingelassen hat? Wäre Andreas Brandhorsts kein umsatzstarker Autor, sein Manuskript wäre wohl von keinem deutschen Verlag angenommen worden.

In der nun zwei Jahre dauernde Corona-Zeit mit zwangsweise geschlossenen Buchhandlungen und Umsatzeinbrüchen setzen die etablierten Publikumsverlage auf bewährtes. „Keine Experimente“ ist die Devise, neue Autoren haben so gut wie keine Chance, literarische Qualität spielt nunmehr eine untergeordnete Rolle. Mit Mogelpackungen lässt sich schneller Gewinn machen. Dass die Leser sich nicht durch die gesamten 603 Seiten durchquälen werden, spielt keine Rolle.

Postscriptum:

Schlechter Umgang mit der deutschen Sprache zeigt sich auch im grammatikalisch falsch gesetzten Titel. Eine korrekte Schreibweise wäre „Bitcoinkomplott“, alternativ die Koppelung der beiden Substantive durch einen Bindestreich: „Bitcoin-Komplott“. Zu Recht schreibt die Duden-Redaktion:

„Die Zusammensetzung zweier Substantive zu einem neuen Wort mit einer eigenen Bedeutung ist ein besonderes Kennzeichen der deutschen Sprache. Manchmal gerät den Schreibern (vielleicht unter dem Einfluss des Englischen) allerdings aus dem Blick, dass bei dieser Zusammensetzung nicht nur ein neuer Begriff, sondern tatsächlich ein neues Wort entsteht, das dann auch zusammengeschrieben werden muss. Gerade in der Werbung oder bei Produktbezeichnungen u. Ä. begegnet man öfter Gebilden wie Hand Creme oder Kinder Jacken, bei denen die Bestandteile einer Zusammensetzung unverbunden nebeneinander stehen. Getrenntschreibung ist in diesen Fällen aber nach wie vor nicht erlaubt.

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