Ein fiebernder Thriller, geisternd in der dunklen Geschichte des Blues
White TearsPostmoderne Nerds straucheln bei kultureller Aneignung sogenannter Negermusik
Was durchschnittliche Thrillerautoren, die den deutschen Buchmarkt überschwemmen, an literarischer Qualität vermissen lassen, ...
Postmoderne Nerds straucheln bei kultureller Aneignung sogenannter Negermusik
Was durchschnittliche Thrillerautoren, die den deutschen Buchmarkt überschwemmen, an literarischer Qualität vermissen lassen, wird deutlich, wenn man sich »White Tears« des Briten Hari Kunzru zu Gemüte führt. In einem vielhundert Seiten dicken Wälzer führt er den Leser ungeheuer detailreich, mit immer neuen Fachbegriffen, Fakten und Fiktivem in die Welt der Musik ein, mäandert die fein ziselierte Erzählung dahin, steigert sich zu einem furios delirierenden Finale – doch niemals man sich vom Detailreichtum erschlagen, kommt beim Leser Langeweile auf.
Wie macht er das bloß? Im Grunde ist es ganz einfach. Die Qualität eines Schriftstellers zeigt sich in seiner Liebe zur Figurengestaltung, an der Ernsthaftigkeit, mit Sprache umzugehen. Wer es, wie der Romancier, zur Meisterschaft gebracht hat und sein Schreibhandwerk beherrscht, kann souverän mit dem Instrument spielen, gleich einem Popmusiker, der klassische Musik am Konservatorium studiert hat und auf Basis jener Fingerfertigkeit und entsprechend geschultem Gehör die Regeln bricht und uneitel Klangwelten entwirft, die jedermann als Ohrwurm ins Gehör dringen.
Die Story: Hippe weiße Musiker starten durch in der abgefuckten New Yorker Kunstszene, werden reich und berühmt mit Klangcollagen, bei denen sie sich traditioneller schwarzer Sklavenmusik bedienen, werden eingeholt von der grauenvollen Historie des US-amerikanischen Rassismus. Den Autor Hari Kunzru wird die eigene Herkunft motiviert haben, entstammt er doch mütterlicherseits der weißen Kolonialmacht Großbritannien und väterlicherseits der farbigen Kronkolonie Britisch-Indien.