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Veröffentlicht am 26.09.2023

Flotter Tanz voller Herz durch Island zu Beginn des 20. Jahrhunderts

60 Kilo Kinnhaken
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In "60 Kilo Kinnhaken" folgt man dem nun volljährigen Gestur Eilífsson aus "60 Kilo Sonnenschein" und wie sein Leben sich weiterentwickelt. Gleichzeitig wird man zudem auch Zeuge, wie die fiktive isländische ...

In "60 Kilo Kinnhaken" folgt man dem nun volljährigen Gestur Eilífsson aus "60 Kilo Sonnenschein" und wie sein Leben sich weiterentwickelt. Gleichzeitig wird man zudem auch Zeuge, wie die fiktive isländische Stadt Siglufjörður sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer lebhaften Heringsstadt entwickelt. Man taucht in das Leben von Gestur ein, sowie in das Leben in der Stadt Siglufjörður, die mit Ankunft der Norweger und Dänen von feuchtfröhlichen Trink- und Tanzgelagen zunehmend geprägt wird, wenn nicht Heringe gefangen oder eingesalzen werden. Ihre Entwicklung steht dabei sinnbildlich für die Geschichte Islands am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Anfangs noch etwas träge, weiß man noch nicht genau, wohin die Reise gehen wird und wer nicht Gefallen an den teils etwas gewöhnungsbedürftigen Beschreibungen sexueller Tätigkeiten in den ersten Kapiteln findet, der wird den lohnenswerten Schmöker von fast 670 Seiten Länge wahrscheinlich nicht weiterlesen.

Nach und nach zeigt der Roman seine wahre Stärke, die in seinem humorvollen, fesselnden Schreibstil liegt, der nur so von herzlicher Wärme für seine Charaktere sprüht, besonders für Gestur.
Mit zunehmender Seitenzahl fällt es immer schwerer, mit dem Lesen aufzuhören, auch wenn es hier und da etwas weniger ausschweifend erzählt hätte werden können.

Wie schon angedeutet, bewegt sich der Autor teils an den Grenzen des guten Geschmacks, ohne diese jedoch zu überschreiten, sodass ein leicht skurriles, aber dennoch warmherziges Porträt von Island und seinen unterschiedlichen Bewohnern und Neuankömmlingen entsteht.

"60 Kilo Kinnhaken" ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss, das einen aber dann mit einer unterhaltsamen und berührenden Lebens- und Zeitgeschichte belohnt.
Ein Island, das man so noch nicht gesehen hat, wird unter der schwungvollen Feder des Autors zum Leben erweckt, sodass man nach einem verhaltenen Start nur so durch die Seiten fliegt bzw. tanzt und man am Ende nicht genug von Gestur und seinem Leben bekommen kann.

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Veröffentlicht am 18.07.2023

Ein Dorf will vergessen werden - unterhaltsam erzählt

Nincshof
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"Nincshof" von Johanna Sebauer ist ein kurzweiliger und unterhaltsamer Roman über das gleichnamige Dorf und seine etwas mehr und mal weniger schrulligen Bewohner, die aber trotz all ihrer Eigenheiten ihr ...

"Nincshof" von Johanna Sebauer ist ein kurzweiliger und unterhaltsamer Roman über das gleichnamige Dorf und seine etwas mehr und mal weniger schrulligen Bewohner, die aber trotz all ihrer Eigenheiten ihr Herz am rechten Fleck haben.

Größtenteils abwechselnd aus der Sicht von Erna Rohdiebl und der „Neuen“ Isa erzählt, eine ehemalige Dokumentarfilmerin, taucht man anfangs noch etwas langsam, aber dann von Seite und Seite immer schneller in das skurile Dorfgeschehen im fiktiven Dorf Nincshof ein, das einer Legende nach im Schilf versteckt liegt.
Isa ist erst vor kurzem gemeinsam mit ihrem Mann, dem Ziegenbauer Silvio Mezzaroni, und der gemeinsamen Tochter nach Nincshof gezogen und sie versucht sich dort einzuleben, was ihrem Mann besser zu gelingen scheint als ihr. Mit der Zeit lernt sie Erna Rohdiebl näher kennen und trifft sich mit ihr, um mehr über das Dorf zu erfahren, das, wenn es nach dem Bürgermeister und ein paar Verbündeten gehen würde, am besten von der Landkarte verschwinden sollte. Denn die Verschwörergruppe, die sich selbst als Oblivisten bezeichnen, will ihre Ruhe haben und von der Außenwelt nicht belästigt werden. Die „Neuen“ bringen ihren Plan jedoch durcheinander.

Die Handlung klingt etwas absurd und das ist sie auch. Doch wird es zu keinem Zeitpunkt zu absurd. Die Autorin schafft gekonnt die Waage zwischen skurriler Geschichte und inhaltlicher Tiefe zu halten.
Anfangs braucht man zwar ein paar Seiten, um in die bildhaft und eingängig beschriebene Geschichte einzutauchen und mit den Charakteren sich anzufreunden.
Mit jeder weiteren Seite lässt einem das Dorf und seine schrulligen Bewohner jedoch nicht mehr los. Im Verlauf der Handlung lernt man die wichtigsten handelnden Personen näher kennen und erhält einen näheren Einblick in ihrer Leben, die nicht frei von Schicksalsschlägen sind.
Der Roman liest sich wie ein modern anmutendes Märchen und weiß dank des leicht humorvollen Schreibstils gepaart mit interessanten Charakteren zu überzeugen.

"Nincshof" ist eine locker-leichte und humorvolle Sommerlektüre mit zwar skurrilen, aber liebenswerten Charakteren, die einem nach und nach ans Herz wachsen.
Gerne würde man nach Nincshof entfliehen, aber halt, das geht ja nicht, da es ja nicht existiert... oder doch?

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Veröffentlicht am 14.07.2023

Eine Frau erinnert sich - einfühlsam erzählt

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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"Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" von Doris Knecht ist ein kurzweiliger, episodenartiger und fesselnder Roman über eine alleinstehende Mutter, Schwester und Tochter, die sich ...

"Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" von Doris Knecht ist ein kurzweiliger, episodenartiger und fesselnder Roman über eine alleinstehende Mutter, Schwester und Tochter, die sich an einem Wendepunkt in ihrem Leben befindet.
Bewusst hervorgehoben sind im vorigen Satz ihre Rolle als alleinstehende und -erziehende Mutter, Schwester und Tochter, da die Ich-Erzählerin in ihrem Prozess der Selbstreflexion und der inneren Selbstbetrachtung sich mit Ereignissen und Erinnerungen aus ihrer Kindheit, ihrer Studienzeit und aus ihrer Zeit als Mutter von Zwillingen, konfrontiert wird.

Ein leiser Grundton zeichnet die Erzählung aus, die als Startpunkt des Erinnerns die Lebensveränderung der Ich-Erzählerin nimmt, die durch den Auszug ihrer Kinder aus dem gemeinsamen Haus, beginnt. Sie kann sich das gemeinsame Heim nicht mehr leisten und sucht sich eine neue Wohnung. Entlang des Auszugs aus dem alten Heim und dem Einzug in die neue Wohnung werden die Leser und Leserinnen Teil ihres unstetigen und teils vignettenartigen Erinnerungsstroms. Dadurch lernt man die Ich-Erzählerin als Person näher kennen, lernt welche Ereignisse sie in ihrer Kindheit und bis ins Jetzt geprägt haben und welches Verhältnis sie zu ihren Eltern und Schwestern hat. Man gewinnt hierbei dank des ausdrucksstarken Schreibstils einen vielschichtigen Eindruck von ihr und ihren Gedanken, Gefühlen und Sichtweisen. Nebenbei bekommt man auch von den anderen Charakteren einen guten Eindruck.

Jedoch fehlte es mir manchmal etwas an emotionaler Tiefe der Erinnerungen. Man erfährt zwar viel von der Ich-Erzählerin, darunter auch ein dramatisches Ereignis in ihrer Zeit als Studentin. Beim Lesen der Lektüre hatte ich jedoch zeitweise das Gefühl, dass nur an der Oberfläche gekratzt wurde und die Ich-Erzählerin mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht so richtig greifbar wurde.
Trotz dieser leichten emotionalen Distanziertheit, entwickelte der stimmungsvoll geschriebene Roman von Beginn an eine gewisse Sogwirkung und konnte mich dank seiner Reflexion über den Erinnerungsprozess an sich, erzählt am Beispiel einer Frau, von sich überzeugen.

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Veröffentlicht am 02.07.2023

Rasanter Auftakt einer neuen spannenden Thriller-Reihe aus Schweden

Refugium
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Der fesselnd und kurzweilig erzählte Thriller "Refugium" von John Ajvide Lindqvist beginnt mit dem Mittsommerfest der Familie Helander, das sie im Stockholmer Schärengarten mit ausländischen Gästen veranstaltet. ...

Der fesselnd und kurzweilig erzählte Thriller "Refugium" von John Ajvide Lindqvist beginnt mit dem Mittsommerfest der Familie Helander, das sie im Stockholmer Schärengarten mit ausländischen Gästen veranstaltet. Die Feier wird plötzlich unterbrochen, als zwei maskierte Männer mit einem Boot an ihrem Steg anlegen und alle Anwesenden erschießen. Einzig die jugendliche Tochter Astrid überlebt versteckt den Angriff.
Julia Malmros hört in ihrem Schärenhaus, in dem sie sich nach dem geplatzten Auftrag den nächsten Millenium-Roman zu schreiben, gemeinsam mit Kim Ribbing zurückgezogen hat, auch die Schüsse.
Was danach folgt, ist ein rasanter Ritt quer über den Globus, von Schweden über China nach Kuba bis auf eine norwegische Ölbohrinsel.

Erzählt aus verschiedenen Charakterperspektiven und in kurzen Kapitel, entwickelt der gut konstruierte Thriller von Beginn an eine Sogwirkung, um dann in einem packenden und wendungsreichen Finale zu enden. Mit Julia, ihrem Ex-Mann Johnny und vor allem Kim Ribbing hat der Autor interessante und vielschichtige Charaktere geschaffen. Besonders Kim ist jemand mit einer bewegenden Lebensgeschichte voller Leid und Gewalt. Seine Person erinnert an Lisbeth Salander aus den Millenium-Romanen.

Insgesamt lassen sich mehrere Anklänge an die Millenium-Reihe von Stieg Larsson erkennen und die Verbindungen, die der Autor damit hat. Denn ähnlich wie Julia in "Refugium" schrieb John Ajvide Lindqvist am nächsten Teil der Millenium-Reihe, wurde jedoch abgelehnt. Daraufhin schreibt er sein Buchmanuskript auf der Grundlage der Grundgeschichte und Hauptfiguren um und lässt eine von ihnen, eine ehemalige Polizistin, die jetzt Schriftstellerin ist, den nächsten Teil von Millennium schreiben. Da sie keine Ahnung vom Hacken hat, bittet sie den Verlag, einen Hacker-"Berater", Kim Ribbing, zu engagieren, der ihr beim Salander-Teil hilft. Aber das Buch wird vom Verlag abgelehnt und dann werden sie und der Hacker in eine witzige und verrückte Actiongeschichte verwickelt. "Refugium" ist sozusagen ein Meta-Buch, ein Buch über sich selbst.

Was mir jedoch ein bisschen gefehlt hat, war der Thriller-Aspekt der Handlung. Nach dem spannenden und blutigen Beginn, verliert die Handlung etwas an Atmosphäre und liest sich insgesamt eher als gut geschriebener Spannungsroman als den düsteren Thriller, den ich nach Lesen der Inhaltsangabe, erwartet habe. Der Spannung tut dies jedoch keinen Abbruch.

Zum Schluss wartet noch ein Cliffhanger auf die Leser*innen, der die Vorfreude auf den nächsten Band der Trilogie steigert.
Alles in allem ist "Refuqium" ein klug konstruierter sowie spannend und durchaus stimmungsvoll geschriebener Thriller, der Lust auf die weiteren Bände macht. Für Fans des Autors und der Millenium-Reihe empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 16.06.2023

Spannend erzähltes Umweltverbrechen

Die Spur der Aale
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In dem kurzweilig und spannend erzählten Krimi "Die Spur der Aale" von Florian Wacker folgt man der Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang, wie sie versucht, den Mord an einem Zollfahnder aufzulösen. ...

In dem kurzweilig und spannend erzählten Krimi "Die Spur der Aale" von Florian Wacker folgt man der Frankfurter Staatsanwältin Greta Vogelsang, wie sie versucht, den Mord an einem Zollfahnder aufzulösen. Der tote Zollbeamte Lars Mathissen hatte Hinweise auf ein Schmugglernetzwerk, das mit Glasaalen handelte, die jedoch nicht weiterverfolgt wurden. Und jetzt schwimmt seine Leiche im Main. Kam er dem Schmugglernetzwerk zu Nahe oder steckt etwas anderes dahinter?

Dank der kurzen Kapitel und der verschiedenen Erzählperspektiven, darunter die von Vogelsang, einer jungen chinesischen Frau in Frankfurt und einem jungen Mann in Paris, entwickelt die fesselnd erzählte Krimihandlung mit dem interessanten Schwerpunkt Umweltverbrechen und international organisierter Schmuggel leicht eine Sogwirkung. Der Autor schafft es hierbei gut, die Waage zwischen persönlichen bzw. privaten Einblicken in das Leben der Protagonistin Greta Vogelsang und eine zum Ende hin deutlich an Fahrt aufnehmende Krimigeschichte zu halten.

Passend zum Thema Schmuggel im Umweltbereich, das häufig durch international agierende Netzwerke passiert, ist die Handlung an verschiedenen Schauplätzen angesiedelt und sorgt so für eine realistische und authentische Darstellung. Dasselbe lässt sich für die Charakterzeichnung besonders in Bezug auf Vogelsang sagen, die vielschichtig und glaubwürdig ist. Leider kann man dies nur bedingt für die Nebencharaktere sagen, deren Beschreibung teils etwas oberflächlich und stereotyp ausfällt.

Auch verlor der Krimi zum Ende hin etwas an Tiefe im Vergleich zum Anfang.
Zudem merkt man der Geschichte an manchen Stellen an, dass es sich um den ersten Band einer neuen Reihe handelt, wodurch manche Handlungsstränge oder mögliche Konflikte nur angekratzt werden. Jedoch schmälert dies nicht den allgemein positiven Eindruck von "Die Spur der Aale".

Ein gut zu lesender und bildhafter Schreibstil sowie eine interessante und spannende Handlung sorgen für gute Krimiunterhaltung und machen Lust auf weitere Fälle für die durchaus sympathische Staatsanwältin Greta Vogelsang.

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