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Veröffentlicht am 03.07.2023

Raffiniert manipuliert

Josses Tal
1

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun ...

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun hat. Nun will Helen ein Stück Familiengeschichte erfahren.

Nach diesem kurzen Einstieg erzählt Josef von sich, dem aufkommendem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung, die eigentliche Geschichte beginnt. Josef erlebt eine schwierige Kindheit, da er in den 1920er-Jahren unehelich geboren ist und offiziell kein Vater bekannt ist. Statt Liebe und Nähe von Mutter und Großeltern gibt es ständig Tadel und insbesondere vom Großvater häufig Schläge. Als die Familie in eine andere Gegend zieht, ist es Nachbar Wilhelm Reckzügel, der den Fünfjährigen unter seine Fittiche nimmt und ihm Aufmerksamkeit und Anerkennung schenkt. Allerdings kann das Kind nicht ahnen, dass der Mann in SA-Uniform recht eigennützige Beweggründe dafür hat: er nutzt schließlich Josef aus, um an Informationen über die Einwohner des Dorfes zu kommen. Voller Stolz erfüllt der mittlerweile fleißige Schüler alle Aufgaben, die Wilhelm stellt.

Angenehm klassisch aus Sicht des Erzählers im Präteritum, schreibt Angelika Rehse Josefs Erinnerungen nieder. Mit einfühlsamen Worten fließt die Schande des unehelichen Knaben aufs Papier und lässt den Leser mitbangen mit dem armen Kind. Das Schicksal scheint es gut zu meinen mit der Freundschaft zu Wilhelm, aber es braucht keine besonderen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass der junge Mann in tadelloser Uniform bald geschickt führt und manipuliert. Eine aufwühlende Kindheit zwischen Angst vor dem Großvater, Distanz zu Mutter und Großmutter und dem freundlichen Interesse der Nachbarfamilie Reckzügel, wo er fast schon wie ein weiteres Kind aufgenommen wird, lässt Josef einige Jahre später in einen Zwiespalt geraten, denn er merkt selbst, dass da auch etwas anderes an Wilhelm ist, nicht nur ehrliche Freundschaft. Durch Josefs ganz persönliches Schicksal ist es auch für den Leser einfach, dessen Beweggründe nachzuvollziehen, die perfiden Strategien der überzeugten Nationalsozialisten und deren Macht über den Einzelnen zu verstehen.

Fesselnd und spannend wird eine Kindheit lebendig, wird Josefs Heranwachsen sehr glaubwürdig erzählt. Lediglich die Rahmenhandlung, in der Helen und ihre Urgroßmutter Else vorkommen, ist ein wenig dürftig ausgefallen. Auch in Josefs Erinnerungen an die damalige schreckliche Zeit spielt Else nur eine kleine Rolle, obwohl die Sicht des Widerstandes durchaus interessant wäre, schließlich ist es ja Helen, die das Unrecht an ihrer Urgroßmutter ans Licht bringen möchte.
Fazit: Angelika Rehse präsentiert einen atmosphärischen Roman über die Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus und erzählt sehr authentisch die Geschichte eines jungen Menschen, der auf seiner Suche nach Aufmerksamkeit in die Fänge gerissener und raffinierter Manipulation gerät. Ich gebe gerne eine Leseempfehlung für Josses Tal ab!



Titel Josses Tal
Autor Angelika Rehse
ASIN B0BTDB7WZT
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (408 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 8. März 2023
Verlag Pendragon

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.06.2023

Verbrechen in der Vorstadt

Das Ende von Eden
1

Die junge Eden feiert mit Freunden, am nächsten Tag ist sie tot. Was fast unvorstellbar ist in der idyllischen Vorstadt Emerson, wird wahr, ein Verbrechen ist geschehen. Die Eltern der drei Freunde, welche ...

Die junge Eden feiert mit Freunden, am nächsten Tag ist sie tot. Was fast unvorstellbar ist in der idyllischen Vorstadt Emerson, wird wahr, ein Verbrechen ist geschehen. Die Eltern der drei Freunde, welche Eden zuletzt gesehen haben, unternehmen alles, um ihre Kinder von jeglichem Verdacht zu befreien. Dennoch deuten die Fakten bald auf einen Täter hin.

Interessant ist die Methode, Eltern und Bekannte erzählen zu lassen. So entsteht niemals eine direkte Sicht auf die Nacht, in der Eden sterben musste. Jedes Kapitel wird aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet, sodass man als Leser erst einmal die Familien kennenlernt und dann deren Urteil zum Tod des Mädchens, das kurz vor dem Schulabschluss stand. Selbstverständlich können die etwas naive Hannah, ihr hitzköpfiger Freund Jack und der Außenseiter Christopher nichts mit der schrecklichen Tat zu tun haben, schließlich finden die Erwachsenen passende Alibis und sehen in den Charakterzügen der Jugendlichen keinen Hang zur Gewalt.

Stephen Amidon legt mit seinem klaren Schreibstil einen angenehm zu lesenden Kriminalroman vor, der sich mit Tatsachen auseinandersetzt, die nach und nach präsentiert werden. Gleichzeitig versuchen etliche Figuren, lang gehütete Geheimnisse zu wahren, um nicht in den Fokus der Polizei zu geraten. Bis zum Ende bleibt es spannend, wie die Wahrheit aussieht und ob diese überhaupt ans Licht kommt, denn wenn der Fall klar scheint, hören die Beamten auf, zu ermitteln und der Verhaftete wird vom Gericht verurteilt.

Hier stehen nicht die Kriminalisten im Vordergrund, sondern die Familien der vier jungen Freunde, deren Umgang mit dem Verbrechen und deren unbezwingbares Bestreben, jegliche Beteiligung nicht nur von sich zu weisen, sondern sogar eher noch den Verdacht auf die anderen zu lenken. Die Villen der Vorstadt gaukeln eine Idylle vor, die es so nicht gibt, ehrliches Interesse an der Wahrheit scheint ebenfalls nicht vorhanden zu sein. Ein interessanter Fall, der den Leser vom ersten bis zum letzten Kapitel sehr gut unterhält.

Titel Das Ende von Eden
Autor Stephen Amidon
ASIN B0BL6GKHPY
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (384 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 2. Mai 2023
Verlag Droemer

Veröffentlicht am 25.06.2023

Schwedensommer 1994

Sommersonnenwende (Wolf und Berg ermitteln 1)
1

Das Autorenduo Pascal Engman und Johannes Selåker setzt den heißen Sommer 1994 in Schweden neu und packend in Szene: Kriminalkommissar Tomas Wolf, verstört von seinem UN-Einsatz in Bosnien-Herzegowina, ...

Das Autorenduo Pascal Engman und Johannes Selåker setzt den heißen Sommer 1994 in Schweden neu und packend in Szene: Kriminalkommissar Tomas Wolf, verstört von seinem UN-Einsatz in Bosnien-Herzegowina, findet im vermeintlich sicheren Schweden eine Frauenleiche, vergewaltigt und ihres Slips beraubt – Ähnlichkeiten zu anderen Frauenmorden wecken seinen Ermittlungsinstinkt. Und Vera Berg, seit Kurzem getrennt von ihrem Freund, der in kriminellen Kreisen verkehrt, versucht bei einer Stockholmer Zeitung Fuß zu fassen mit einem aufsehenerregenden Leitartikel, wodurch sie sich nicht nur selbst Gefahren aussetzt.

Einen ganz besonderen Sommer beschert das Jahr 1994 den Schweden: Gluthitze, Flüchtlinge aus Jugoslawien, dritter Platz bei der Fußballweltmeisterschaft und den Amokläufer Mattias Flink. All diese realen Ereignisse fließen gekonnt in die fiktive Handlung rund um die Frauenmorde in unterschiedlichen Polizeidistrikten ein und ergeben ein rundes und stimmiges Bild. Die beiden Hauptfiguren, Tomas und Vera, blicken abwechselnd aufs Geschehen und passen mit ihren traumatischen Lebensläufen sehr gut in die eher triste, deprimierende Geschichte. Gerade die Verquickung von Privatem mit den Ermittlungen und dem historischen Hintergrund lässt diesen Kriminalroman hervorstechen aus den vielen Neuerscheinungen, das augenfällige Titelbild tut ein Übriges dazu.

Ein flotter Schreibstil begleitet den Leser durch die etwa 600 Seiten, viele verschiedene Figuren sorgen zuweilen für Irritation, aber der rote Faden um die getöteten Frauen und die beiden belasteten Figuren, die sich unabhängig voneinander auf Mördersuche begeben, zieht sich geradlinig durch sämtliche Kapitel. Interessante Themen wie Rechtsradikalismus, Migration, Drogen, Kriegstraumen und anderes mehr zeigen, dass vieles auch heute noch nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Spannend auf unterschiedlichsten Ebenen ist dieser Kriminalroman auf jeden Fall und sorgt mit seinem offenen Epilog dann noch für Neugierde auf die Fortsetzung. Obwohl die Hauptakteure keineswegs Sympathieträger im klassischen Sinne sind, freue ich mich schon darauf.

Titel Sommersonnenwende
Autoren Pascal Engman, Johannes Selåker
ASIN B0C1JLMC4J
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (592 Seiten)
Erscheinungsdatum 1. Juni 2023
Verlag Ullstein
Originaltitel Till minneav en mördare
Übersetzer Ulla Ackermann

Veröffentlicht am 24.06.2023

Haus Nummer achtzehn

Eifelfrauen: Das Haus der Füchsin
1

Das Haus Nummer achtzehn in Altenburg in der Eifel soll Johanna erben. Auch wenn sie viele Fragen stellt, will ihr niemand aus der Familie erklären, warum Tante Lisbeth, die sie selbst nie kennengelernt ...

Das Haus Nummer achtzehn in Altenburg in der Eifel soll Johanna erben. Auch wenn sie viele Fragen stellt, will ihr niemand aus der Familie erklären, warum Tante Lisbeth, die sie selbst nie kennengelernt hat, gerade ihr den Bauernhof überträgt. Allen Warnungen zum Trotz zieht die Tochter des reichen Tabakfabrikanten Fuchs von Trier aufs Land und lernt, wie man mit Haus und Hof zurechtkommt. Eine spannende Zeitreise in die Jahre 1920 bis 1938 beginnt.

Das Dorf Altenburg entspringt der Phantasie der Autorin Brigitte Riebe, würde es tatsächlich existieren, könnte sie es aber nicht lebendiger beschreiben. Die Einheimischen konservativ, gottgläubig und wortkarg, muss man erst ein wenig kennenlernen, bevor sie einem ihr Herz öffnen. Die Jahreszeiten verlangen den Bewohnern der Eifel jeweils viel Arbeit in Feld und Wald ab, dadurch dass jeder jeden kennt, muss man darauf Acht geben, was man sagt und tut. Trotz allem helfen fast alle zusammen, wenn es denn nötig ist und geben schließlich auch Johanna jenen Halt, den sie braucht. Wie anderswo auch, ändert sich die Lage jedoch mit dem aufkommenden Nationalsozialismus, der so manche Familie entzweit.

Bildhaft und detailliert schildert Riebe Johannas Zeit ab deren Volljährigkeit, die damals mit Einundzwanzig festgelegt war. Genaueste Recherchen und eigene Erlebnisse untermauern die interessante Handlung, sodass es nicht an Glaubwürdigkeit mangelt. Die Spanne der gewählten zwanzig Jahre sind sowohl für Johanna, als auch für die politische Entwicklung in Deutschland turbulent und trotzdem in ruhigem Schreibstil verfasst. Obwohl immer wieder weniger ereignisreiche Zeiten übersprungen werden, ist die Geschichte recht ausführlich gestaltet. Während es für mich manchmal fast schon zu viel war, erfreuen sich andere Leser jedoch gerade an den umfassenden Beschreibungen von Arbeit, persönlicher Entwicklung und Politik, die in ihrem Zusammenspiel auch für eine abwechslungsreiche und stimmige Handlung sorgen.

Insgesamt handelt es sich bei den Eifelfrauen um die sehr persönliche Geschichte Johannas, aber auch um die Geschichte der Frau und deren Selbstbestimmtheit generell nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Von der Bevormundung des Vaters in die eines Ehemannes überzugehen, dazu hat Johanna keine Lust und mit ihrem ganz eigenen Weg in die Zukunft ist sie nicht allein. Gerne lese ich im nächsten Band, welches Schicksal Johanna und ihre Lieben noch erwartet.

Titel Eifelfrauen - Das Haus der Füchsin
Autor Brigitte Riebe
ASIN B0BK31PMCS
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (480 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 13. Juni 2023
Verlag Rowohlt
Reihe Eifelfrauen-Dilogie, Band 1

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2023

Ein Klimamärchen zum Aufwachen

Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen
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Thomas (Tom) Horsmith, ein 20jähriger Student und Klimaaktivist, und Montague (Monty) Causley, ein 40jähriger Politiker und Klimawandelleugner, treffen in einem Pub in St. Piran im englischen Cornwall ...

Thomas (Tom) Horsmith, ein 20jähriger Student und Klimaaktivist, und Montague (Monty) Causley, ein 40jähriger Politiker und Klimawandelleugner, treffen in einem Pub in St. Piran im englischen Cornwall aufeinander. Die beiden schließen eine Wette ab, welche sich sofort per Video über das weltweite Netz verbreitet. Wird der Wasserspiegel innerhalb von fünfzig Jahren so hoch ansteigen, dass Causley in seinem Wohnzimmer ertrinkt? Falls nicht, soll sich Tom selbst im Meer ertränken.

Ruhige und besonnene Worte findet Autor John Ironmonger für dieses ungewöhnliche Märchen, das Achtsamkeit reklamiert. Es dauert ein wenig, bis sich der Leser zurechtfindet, obwohl nur wenige Figuren einen Auftritt haben. Die Wette wird abgeschlossen, als schon etliche Aktivisten auf den Klimawandel und seine schwerwiegenden Folgen für die Menschheit hinweisen und erstreckt sich über insgesamt achtzig Jahre, wobei nur wesentliche Zeitpunkte in Szene gesetzt werden. Jedes Mal passieren tiefgreifende Ereignisse, welche den Leser in Atem halten, dennoch habe ich zuweilen das Gefühl von Langatmigkeit. Liegt es am Schreibstil Ironmongers, an seiner Ruhe, mit der er schlimme Umweltveränderungen darstellt? Unaufgeregt berichtet er über schmelzende Gletscher und ansteigende Meeresspiegel, höhere Kohlendioxidwerte und dadurch weniger Wolken, ein steter Kreislauf, der das Leben auf Mutter Erde immer schwieriger, wenn nicht bald unmöglich macht. Eindringlich, aber gelassen erzählt Ironmonger von Tom und Monty. Wer von den beiden wird Recht behalten, wer wird fünfzig Jahre danach ertrinken? Oder legen sie gar ihren Streit bei und einer erkennt, dass der andere richtig gelegen hat mit seiner Einschätzung? Welche Zukunft erscheint realistisch?

Ein interessanter, sehr ruhiger Roman, welcher wachrütteln soll, soferne wir uns nicht dazu entschließen, den Klimawandel als Märchen abzutun. Lesenswert.


Titel Der Eisbär und die Hoffnung auf morgen
Autor John Ironmonger
ASIN B0BJMZLKNZ
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (416 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 24. Mai 2023
Verlag Fischer

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