"Man staunt über die Zusammenhänge"
Selten, sehr selten stößt man in der Gegenwartsliteratur auf Bücher, die man als „groß“ bezeichnen möchte. Schweighausers Korrekturen ist für mich ein wahrlich großes Buch.
Der Autor schlüpft in die Person ...
Selten, sehr selten stößt man in der Gegenwartsliteratur auf Bücher, die man als „groß“ bezeichnen möchte. Schweighausers Korrekturen ist für mich ein wahrlich großes Buch.
Der Autor schlüpft in die Person Armin Schweighauser und zeigt uns die Geschehnisse ausschließlich aus Sicht dieses Protagonisten. Das ist meines Erachtens eine ausnehmend große Autorenleistung, die kleine, enge Welt des Armin Schweighausers so zu schildern, als sei es seine eigene, ohne auch nur einmal der Verführung, allwissender Autor zu sein, zu erliegen.
Schweighauser arbeitet in Abend- und Nachtschicht für eine Zeitungsredaktion als Korrektor. Fehlersuche und –ausbesserung des nachts im Licht der Schreibtischlampe, ein Caféhaus-Besuch bei Tage, freundlich-distanzierter Kontakt zu Kollegen, ab und an eine Zigarette – sehr viel mehr geschieht nicht in seinem Leben, das er selbst als ereignislos und leer erlebt, aber passiv hinnimmt. Die gelegentlich auftretenden Sehstörungen, ein Auflösen der Schriftbilder, die zeitweise Unfähigkeit des Klarsehens bei der Arbeit sind ihm vertraut, beunruhigen ihn nicht, zwingen ihn jedoch für eine Weile zum Blickwechsel, die Augen vom Kleinen ins Weite zu richten… Aus der Teilnahmslosigkeit erwacht er, als ihn der Gedanke anweht „einzugreifen“. Er, der Korrektor, der Garant für Fehlerlosigkeit, entscheidet sich bewusst für Fehler, für eine Kurs-Korrektur, für eine ganz und gar eigenmächtige Wahrheits-Korrektur. Erst sind es nur einzelne Wörter, dann Sätze. Während Schweighauser in zunehmende innere Spannung gerät, passiert in der äußeren Welt nichts, gar nichts. Die Leser bleiben gleichgültig gegenüber der Wahrheit, der manipulierten oder der wahren (falls es die überhaupt gibt). Erst eine Korrektur von großer Tragweite bringt den Ball ins Rollen und Schweighausers Leben in einen Bereich der völligen Machtlosigkeit, die Wahrheit bleibt ohne jegliche Chance. Schweighauser, der mit der Wahrheit gespielt hatte, wird zum Spielball der Wahrheit.
Die langsame, differenzierte, feinziselierte Sprache des Autors korrespondiert mit dem Inhalt des Buches. Nicht alles am Inhalt ist offenkundig, schon gar nicht vordergründig. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich als Leser neu justieren, um die Feinheiten überhaupt wahrnehmen zu können. Manchmal bin ich über Wortbilder gestolpert, die sich mir in den Lese-Weg stellten und sich nicht mehr beiseite räumen ließen, wie z. B. „sich der eigenen Anwesenheit überlassen“.
Ein Buch zum Wieder- und Wiederlesen, unauslotbar, kostbar, in einer sorgsam-feinen Sprache geschrieben – für mich ein großes Buch.