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Veröffentlicht am 16.11.2023

Wenn sich Rassismus vererbt

Die Bäume
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Die Kleinstadt Money im US-Bundesstaat Mississippi im Jahr 2018: Innerhalb kurzer Zeit werden mehrere weiße Hinterwäldler auf brutalste Weise ermordet. Das Bizarre daran ist, dass an den Tatorten jeweils ...

Die Kleinstadt Money im US-Bundesstaat Mississippi im Jahr 2018: Innerhalb kurzer Zeit werden mehrere weiße Hinterwäldler auf brutalste Weise ermordet. Das Bizarre daran ist, dass an den Tatorten jeweils eine zweite, ebenfalls übel zugerichtete Leiche aufgefunden wird, und zwar die eines Schwarzen. Die provinziellen Ermittler sind schnell überfordert, zumal sich die Mordserie bald ausweitet…

„Die Bäume“ ist ein Roman von Percival Everett.

Meine Meinung:
Der Roman ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Das zeigt sich bereits bei dessen Struktur. 108 kurze Kapitel sind auf den rund 350 Seiten aneinandergereiht. Örtlichkeiten und Personen wechseln also in schneller Reihenfolge ab. Erzählt wird aus einer auktorialen Perspektive.

Der Erzählstil ist dialoglastig und von einer recht einfachen Syntax geprägt. In Kombination mit den kurzen Szenen erinnert der Roman dadurch an ein Drehbuch. Dennoch ist der Schreibstil auf den zweiten Blick alles andere als banal. Besonders gut hat mir der Sprachwitz gefallen, der sich durchs ganze Buch zieht. Der Autor spielt beispielsweise auf sehr amüsante Weise mit Namen und Begriffen.

Die Übersetzung von Nikolaus Stingl habe ich trotz ihrer Schwächen insgesamt als noch akzeptabel empfunden. Nach der Lektüre könnte ich mir jedoch vorstellen, dass es sich - sprachlich gesehen - lohnen könnte, den Roman im Original zu lesen.

Das Personal ist sehr umfangreich. Vor allem zu Beginn ist es mir nicht leicht gefallen, die vielen Haupt- und noch zahlreicheren Nebenfiguren zu sortieren. Die Verwirrung hielt aber nur kurz an. Die Charaktere sind zum Teil sehr überzeichnet. Das hat mein Lesevergnügen allerdings noch gesteigert.

Bei dem Roman handelt es sich um einen Genremix. Die Geschichte enthält Krimi-, Horror- und Mysteryelemente und ist zugleich eine Gesellschaftssatire.

Inhaltlich geht es vor allem um den Rassismus und seine Folgen. Der Schwerpunkt liegt auf den Lynchmorden in den Südstaaten der USA. Die menschlichen Abgründe, die in diesem Zusammenhang geschildert werden, machen nachdenklich und betroffen. Obwohl einige Hintergründe ihren Ursprung in der Vergangenheit haben, hat das Thema nichts von seiner Aktualität eingebüßt, wie die „Black lives matter“-Bewegung und deren Motive deutlich werden lassen. Zudem lässt der Roman Raum für eigene Interpretationen.

Die Geschichte überrascht mit einigen Wendungen. Obwohl sie viel Tiefgang besitzt, bleibt das Tempo hoch. Ganz zum Schluss hat mich der Roman mit der außergewöhnlichen Auflösung ein bisschen verloren. Das schmälert den Lesegenuss aber nur wenig.

Der deutsche Titel ist wortgetreu aus dem englischsprachigen Original („The Trees“) übersetzt. Er ist zwar durchaus passend, erschließt sich aber nicht sofort. Das Cover gefällt mir dafür umso besser, weil es auf mehreren Ebenen sehr stimmig ist.

Mein Fazit:
Für seinen Roman „Die Bäume“ wurde Percival Everett völlig zurecht für den Booker-Prize 2022 nominiert. Sowohl in inhaltlicher als auch sprachlicher Hinsicht eine äußerst empfehlenswerte Lektüre, die mich nicht nur sehr gut unterhalten, sondern auch berührt hat. Ich kann mir für diese wichtige Geschichte eine Hollywood-Verfilmung prima vorstellen.

Veröffentlicht am 25.10.2023

Über die spannende Welt der Bücher

Büchermenschen
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Was muss alles passieren, bevor ein neues Buch erscheinen kann? Wie viele verschiedene Menschen sind an diesem Prozess beteiligt? Welche Dinge sind dabei zu beachten?

„Büchermenschen - Wie ein Buch entsteht“ ...

Was muss alles passieren, bevor ein neues Buch erscheinen kann? Wie viele verschiedene Menschen sind an diesem Prozess beteiligt? Welche Dinge sind dabei zu beachten?

„Büchermenschen - Wie ein Buch entsteht“ von Stéphanie Vernet ist ein Sachbuch für Kinder ab acht Jahren.

Meine Meinung:
Das Buch besteht aus zwölf Kapiteln. Eingeleitet wird es mit einem Vorwort der Autorin.

Die kurzen Texte sind über die Doppelseiten verteilt. Manche Fachbegriffe werden erklärt, andere nicht. Alles in allem sind die Beschreibungen jedoch leicht verständlich und damit für Grundschüler geeignet.

Die Illustrationen von Camille de Cussac erstrecken sich jeweils über Doppelseiten. Sie sind sehr farbenfroh und modern gestaltet. Die Zeichnungen bieten viele Details zum Entdecken.

Geboten wird ein umfassender Blick hinter die Kulissen der Verlagswelt. Geschildert wird auf rund 40 Seiten die Entstehung eines Buches vom Schreiben über den Druck bis zur Rezeption. Dabei werden die einzelnen Schritte Stück für Stück erklärt. Dargestellt wird dieser Prozess über die jeweiligen beteiligten Personen. Darunter fallen der Autor, die Lektorin, die Illustratorin, der Gestalter, die Vertreterin, die Druckerin, der Buchhändler, die Literaturkritikerin, der Bibliothekar sowie die Leserinnen und Leser. Zunächst werden diese Personen und ihre Aufgaben erklärt. Anschließend werden detailliertere Aspekte, unter anderem Anekdoten, Beispiele, Zahlen und Fakten, hierzu erläutert.

Bemerkenswert: Die französische Ausgabe wurde nicht nur übersetzt, sondern auch so bearbeitet, dass der Inhalt auf den deutschen Buchmarkt abgestimmt ist. Eine weitere Besonderheit ist, dass die ungewöhnliche Schweizer Bindung verwendet wurde, um diesen speziellen Einband zu veranschaulichen.

Das deutsche Cover entspricht dem französischen Original. Der ursprüngliche Titel („La grande aventure du livre“) ist meiner Ansicht nach allerdings ansprechender formuliert.

Mein Fazit:
„Büchermenschen - Wie ein Buch entsteht“ von Stéphanie Vernet ist ein empfehlenswertes Sachbuch, das sich durch Liebe zum Detail auszeichnet. Eine unterhaltsame Lektüre, bei der auch Erwachsene noch etwas lernen können.

Veröffentlicht am 07.08.2023

Nächtliche Seelen

Nachts erzähle ich dir alles
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Saint Martin in Südfrankreich: Cafébetreiberin Léa sucht eine Auszeit. Doch die Ruhe nicht lange an, denn die 35-Jährige lernt Alice kennen, eine junge Frau, die kurz nach ihrer Begegnung tot ist. Was ...

Saint Martin in Südfrankreich: Cafébetreiberin Léa sucht eine Auszeit. Doch die Ruhe nicht lange an, denn die 35-Jährige lernt Alice kennen, eine junge Frau, die kurz nach ihrer Begegnung tot ist. Was ist passiert? Das will Émile Bernard, der Bruder der Toten, herausfinden und wendet sich an Léa.

„Nachts erzähle ich dir alles“ ist ein Roman von Anika Landsteiner.

Meine Meinung:
Der Roman arbeitet mit zwei Ebenen, was sich bereits im Aufbau zeigt. Einerseits gibt es 21 Kapitel, in denen das gegenwärtige Geschehen in einer personalen Perspektive aus der Sicht von Léa geschildert wird. Andererseits tauchen immer wieder längere Abschnitte mit französischen Überschriften auf, die in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Claire formuliert sind und sich mit der Vergangenheit befassen.

Die Sprache ist atmosphärisch und unprätentiös, aber nicht zu platt. Bildstarke Beschreibungen und viele Dialoge machen den gelungenen Stil aus.

Die Figuren sind klischeefrei und lebensnah gestaltet. Sie verfügen über psychische Tiefe. Die Gedanken und Gefühle bleiben nachvollziehbar und schlüssig.

Inhaltlich dreht sich der Roman vor allem um die weibliche Selbstbestimmung. Darüber hinaus ist die Geschichte sehr facettenreich und behandelt weitere Themen, die ich an dieser Stelle nicht verraten möchte. Es treten menschliche Probleme und Abgründe zutage, die für eine emotional bewegende Lektüre sorgen.

Auf den knapp 350 Seiten regt nicht nur der rätselhafte Tod von Alice zum Weiterlesen an. Auch die persönlichen Geschichten der sonstigen Charaktere machen es schwer, das Buch zur Seite zu legen.

Wer sich beim Lesen schnell in die richtige Stimmung versetzen lassen will, kann die in der Playlist aufgezählten Lieder nebenbei hören. Ein schönes Extra.

Das Cover hat mich, ehrlich gesagt, nicht auf Anhieb begeistert. Umso interessanter und passender empfinde ich allerdings den Titel.

Mein Fazit:
Mit „Nachts erzähle ich dir alles“ kann Anika Landsteiner das Niveau ihrer früheren Romane halten. Auch diese Geschichte hat mich in vielerlei Hinsicht überzeugt und bestens unterhalten. Dafür spreche ich eine klare Leseempfehlung aus.

Veröffentlicht am 05.07.2023

Wenn Luxus und Leid nahe beieinander liegen

KaDeWe. Haus der Wünsche
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Berlin in den 1920er-Jahren: Im KaDeWe hat sich die Verkäuferin Rieke Krause zur Abteilungsleiterin hochgearbeitet. Judith Bergmann dagegen macht Karriere an der Universität. Die beiden Frauen haben noch ...

Berlin in den 1920er-Jahren: Im KaDeWe hat sich die Verkäuferin Rieke Krause zur Abteilungsleiterin hochgearbeitet. Judith Bergmann dagegen macht Karriere an der Universität. Die beiden Frauen haben noch viele Pläne. Aber es kommen Schwierigkeiten auf Rieke und Judith zu.

„KaDeWe - Haus der Wünsche“ ist der zweite Band der Kaufhaus-Saga von Marie Lacrosse.

Meine Meinung:
Mit 31 Kapiteln, die sich über vier Teile erstrecken und von einem Prolog und einem Epilog eingerahmt werden, greift der Roman auf eine bewährte Struktur zurück. Die Haupthandlung spielt zwischen 1927 und 1934 in Berlin. Genauere Orts- und Zeitangaben erleichtern die Orientierung.

Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven. Die Sprache ist anschaulich, der Zeit angemessen, einfühlsam und atmosphärisch. Das Glossar erläutert altmodische und weniger bekannte Begriffe. Zwar empfiehlt es sich, den ersten Band vorher zu lesen. Aber auch ohne Vorkenntnisse gibt es keine Verständnisprobleme.

Erneut stehen Rieke und Judith im Zentrum der Geschichte. Darüber hinaus lernen wir bisher unbekannte Charaktere kennen. Die Figuren sind reizvoll ausgestaltet und wirken glaubwürdig. Ein sehr hilfreiches Extra ist dabei die Personenübersicht.

Diesmal ist der beschriebene Zeitraum weniger umfassend. Inhaltlich ist der Roman jedoch mindestens genauso interessant. Obwohl die Jahre vor der Machtergreifung literarisch bereits häufig bearbeitet wurde, habe ich mich beim Lesen der mehr als 650 Seiten keineswegs gelangweilt. Die Weltwirtschaftskrise und der Aufstieg des Nationalsozialismus bilden den historischen Rahmen. Vor diesem Hintergrund wird die weitere Entwicklung des Kaufhauses geschildert.

Dass die Autorin wieder einmal sehr routiniert und sorgfältig recherchiert hat, ist dem Roman an vielen Stellen anzumerken. Wer sich dafür interessiert, was auf echten Tatsachen und was auf Fantasie beruht, wird im ausführlichen und sehr lesenswerten Nachwort („Wahrheit und Fiktion“) fündig. Weiteren Aufschluss gibt das Quellenverzeichnis.

Das Cover ist zwar etwas austauschbar, passt aber gut zum Genre und zur Reihe. Das gilt auch für den Titel.

Mein Fazit:
Auch mit dem zweiten Band der Kaufhaus-Saga hat mich Marie Lacrosse überzeugt. Der Roman „KaDeWe - Haus der Wünsche“ wurde meinen hohen Erwartungen gerecht, sodass ich ihn Fans historischer Literatur gerne ans Herz legen kann. Ich bin schon jetzt gespannt, mit was uns die Autorin zukünftig überraschen wird.

Veröffentlicht am 04.07.2023

Ein entbehrungsreiches Leben auf dem Land

Das Band, das uns hält
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Das fiktive Städtchen Holt in den High Plains im US-Bundesstaat Colorado im Frühjahr 1977: Die 80-jährige Edith Goodnough befindet sich in einem Krankenhausbett. Vor der Tür hält die Polizei Wache, denn ...

Das fiktive Städtchen Holt in den High Plains im US-Bundesstaat Colorado im Frühjahr 1977: Die 80-jährige Edith Goodnough befindet sich in einem Krankenhausbett. Vor der Tür hält die Polizei Wache, denn die Seniorin wird eines schlimmen Verbrechens beschuldigt: Mord. Wie konnte es soweit kommen?

„Das Band, das uns hält“ ist ein Roman des verstorbenen Autors Kent Haruf, der im Original bereits 1984 erschienen ist und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.

Meine Meinung:
Mit seinen elf Kapiteln, die aus mehreren Abschnitten bestehen, verfügt der Roman über eine bewährte Struktur. Erzählt wird rückblickend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Sanders Roscoe. Die erzählte Zeit erstreckt sich über eine Spanne von rund 80 Jahren, beginnend im Jahr 1977, um die Geschichte ab 1896 aufzurollen.

In sprachlicher Sicht unterscheidet sich das frühe Werk des Autors von seinen späteren Romanen. Der Ton ist rauer, derber, die Wortwahl ein wenig rustikal. Dies war für mich anfangs gewöhnungsbedürftig, passt jedoch gut zur Erzählstimme. Zudem ist der Stil so atmosphärisch und eindringlich wie in den nachfolgenden Holt-Romanen.

Mit Liebe und Feingefühl, aber zugleich mit unverstelltem Blick werden die Figuren beleuchtet. Die Protagonistinnen und Protagonisten sind in Graunuancen gezeichnet. Der Großteil der Charakter ist durchweg weder gut noch böse. Menschliche Schwächen, aber auch Vorzüge treten zutage. Diese differenzierte, psychologisch ausgefeilte Darstellung der Figuren macht sie authentisch und glaubwürdig. Eine weitere Stärke des Romans.

Inhaltlich ist die Geschichte düsterer und schwermütiger als die übrigen fünf Romane Harufs. Der harte Alltag des Landlebens und persönliche Schicksale spielen eine hervorgehobene Rolle. Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl sind weitere große Themen. Die Lektüre ist fordernd und dabei alles andere als leichte Kost. Sie rüttelt auf, macht betroffen und nachdenklich, berührt.

Trotz des eher langsamen Erzähltempos kommt auf den etwa 300 Seiten keine Langeweile auf. Die Frage, was genau Edith angelastet wird, sorgt für eine subtile Spannung. Zudem hat mich der Roman an einigen Stellen überraschen können.

Das Cover passt sowohl zum Inhalt als auch zu den anderen Holt-Bänden. Der deutschsprachige Titel wurde erfreulicherweise wortgetreu aus dem amerikanischen Englisch („The Tie That Binds“) übersetzt.

Mein Fazit:
Auch wenn sein Debütroman nicht zu meinem Lieblingsroman von Kent Haruf geworden ist, hat mich auch diese Geschichte aus dem Holt-Universum in mehrerlei Hinsicht überzeugt. Eines meiner Lesehighlights 2023 und ein Roman, den ich anspruchsvollen Lesern gerne ans Herz legen kann.