Die Rehabilitation einer gründlichen Wissenschaftlerin
Das verborgene GenieMit diesem Buch ehrt die Autorin Marie Benedict eine vergessene Heldin der Wissenschaft, Rosalind Franklin, die die verdiente Anerkennung für ihre richtungsweisende Forschung an der DNA-Struktur zu ihren ...
Mit diesem Buch ehrt die Autorin Marie Benedict eine vergessene Heldin der Wissenschaft, Rosalind Franklin, die die verdiente Anerkennung für ihre richtungsweisende Forschung an der DNA-Struktur zu ihren Lebzeiten nicht genießen konnte. Rosalind Franklins und Raymond Goslings Ergebnisse, die ein langwieriges Sammeln von übereinstimmenden und unumstößlichen Beweisen erforderten, gelangten durch dubiose Listen in den Händen von genau den Menschen, die ihre wissenschaftliche Stringenz verachteten. Diese von Ruhm und Wettbewerb besessenen männlichen Fachkollegen wurden sogar nach Rosalinds frühzeitige Tod für die Entdeckung der DNA-Doppelhelix mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Da Rosalind Franklin in Forschungszentren auf beiden Seiten des Ärmelkanals gearbeitet hat, werden im ganzen Roman die britische und die französische Wissenschaftskulturen der Nachkriegszeit gegenübergestellt. Die Leser:innen bekommen die Gelegenheit, mehreren berühmten Wissenschaftlern dieser Epoche zu begegnen. Forscherinnen scheinen im Buch in Frankreich bessere Karten als in England zu haben, wobei ich mich frage, ob diese Darstellung nicht teilweise verzerrt ist. Die Frauen in Frankreich haben nämlich über 15 Jahre länger warten müssen, als die Engländerinnen, bis sie z.B. wählen durften.
Das herablassende Verhalten einiger Wissenschaftler gilt nicht nur ihren weiblichen Fachkolleginnen, aber auch der politischen Orientierung und sogar den Disziplinen, in denen die Kollegen tätig sind. Der multidisziplinäre Ansatz in der Wissenschaft ist in dieser Zeit gerade noch in den Kinderschuhen. Jedoch ermöglichte es Rosalind Franklin, von der leblosen Kohle zur DNA und lebendigen Viren zu wechseln. Besonders interessant für mich waren zum einen die zahlreichen Szenen im Labor: Die Leser:innen werden mit Beschreibungen der Techniken und Geräten konfrontiert, die Rosalind Franklin und ihre Fachkollegen angewendet haben. Aufgrund der technischen Begriffen kann es auf einigen Leser:innen abschreckend wirken. Aber, ein Buch über eine versierte Röntgenkristallographin, derer Berufung und Leben einzig die Wissenschaft war, muss sich auf ihre Arbeit konzentrieren.
Die für Romanbiografie ziemlich unübliche Erzählung in der Ich-Form wirkt zuerst erfrischend. Der monotone und emotionslose Schreibstils verbreitet leider im Laufe der Seiten zunehmend Langeweile. Aufgrund der von ihr ausgesuchten Form der Romanbiografie und Ich-Form der Erzählung hätte die Autorin sich mehr mit den inneren Gedanken und Gefühlen ihrer Protagonistin auseinandersetzen können. Auch introvertierte Menschen brodeln in solchen ungerechten Situationen, auch wenn man es ihnen nicht ansieht. Die zahlreichen kurzen Kapitel schaffen es auch nicht, dem Buch Spannung zu verleihen, weil sie oft einzelne Ereignisse oder Szenen darstellen, die nicht miteinander wirklich verbunden sind. Es entspricht dem Unterschied zwischen einzelnen Atomen und Molekülen oder Kristallen.
In Ihrem Nachwort berichtet Marie Benedict über zwei Bücher, in denen Rosalind Franklin in ganz unterschiedlichen Weisen dargestellt wurde. Sie gesteht, dass Anna Sayres Biografie, die nach James Watsons Buch ihre langjährige Freundin Rosalind Franklin rehabilitiert, sie zu ihrer Romanbiografie „Das verborgene Genie“ inspiriert hat. Verglichen mit anderer Romanbiografien präzisiert Marie Benedicts Nachwort leider nicht, welche Abweichungen von der Realität sie sich eventuell für ihre Geschichte erlaubt hat.
Fazit: Die Abweichung zwischen Idee und Umsetzung führte zu dieser zwiespältige Bewertung. Für ihre neue Romanbiografie hat Marie Benedict mit der faszinierenden britischen Röntgenkristallographin Rosalind Franklin, derer Arbeit zur Identifikation der DNA-Struktur geführt hat, in der Theorie eine kluge Wahl getroffen… In der Praxis leidet aber die Erzählung unter literarischen Schwächen, wie dem ziemlich monotonen und emotionslosen Schreibstil der Autorin.