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Venatrix

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Veröffentlicht am 16.07.2023

Keine leichte Kost

Verschickungskinder
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Als Autorin und Journalistin Lena Gilhaus von ihrem Vater erfährt, dass er als Kind mit seiner kleinen Schwester auf Kur geschickt worden ist, erwacht ihr Interesse und sie beginnt zu recherchieren. Auf ...

Als Autorin und Journalistin Lena Gilhaus von ihrem Vater erfährt, dass er als Kind mit seiner kleinen Schwester auf Kur geschickt worden ist, erwacht ihr Interesse und sie beginnt zu recherchieren. Auf ihren Aufruf, Kinder, die in Kurheimen zur Erholung waren, mögen sich bei ihr melden, ereilte sie eine wahre Lawine an Rückmeldungen.

Was ursprünglich als „gute Sache“ gedacht war, entwickelte sich recht bald zum Albtraum zahlreicher Kinder. Lena Gilhaus hat mit zahlreichen ehemaligen Verschickungskindern gesprochen. Das Ergebnis ist dieses Sachbuch, das unglaubliche Ereignisse zum Vorschein brachte.

„Kinderverschickung“ ist bei den meisten Menschen mit den Evakuierungen von Kindern während des Zweiten Weltkriegs konnotiert. Doch dieses Buch zeigt, dass die Anfänge dieser Praxis, die bis in die 1980er-Jahre üblich war, ganz woanders liegen, nämlich in der Weimarer Republik.

Lena Gilhaus Recherchen habe ergeben, dass in den Jahren nach 1945 rund 15 Millionen Kinder aus der BRD und DDR zur Kur geschockt worden sind.

Gemeinsam mit ihrem Vater unternimmt sie die Reise in seine Vergangenheit als Verschickungskind. Behutsam, Schritt für Schritt, wie es für ihn angemessen ist, tasten sie sich in seinen Erinnerungen vor, besuchen die Orte des Schreckens und finden den einen oder anderen nur wenig verändert vor.

»Auch wenn der Besuch das Schlimme, Dunkle und Böse nicht wegmacht, bin ich froh, dass ich mit euch hier bin.« Rührungstränen blitzen in seinen Augen. »Für mich war dabei auch unsere Geschwisterlichkeit so schön, um die wir in der Kur betrogen wurden.«


In sechs großen Kapiteln die Autorin allen jenen Kindern eine Stimme, die in diesen Aufenthalten, die ihnen eigentlich Erholung und unbeschwerte Wochen bescheren sollten, missbraucht, verprügelt und gedemütigt worden sind.

Die eigentliche Sauerei ist, dass niemand, weder damals noch heute, die Verantwortung für diese Ereignisse übernehmen will.

„Die Verschickungskinder bleiben auf Bundesebene seit Jahren ungehört. Erst Anfang 2023 erklärt sich das Bundesfamilienministerium plötzlich bereit, »mit den Ländern und Kommunen in einen Austausch über die Verantwortung für das erlittene Leid und Unrecht der ›Verschickungskinder‹« zu treten.“


Fazit:

Das Buch ist keine leichte Kost. Kann es auch nicht sein, deckt es doch Machtmissbrauch an Kindern auf. Gerne gebe ich diesem wichtigen Buch 5 Sterne.

Veröffentlicht am 15.07.2023

Eine gelungene Fortsetzung

Peter kommt später
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In diesem, seinen dritten Fall für Frau Huber zieht Autor Thomas Raab wieder alle Register.

Wieder einmal kommt es im ach so beschaulichen Glaubenthal zu unnatürlichen Todesfällen. Zunächst findet man ...

In diesem, seinen dritten Fall für Frau Huber zieht Autor Thomas Raab wieder alle Register.

Wieder einmal kommt es im ach so beschaulichen Glaubenthal zu unnatürlichen Todesfällen. Zunächst findet man die alte Brucknerwirtin mit ihrem Gesicht im kalten Kaiserschmarren liegen und wenig später ist die 99-jährige Tante Herta tot. Wenn es am gewaltsamen Tod der Brucknerin noch Zweifel gegeben hat, so kann dies bei Herta ausgeschlossen werden: Sie hat ein Messer im Rücken.

Es scheint, als hätte das Dorf die höchste Mordrate pro Einwohner. Oder kommt das nur den Lesern so vor? Natürlich muss Frau Huber die Polizei abermals unterstützen.

Meine Meinung:

Wie schon in „Walter muss weg“ und „Helga räumt auf“ zeigt Thomas Raab, dass hinter dem scheinbar idyllischen Dorfleben Mord und Totschlag lauern. Alte und neu Konflikte brechen zur Unzeit auf - diesmal während des Wahlkampfes zum Bürgermeister.

Der schwarze Humor des Autors ist vielleicht an mancher Stelle ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn seine Charaktere sind mitunter ein wenig überzeichnet. Literarisch sind Thomas Raabs bitterböse Krimis ein Lesegenuss. Wie gewohnt schreibt er auch diesmal locker und leicht, so dass dieses Buch sehr zügig gelesen werden kann.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser gelungenen Fortsetzung 5 Sterne.

Veröffentlicht am 15.07.2023

Ein penibel recherchierter hist. Kriminalfall

Weißtannenhöhe
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Dieser Krimi aus der Feder von Christof Weiglein beruht auf Tatsachen. Er ist die Geschichte eines bis heute ungeklärten Verbrechens.

Auf der Weißtannenhöhe im Hochschwarzwald werden im Mai 1928 Ruth ...

Dieser Krimi aus der Feder von Christof Weiglein beruht auf Tatsachen. Er ist die Geschichte eines bis heute ungeklärten Verbrechens.

Auf der Weißtannenhöhe im Hochschwarzwald werden im Mai 1928 Ruth und Clara Fehrenbach ermordet aufgefunden. Die beiden sind Cousinen und gönnen sich auf während der Pfingstfeiertage ein paar Urlaub. Beide sind Lehrerinnen, die aufgrund des damals herrschenden Lehrerinnenzölibats unverheiratet sind. Der Mörder hat ihnen zweimal in den Kopf geschossen und die Kehle durchgeschnitten. Außerdem sind ihre Leichen bizarr drapiert. Es sieht aus, als wären sie einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen.

Kriminalrat Gerd Tanner und Oberkommissär Hans Kaltenbach, zwei höchst unterschiedliche Charaktere, ermitteln, wie es scheint, zunächst getrennt voneinander. Und dann gibt es noch den überaus ehrgeizigen Kriminalsekretär Benedikt Falk, der als Mitglied der NSDAP sein eigenes Süppchen kocht und dafür buchstäblich über Leichen geht.

Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig. Zunächst werden ein Kriegsversehrter aus Wien und wenig später Johann Geigis, Sohn des Müllers mit Sprachfehler, des Verbrechens verdächtigt. Beide passen perfekt ins nationalsozialistische Weltbild vom Täter des Kriminalsekretärs: der eine Jude, der andere behindert.

Dann kommt Johann Geigis bei einem Unfall in der Mühle ums Leben. Weder Tanner noch Kaltenbach glauben an einen zufälligen Unfall. Nur mit Mühe kann Tanner seinen Chef bzw. den Staatsanwalt davon überzeugen, die Ermittlungen weiterzuführen.

Meine Meinung:

Diese Geschichte um ein wahres Verbrechen wird anhand authentischer Ermittlungsakten und Verhörprotokolle als Kriminalroman zu Ende erzählt. In Wirklichkeit kann der Mörder nicht ermittelt werden.

Autor Christof Weiglein mischt, gekonnt die penibel recherchierten Fakten mit Fiktion. Er zeigt, wie instabil die Weimarer Republik durch die unterschiedlichen politischen Kräfte ist. Die Nationalsozialisten unterwandern Polizei und Justiz. So manch einer wird wegen seines Ehrgeizes zu einem willfährigen Helfer.

Der Schreibstil ist ungemein fesselnd. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es in einer Nacht gelesen.

Am Ende des Krimis gibt es ein ausführliches Personenverzeichnis, das die historischen und fiktiven Personen enthält.

Fazit:

Ein extra fesselnder Krimi, dem ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 15.07.2023

Eine gelungene Fortsetzung

Samson und das gestohlene Herz
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Dieses zweite Buch rund um Samson und Nadjeschda ist nicht nur ausschließlich ein Krimi, sondern ein Spiegel jener Zeit, in der das Alte (das Zarenreich) nicht mehr und das Neue (eine Republik/Diktatur/Anarchie) ...

Dieses zweite Buch rund um Samson und Nadjeschda ist nicht nur ausschließlich ein Krimi, sondern ein Spiegel jener Zeit, in der das Alte (das Zarenreich) nicht mehr und das Neue (eine Republik/Diktatur/Anarchie) noch nicht etabliert ist.

Andrej Kurkow zeigt ein zerrissenes Reich, in dem Willkür und Korruption herrschen. Das ehemalige Zarenreich ist auf dem besten (eigentlich schlechtesten) Weg in den Stalinismus. Doch zuvor kämpfen Rote gegen Weiße, Analphabeten gegen Intellektuelle, Vertreter des Staates gegen die Bürger, Besitzende gegen Besitzlose, eigentlich jeder gegen jeden. Noch dauert es einige Jahre bis zur „verordneten Revolution von oben“ (1928), die mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft die den Menschen ihre Lebensgrundlage entzieht und 1932/33 mit dem Holodomor (Völkermord durch Verhungern) an der ukrainischen Bevölkerung enden wird.

Die Vorboten sind in Andrej Kurkows Roman bereits deutlich sichtbar. Privater Verkauf von Fleisch ist verboten und wird je nach Gutdünken der Polizei auch mit der Todesstrafe sanktioniert. Auch die Verfolgung verschiedener Berufsgruppe wie die der streikenden Eisenbahner, die Nadjeschda und ander Frauen in ihre Gewalt gebracht haben, ist sehr gut beschrieben.

Doch es gibt auch kleine, versöhnliche Episoden wie die Hochzeit zwischen Samson und Nadjeschda, die von Samsons Kollegen, einem ehemaligen Priester, mit einer atheistischen und daher politisch akzeptablen Zeremonie gefeiert werden kann.

Die Mangelwirtschaft macht auch vor der Polizeidienststelle nicht halt. So wird Samsons Anzug gestohlen und aus der Asservatenkammer verschwinden Beweismittel.

Der Titel kann als Allegorie aufgefasst werden, denn es geht nicht nur ausschließlich um Samson, der sein Herz an Nadjeschda verloren hat, sondern auch um Menschen, deren Herz aufgrund der politischen Umstände versteinert ist, sowie um das Schweineherz, das aus einem illegal geschlachteten Schwein verschwunden ist.

Andrej Kurkow ist ein Schriftsteller mit einem feinen Gespür für das Machtvakuum des Übergangs, in der Zeit, in der das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht etabliert ist. Fixer Bestandteil dieser Zeit ist jedoch der Mangel an Moral, in dem es plötzlich auch für Polizisten normal ist, kriminell zu sein.

Der Ausblick in die Zukunft wird vermutlich für Samson und Nadjeschda nur wenig rosig sein.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 13.07.2023

Regt zum Nachdenken an

Zerrüttung
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Anders als in den Vorgängern dieses Werkes rund um Joseph Maria Nechyba ermittelt der nunmehrige Ministerialrat nicht (mehr). Nechyba, dem wir bei seinen Ermittlungen in der Monarchie sowie im Ersten Weltkrieg ...

Anders als in den Vorgängern dieses Werkes rund um Joseph Maria Nechyba ermittelt der nunmehrige Ministerialrat nicht (mehr). Nechyba, dem wir bei seinen Ermittlungen in der Monarchie sowie im Ersten Weltkrieg über die Schulter schauen durften, ist nun pensioniert. Während sein Tagesablauf stets gleich bleibt, ändert sich seit einigen Jahren die Welt rundherum.

Seit dem Zerfall der Donaumonarchie 1918 taumelt die Erste Republik ein wenig. Die Armut nimmt überhand, die Politik schafft es nicht, den Menschen Zuversicht zu geben. Heimwehr und Republikanischer Schutzbund stehen einander unversöhnlich gegenüber, als nach dem Fehlurteil von Schattendorf 1927 der Justizpalast brennt. Die Wirtschaftskrise verschärft sich. Im Nachbarland Italien ist Diktator Benito Mussolini an der Macht und in Deutschland marschieren die Nazis. 1930 wird die Sozialistische Partei Österreichs stärkste Partei, den zersplitterten Konservativen droht die bisherige Macht zu entgleiten. Da nutzt Bundeskanzler Dollfuß die sogenannte „Geschäftsordnungskrise“, um das Parlament aufzulösen und autoritär zu regieren. Dass im Februar 1934 der Bürgerkrieg ausbricht und Österreicher auf Österreicher schießen, muss Nechyba genauso wenig erleben wie die Ermordung Dollfuß‘ und den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland.

Als diese interessanten politischen Ereignisse werden von Joesph Maria Nechyba in seinem Lieblingskaffeehaus kommentiert. Zwar wird er von Kellner Engelbert Nowak immer wieder daran erinnert, hier nicht zu politisieren, doch der Nechyba lässt nicht beirren. Betont hellsichtig kommentiert er die Ereignisse, von denen in den Zeitungen berichtet wird. So sagt er auf S. 50 „Das kann à la longue zu einem Bürgerkrieg führen“. Doch von Woche zu Woche wird die gewohnte Vielfalt der Presse weniger. Immer öfter enthalten sozialistische Blätter weiße Stellen, weil der eine oder andere Artikel der Zensur zum Opfer gefallen ist. Bald schon sind es nicht mehr nur einzelne Beträge, sondern ganze Zeitungen.

“... und plötzlich erschien ihm sein schmutziges Kaffeehäferl eine Allegorie der politischen Situation in Österreich zu sein. Über und über besudelt von schwarzbräunlichen Flecken und Schlieren.“

Meine Meinung:

Gewohnt gekonnt und brillant integriert Autor Gerhard Loibelsberger die politischen Ereignisse in diesen historischen Roman. Die verbindende Figur ist Joseph Marie Nechyba. Wie Perlen auf einer Perlenschnur reiht Gerhard Loibelsberger die Ereignisse auf. Die verbindende Schnur sind Nechybas und Nowaks Dialoge. Daneben dürfen zwei Vorfahren des Autors, nämlich Rudolf und Erich Loibelsberger eine Rolle spielen. Als Vorbotin für alle Denunzianten, Vernaderer und Blockwarte steht die ewig grantelnde und schimpfende Hausberogerinf

Gespenstisch ist die langsame Zerrüttung der Republik, die wie wir wissen, über den Ständestaat direkt in die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg führen wird, dargestellt. Dazu bedient Loibelsberger zahlreicher historischer Quellen wie Briefe und Zeitungsberichte, deren Inhalte wörtlich zitiert werden. So ist der Leser in der Zeit um 1933 mitten drin. Dass hier manche Parallele zur aktuellen Gegenwart aufzutauchen scheint, macht nachdenklich.

„Gegen die Nazi sollte der Dollfuß kämpfen! Die sollte er bekriegen. Die sind die wahre Gefahr für Österreich und seine Demokratie. ln diesem verdammten Bürgerkrieg schlachtete Dollfuß das falsche Schwein.“ (Nechyba kurz vor seinem Ableben/S. 239)

Ja, die Angst vor den Linken hat viele Menschen auf die Rechten vergessen lassen. Und, wie die Menschen nach dem Bürgerkrieg 1934 leidvoll erfahren musste: Wenn sich zwei streiten (Heimwehr und Schutzbund) freut sich ein Dritter.

Fazit:

Ein hellsichtiger Joseph Maria Nechyba, der das Glück hat, die dunklen Zeiten nicht mehr erleben zu müssen. Gerne gebe ich diesem finalen Band der Nechyba-Reihe 5 Sterne und eine Leseempfehlung.