"Ein Leben mehr" ist ein sehr ruhiger Roman, der auch ohne viel Tamtam sehr viel Aussagekraft besitzt. Es geht im Grunde um recht verschrobene Charaktere, die ihr restliches Leben in der Abgeschiedenheit ...
"Ein Leben mehr" ist ein sehr ruhiger Roman, der auch ohne viel Tamtam sehr viel Aussagekraft besitzt. Es geht im Grunde um recht verschrobene Charaktere, die ihr restliches Leben in der Abgeschiedenheit als Einsiedler verbringen wollen. Eine Fotografin ist auf der Suche nach Überlebenden des großen Brandes um diese zu porträtieren und die Puzzleteile einzelner Erzählungen zusammenzufügen. Bei ihrer Suche stößt sie im Wald auf diese kleine, abgeschottete Gemeinschaft. Als sie dann die Tante eines der Männer bei sich aufnehmen passiert etwas sehr rührendes und anmutiges. Marie-Desneige, die ihr ganzes Leben in einem Heim verbrachte, bekommt nun von Ihnen ein ganz neues Leben geschenkt.
Nach einem recht langatmigen Einstieg durch und durch ein sehr ergreifender Roman, der mit Vergänglichkeit und Erinnerungen endet - oder auch gerade erst anfängt. Ich hatte Gänsehaut.
"Hier ruht eine alte Frau mit ihren Hoffnungen und Träumen, sagte die Erde. Ihr Leben passte in ein einziges Jahr, der Rest war unwichtig, den Rest nahm sie nicht mit ins Grab, und an ihrer Seite ruht ihr Gefährte. Er liebte sie, wie man einen Vogel liebt, einen seltenen Vogel, der dir von weit her zugeflogen ist und der sich in deiner Hand ein Nest gebaut hat."
Ich mag es, wie Olga Grjasnowa sehr aktuelle, gesellschaftliche 'Probleme' einfängt, davon erzählt, nicht zu viel erzählt, teilweise gar etwas verwirrt und doch so tiefgründig beleuchtet. In "Juli August ...
Ich mag es, wie Olga Grjasnowa sehr aktuelle, gesellschaftliche 'Probleme' einfängt, davon erzählt, nicht zu viel erzählt, teilweise gar etwas verwirrt und doch so tiefgründig beleuchtet. In "Juli August September" lernen wir Leserinnen Lou und ihre jüdische Familie kennen. Ihr Mann ist ein sehr bekannter Pianist, sie arbeitete in einer Galerie, befindet sich nun allerdings mehr oder weniger auf Sinnsuche. Eines Tages möchte ihre Tochter Rosa bei einer Freundin aus dem Kindergarten übernachten, um dann tränenüberströmt noch am gleichen Abend abgeholt zu werden. Zuhause erzählt sie von einem Buch, das sie bei ihrer Freundin gelesen habe. Ein Buch von Adolf Hitler, der etwas gegen Jungen hätte...oder das Bilderbuch über das Leben der Anne Frank, wie es ihre Mutter vermutete. "Rosa wusste natürlich, dass sie jüdisch war, sie wusste nur nicht, wie viele Menschen aus diesem Grund ermordet worden waren, und ich hoffte, dass es noch eine Weile lang so bleiben könnte." Doch was machen sie jetzt? Rosa war noch nie in einer Synagoge, noch kam sie bislang auch nur in den Kontakt mit jüdischen Traditionen. Wann ist der richtige Zeitpunkt um mit Kindern über so etwas in der heutigen Zeit und mit dem geschichtlichen Hintergrund zu sprechen?
" 'Ich weiß nicht, ob wir sie schon mit fünf traumatisieren sollen', sagte ich.
'Wenn das Judentum traumatisierend ist, sollten wir es vielleicht lassen.'
'Und konvertieren?'
'Gott behüte.' Er küsste mein Ohrläppchen.
Als ich meine Hand an seine Taille legte, sagte er: 'Weißt du, du achtest penibel darauf, dass sie genug Bücher hat, in denen Schwarze Kinder vorkommen. Sie weiß alles über Rosa Parks und Martin Luther King. Aber sie hat noch nie eine Synagoge von innen gesehen.'
'Das einzige Kinderbuch, das es hier über Juden gibt, ist das Anne-Frank-Buch.'
'Und das kennt sie nun', stellte er nüchtern fest.
'Sie glaubt, Hitler hat es geschrieben.'
'Meinetwegen.' Sergej ließ mich los und setzt sich an den Tisch. Auf einmal sah er müde aus. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel. ''Möchtest du Pasta?'"
Ist eine der sehr bezeichnenden Diskussionen zwischen ihnen. Irgendwie sind sie nicht mehr die Familie, die sie einst waren, es ist so etwas wie Erschöpfung eingekehrt. Sergej ist ständig unterwegs, spielt hier und da. Lou... nun ja. Als dann eine Einladung zum 90.Geburtstag ihrer Tante eintrifft und sie, Rosa und ihre Mutter nach Gran Canaria führt, wo sie auf den Rest der Familie, den 'ganzen ex-sowjetischen Clan aus Israel' treffen, wird dieses ganze familiäre noch einmal auf eine ganz andere Probe gestellt. Wie geht man damit um, wenn Erzählungen von früher plötzlich ganz anderes erzählt werden? Wie wenn der eigene Familienzweig in den Schatten gestellt wird? Alle ständig fragen, wann sie sich scheiden lassen? Ihr ständig sagen wie deutsch sie denn wäre. Es ist ein schmaler Grad zwischen wirklicher Wiedersehensfreude und Missgunst und doch scheint Lou garade darin Antworten auf all ihre Fragen finden zu wollen.
"Ich weiß nicht mehr, warum wir das alles tun. Wir geben uns so viel Mühe für eine Religion, obwohl wir nicht an Gott glauben, für eine Vergangenheit, an der kaum etwas gut war, für eine Zukunft, die maximal ungewiss ist, und für eine Identität, die wir selbst nicht mehr verstehen."
Und das ist es, was ich sehr an diesem Roman von Olga Grjasnowa fasziniert hat. Sie gibt keine wirklichen Antworten auf all die vorherrschenden Fragen und Probleme und doch gewinnt man als Leserin einen guten Eindruck von der inneren Zerrissenheit und Verzweiflung. Sehr empathisch und doch so unvorhersehbar ist dieser Roman, der nach dem Lesen leider schon wieder ein wenig verblasst und doch so viele große Themen vereint. Es ist ein kurzer Ausschnitt einer Sinnsuche zwischen all dem Leben, der Einsamkeit, der Religion und Familie. Für die ganz große Begeisterung hat mir etwas gefehlt, aber als eine Art 'Zwischendurch-Roman' fand ich ihn schon sehr groß.
Das Wort Tremor steht für eine Bewegungsstörung, ein unwillkürliches Zittern in den Extremitäten; der Muskulatur. "Tremore unterscheiden sich nach betroffener Körperpartie, Frequenz, Stärke, Ursache und ...
Das Wort Tremor steht für eine Bewegungsstörung, ein unwillkürliches Zittern in den Extremitäten; der Muskulatur. "Tremore unterscheiden sich nach betroffener Körperpartie, Frequenz, Stärke, Ursache und Vorkommen." (siehe Wikipedia) - Ein irgendwie passendes Bild, wenn ich an Teju Coles gleichnamigen Roman "Tremor" [aus dem Englischen von Anna Jäger] denke. In diesem Buch lernen wir Leserinnen zunächst Tunde kennen. Er wuchs in Lagos, Nigeria auf, ging mit siebzehn Jahren in die USA und hält heute Vorträge und lehrt Fotografie an einer amerikanischen Universität. Er nimmt uns mit über den Campus, führt uns in Institutionen und ins Museum, beschreibt seinen Blick auf die Welt, die Kunst und Kultur. Und er nimmt uns mit nach Lagos.
Vielleicht könnte man nun im Entferntesten von einer akademischen Aufstiegsgeschichte sprechen in der Bildung für Tunde einen sehr hohen Stellenwert bekam, wäre da nicht seine Herkunft und die Risse, die sich immer wieder auftun und bis heute sein und das Leben vieler Schwarzer prägen. Kolonialismus, Gewalt, Verlust, Rassismus und Vorurteile... sind Themen, die sich in so viele Dinge der bestehenden, weiß-geprägten Welt eingeschrieben haben, sich hier und da nur in "Frequenz, Stärke, Ursache und Vorkommen" unterscheiden und so immer wieder die unterschiedlichsten Lebensrealitäten bezeugen, ob man es will oder nicht. Ein Blick auf Kunst, Kultur, Geschichtliches und dessen Bedeutung genügt, um zu verstehen, dass dort viel mehr 'erzählt' wird, als nur die EINE Geschichte. Und dass dort noch viel mehr Fragen lauern, als jene, über die wir uns bislang Gedanken machten...
"Wie lebt man, ohne andere zu besitzen? Wem gehört diese Welt? Weiße Menschen haben uns beigebracht, dass die Welt mittels Religion und Kriegsführung beherrscht werden kann, dass sie zum Zweck des Vergnügens und der Forschung gesammelt werden kann, dass sie durch Reisen in Besitz genommen werden kann - dass Besitz dem zusteht, der ihn sich nimmt und verteidigt. Wie lebt man, ohne das Leben der anderen zu kannibalisieren, ohne sie zu Maskottchen, Faszinosa, bloßen Begrifflichkeiten in der Logik zu einer dominanten Kultur zu reduzieren?"
Was nun, bei diesen wenigen Zeilen, schon deutlich wird, ist dass es sich bei "Tremor" um keine leichte, eingängige Lektüre handelt. Cole schreibt einerseits über eine Lebensgeschichte, andererseits durchbricht er diese Erzählung immer wieder mit zahlreichen Gedanken und Themen, die es schwer machen eine eindeutige und chronologische Handlung zu finden. Für mich ist es so auch eher eine Art Ergänzung zu anderen Romanen wie "Weiße Flecken" von Lene Albrecht oder "Issa" von Mirrianne Mahn, die zwar auch an einigen Stellen nur Fragmente enthalten, aber durch ihre Handlung und Geschichte eine viel emotionalere Bindung zu den Leserinnen ermöglichen. "Tremor" ist mehr so eine kluge, intensive Auseinandersetzung mit zahlreichen Themen von Kolonialismus, Rassismus, Korruption, Bildung, deren Einfluss auf die Fotografie, die Kunst und das kulturelle Erbe, bis hin zu Gedanken und Beschreibungen über die Situation in Nigeria - außerhalb, wie innerhalb. Mensch(sein). Mal sind es mehr tiefgründige Gedanken, Gedankenverkettungen, mal mehr Beschreibungen des Gesehenen, Geschehenen oder der Versuch einer Erklärung für die jeweiligen Lebensverhältnisse. Und ich glaube, das mag ich an diesem Buch besonders... das Aufbrechen bekannter Perspektiven, wenn auch Schwarze Stimmen immer mehr Gehör finden und vieles fast schon logisch erscheint, so ist es immer wieder bereichernd noch einmal von einer anderen Lebensrealität, einen anderen Bezug oder mehr Wissen über xy zu erfahren oder wann hat man sich schon mal Gedanken über Hotels gemacht? oder ob ein Land überhaupt für die Herstellung von Produkten gemacht ist? Cole präsentiert dabei, wenn es um Fotografie oder Kunst geht oder um die Bennin-Statuen oder das Gemälde "Sklavenschiff (Sklavenhändler werden Tote und Sterbende über Bord - ein Taifun zieht auf) , keine vorgefertigte Lösung eines Bessergebildeten für den Umgang eben jener Überlieferungen, er zeigt Gedanken auf, hilft als Außenstehender Gegebenheiten besser einzuschätzen und zeigt zeitgleich unseren unempathischen Umgang mit all den mitschwingenden Themen der geschichtlichen Prägung.
"Jeder Mensch erschließt sich die Welt aus einem persönlichen Blickwinkel, was dieses Wissen nicht schmälert. Jeder Mensch begreift das Leben auf der Grundlage kleiner persönlicher Ereignisse. Die eigene, unmittelbare Erfahrung ist das, was zählt. Nur wenn wir uns auf das stützen, was wir wissen und was wir erlebt haben, können wir uns in größere Zusammenhänge begeben."
...und gerade dabei hilft dieses Buch und diese kluge, intellektuelle Auseinandersetzung ungemein. Da es dennoch ein etwas spezielleres Buch ist und zeitweise intensiv und anstrengend, nur eine vorsichtige Empfehlung.
Häftling Ansel Packer. 999631. Der Mädchenkiller. Viele Jahre vergingen um ihn zu überführen. Viele Jahre in denen er versuchte wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Eine Familie und die Freiheit ...
Häftling Ansel Packer. 999631. Der Mädchenkiller. Viele Jahre vergingen um ihn zu überführen. Viele Jahre in denen er versuchte wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Eine Familie und die Freiheit (wieder) zu finden oder sein Trauma aus der Kindheit zu verarbeiten. Drei Mädchen verschwanden spurlos. Izzy, Angela, Lila. Und an allem ist nur er schuld. Damals war er gerade mal 17 Jahre alt, als er ihrem Leben ein Ende setzte. Und nun soll ihm das gleiche Schicksal ereilen. In 12 Stunden ist es soweit. In 12 Stunden ist seine Hinrichtung. Doch er will nicht sterben, er möchte nur endlich verstanden werden.
Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen, noch wo ich enden soll, denn dieser Thriller über die Vergehen eines Serienmörders ist anders. Der Fokus liegt hier nicht auf einer selbstgefälligen Handlungsbeschreibung eines Täters oder in reiner Ermittlungsarbeit. Danya Kukafkas „Notizen zu einer Hinrichtung“ (Übersetzung von Andrea O'Brien) ist wahrlich eine Sammlung unterschiedlicher ‚Notizen’, die den Blick freiräumen auf die Gefühle, Geschehnisse und Geschichten der Opfer. Die Frauen, die unter Ansel und seinem Wesen gelitten haben, sich selbst Vorwürfe machten, auf ihn hereinfielen, einen Fehler begingen, ihn kränkten, ihm glaubten... Die eigentliche Ursache für seine Taten ist kaum bekannt, ein möglicher Auslöser in der schweren Kindheit zu finden. Eine Entscheidung und Handlung, die binnen weniger Sekunden, das ganze Leben auf den Kopf stellt und doch nie eine Befriedigung. Es ist die Mischung aus Schmerz, Kränkung, Verletzung die auf beiden Seiten tiefe Wunden aufreißt und eine Kommissarin der Mordkommission aufgrund fehlender Beweise alle Regeln übergehen lässt.
Die Einblicke in die Gefühlswelten, die unterschiedlichen Charaktere/Protagonistinnen, Sprünge in der Zeit, Ermittlungen, persönlichere Sequenzen, das alles macht diesen Thriller aus und das so lebhaft, so nahbar, die scheinbare Überlegenheit der Männerwelt so befremdlich.
Binnen kürzester Zeit war ich wie in einem Rausch und konnte dieses Buch kaum noch aus der Hand legen. Gut, so zwei/drei Längen gab es und vielleicht hätte etwas mehr Tempo an einigen Stellen sehr gut getan, aber die Komposition, die Komplexität und die Einblicke ließen mich, trotz bekanntem Ende, dranbleiben… und das ist für einen Thriller schon so eine Kunst für sich. Ein starkes Buch mit einer mehr als interessanten Aussage: „Niemand ist nur böse. Niemand ist nur gut. Wir alle leben unter Gleichen in der Grauzone dazwischen.“
Alex hat es drauf sich bei anderen durchzuschnorren, sich einen Lebensstil anzueignen, der gar nicht zu ihr und ihrem Background passt, und allen mit der Zeit mehr Schaden als Freude zuzufügen... bis eben ...
Alex hat es drauf sich bei anderen durchzuschnorren, sich einen Lebensstil anzueignen, der gar nicht zu ihr und ihrem Background passt, und allen mit der Zeit mehr Schaden als Freude zuzufügen... bis eben das selbst erbaute Kartenhaus zusammenfällt. Schon in NewYork versuchte ihre WG sie zu meiden, bei anderen hatte sie Schulden, man lauerte ihr vor der Haustür auf und Alex suchte dringend nach einem Ausweg aus ihrer Misere. Und dann war er plötzlich da. Sie fand Simon, ihren wohlhabenden, deutlich älteren Retter mit einem Sommerhaus in den Hamptons. "Und es tat gut, jemand anderes zu sein. Zu glauben, und sei es nur einen halben Moment lang, die Geschichte sei anders. Alex hatte sich ausgemalt, was für eine Person Simon gefallen würde, und das war die Person, die Alex ihm vorgab zu sein. Alex' ganze abgeschmackte Vergangenheit wurde herausgelöst, bis es sogar ihr selbst allmählich so vorkam, als wäre nichts davon je passiert." Sie lebte sich ein, umgarnte ihn, passte sich an. Er machte ihr Geschenke, kaufte ihr teure Kleider, vieles, was sie älter als 22 wirken lassen sollte und sie schenkte ihm dafür sich selbst und ihre Aufmerksamkeit. Doch dann passieren verschiedene Kleinigkeiten, Unfälle, die Simon wieder in Ordnung bringen würde... zumindest glaubt sie es, bis es irgendwann einfach zu viel wird und er sie vor die Tür setzt.
“Er war sauer auf sie, ja. Genau in diesem Moment. Aber sie kannte Simon. Den Teil seiner Person, der einsam und gierig war und Angst hatte, nicht die Dinge zu kriegen, die er wollte - er würde anfangen, sie zu vermissen. Schon sehr bald.”
Doch ist es wirklich so? Alex versucht ihm etwas Zeit zu geben, sich weiterhin so durchzuschlagen, nicht aufzufliegen, sich zugedröhnt Menschen aufzudrängen, mit ihnen Zeit zu verbringen oder besser gesagt eine Unterkunft zu finden. Sie kann nicht zurück in die Stadt, sie weiß, dass man dort auf sie warten würde. "Die Party [bei Simon] war schon in wenigen Tagen. Dies war nur eine Wartezeit, damit Simon sich beruhigen konnte, eine Pause. Dann würde alles wieder sein, wie es war." So ihr heimliches Mantra. Bis zur Party muss sie es schaffen und dann wird sicher alles wieder gut...
Diesen Roman von Emma Cline finde ich wahnsinnig faszinierend. Nicht nur, weil Alex eigentlich eine sehr unsympathische Protagonistin und Hochstaplerin ist und sie es doch immer wieder schafft, die Menschen um sie herum zu überzeugen, sowie die Leserinnen in ihren Bann zu ziehen. Sondern auch, weil man gerne Clines Geschichte folgt, auf das große Unglück wartet, das dank Alex' Schauspiel, wieder und wieder nicht eintritt, und man ist mehr oder weniger sehr lange davon überrascht, dass eben nichts passiert. Alex versucht so lange wie möglich ihre Fassade aufrecht zu halten, versucht sich anzupassen, durchzuschlagen, einen gewissen Lebensstil vorzugeben... alles, was sie eigentlich so gar nicht hat und ist. Und das funktioniert in einer Welt, in der sich alles um die eigene Persönlichkeit dreht, scheinbar sehr gut. So sieht man sich als Leserin mit einem sehr interessanten, gesellschaftlich-menschlichen Phänomen konfrontiert. Menschen, wie Alex, die um jeden Preis ein wohlhabenderes Leben leben wollen, vieles nur vorgeben und damit im Leben sehr weit kommen, vielleicht aber auch sich selbst hintergehen, prallen auf Lebensrealitäten einer vermögenderen Gesellschaftsschicht und damit auf Menschen, die sich vieles leisten können, sich doch sehr einsam fühlen und bereits ihren Kindern ein sehr egozentrisches Weltbild vermitteln, während ärmere Menschen komplett ausgeblendet werden, in ihren Augen gar verschwinden. Und die Grenzüberschreitungen, ihr steter Kampf um Simons Gunst, die Macht von Manipulationen, der Täuschung, vielleicht sogar dem bewussten getäuscht werden... ein sehr interessantes, sommerliches Schauspiel, das zeitgleich sehr viel über das bestehende Vermögens-/Machtgefälle und die Abhängigkeiten in der Welt offenbart. Und über den Menschen selbst. Was macht eine Geschichte glaubhaft? Kann man wirklich seine eigene Herkunft und seinen Werdegang überschreiben? Wie lange kann man dieses Spiel aufrecht erhalten? Und was sagt das alles über unseren doch recht oberflächlichen Umgang miteinander aus?
“Im Wasser war sie genau wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches an einer jungen Frau, die allein im Meer schwamm. Unmöglich zu sagen, ob sie hierhergehörte oder nicht.”
Cline gibt in ihrem Roman keine wirklichen Antworten, was es bedarf um 'hierherzugehören', sie schildert mehr Alex k(r)ampfhaftes Überwasserhalten, bis eben zu jener Party, die alles retten soll. Und das ist eine wirklich sehr überzeugende Beobachtung, wenn auch die Lösungswege hin und wieder von ein paar fragwürdigen Ideen begleitet werden. Ich bin jedenfalls angefixt und möchte nun unbedingt mehr von Emma Cline; hier in der Übersetzung von Monika Baark, lesen.