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Veröffentlicht am 12.12.2023

Vom Bleiben und Verschwinden

Hinter der Hecke die Welt
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Vor einer Weile habe ich Johanna Sebauers Roman "Nincshof" gelesen und war sehr begeistert von dieser eher unterhaltsamen Geschichte in der eine kleine Gruppe alles dafür tut, damit ein Dorf von der Landkarte ...

Vor einer Weile habe ich Johanna Sebauers Roman "Nincshof" gelesen und war sehr begeistert von dieser eher unterhaltsamen Geschichte in der eine kleine Gruppe alles dafür tut, damit ein Dorf von der Landkarte und aus dem Gedächtnis der Menschen verschwindet. Abgeschiedenheit gilt hier als eine Art Flucht vor einer verrückten, anstrengenden Welt. Im Herbst erschien nun mit Gianna Molinaris Roman "Hinter der Hecke die Welt" sowas wie ein entsprechendes Pendant. Die Geschichte ist schnell erzählt, denn in ihrem Buch liegt der Fokus auf einem Dorf, das immer weiter schrumpft. Ein Dorf, in dem die (verbliebenen) Kinder Pina und Lobo nicht wachsen, vieles stehengeblieben scheint und in dem "das Aufregendste, was geschieht, das Wachsen der Pflanzen ist." So wie eben jene Hecke am Westrand, die Tourist*innen in den Ort lockt und alles irgendwie am Leben hält.
"Wie die Hecke ins Dorf gekommen war, wusste niemand. Vielleicht war zuerst die Hecke da gewesen und erst dann das Dorf. Vielleicht wurde die Hecke zur Abwehr des Windes gepflanzt, der hier fast immer über die Dächer der wenigen Häuser zog und ohne Hecke noch wildere Wege ginge. Vielleicht wurde sie aus ästhetischen Gründen gepflanzt oder als Sichtschutz, wobei unklar blieb, welchen Blick sie hätte verbergen sollen, den Blick nach draußen ins Umland oder den Blick von Dort ins Dorf."

Oder vielleicht ist die Hecke auch etwas, was die Welt zurückhält und gerade deshalb so viel Faszination ausübt - für die beiden Kinder des Dorfes, die von der Welt dahinter abgeschirmt aufwachsen und gleichzeitig von ihr angezogen werden, sowie von eben jenen Besuchern, die mit dem Bus ins Dorf gebracht und nach ein paar Fotos und Schritten um die Hecke wieder weggebracht werden. Was jedoch immer bleibt, egal, was passiert, ist die Angst vor dem Verschwinden.

Und gerade diesen Gedanken, der mit der Natur bzw. Hecke steht und fällt, fand ich unglaublich spannend. Die Angst vor Verschwinden, vor einer sich wandelnden Welt, vielleicht sogar der Zukunft im Allgemeinen. Molinari nähert sich auf zwei verschiedenen Ebenen dem Wandel der Natur oder dem Versuch des Menschen die Oberhand über die Natur zu gewinnen. Einerseits lernen wir die Geschichte aus Sicht der Kinder kennen, die in diesem aussterbenden Dorf leben. Und dann ist da noch Pinas Mutter.

"Pinas Mutter Dora lebte auf einem Forschungsboot in der Arktis. Sie sammelte dort zusammen mit einer Meeresforscherin Sedimentproben vom Meeresgrund, um daraus Informationen herauszulesen, über das Schmelzen der Gletscher, über die Veränderung des Klimas, über das Verhalten der Gletscher im veränderten Klima."

Es sind die leisen Töne, die großen Bilder und Anekdoten, die diesen Roman ausmachen. Der Mensch kämpft gegen die Veränderung an und ist doch so hilflos. Die schmelzende Arktis, Brände, die Gefährdung von Bäumen oder eben Hecken, das Zurückdrängen und Töten von Tieren steht in Beziehung zum Leben der Menschen bzw. in diesem Fall eines ganzen Dorfes. Und das ist dann auch schon fast alles, was man darüber erzählen kann, so wie eben auch dieser Ort in wenigen Worten beschrieben ist. Ich empfand dieses Buch weniger mitreißend, recht überschaubar und auch sehr konzentriert auf die (Nicht-)Veränderung.
Obwohl ich nun nicht behaupten würde, dass es ein Lesehighlight geworden ist, macht Molinari sehr bewusst darauf aufmerksam, wie wir mit der Natur, unserer Grundlage umgehen und wie abhängig wir zeitgleich von ihr sind. Und das ist dann vielleicht auch schon der Punkt in diesem Buch und entweder findet man sich darin oder sehnt sich nach anderem, aufregenderem hinter der Hecke.

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Veröffentlicht am 30.11.2023

Tolle Geschichte, mit Abzügen

Marschlande
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Was "Marschlande" von Jarka Kubsova betrifft, bin ich sehr zwiegespalten. Denn einerseits hat mich die Geschichte rund um Abelke und ihren Hof sofort mitgerissen und durch dieses Buch getragen. Andererseits ...

Was "Marschlande" von Jarka Kubsova betrifft, bin ich sehr zwiegespalten. Denn einerseits hat mich die Geschichte rund um Abelke und ihren Hof sofort mitgerissen und durch dieses Buch getragen. Andererseits nervte mich Brittas Erzählstrang schon von Beginn an wahnsinnig. Diese Naivität, diese überraschenden, teils aus dem Hut gezauberten, Vorfälle und diese übertriebenen Emotionen... fand ich, ehrlich gesagt, sehr schlimm. Hätte ich Brittas Erlebnisse nicht teilweise nur überflogen, hätte es mir sicherlich auch die Freude an diesem Roman genommen. Ich habe zwar verstanden, dass Kubsova die damaligen Geschehnisse und Abelkes Erlebnisse von übler Nachrede, Vertrauen und Trennung und Co in die heutige Zeit überführen wollte, aber in dieser Form und mit Brittas Nachforschungen in Kombination mit diesen unglaubwürdigen Entwicklungen im Ort und mit ihrer Familie ergab es leider kein rundes Gesamtbild. Dennoch hat sie damit sehr gut gezeigt, welche Auswirkungen Neid, Gier und Missgunst haben können und konnten. Und wie schnell so ein Gerücht oder besser gesagt die Zuschreibung "Hexe" die Runde macht, nur weil sich jemand etwas nicht erklären kann oder wahr haben will und wie schnell so ein losgetretenes Feuer einen Menschen zu Fall bringt, insbesondere, wenn es sich dabei um eine Frau handelte, beweist Abelkes Erzählstrang mit einer ungeheuren Kraft. Übertragen in die Neuzeit wäre Mobbing wohl das passende Pendant dazu, zwar ohne Scheiterhaufen - ein Glück - dafür ähnlich schlimm.
Ob es nun sinnvoll ist, die Schlussszene bereits an den Anfang zu stellen und somit Abelkes Verurteilung vorwegzunehmen oder gerade dies neugierig macht, möchte ich an dieser Stelle nun nicht ausdiskutieren. Dieser Roman hat schon viel lesenswertes und lebt von den historischen Gegebenheiten mit denen sich Kubsova sehr intensiv auseinandersetzte. Ein bisschen mehr damals, ein bisschen weniger heute oder nur Abelkes Geschichte hätte mir voll und ganz ausgereicht und vielleicht wäre es dann mein Lieblingsbuch des Herbstes geworden, aber so habe ich's dann doch lieber weitergereicht.

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Veröffentlicht am 06.10.2023

Erst hui, dann hmm.

Das Pferd im Brunnen
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Ich tue mich wirklich schwer etwas über Valery Tscheplanowas Roman "Das Pferd im Brunnen" zu sagen, zu sehr war ich begeistert und enttäuscht zugleich. Hätte Tscheplanowa sich auf die Geschichte der Familie ...

Ich tue mich wirklich schwer etwas über Valery Tscheplanowas Roman "Das Pferd im Brunnen" zu sagen, zu sehr war ich begeistert und enttäuscht zugleich. Hätte Tscheplanowa sich auf die Geschichte der Familie mit Urgroßmutter Tanja konzentriert, wäre dies womöglich eins meiner liebsten Bücher geworden, zu sehr hat mich diese Beziehung zwischen ihr und ihrer Urenkelin mitgenommen, aber als nach etwa 50 Seiten Mischa und Nina im Fokus der Erzählung stehen, verliert diese Geschichte für mich nach und nach ihre Besonderheit und den Glanz, die Wärme und leider dann auch mein Interesse. Gerade die bildhafte, poetische Sprache, die Beschreibungen, die unterschiedlichen Charaktere, das leichte Russische, der Aberglaube... haben mich zu Anfang wahnsinnig begeistert. Ich liebte bereits das Bild des seit neun Jahren leerstehenden Schaukelstuhls, als Beginn einer Spurensuche nach der eigenen Herkunft und Familiengeschichte. Das Zitat, das sich zugleich auf der Rückseite des Buches befindet...

"Als ich sie kennenlernte, war ich siebzehn. Ich hatte sie oft gesehen, als Kind, aber sie war stets unterwegs vom Einkaufen zur Arbeit, von einer Wartschlange zur nächsten auf hohen Absätzen mit strammen Fesseln, die kleinen Brüste stets frech nach vorn gestreckt, laut und zornig und so charmant mit ihren kleinen, flachen Zähnchen lächelnd. Ich wusste nicht, ob ich sie mochte."

machte mich neugierig und formte erste Bilder einer vielbeschäftigten Frau, deren Geschichte sich Walja und die Leser*innen langsam nähern, aber dann wurde es für mich einfach nur noch mühevoll, kühl und distanziert, was natürlich einerseits auch ihrem Charakter, der beschriebenen, schwierigen Zeit und Gesamtsituation innerhalb der Familie geschuldet ist, andererseits fühlte es sich plötzlich wie ein ganz anderes Buch an, das mich inhaltlich etwas überforderte, mich abdriften ließ, leider auch langweilte und mich so dann einfach nicht mehr begeistern konnte.

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Veröffentlicht am 14.08.2023

Doris Knechts Auseinandersetzung mit einem neuen Lebensabschnitt... gemischte Gefühle über den Auszug der eigenen Zwillinge

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Was es für eine alleinerziehende Mutter heißt, wenn die Kinder groß werden, in die eigenen vier Wände ziehen wollen und dann ausziehen, spürt Doris Knecht in ihrem autofiktionalen Roman "Eine vollständige ...

Was es für eine alleinerziehende Mutter heißt, wenn die Kinder groß werden, in die eigenen vier Wände ziehen wollen und dann ausziehen, spürt Doris Knecht in ihrem autofiktionalen Roman "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" nach.


“Ich würde gern an einen Ort heimkommen, der so ist, wie ich ihn verlassen habe, aufgeräumt und still. Ich glaube, ich würde gern alleine leben. In dieser Wohnung wird das nicht gehen, so viel ist sicher, dafür reicht das Geld nicht.”


... ist ein Wunsch und Gedanke den Doris Knechts Protagonistin hier und da ausspricht, sich mit neuen Lebensumständen konfrontiert sieht, für die sie schleunigst eine Lösung braucht. Wie wird die Zukunft ohne das Zusammenleben mit ihren beiden Kindern aussehen? Was kann sie sich leisten? Und wohin mit dem ganzen Krempel und den Erinnerungen, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben? Ihre aktuelle Wohnung mit 140qm bietet ausreichend Platz, Stauraum und eben auch Unmengen an Souvenirs, die alle mit ihrem Leben, Geschichten, anderen Menschen, Freunden und Zeiten verknüpft sind. Kann sie sich wirklich einschränken und in etwas kleineres ziehen? Sie hasst Veränderungen und gleichzeitig spürt sie die Freiheit, die auf sie wartet. "Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe" ist nun so eine Mischung aus Anekdoten, Erinnerungen und dem Lauf der Dinge. Die Protagonistin Doris Knecht erzählt neben ihren Wünschen, Sorgen und Ängsten von ihrer Kindheit, wie es sich anfühlt eine von fünf Geschwistern zu sein und lässt erahnen, was sie und ihre Eltern empfanden, als sie damals das Eigenheim der Familie verließ und ins knapp 700 km entfernte Wien zog. Sie blickt auf ihre Beziehungen zurück, auf Freundschaften, das gemeinsame Haus und das Leben mit ihren zwei Kindern in dieser Wohnung mitten in Wien - mal sehr nah und lebendig, mal eher kühl und berichtend. Und dann ist es soweit, der Aufbruch, der sich dann doch so ganz anders anfühlte, als ursprünglich gedacht...


“Ich habe mir das sogar redlich verdient. Fast vierzig Jahre lang verwahrte ich mich eisern gegen das Verspießern. Jetzt, wo die Zwillinge ausgezogen sind, wo ich zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr kümmern muss: Jetzt möchte ich gern ein wenig beige werden dürfen, oder greige oder was auch immer. Jetzt freue ich mich über ein bisschen Ruhe und Langeweile, über meine Ordnung und meine Geräusche. Über diese neue Freiheit, die mich jetzt einen Streifen Horizont sehen lässt.”

Am Ende dieses Buchs schwanke ich etwas zwischen "Ach, das war nett." und "Woah, ging mir diese Jammerei auf den Keks, sowas unsympathisches.". Nett fand ich vor allem die eher persönlichen Gedanken und Ausflüge, die beschriebenen Momente mit den Kindern Mila und Max und insbesondere die letzten knapp 80 Seiten dieses Romans, als sich endlich alles zusammenfügt, jede*r seine/ihre Wohnung gefunden und sich eingerichtet hat bzw. generell der vorherige Gedankenwust endlich aufbricht. Knechts Protagonistin denkt häufig über den sozialen Abstieg nach, verbindet "arme Menschen" mit kleinen Wohnungen oder sie macht sich Gedanken über das, was andere von ihr denken könnten, wie sie Peinlichkeiten oder Mitleid empfinden könnten oder eben... "Später rekonstruiere ich das Bild, das ich abgegeben haben muss: das einer kurzsichtigen, etwas zu jungen Rentnerin, die es in ihrem Beruf irgendwie verkackt hat, jetzt von ihrer Mindestpension leben muss und sich deshalb nur Discountprodukte leisten kann." Dass sich die Familie nun auch keine Putzfrau mehr leisten kann, die wöchentlich sauber macht, sondern nur noch alle zwei Wochen vorbeikommt und die Miete ihr über den Kopf wächst, während sie noch ein Eigenheim auf dem Land und eine knapp 40qm große Wohnung bzw. Werkstatt als ihr Eigentum verbuchen kann... nun ja, irgendwie ist mir da dieses ständige Jammern um das Finanzielle dann doch sehr auf den Keks gegangen. Dieses krampfhafte "Ich mag Veränderungen nicht. Ich will, dass alles so bleibt, wie es ist, solange es einigermaßen geht. Wo werde ich wohnen? Wie werde ich leben? Wo werden meine Kinder sein? Wie oft werde ich sie sehen?", das als nerviger Aufwand beschriebene Vermieten der zweiten Wohnung und die damit verbundenen 'Probleme' "Die Werkstatt ist klein, nur vierzig Quadratmeter, nur ärmere Leute nehmen sich so eine kleine Wohnung, ich kann dafür nicht viel Geld verlangen, muss aber für das Geld, das ich bekomme, Steuern bezahlen..." und und und ist mir zwischenzeitlich sehr negativ aufgestoßen. Gegen Gedanken und Ängste hat niemand etwas einzuwenden, aber so fand ich es schon fast frech oder gemein gegenüber anderen, die sich diesen Status nicht leisten können oder von noch weniger leben und damit vielleicht sogar noch zufriedener und glücklicher sind. Und gerade das habe ich nicht erwartet. Zwar gibt es hier und da sehr interessante Gedanken, Zusammenhänge zwischen früher und heute und ein paar sehr sympathische Einblicke in das Leben der Autorin, aber erst so gegen Ende geht es so wirklich um den Aufbruch in ein neues Leben, den erwarteten Auszug, die Erinnerungen, die an einzelne Gegenstände und Bilder geknüpft sind, das Aussortieren und neu Einfinden. Und, ich glaube, hätte der Fokus dieses Buches mehr auf diesem Teil gelegen, hätte ich sehr viel mehr mitgenommen und vielleicht auch mehr gefühlt, mehr Fröhlichkeit gespürt, denn vieles empfand ich eher trocken berichtend, wiederholend, gar eintönig oder eben jammernd und das auf recht hohem Niveau. Ein merkwürdiges Bild. "Immerhin bekam ich, bevor sie [die Therapeutin] mich ins Leben entließ, ein paar wertvolle Ratschläge wie den, nicht so viel über meine Phobien zu erzählen. Vor allem nicht in meinen Texten, sie meinte, ich würde damit den Leuten ein merkwürdiges Bild von mir vermitteln, das schwer wieder zu korrigieren sei. Es tauche meine Persönlichkeit in eine dunkle Farbe, die nicht mehr so leicht abgehe." Und eben dieses Jammernde habe ich nun neben den vorherigen Romanen, der sympathischen Schusseligkeit, dieser sehr angenehmen Gemeinschaft der Familie und diesem Bild der starken, alleinerziehenden Frau nun immer vor Augen... ich fürchte, ich hätte sehr gerne auf diesen Eindruck verzichtet. Vielleicht ist es eher ein Buch für Menschen, die sich in ähnlichen Situationen und Gesellschaftsklassen befinden, für mich waren es am Ende leider nur einzelne Szenen und Ausschnitte, die ich wirklich mochte und als bereichernd empfand.

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Veröffentlicht am 18.07.2023

Ein nettes Buch, nicht mehr, nicht weniger

22 Bahnen
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Irgendwie finde ich es immer spannend, wenn Bücher von vielen Menschen sehr gefeiert werden. Gerade „22 Bahnen“ von Caroline Wahl tauchte in der letzten Zeit recht häufig hier und da auf und sorgte für ...

Irgendwie finde ich es immer spannend, wenn Bücher von vielen Menschen sehr gefeiert werden. Gerade „22 Bahnen“ von Caroline Wahl tauchte in der letzten Zeit recht häufig hier und da auf und sorgte für regelrechte Lobeshymnen. Ich wünschte, ich könnte nun an dieser Stelle mit einsteigen, hat mich die Ausgangslage des Romans doch sehr neugierig gemacht… aber am Ende fragte ich mich dann eher andere Dinge. Bin ich dafür zu alt? Zu jung? Habe ich irgendwas überlesen? Nicht wahrgenommen? Liegt es an meinen Erfahrungen und Hintergründen? An vorherigen Lektüren? Was ist es, dass dieser Roman bei mir nun so gar nicht zünden wollte?
Eine überschaubare Kleinstadt, eine sowas von überhaupt nicht perfekte Familie. Tilda, die sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern, für sie da sein, tagtäglich die Ausschreitungen der alkoholkranken Mutter aushalten und das Familiäre irgendwie lenken muss. Zeitgleich Tildas Traum von einem unbeschwerten Leben; ihr einziger Ort zum Abschalten… das Freibad… das klingt als Ausgangspunkt für einen Roman wirklich toll, aber die Geschichte zog sich schon sehr. Gefühlt wartete ich ewig darauf, dass irgendwas passiert und das Unglück an die Tür klopft, schließlich kann man bereits nach den ersten Seiten erahnen, dass es einen Kipppunkt mit der Mutter geben wird. Und auch der auftauchende Viktor, die Beziehungen zu den Freunden von damals… da mal ein interessanter Gedanke, etwas, das es zu verfolgen gilt… aber hmm, so wirklich vom Hocker gerissen hat es mich nicht. Im Buch selbst heißt es "Das sollte hier nie eine Liebesgeschichte werden. Das sollte wenn, dann Idas und meine, vor allem Idas Heldinnengeschichte werden, in der sich Ida von Mama befreit." Aber braucht es für Held*innen nicht auch ein mitreißendes Drama?
Oft musste ich beim Lesen an „Shuggie Bain“ von Douglas Stuart denken, ein Roman der mich in Hinblick auf das geschilderte Familiengefüge, den Absturz der Mutter und das damit verbundene Schicksal des Jungen Shuggie wirklich tief emotional getroffen hat und wo ich wirklich erstaunt war, wie er aus der ganzen Situation hervorging. Und dann blicke ich wieder auf diese Bahnen und finde es am Ende einfach nur nett. Nett, weil die enthaltende Liebesgeschichte nicht so schnulzig ist, die beiden Töchter sich irgendwie weiterentwickeln und… nein, kein und, ich glaube, das war’s schon.

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