Ralf Grabuschnig nimmt seine Leser auf mehrere Reisen mit, auf denen er sprachlichen Minderheiten nachgeht. Dabei trifft er unter anderen auf die Jenischen, die aufgrund ihres fahrenden Lebensstils in der NS-Zeit verfolgt wurden, obwohl sie als Arier klassifiziert worden sind. Die Jenischen werden auch heute noch scheel angesehen und man vermietet ihnen, ähnlich wie den Roma und Sinti auf ihrer Wanderschaft, kaum Plätze, auf denen sie ihre Zusammenkünfte abhalten können.
Eine andere Reise führt ihn nach Bautzen, wo eine sorbische Minderheit lebt. Die Menschen schwanken wie andere Minderheiten zwischen Assimilation und Bewahren der eigenen Wurzeln. Nachdem die Großvätergeneration verfolgt, die der Väter assimiliert hat, besinnen sich die Enkel wieder ihrer slawischen Herkunft. Dazu gibt es zahlreiche Brauchtumsveranstaltungen, die manchmal zum Biertrinken (und Übergenuss) animieren.
Um autochthone Sprachinseln zu entdecken, hätte der Autor gar nicht so weit reisen müssen: Er ist Kärntner, dessen Familie die slowenischen Wurzeln zwar nicht verleugnet, aber als Familiengeheimnis nicht offenbart.
Meine Meinung:
Ich muss zugeben, etwas anderes erwartet zu haben, zumal der Autor viel Wert auf sein Interesse und sein Studium der Geschichte legt. Das Wort „Grenze“ wird außer im Titel nicht allzu oft gebraucht. Dabei gäbe es über Grenzen eine Menge zu sagen: Grundstücksgrenze, Landesgrenze, Staatsgrenze, Grenze des guten Geschmacks, grenzenlos, Schengen-Grenze etc.. Wobei Grenzen hat es schon immer gegeben, einfach um eigenes Territorium von anderem abzugrenzen. Ralf Grabuschnig ist im quasi grenzenlosen Europa aufgewachsen. Die etwas älteren von uns werden sich auf dem Weg in den Urlaub an Kontrollen an den Staatsgrenzen Deutschlands, Österreichs oder Italiens erinnern, die stundenlange Wartezeiten bedeutet haben. Nur „Ausgrenzung“ schwingt immer wieder mit, wenn Ralf Grabuschnig über das Verhältnis Mehrheit/Minderheit schreibt.
Mir ist nicht ganz klar, was der Autor mit seinem Buch sagen will. Dass er Menschen getroffen hat, deren Muttersprache eigentlich eine andere als Deutsch ist? Die sich, um im Alltag keine Nachteile zu haben, seit Jahrhunderten an die Mehrheit angepasst haben? Dass sie ihre Wurzeln verleugnet oder vergessen haben und die (über)nächste Generation sich ihrer Herkunft wieder?
Von Zuwanderern wird erwartet, dass sie rasch die Sprache jenes Landes lernen, in das sie eingewandert sind und ihre Herkunftssprache (und Gebräuche) möglichst unsichtbar machen. Gleichzeitig wird bedauert, dass vor Jahrhunderten Eingewanderte sich nicht auf ihre Wurzel besinnen. Ist es ein scheinbarer oder echter Widerspruch? Oder nur eine Frage der zeitlichen Distanz?
Leider erfahren wir wenig über die Aussiedlergeschichten von jenen Volksgruppen, die unter ihren Herrschern wie z.B. Friedrich II, und/oder Maria Theresia aufgrund ihrer Religion oder wegen anderer politischer Interessen in, wegen Seuchen und Kriegshandlungen, entvölkerten Landstrichen angesiedelt worden sind. Da hätte der Historiker sicherlich einiges erzählen können.
Der Schreibstil ist stellenweise ziemlich flapsig, was gut zu einem Reiseblog passt. Mir persönlich fehlt ein bisschen die wissenschaftliche Aufarbeitung. Immerhin gibt es in Österreich sechs anerkannte autochthone Sprachgruppen, nämlich die kroatische, die slowenische, die ungarische, die tschechische und die slowakische Volksgruppe sowie die Volksgruppe der Roma.
Obwohl der Autor mehrmals betont, wie wichtig ihm Geschichte ist, (er hat ja Geschichte studiert), gibt es kaum wissenschaftliche Analysen oder Statistiken, sondern lediglich Eindrücke eines jungen Reisenden, der (gefühlt) oft aus dem Staunen nicht herauskommt und an den oft bierseligen Festen teilnimmt.
Für jene Leser, die sich bislang weder mit Sprachinseln oder den Jenischen beschäftigt haben, ist dieses leider nur 139 Seiten dünne Buch ein sehr guter Einstieg. Es kann den einen oder anderen neugierig machen, mehr über sprachliche Minderheiten zu erfahren. Da trägt die Form des Reiseblogs mit der Aufzählung der Abenteuer beim Bahnfahren mit der DB bei. Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema muss wohl zu anderen Büchern gegriffen werden.
Fazit:
Abenteuerliche Reisen zwischen den verschwommenen Grenzen von Minderheit und Mehrheit. Gerne gebe ich hier 3 Sterne, da das Buch noch ein wenig Luft nach oben hat.