Ungewöhnliche Mischung aus Waterworld und Jugenddrama
Herrscher der GezeitenAuf Herrscher der Gezeiten habe ich mich schon länger gefreut, seit ich den Titel in der Vorschau des Verlags entdeckt habe. Und ich muss sagen, das lange Warten hat sich wirklich gelohnt, selbst wenn ...
Auf Herrscher der Gezeiten habe ich mich schon länger gefreut, seit ich den Titel in der Vorschau des Verlags entdeckt habe. Und ich muss sagen, das lange Warten hat sich wirklich gelohnt, selbst wenn mich nicht alles überzeugen konnte.
Die Figuren sind meiner Meinung nach ein Pluspunkt der Dystopie, zumindest die meisten unter ihnen. Nicht alle werden einem sympathisch vorkommen, aber der Autorin ist es toll gelungen, sie nicht zu oberflächlich oder zu leicht durchschaubar zu gestalten. Bis auf Coe, aus deren Perspektive die Geschichte geschrieben ist, rätselt man immer wieder mit ihr über die Motive und Beweggründe der Menschen um sie herum. Obwohl sie auf den ersten Blick so wirken, als könne man sie leicht einschätzen, offenbaren sie nach und nach Seiten von sich, mit denen man so nicht gerechnet hätte, allen voran Prinzessin Star.
Doch es war der Hauptcharakter, der mir am besten gefallen hat: Sie ist keine typische attraktive Heldin, sondern gehandicapt durch ihre fehlende Hand und die Tatsache, dass sie als Kloputzfrau nicht unbedingt den angenehmsten Körpergeruch verströmt. Dennoch steht sie für das mutig ein, was ihr Vater ihr beigebracht hat: Mitgefühl und die Sorge um andere kann als Einziges die Gemeinschaft von Tides erhalten. Dafür kämpft sie und legt sich schon mal mit Stärkeren und Mächtigeren an und lässt sich durch nichts unterkriegen. Und das trotz ihrer starken Selbstzweifel.
Der Schreibstil ist flüssig zu lesen und typisch jugendlich gehalten, richtig passend zu Coe, welche über sämtliche Ereignisse berichtet. Durch sie entdeckt man die völlig anderen Lebensbedingungen, unter denen sie leiden muss, die trotzdem mit einigen Parallelen zu unserer heutigen Zeit aufwarten. Themen wie gnadenloser Konkurrenzkampf oder die extreme Wichtigkeit einer hohe sozialen Stellung werden in dieser Zukunftsvision drastisch auf die Spitze getrieben, sodass zwischenmenschliche Gefühle zur Gefahr werden können. Das wird auch sehr realistisch an den Protagonisten dargestellt, die erst nach und nach lernen, durch welche Gesten man seine Zuneigung zum Ausdruck bringen kann.
Hinzu kommt das mitreißende Geschehen, über dessen Hintergründe man langsam mehr erfährt, obwohl nicht alle Details geklärt werden und so manches Geheimnis noch im Dunkeln bleibt.
Zu Anfang allerdings ist der Einstieg etwas holprig, bis man sich in diese fremde Welt hineingefunden hat. Auch der eine oder andere Handlungsstrang wirkt von vornherein vorhersehbar und wenig überraschend, was aber der Spannung nicht schadet.
Fazit
Mit Herrscher der Gezeiten ist Nichola Reilly eine ungewöhnliche und doch typische Jugenddystopie gelungen. Das wenig alltägliche Setting, das ein bisschen an Waterworld erinnert, die nicht so leicht durchschaubaren Figuren, ein passender Schreibstil und eine spannende Handlung konnten mich von dem Buch sofort überzeugen.
Leider braucht die Geschichte ein paar Kapitel, um richtig in Fahrt zu kommen und das Geschehen ist an gewissen Stellen zu vorhersehbar, um die volle Punktzahl zu vergeben.
Wer aber gute Endzeitstorys mag, sich für toll durchdachte Charaktere begeistern kann und für den eine bedrückende, kaum emotionale Atmosphäre mal was ganz Besonderes ist, der sollte diesen Roman unbedingt lesen.