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Veröffentlicht am 13.08.2024

Toxisches Patriarchat

Toxische Weiblichkeit
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„Emanzipation ist nicht nur die Befreiung von der institutionellen Dominanz der Männer, sondern auch die Befreiung von Weiblichkeit als patriarchaler Wunschvorstellung.“

Von toxischer Männlichkeit hört ...

„Emanzipation ist nicht nur die Befreiung von der institutionellen Dominanz der Männer, sondern auch die Befreiung von Weiblichkeit als patriarchaler Wunschvorstellung.“

Von toxischer Männlichkeit hört man immer wieder: Die Rollenerwartungen an Männer im Patriarchat fordern Aggressivität, vermeintliche Stärke und das Demonstrieren der eigenen Überlegenheit. Doch es gibt auch (mehr oder weniger konträre) Rollenerwartungen an Frauen: Zurückhaltung, Fürsorglichkeit und ein anbiederndes Äußeres.

Sophia Fitz fasst diese und viele weiteren Verhaltensweisen von Frauen unter dem Begriff der Toxischen Weiblichkeit zusammen. Sie analysiert, wie sich Weiblichkeit oftmals darstellt und welche der für Frauen scheinbar typischen Eigenschaften eigentlich erlernte Anpassungen an ein männergemachtes System sind. Sie zeigt auch auf, wie diese Anpassungen den Frauen selbst zum Nachteil werden.

Fitz’ Buch ist eine anregende Lektüre, die viele kleine Alltäglichkeiten als Patriarchatssymptome enttarnt. Lieber habe ich allerdings das Buch „Süß“ von Ann-Kristin Tlusty gelesen, an das ich mich bei dieser Lektüre oft erinnert fühlte. Den Begriff der Toxischen Weiblichkeit finde ich eigentlich schlecht gewählt. Er ist erklärungsbedüftig und hört sich ohne weitere Erklärung erst einmal an, als könne man nun also mit dem Finger doch auch auf die Frauen und Feminist*innen zeigen.

Des Weiteren kann ich mich in vielen der geschilderten persönlichen Situationen der Autorin nicht wiederfinden. So agiere ich nicht. Und so erlebe ich es auch nicht in meinem Umfeld. Vielleicht bin ich weniger toxisch weiblich. Oder zu alt.

Ein gutes Buch, aber vielleicht eher für jüngere Frauen.

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Veröffentlicht am 28.08.2023

Von der Unabhängigkeit einer Frau

Die Fessel
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„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, ...

„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, in den Zwanziger Jahren. Renee, eine geschiedene (sic!) Frau und Schauspielerin, genießt hier ihre Ruhe. Das Erbe ihrer verstorbenen Schwägerin ermöglicht ihr diese Freiheit. Sie lernt im Hotel ein hitziges junges Paar kennen und lässt sich bald schon auf eine Affäre mit Jean ein.
Diese Beziehung steht nicht nur aufgrund der äußeren Umstände unter einem schlechten Stern. Jean ist aufbrausend, wird schon seiner Partnerin gegenüber handgreiflich, und auch in der Beziehung mit Renee nimmt er den dominanten und fast desinteressierten Part ein. Während Renee sich ihm - trotz ihrer sonstigen Skepsis und Vorsicht - anbietet und emotional abhängig macht.

„Die Fessel“ ist der Nachfolger zum Roman „La Vagabonde“. Man kann die Bücher unabhängig voneinander lesen, allerdings finde ich, dass die Geschichte in der Luft zu hängen scheint, wenn man dieses Buch liest ohne vom Vorgänger zu wissen. Die Sprache Colettes ist sehr pompös und gleichzeitig verdichtet. Das Erzähltempo in beiden Büchern ist ein unheimlich langsames und anstrengendes. „Die Fessel“ ist allerdings etwas aufregender und gleichzeitig entspannter zu lesen. Renee ist nicht mehr ganz so zurückhaltend und langweilig.

Man muss in der Stimmung sein, um dieses Buch genießen zu können. Es kann die perfekte Sommerlektüre sein, aber die Geschichte trägt die Leser*in nicht leichtfertig, sondern verlangt viel Konzentration und Geduld. Außerdem sollte man sich vor Augen halten, in welcher Zeit hier ganz selbstverständlich von der geschiedenen, freien und unabhängigen Frau erzählt wurde und wird.

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Veröffentlicht am 23.07.2023

Nicht die beste Lindgren-Biografie

Astrid Lindgren. Helle Nächte, dunkler Wald
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„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten ...

„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten Kreis preis.“

Vieles über Astrid Lindgrens Leben und Wirken ist bekannt. Zumindest die Teile, die sie selbst bekannt geben wollte. Eine engagierte Frau, die sich für Kinderrechte und insgesamt ein soziales, freies Miteinander stark gemacht hat. Und eine Autorin, die fantastische Kinderbücher geschrieben hat, die bis heute große internationale Erfolge feiern.

Ich bewundere Astrid Lindgren und habe deshalb schon sehr viel von ihr und über sie gelesen. Unter anderem die Biografie der Journalistin und Freundin Margareta Strömstedt. Auch habe ich mir vor wenigen Tagen ihr Geburtshaus in Vimmerby angeschaut und dort das Astrid Lindgren Museum besucht.

Nebenbei las ich dieses Buch; die Romanbiografie Maria Regina Kaisers. Und ich muss leider sagen, dass dieses Buch ein wenig im Kotrast zu den freundlich gezeichneten Darstellungen Astrid Lindgrens stand. Der Romanteil liest sich eher schleppend und ist eigentlich auch nicht viel tiefergehend als eine nicht literarisierte Biografie. Dem anschließenden ausführlichen Sachteil konnte ich noch ein paar interessante Gedanken entnehmen. Beide Teile klingen aber etwas unfreundlich und nicht unbedingt wohlgesonnen. Ich denke, es sollte Astrid Lindgren zugestanden werden, dass sie ein Bild von sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollte, das vielleicht nicht alles offenlegt, was sie ausmachte.

Es hätte etwas feinfühliger vorgegangen werden können bei einer Biografie.

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Veröffentlicht am 16.06.2023

Zeitschriftenbeiträge der berühmten Autorin

Der Boulevard
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„Die graue Kutte der Sinnlosigkeit legte sich um ihn. Vergeblich versuchte er sich an die Töne zu erinnern, die ihn über die Trübsal des Alltags und der Einsamkeit erhoben hatten. Alles war so wie vorher.“

Die ...


„Die graue Kutte der Sinnlosigkeit legte sich um ihn. Vergeblich versuchte er sich an die Töne zu erinnern, die ihn über die Trübsal des Alltags und der Einsamkeit erhoben hatten. Alles war so wie vorher.“

Die für ihre Mumin-Bücher berühmte Autorin und Illustratorin Tove Jansson war ein Ausnahmetalent. Vielen hierzulande dürfte nicht (mehr?) bekannt sein, dass sie auch Literatur für Erwachsene geschrieben hat. In „Der Boulevard“ versammeln sich Texte - Kurzgeschichten, Auszüge - der bekannten Schriftstellerin, die in Zeitschriften erschienen sind.
Nachdem ich den Kurzgeschichtenband „Reisen mit leichtem Gepäck“ von Jansson mit großer Begeisterung las, war ich sehr gespannt auf diesen Sammelband. Die Texte in „Der Boulevard“ beinhalten allerdings eine deutlich andere Zusammenstellung. Manche Anspielung versteht man nur, wenn man ihre Fantasiewelten bereits kennt. Einige Texte wirken etwas unfertig und nicht so pointiert, wie ich es von der Autorin zu kennen meinte. Dennoch finden sich auch in diesen Geschichten viele kluge Sätze und Begebenheiten.
Tove Jansson war eine kluge Beobachterin, eine Menschenkennerin, die in ihren Geschichten stets freundlich auf ihre Figuren schaut, so schwierig und eigensinnig sie auch sein mögen. Das spürt man auch in „Der Boulevard“.
Das Buch ist ein eher holpriges Lesevergnügen. Das liegt vermutlich an der Zusammenstellung der Texte, die nicht von der Autorin selbst kommt, sondern von der Jansson-Forscherin Sirke Happonen. Spannend ist hier wohl vor allem der literaturwissenschaftliche und neue Blick auf das Gesamtwerk der Autorin.

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Veröffentlicht am 15.05.2023

Und plötzlich bricht die Welt zusammen

Siegfried
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„Wie schlecht ist man im Vergleich zu dem, was gut wäre – und wie soll man mit diesem Terror fertigwerden?“

Und plötzlich bricht die Welt zusammen. Aber nicht mit einem lauten Knall oder viel Lärm, sondern ...


„Wie schlecht ist man im Vergleich zu dem, was gut wäre – und wie soll man mit diesem Terror fertigwerden?“

Und plötzlich bricht die Welt zusammen. Aber nicht mit einem lauten Knall oder viel Lärm, sondern weil alles zu viel wird und aus dem Gleichgewicht gerät. So geht es der Protagonistin in Antonia Baums neuem Roman ‚Siegfried‘.
Sie streitet sich mit ihrem Partner. Er zeigt ihr die kalte Schulter. Nebenbei gilt es den Anforderungen des Alltags als junge Mutter wie immer gerecht zu werden… Nach und nach lässt sie ihre Familiengeschichte Revue passieren und es wird deutlich, dass es nicht nur die konkreten Herausforderungen im Alltag sind, die ihren Zusammenbruch gefordert haben. Auch in ihrer Geschichte und der ihrer Eltern und Großeltern liegen Probleme verborgen, die bis heute nachwirken.

Antonia Baum spricht eine aktuelle und sehr wichtige Thematik an. Sie analysiert Zusammenhänge, die bis in unsere Herkunftsfamilien reichen. Ein durchaus gelungenes, unterhaltendes Buch. Es ist auch ein sehr junges Buch, modern und urban. Manchmal fand ich die Vielschichtigkeit und gleichzeitige Strukturlosigkeit etwas anstrengend. Es ist auch kein Buch, das besonders lange nachhallt. Zumindest für mich nicht. Dennoch empfehlenswert.

„Die Dunkelheit dort war so unerträglich gewesen, dass ich das Licht wieder angemacht und auf den Tag gewartet hatte. Jetzt war er da, und ich wusste nicht, wie ich ihn überstehen sollte. Mir war heiß, ich hatte das Gefühl, schlecht Luft zu bekommen, und vielleicht kam mir da das erste Mal der Gedanke, in die Psychiatrie zu fahren.“

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