Kann man vergessen.
Ich bin mit großer Vorfreude an dieses Werk rangegangen, da ich die Sachbücher aus dem Hause C. H. Beck sehr schätze. Sie haben mir oft viel Lesevergnügen bereitet und eine Menge Spannendes und Wissenswertes ...
Ich bin mit großer Vorfreude an dieses Werk rangegangen, da ich die Sachbücher aus dem Hause C. H. Beck sehr schätze. Sie haben mir oft viel Lesevergnügen bereitet und eine Menge Spannendes und Wissenswertes berichtet. Über jede Neuerscheinung freue ich mich sehr.
Dieses Buch erwies sich leider als die erste Ausnahme. Auch weil es deutlich hinter meinen Erwartungen geblieben ist, was Qualität solcher Werke anbelangt. Spätestens ab der Hälfte beschlich mich die im Klappentext versprochene Beklemmung, aber aus einem ganz anderen Grunde: Dieser nachlässige Umgang mit Daten, Fakten und Quellen, peinliche Sachfehler, die geringschätzige, von oben herab Attitüde gegenüber den beiden letzten russischen Herrschern, ihrem Hof und anderen Akteuren der rus. Geschichte insg., sowie der deutlich durchschimmernde Zynismus mit dem Hang zum Pietätlosen zum Schluss hinterließen bei mir, milde gesagt, keinen positiven Eindruck.
Gleich am Anfang ließ mich folgende Darstellung stutzen: „Nikolaj II. erklomm nun den Thron einer Dynastie, die im Zeitraum ihrer Herrschaft seit 1613 dem Russischen Reich die unterschiedlichsten Zaren beschert hatte: den westlich orientierten Reformer Peter I., die aufgeklärte, mit Voltaire korrespondierende Monarchin Katharina II., dann Alexander I., der Bezwinger Napoleons, der durch die Heilige Allianz die europäische Politik mitbestimmte. Schließlich folgten der Erzreaktionär Nikolaj I., sowie einige kurzlebige Übergangsherrscher, darunter Peter II., und Paul I., die von großfürstlichen Rivalen entmachtet bzw. ermordet wurden.“ S. 19. Der letzte Satz stimmt nicht. Peter II. und Paul I. folgten keineswegs. Sie waren Vorfahren vom Nikolaus I., der in den Jahren von 1825-1855 regierte. Das steht klar in jedem Werk zum Thema mit einer Zeittafel, bzw. Stammbaumdiagramm der Romanows, die in diesem Buch übrigens komplett fehlen. Hier dachte ich noch, gut, es ist vllt unglücklich formuliert, aber was dann für peinliche Sachfehler kamen, da mochte ich meinen Augen nicht glauben. S. 114: „Diese Post zirkulierte zwischen den Kinderzimmern im Erdgeschoss und dem Wohnraum der Mutter im ersten Stock des Schlosses in Zarskoje Selo. So schreibt die Älteste, die sechzehnjährige Tatjana, im Januar 1909… Die zwei Jahre jüngere Olga beschwerte sich ebenfalls über die Abwesenheit der Mutter…“ Zwei Fehler hier: Die älteste Tochter, das erste Kind von Alix und Nikolaus II., war Olga. Sie wurde 1895 geboren. In 1897 kam Tatjana. (Quellen hier: E. Almendingen „Die Romanows“, C. Erickson „Alexandra Romanowa“, uvm.) Somit kann Tatjana keine 16 Jahre im Januar 1909 gewesen sein und die Älteste schon gar nicht. Der Witz ist: Paar Seiten später wird Olga als die älteste Tochter bezeichnet, s. S. 132, Mitte.
Wohlwollend dachte ich noch: Gut, der Autor hat’s mit dem Familiären nicht so, was aber schon recht peinlich ist, da leicht nachzuprüfen, was die Pflicht und Professionalität hätten eigentlich mit sich bringen sollen. Aber weitere Ausrutscher wie bloße Unterstellungen, da die Quellen fehlen, Ungenauigkeiten und dergleichen ließen mein Lesevergnügen in Keller sinken.
Was zu Rasputin und Anna Wyrubowa, der Zofe und Vertrauten der Zarin, gesagt wurde, ähnelt stark einer bösen Posse. Ganz grob kommt es hin, aber der Teufel steckt im Detail. Natürlich durfte hier bei der Charakterisierung Rasputins sein auch woanders viel zitiertes Auftreten im Restaurant „Jar“ im Jahr 1915 nicht fehlen. Englischer Historiker Douglas Smith aber in seiner wohl recherchierten Rasputin Biographie „Und die Erde wird zittern“ (2017) schreibt, dass die „Jar“-Geschichte schlicht erfunden und ein Teil der Verleumdungskampagne war, die Rasputin, sowie Zarenhof insg., in diesen Jahren plagte. Dalos übernahm das äußerst Negative zu Rasputin aus anderen, weniger gut recherchierten Quellen.
Auf S. 117 wurden die Tagebucheinträge von Nikolaus II. erwähnt, der über die Treffen mit Rasputin berichten. Die Quellenangaben fehlen wieder mal.
Negative Darstellungen der Russen insg. musste der Autor unbedingt noch reinbringen. Als Quelle soll hier ein namenloser Informant des franz. Diplomaten dienen, s. S. 161, was auch herzlich wenig zu der Glaubwürdigkeit solcher Ausführungen beiträgt. Die Frage ist: Was möchte der werte Autor mit solchen Darstellungen erreichen? Wenn er seine Russophobie zur Schau stellen wollte, so ist es ihm zweifelsohne gelungen.
Hinten im Buch gibt es Literatur, bestehend aus gerade mal 20 Titeln. In respektablen Werken erstrecken sich Literaturhinweise über dutzende von Seiten. Hier nicht.
Das gleiche gilt für Bildnachweise: kryptische Angaben, die gar nicht weiterhelfen können, wenn man wissen will, wo, in welchen Jahr die Fotos aufgenommen wurden, in welchen hist. Quellen sind die Originale zu finden, etc. Da steht einfach: Sämtliche Abbildungen: so und so Images, Berlin.
Dass so ein Umgang mit Quellen überhaupt als annehmbar erachtet wurde, erzählt Bände über seine Professionalität und untergräbt die Reste seiner Glaubwürdigkeit.
Ja, es gibt paar gelungene Erläuterungen zu den Hintergründen der europäischen Politik der damaligen Zeit, z.B. das Verhältnis zw. Wilhelm II. und Nikolaus II. und wie es zur Beteiligung Russlands im Krieg von 1914 kam, oder auch zur Rolle von Queen Victoria. Dabei sieht man, dass Politik eher die starke Seite des Autors ist. Der Rest lässt zu wünschen übrig.
Die Struktur hat bei mir auch keine Jubelrufe hervorbringen können. Erst habe ich angenommen, es wäre Nikolaus‘ Biographie, aber nein. Es ist eine Ansammlung von Aufsätzen von etwa 20 Seiten zu den in den Überschriften genannten Themen wie „Krieg mit Japan“, „Allein mit der Revolution“, „Der Zar in der Julikrise“ usw., in zehn Kapitel geordnet. Klar schildert das Ganze den Untergang der Romanows, wie der Untertitel verspricht, aber die Art und Weise stürzte mich in tiefe Verzweiflung.
Zum Schluss wurde der Ton herablassender und insg. einfach grässlich und pietätslos, s. z.B. S. 200.
Fazit: Dieses Pamphlet hat die Welt nicht gebraucht. Allein die von oben herab Attitüde gegenüber den historischen Persönlichkeiten, ob es um Nikolaus, Alix, Rasputin oder anderen geht, wie auch zum erzählten Stoff insg., hat mein Lesevergnügen gleich Null gesetzt. Hinzu kommen die peinlichen Sachfehler, zu lässiger Umgang mit Quellen, wie auch Zitate und Übersetzungen des nicht nachvollziehbaren Ursprungs, sowie die anti-russische Grundstimmung insg. Zwei Sterne mit viel Wohlwollen erscheinen mir hier realistisch.
Das Coverbild ist auch irreführend. Man könnte meinen, dies wäre die ganze Familie des letzten Zaren. Alexej fehlt. Der Thronfolger, der noch lange vor seiner Geburt das Verhalten des Zarenehepaares stark beeinflusst hat.