Emotional und überraschend
Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres ...
Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres Lebens existiert genau ein Foto und aus dieser Masse sollen sie für jedes Lebensjahr eines auswählen, das in die große Drehlaterne eingesetzt wird – so dass sie sich am Ende noch einmal das Kaleidoskop ihres Leben ansehen können. Nur Hirasaka selbst hat keine Ahnung, wer er war, bevor er in das Fotostudio kam und hofft jeden Tag darauf, dass ihn einer der Ankommenden erkennt.
„Die Erinnerungsfotografen“ ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman der japanischen Schriftstellerin Sanaka Hiiragi. Die Handlung wird in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt und bleibt zumeist bei Hirasaka, dem Protagonisten, und seinen jeweiligen Gästen im Studio. Nur ganz am Ende kommt Bote Yama zu Wort, der die Lebensfotos anliefert. Der Schreibstil ist emotional und mitreißend - es gelingt der Autorin, die seltsame Situation aller Beteiligten einzufangen. Vor allem Hirasaka überzeugt durch seine sanfte, geduldige Art.
Zunächst ist unklar, wie die drei ausgewählten Menschen im Fotoatelier miteinander verbunden sind. Hirasaka begleitet zunächst eine alte Frau, die früher Kindergärtnerin war, dann einen Yakuza, der mit einem Reparaturgeschäft Geld wäscht und schließlich ein kleines Mädchen. Vor allem dieser letzte Fall berührt und schockiert im Kontrast zu den ersten beiden, bei denen der Tod nicht unvermeidlich schien. Bis hierhin lesen wir also im Prinzip drei separate Kurzgeschichten – gut geschrieben, aber nichts völlig Neues.
Dann jedoch greift die Autorin tief in die Trickkiste und lässt Yama die losen Fäden zusammenführen. Szenen aus jeder der drei Geschichten ergeben auf einmal einen neuen Sinn und eigentlich müsste man das Buch noch einmal vor vorne beginnen, um keinen noch so kleinen Hinweis zu verpassen. Was hier offenbart wird, ist niederschmetternd und herzerwärmend zu gleich und erhebt „Die Erinnerungsfotografen“ von einer netten Kurzgeschichtensammlung zum kleinen Meisterwerk.