Das außergewöhnliche Erbe von über 100 Tonbandkassetten - Ein ganz besonderer Nachlass der eigenen Großmutter erzählt deren Erinnerungen an ein bewegtes Leben
Zwischen den SommernWas Alexa Hennig von Lange mit ihrem Roman "Zwischen den Sommern" hier abliefert ist für mich ganz großes Kino gewesen.
Es ist bereits der zweite Band ihrer Heimkehr-Trilogie und spielt zu Zeiten des ...
Was Alexa Hennig von Lange mit ihrem Roman "Zwischen den Sommern" hier abliefert ist für mich ganz großes Kino gewesen.
Es ist bereits der zweite Band ihrer Heimkehr-Trilogie und spielt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945). Den ersten Band hatte ich leider verpasst, allerdings lässt sich "Zwischen den Sommern" auch ganz gut standalone lesen, ohne Vorkenntnisse zu haben. Jetzt nach dem Lesen habe ich aber so Blut geleckt, dass ich den ersten Band auf alle Fälle noch nachholen werde.
Anfänglich hatte ich nich etwas Probleme, die unterschiedlichen Zeiten richtig zuzuordnen. Allerdings erledige sich dieser Umstand sehr schnell. Es wird in abwechselnden Perspektiven erzählt und dies bringt die gewisse Kurzweil in den Roman und lies ihn für mich noch lebendiger wirken. Abwechselnd erleben wir die Jetztzeit mit der Enkelin Isabell, die von Klara, ihrer Großmutter ein Konvolut von über 100 bespielten Tonbandkassetten "erbt". Im anderen Erzählstrang schickt von Lange Leseinteressierte zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und dort erlebt man dann hautnah mit, was Isabells Großmutter Klara um- und antrieb.
Nach kurzem Lesen wechselte ich ganz ans Ende des Buches und las bereits recht frühzeitig das Nachwort. Mit dem Nachwort hatte mich dann Alexa Hennig von Lange komplett hat und erzeugte bei mir überall Gänsehaut. Was täte ich dafür, so viele Audioaufzeichnungen meiner Großmutter zu haben, die ein sehr klares Bild ihrer wahren Identität und ihres Wirkens zeigen. Je älter ich werde, desto mehr wollte ich über meine nächsten Ahnen wissen und habe leider nicht mehr die Möglichkeit nachzufragen.
Die Zeitreise in der Zeit zurück ins Jahr 1939 gelingt von Lange ausgezeichnet. Bei mir sprang das Kopfkino just gleich zu Beginn des Buches an und hörte bis zum Schluss nicht mehr auf zu rattern. Die ganzen Eindrücke wirken sehr real ohne zu voyeuristisch zu wirken. Man spürt förmlich wie der Antisemitismus in Deutschland immer weiter fortschreitet und das Gedankengut das Deutsche Volk immer weiter infiltriert. Auch der beginnende Krieg wabert bereits zu Beginn im Raum umher, ohne sofort zu präsent zu sein. Der Krieg erreicht das normale Volk dann sehr schnell auf dem falschen Fuß, indem die Liebsten zum Kriegsdienst abkommandiert werden und niemand weiß, ob oder wann man sich wieder sehen wird. Das Leben zu Zeiten des Nationalsozialismus wird recht treffend beschrieben, man kann den Druck, die Zweifel aber auch die unheimliche Passion fast förmlich spüren allen Anforderungen möglichst gerecht zu werden. Bei Klara und ihren Mitstreitern tun sich natürlich auch mit der Zeit Zwiespälte auf.
Ein insgesamt sehr atmosphärischer Roman der ein gutes Zeitzeugnis der damaligen dunkelsten deutschen Stunde abgibt. Vielleicht lässt uns Nachkommen gerade dieser Roman dann erkennen, wieso unsere Großeltern dann nie sehr ausgiebig über die Kriegszeit erzählt haben. Jeder hatte sein eigenes Päckchen zu tragen und selbst wenn man einigermaßen unbeschadet davonkam hatte man wohl Zeit seines Lebens an den ganzen Eindrücken und dem Erlebten zu knapsen.
Ein ganz großes Chapeau an Alexa Hennig von Lange, die uns Lesenden dieses Schatzkästlein voller Tonbandkassetten geöffnet hat und uns in die Zeit und das Wirken unserer Großeltern zurückversetzt.
Für mich ist dieser ganz besondere Roman eines meiner ganz persönlichen Jahreshighlights 2023.