Bewegende Geschichte, starke Frau, völlig fremde Welt
UnorthodoxDeborah wächst in Brooklyn auf, genauer: Williamsburg. Noch genauer: In der ultraorthodoxen Gemeinde der Chassiden, einer jüdischen Glaubensgemeinschaft, die im 18. Jhd. in der Ukraine und Europa weit ...
Deborah wächst in Brooklyn auf, genauer: Williamsburg. Noch genauer: In der ultraorthodoxen Gemeinde der Chassiden, einer jüdischen Glaubensgemeinschaft, die im 18. Jhd. in der Ukraine und Europa weit verbreitet war und seit ihrer fast völligen Auslöschung während des Nationalsozialismus in dem New Yorker Stadtteil angesiedelt ist. Jene Gemeinschaft hat sich als Folge des Holocausts von Assimilation und Fortschritt losgesagt, und in dieser sämtlich von Glaubensregeln bestimmten Welt wächst Deborah auf. Das Mädchen wird von seinen Großeltern aufgezogen, der Vater ein „meschuggener“ Trinker, von der Mutter weiß Deborah gar nicht so genau, was sie eigentlich so schlimmes getan hat, um aus der chassidischen Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Als Spross dieser Eltern schon früh der Verachtung von Verwandten preisgegeben, erkennt Deborah schon in Kinderjahren die Ungerechtigkeit, die speziell ihr als Mädchen zuteil wird, aber auch in vielen Regeln des täglichen Chassidenlebens findet sie viele Widersprüche. Trost und neue Weltsichten findet sie in englischsprachigen Büchern, die ihr als Jiddin eigentlich untersagt sind. Ihre Hoffnung ist die Freiheit einer erfüllten Ehe mit einem Mann, der nur annähernd so fortschrittlich denkt wie sie es insgeheim tut, denn Heirat ist die einzige Karriere, die ihr als chassidische Frau zugedacht ist. - Ohne den Spaß daran nehmen zu wollen die Geschichte selbst zu erlesen, sage ich nur so viel, dass sich ihre Hoffnung nicht erfüllt hat und sie die Glaubensgemeinschaft trotz Zukunftsängsten verlässt, um in einer offeneren Gesellschaft zu leben, über die sie nur wenig weiß.
„Unorthodox“ von Deborah Feldman ist ein Buch von einer Frau, die schon im zarten Alter ein Freigeist war und sich in eine Welt emanzipiert hat, auf die sie nicht vorbereitet war. Die Erfahrungen, an denen sie ihre Leser schonungslos teilhaben lässt wie das eheliche Sexualleben, Familienverästelungen, Glaubensrituale usw. lassen einen in völlig unbekanntes Territorium eintauchen. Ihre Geschichte über eine Gesellschaft, in die man als Außenstehender sogut wie keinen Einblick hat, ist so spannend, so offen und inspirierend, dass ich wie von einem Katapult losgelassen durch die Seiten geschossen bin.
Ich bin übrigens durch die Netflix-Miniserie aufmerksam geworden auf das Buch. Die Serie ist ziemlich gut, wenn auch in großen Teilen abgewandelt. Daran mochte ich vor allem, dass gut 1/3 des gesprochenen Dialogs auf Jiddisch war, was der Serie große Authentizität verliehen hat.
Deborah Feldmans zweites Buch, von dem ich gehört habe, dass es recht philosophisch und weniger erlebnisreich sein soll, habe ich mir bereits zugelegt.