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Veröffentlicht am 30.07.2023

Wer Worte sammelt: Hier ist eine ganze Schatzkiste voll!

Ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimmschen Wörterbuch
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Eine ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimm'schen Wörterbuch vereinigt – wie der zungenbrecherische Titel schon verrät – hübsche Wortkreationen wie sie Deutsche richtig ...

Eine ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimm'schen Wörterbuch vereinigt – wie der zungenbrecherische Titel schon verrät – hübsche Wortkreationen wie sie Deutsche richtig gut schaffen können.

Wer hier reinblättert, der möchte glatt als Meerschaumkind („dem schaume des meeres entstiegenes kind, Venus: du schönes meerschaumskind! Lohenstein auserles. ged. 1, 240“) all die schönen Wörter heraus in die Welt dirdirlieren („wie eine lerche singen, es dirdirlir, dirdirlor, dirdirlirliret die lerche. Prätoius Winterquartier 227. Betulius Pegnitzschäferei 35“).

Dieses Nachschlagewerk vereinigt derbe Worte wie Dummschnute, Arschwolf, Hodenmännlein und Saugfresse neben Inspirationen wie Gedächnisgelehrter, Zwielichtstimmung und Hoffnungsmorgenröthe.


Außen wie innen ist dieses 350 Seiten umfassende Buch ein reines Schmankerl: Wunderhübsche Leinenbindung, oben ein gefärbter Buchschnitt, Lesebändchen, Vignetten und Illustrationen.

Wer Worte in ihren Zusammensetzungen mag, wird mit diesem Buch ein kleines, wenn auch ungewöhnliches Schätzchen vor sich haben – oder anders gesagt, wird schätzeschwer („mit schätzen schwer beladen“) sein!

Veröffentlicht am 30.07.2023

Ein japanisches Jahr weg von der Großstadt und ab aufs Land

Der Spielplatz der Götter
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Der Ehemann der japanischen Schriftstellerin Natsu Miyashita hat den Traum, einmal in seinem Leben auf Japans nördlichster Hauptinsel Hokkaidō zu leben. Im Familienverband bespricht man sich, denn der ...

Der Ehemann der japanischen Schriftstellerin Natsu Miyashita hat den Traum, einmal in seinem Leben auf Japans nördlichster Hauptinsel Hokkaidō zu leben. Im Familienverband bespricht man sich, denn der einzige Zeitpunkt wäre jetzt gekommen, bevor der älteste Sohn die Mittelschule abschließt. Natsu, ihr Mann, die beiden Söhne und die kleine Tochter entscheiden sich dafür und ziehen in die Bergregion, in der sich das Dorf Tomuraushi befindet, der „Spielplatz der Götter“.

Tomuraushi ist ein sehr kleiner Ort, über 30 km vom nächsten Supermarkt entfernt. Die Schülerschaft der winzigen Schule besteht aus weniger als zehn Schülern. In den Bergen werden auf dem Thermometer selten mehr als 10°C angezeigt, und die Winter sind so kalt, dass einem die Kontaktlinsen in den Augen gefrieren können. In dieses ländliche Gebiet zieht die Familie für das kommende Jahr und wird sehr herzlich in die Dorfgemeinschaft aufgenommen.
Den Familien- und Dorfalltag dokumentiert Miyashita über das Jahr verteilt chronologisch in kleinen Abrissen, sie erzählt über die Aktivitäten ihrer Kinder in der ungewöhnlichen Schule, über die majestätische Landschaft, die Besuche im Onsen - einer Thermalquelle, die ganzjährig aufgesucht werden kann – und welche ungewöhnlichen Tiere ihnen in der Natur begegnen. Nur einem Bären, den die Miyashitas gehofft haben zu sehen während ihres Jahres auf dem Lande, begegnen sie nicht.
An ihren Kindern und auch an ihrem Mann bemerkt die Autorin im Laufe des Jahres Veränderungen, alle werden offener und selbstbewusster, und immer wieder ist sie dankbar über den Zusammenhalt, der in Tomuraushi herrscht.
Als sich das Jahr dem Ende neigt, können die Miyashitas kaum glauben wie schnell die Zeit vergangen ist. Sie fragen sich, ob die Rückkehr in ihren Heimatort Fukui nicht eine zu große Umstellung sein wird. Der „Spielplatz der Götter“ mit seinen herzlichen Menschen ist ihnen so ans Herz gewachsen, dass sie entgegen ihrer ursprünglichen Entscheidung überlegen weiterhin auf Hokkaidō in ihrem geliebten Dorf wohnen zu bleiben.

Dieses erzählende Sachbuch ist kein fiktives Werk, sondern eine Dokumentation der Zeit auf dem Lande. Da das Buch verschweißt war, konnte ich vorher nicht reinlesen und war erst etwas überrascht, dass es sich nicht um eine Geschichte, sondern um eine Sammlung tagebuchähnlicher Einträge handelt. Nachdem ich mich ein wenig eingelesen habe, gefiel es mir richtig gut. Man liest sich ohne Umschweife durch das Wesentliche, sozusagen die Highlights des Jahres. Das Buch hat mir sehr gut gefallen und fängt die japanische Art sehr gut ein.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Dieses Buch sollte jeder, wirklich jeder lesen!

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten
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Alice Hasters berichtet aus ihrem eigenen Alltag von Kinderzeit an, seit sie mit Rassismus konfrontiert war.
Ihr Buch lehrt uns etwas über vielzitierte Philosophen wie Hegel und Kant, über deren Rassismus ...

Alice Hasters berichtet aus ihrem eigenen Alltag von Kinderzeit an, seit sie mit Rassismus konfrontiert war.
Ihr Buch lehrt uns etwas über vielzitierte Philosophen wie Hegel und Kant, über deren Rassismus man jedoch nichts liest, oder die Ausmaße deutschen Kolonialismus, darin enthalten dunkle Kapitel; die "Maafa", der Genozid an Afrikanern im 19. und 20. Jahrhundert und den Nachwirkungen des Kolonialismus bis heute.
Mit diesem Buch erwartet den Leser ein (wahrscheinlich unvollständiges) Kompendium an (Alltags-)Rassismus, über den man tatsächlich Bescheid wissen sollte. Nur einige Stichworte: Cultural Appropriation, Modern White Saviorism, Othering, Eurozentrismus und kulturelle Aneignung. Besonders ihr Brief an einen fiktiven Partner am Anfang einer Beziehung mit einem weißen Mann hat mich beeindruckt, der beleuchtet wie konfliktbehaftet es sein kann, wenn einer der Partner Rassismuserfahrungen macht, die der andere nicht kennt.

Hasters Zeilen haben auch mir manchmal in die Nase gebissen, aber ich bin dankbar, dass sie mir vermittelt hat wie privilegiert ich als Bewohnerin meiner weißen Haut bin, denn ich möchte mehr reflektieren und mir genau solcher Ungerechtigkeiten bewusst sein, um einen Teil in meinem eigenen Alltag dazu beizutragen angemessen zu handeln statt (vielleicht auch manchmal unwissend) rassistisch zu sein.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Die Geschichte der Wandlerin geht weiter

Stranded - Das Versprechen des Meeres
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In „Stranded – Das Versprechen des Meeres“ geht Mellies Geschichte weiter. Nachdem der Versuch fehlgeschalten ist in Astria, der Heimatstadt von Mellies und Rynns im See, einzudringen, mussten sich die ...

In „Stranded – Das Versprechen des Meeres“ geht Mellies Geschichte weiter. Nachdem der Versuch fehlgeschalten ist in Astria, der Heimatstadt von Mellies und Rynns im See, einzudringen, mussten sich die Verbündeten zurückziehen.
Quinn, der aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Soldat die Motive des Titans von Astria und seinem ergebenen Captain kennt, schlägt vor zusätzliche Hilfe zu beschaffen. Die anderen Wandler, die im Laufe der Jahre gestrandet sind und die mit Lügengeschichten gegenüber der Bevölkerung Astrias an einer Rückkehr gehindert wurden, sind mittlerweile weit verteilt. Quinn bringt Mellie, Rynn Unterwassersiedlung (mit dem Mellie sich aufgrund seines Verrats im ersten Buch noch nicht wieder vertragen hat) und ihre Mutter nach Kanada, wo in einem unterirdischen Höhlensystem vor einigen Jahrzehnten die Simmia gegründet wurde. Mellie lernt dort ihre Wandlermagie zu vertiefen durch Quinns magiebegabte Tochter Echo. Quinn schlägt vor, dass sie sich ebenfalls an die hawaiianische Meeresstadt Kintara wenden. Mellies Mutter ist strikt dagegen, weil Kintara von einer Wandlerin geführt wird, die einen tiefsitzenden Groll gegen sie führt und auch Mellie nicht akzeptieren würde. Es offenbart sich für Mellie ein Geheimnis von tragender Weite. Dennoch schmieden sie einen Plan, und auch Caleb, Mellies Landbewohner-Freund, kommt mir auf die Reise ins gefährliche Meer. Nach einigen Zwischenfällen gelingt es Kintaras Wandler dafür zu gewinnen Astrias Herrschaft zu stürzen und die Gruppe um Mellie macht sich auf den Weg zurück zum See, aus dem sie vor so vielen Jahren verbannt wurden.

Das sollten erstmal genug Worte sein, ohne die Story allzu sehr ihrer Spannung zu berauben. Ich kann sagen, mir hat die Fortsetzung von Mellies Geschichte sehr gefallen, es gab allerdings ein Manko für mich, denn das Buch hat sich durch die Teenieliebe einiger Charaktere doch arg in die Länge gezogen. Das hätte ich in diesem Ausmaß einfach nicht gebraucht, denn wenn ich etwas über Meerjungfrauen lese, dann möchte ich etwas über das Leben unter Wasser lesen und nicht wie sich zwei Jugendliche küssen. Zur Verteidigung dieses Umstandes sei gesagt, dass ich als erwachsene Leserin vermutlich nicht die geeignete Zielgruppe dieses Jugendbuches bin für speziell diese Thematik, dennoch hätte diese Verschiebung des Schwerpunkts weg von der eigentlichen Geschichte nicht sein müssen. Hätte Kate Dylan die verfügbare Seitenanzahl also mehr auf den Kampf um Astria gerichtet statt auf die Liebesduselei, wäre ich wirklich zu 100% zufrieden gewesen mit diesem Buch.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Unerwünschtes Kind / Unglückliche Geisha

Die letzte Geisha
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Bestanden meine bisherigen Leseerfahrungen über die Geisha Japans aus Vertreterinnen der gehobenen Geishakreise, in denen Musik, Unterhaltung, Gesang und Tanz in einem hohen Kurs standen, so habe ich mit ...

Bestanden meine bisherigen Leseerfahrungen über die Geisha Japans aus Vertreterinnen der gehobenen Geishakreise, in denen Musik, Unterhaltung, Gesang und Tanz in einem hohen Kurs standen, so habe ich mit Sayo Masudas „Die letzte Geisha“ die Kehrseite des Gewerbes in einer unbedeutenden Provinzstadt kennengelernt.
Sayo kommt über verschiedene Ecken in ein Geisha-Haus, wohin sie verkauft wurde. Sie wird einigermaßen in den Unterhaltungskünsten einer Geisha ausgebildet, jedoch wird sehr viel mehr Fokus auf ihre Erotik- und Verführungskünste gelegt als auf intellektuelle und kulturelle Künste, womit sie sich sehr von den Kyoto- und Tokyo-Geishas unterscheidet. Die Ausbildung und Verpflegung wird ihr in Rechnung gestellt, so dass sie jahrelang gebunden ist ein unerwünschtes Schicksal mit abendlichen Engagements, deren Abschluss oft bezahlte intime Episoden bilden, abzubezahlen.
Masuda berichtet über Rivalität und Schikane, die unter den Geisha in ihrem Umfeld herrschen, aber sie findet auch Schwestern unter den Leidensgenossinnen. Mit 19 Jahren hat sie einen Mäzen dermaßen für sich vereinnahmt, dass er sie freikauft – wobei lediglich die Herrschaft wechselt, denn ab sofort ist sie die Mätresse eines Mannes. Diesem läuft sie weg und findet Zuflucht bei ihren ehemaligen Geisha-Schwestern, die es ebenfalls aus dem verhassten Gewerbe geschafft haben. Ihr gelingt es ihr kleines Brüdderchen ausfindig zu machen, dem sie zu einem guten Leben verhelfen möchte wie ihr es selbst verwehrt war.

Im Nachwort wird erwähnt wie in den 1930er Jahren Zeitungsartikel in ganz Japan darüber berichteten, dass ganze Dörfer und Schulklassen in ländlichen Gebieten rar an Mädchen waren. Sehr offensichtlich war es in prekären Verhältnissen lukrativer ein junges Mädchen zu verkaufen statt es durchzufüttern. Ausbeutung und die Rückstellung der eigenen Bedürfnisse macht die Frauen zu seelisch Verwundeten, von denen viele den Freitod starben und wahrscheinlich noch mehr sich nie von den Traumata erholten.
Ihre Autobiografie verfasste Sayo Masuda, die Zeit ihres Lebens nie die japanischen Kanji-Schriftzeichen gelernt hatte sondern lediglich die vereinfachte Silbenschrift (Lernstand eines Grundschülers), auf die Ausschreibung einer Zeitung für eine Kurzgeschichte. Masudas Text wurde begeistert als Fortsetzungsgeschichte veröffentlicht, bevor ein Verlag sich dazu entschloss ihre Biografie als Buch zu verlegen. Die Einkünfte aus dieser Buchveröffentlichung ermöglichten es Masuda ein kleines Restaurant zu eröffnen, das sie betrieb, bis sie im Alter von 83 Jahren verstarb.

Dies ist eine kraftvolle Geschichte der anderen Seite der Medaille. Ich liebe Geschichten über Japan und sauge alles Fiktive wie Nichtfiktive gierig auf. So hat mich Sayo Masudas Geschichte sehr interessiert und nach dem Ende bewegt zurückgelassen.