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Veröffentlicht am 04.08.2023

Möglichkeit statt Feindbild

Warum Feminismus gut für Männer ist
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In „Warum Feminismus gut für Männer ist“ versucht Jens van Tricht einen Erklärungsversuch dafür, inwiefern auch Männer von der Geschlechtergerechtigkeit profitieren.

Ein Satz, den ich mir in diesem Buch ...

In „Warum Feminismus gut für Männer ist“ versucht Jens van Tricht einen Erklärungsversuch dafür, inwiefern auch Männer von der Geschlechtergerechtigkeit profitieren.

Ein Satz, den ich mir in diesem Buch markiert habe, war folgender: „Männer tun sich selbst Gewalt an, indem sie ihre eigene Menschlichkeit unterdrücken, indem sie Angst, Traurigkeit oder Unsicherheit mit Lautstärke zu übertönen versuchen, indem sie sich zusammenreißen, ihre Tränen unterdrücken und den taffen Kerl markieren.“

Van Tricht geht davon aus, dass wir als Menschen ursprünglich uneingeschränkten Zugriff auf die Palette menschlicher Emotionen, Eigenschaften und Bedürfnisse haben. Bereits vor der Geburt aber werden Menschen in Geschlechter eingeteilt. Bestimmte Verhaltens- und Handlungsweisen werden jeweils vom männlichen Geschlecht erwartet wie Härte, Rationalität ohne Emotion, Maskulinität (und mehr). Gleichzeitig werden viele Dinge, die als weiblich gelten, unterdrückt - man will als ganzer Mann ja schließlich bloß nicht als schwul oder verweichlicht gelten. Ein echter Mann darf nicht mädchenhaft oder feminin sein, und so findet eine Überbetonung der Eigenschaften statt, die mit Maskulinität assoziiert werden, auf Kosten der Eigenschaften, die mit Feminität in Verbindung gebracht werden.

Was hat das nun aber mit dem Feminismus zu tun, der gut für Männer sein soll? - Frauen haben sich in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten Privilegien erkämpft, zu denen ursprünglich nur Männer Zugang hatten. Dies erreichten sie, indem sie sich männlich assoziierte Eigenschaften aneignen (man denke an die aufstrebende Karrierefrau). Frauen haben also gezeigt, dass es vorteilhaft ist, die ganze Palette menschlicher Eigenschaften, nicht nur die weiblich konnotierten, zu nutzen. Es ist Zeit, dass auch Männer sich emanzipieren. Weg von der starren Männlichkeit, die keine Emotionen und Weichheit zulässt. Der aktuelle Feminismus will keine Unterdrückung des Mannes, sondern eine Gleichberechtigung aller Geschlechter, und in diesem Zuge kann ich dieses Buch allen nahelegen, die sich ein wenig mit ihrer eigenen (bisherigen aber vielleicht auch zukünftigen) Rolle auseinandersetzen wollen und im Feminismus eine Möglichkeit sehen statt es als Feindbild des anderen Geschlechts bekämpfen.

Veröffentlicht am 04.08.2023

Von Verlust und Freundschaft

Kitchen
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Ein paar Bücher von Banana Yoshimoto habe ich schon gelesen, jetzt kam ich dazu ihr Debüt mal zu lesen. Wenn ich eine Einteilung vornehmen müsste, könnte man das Buch in zwei Geschichten einteilen. Die ...

Ein paar Bücher von Banana Yoshimoto habe ich schon gelesen, jetzt kam ich dazu ihr Debüt mal zu lesen. Wenn ich eine Einteilung vornehmen müsste, könnte man das Buch in zwei Geschichten einteilen. Die erste ist etwas länger und nimmt gut 2/3 des Buches ein. In dieser begegnet man Mikage, die nach dem Tod ihrer Großmutter die letzte Verwandte verloren hat. Sie erhält einen Anruf von Yuichi, der ihre Großmutter gut kannte. Er bietet Mikage an, dass sie doch zu ihm und seiner Mutter ziehen könnte, da sie doch ohnehin aus der Wohnung ihrer Großmutter müsse. Mit Yuichi verbindet Mikage bald darauf ein besonderes aber immer auch fragiles Band. Zu Eriko, Yuichis Mutter, schaut Mikage auf, denn diese hat einen ungewöhnlichen und beschwerlichen Lebensweg gehabt. Aus dem Dreiergespann wird eine ungewöhnliche Familie. Mikage lernt ihren Verlust zu überwinden und wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Monate später wird sie erneut einen Menschen verlieren und mit Yuichi durch den Verlust tiefer verbunden sein.
In der zweiten und etwas kürzeren Geschichte des Buches steht Satsuki im Mittelpunkt. Auch sie hat einen wichtigen Menschen verloren, ihren Freund Hiroshi. Da sie nachts nicht besonders gut schläft, hat sie sich angewöhnt früh morgens joggen zu gehen. Bei ihrer festen Runde begegnet ihr eine Frau namens Urara, die Satsuki auf eine gänzlich mysteriöse Weise hilft über den Tod Hiroshis hinwegzukommen.

Ich mag die Art wie Banana Yoshimoto Geschichten erzählt. Es ist immer etwas Zartes zwischen den Zeilen, und ihre Beschreibungen sind in bestimmten Momenten der Handlung richtiggehend poetisch. Manche Bücher hauen einen in ihrer Heftigkeit um – nicht so “Kitchen”. Es war mir eine sanfte Decke oder Umarmung, die mich in der Melancholie, welche die Geschichte beherrscht, umwickelt hat.

Veröffentlicht am 04.08.2023

Ein japanischer Klassiker

Alte Freunde
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Lange schon wollte ich etwas von Osamu Dazai lesen. “Alte Freunde” aus dem Jahr 1946 schien von der Länge her doch ein gutes Buch in das Werk des Autors einzusteigen.
Der Schriftsteller Shūji lebt mit ...

Lange schon wollte ich etwas von Osamu Dazai lesen. “Alte Freunde” aus dem Jahr 1946 schien von der Länge her doch ein gutes Buch in das Werk des Autors einzusteigen.
Der Schriftsteller Shūji lebt mit seiner Frau und den Kindern übergangsweise in Tokio, denn ihr Haus wurde während des Krieges ausgebombt. Eines Abends kommt unerwartet ein Besucher, der sich als alter Freund aus der Schule vorstellt. Shūji seinerseits kann sich an den grobschlächtigen Bauern partout nicht erinnern, lässt sich aber auf den Überfall ein. Shūji lässt es fast qualvoll über sich ergehen, wie sich sein Besuch unflätig auslässt und dabei teilweise laut wird. Er versucht trotz der Umstände ein guter Gastgeber zu sein, doch sein Besuch stellt sich schon bald als nicht so guter Gast heraus, der unverschämte Dinge fordert. Shūjis kostbarer Whiskyvorrat neigt sich unter dem unersättlichen Durst des Feldarbeiters. Als der seinen Abschied ankündigt, atmet Shūji hoffnungsvoll auf. Doch der gerissene Besucher verlangt zum Schluss auch noch unverschämterweise die letzte Flasche des Whiskys und Zigaretten von Shūji, der sich bis zuletzt nicht traut den Unhöflichkeiten seines Besuchers die Stirn zu bieten.

Der Verlag schreibt über dieses Werk: “Dazais berühmte Erzählung über die Feigheit des Intellektuellen, über Scham und Selbstverachtung” - eine Beschreibung, die für mich den Nagel auf den Kopf trifft. Shūjis Widerstand, bekommt man als Leser:in mit, findet ausschließlich in seinem Kopf statt.
Eine interessante Erzählung, die mir Neugier bereitet hat noch ein wenig mehr von Osamu Dazai lesen zu wollen!

Veröffentlicht am 04.08.2023

Ein Essay

Liebe und Sinnlichkeit
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Der vorliegende Essay von Junichiro Tanizaki behandelt die Darstellung des Frauenbildes im Vergleich zwischen der westlichen und der japanischen Auffassung und wie sich dieses im Laufe der Zeiten gewandelt ...

Der vorliegende Essay von Junichiro Tanizaki behandelt die Darstellung des Frauenbildes im Vergleich zwischen der westlichen und der japanischen Auffassung und wie sich dieses im Laufe der Zeiten gewandelt hat. Ich muss zugeben: Da ich nur den Klappentext gelesen habe, hatte ich ursprünglich mit einem Kurzroman gerechnet und war auf den eigentlichen Inhalt entsprechend nicht vorbereitet. Ich fürchte, die Wirkung des Essays ist auch deshalb an mir vorbeigegangen, weil ich viele der von Tanizaki genannten Autoren und ihre Werke gar nicht kannte, um mir ein vergleichendes Bild zu machen. Davon abgesehen ist dieses Werk aber ebenso zart geschrieben wie der Titel anmuten lässt. Ich denke, ich bin noch nicht bereit für diese Abhandlung gewesen und werde mich in einigen Jahren möglicherweise noch einmal an “Liebe und Sinnlichkeit” wagen, wenn ich mich näher mit Natsume Soseki und Murasaki Shikibu beschäftigt habe.

Veröffentlicht am 04.08.2023

Eine Liebe in der U-Bahn und reichlich LGBQT

One Last Stop
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August hat sich frisch in New York eingelebt, um ihr Studium hier fortzusetzen. Dringend braucht sie Abstand zu ihrer Mutter und deren lebenslange Obsession ihren verlorenen Bruder mit detekivischen Mitteln ...

August hat sich frisch in New York eingelebt, um ihr Studium hier fortzusetzen. Dringend braucht sie Abstand zu ihrer Mutter und deren lebenslange Obsession ihren verlorenen Bruder mit detekivischen Mitteln wiederzufinden. Auf dem Weg zur Uni sieht August ein verdammt gutaussehendes Mädchen, in das sie sich sofort verguckt. Auch in den folgenden Tagen sitzt die schöne Unbekannte in der Q-Line. August möchte Jane unbedingt kennenlernen und schafft dies auf die peinlichste Weise, indem sie sich mit Kaffee bekleckert. Die Unbekannte stellt sich als Jane vor und schenkt August ihren Schal, um den riesengroßen Kaffeefleck zu überdecken. Daraufhin treffen die beiden sich immer wieder in der Bahn und lernen einander kennen. Jane offenbart August ein riesengroßes Problem, und endlich einmal macht sich Janes detektivischer Spürsinn, den ihre Mutter ihr antrainiert hat, dabei bezahlt Jane zu helfen.

Mehr darf man über diesen Roman eigentlich nicht verraten, ich sage nur noch so viel: Wer beim Lesen des Klappentexts vermutet, dass Jane obdachlos ist und in der U-Bahn wohnt, der irrt gewaltig – es steckt so, so, so viel mehr dahinter! Teilweise hatte das Buch einige Längen, die ich vielleicht nicht so langatmig gefunden hätte, wenn ich zehn oder zwanzig Jahre jünger gewesen wäre. Insgesamt war es aber eine Story, in der einiges mehr steckte als ich zunächst vermutet habe. Mir hat die lockere Sprache des Buches zugesagt, und Augusts herrlich verrückte Mitbewohnerinnen und Nachbarn steuern einiges zum Lesevergnügen bei. Ich bin sonst weniger eine Leserin queerer Bücher und fand es rückblickend erfrischend und entspannend von einer gleichgeschlechtlichen Liebe zu lesen. War irgendwie voll angenehm! (Aber ich frage mich gerade, ob es seltsam ist, dass ich den letzten Punkt so herausstelle?)