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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.08.2023

Ein inspirierender Beziehungsroman mit Tiefgang

Meine fremde Freundin
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Mit einem geklauten Zelt, 62 Euro in der Tasche und einem Rucksack voller Erinnerungen macht sich Josephine auf einen planlosen Weg durchs Ruhrgebiet. Etwas hat ihre Welt durcheinandergeworfen, sie ist ...

Mit einem geklauten Zelt, 62 Euro in der Tasche und einem Rucksack voller Erinnerungen macht sich Josephine auf einen planlosen Weg durchs Ruhrgebiet. Etwas hat ihre Welt durcheinandergeworfen, sie ist nicht mehr fähig in geschlossenen Räumen zu sein. Rastlos wandert sich Josephine die Füße in den Turnschuhen wund, klingelt bei fremden Menschen, um sie zu fragen ob sie ihr Zelt in ihren Vorgärten aufschlagen kann.
Immer einen Fuß schwer vor den anderen setzend, ist sie in Gedanken die meiste Zeit bei Inken. Mit Inken ist Josephine schon seit Kindertagen befreundet. Schöne Zeiten und schwere Krisen verbinden die beiden Frauen. Doch dann ist etwas vorgefallen, das Inken und Josephine entzweit hat. Zwischen Mülheim, Duisburg und Krefeld versucht Josephine in Gedanken Inkens Innerstes zu ergründen, von dem Josephine immer geglaubt hat es zu kennen und Antworten auf die drängenden Fragen in ihrem Kopf zu finden.

Josephines Suche war auch eine Suche für mich als Leserin. Man wird in Josephines Gedanken einer innigen und tiefen Freundschaft gezogen und fragt sich, was dieses Band zerstört haben könnte. Josephines ziellose Wanderung ist gespickt mit einigen wenigen Begegnungen, denen man das Coleur des Ruhrgebiets durchaus anmerkt. Sprunghaft wechseln die Szenarien aus Erinnerungen und Eingebungen, doch fand ich mich nie wirklich verloren in der Erzählung, sondern empfand es als einen inspirierenden Einblick in diese Freundschaft der Frauen. Wunderschön und nicht alltäglich war dieses Buch für mich.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Ein Debüt, das einem das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt

Butter
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Rika arbeitet in einem Verlag, hat aber noch nie eine eigene Reportage veröffentlicht. Manoko Kajii ist bekannt dafür, Männer durch ihre Kochkünste an sich gebunden zu haben und sitzt als Serienmörderin ...

Rika arbeitet in einem Verlag, hat aber noch nie eine eigene Reportage veröffentlicht. Manoko Kajii ist bekannt dafür, Männer durch ihre Kochkünste an sich gebunden zu haben und sitzt als Serienmörderin im Gefängnis. Rika, die sich nie sonderlich fürs Kochen interessierte, bekommt überraschend Zugang zu Kajii und besucht diese im Gefängnis. Nun bekommt sie die Gelegenheit erstmals eine Reportage unter eigenem Namen veröffentlichen zu können. Die Unterhaltungen der beiden Frauen dreht sich nicht nur um Kajiis Beziehung zu ihren Opfern, sondern auch um Speisen und Genuss. Rika versucht sich neugierig an den Rezepten und Tipps der Serienmörderin, die oft mit qualitativ hochwertiger Butter beginnen. Erst als sie die Gerichte nachkocht und darüber sinniert, versteht Rika, was die Männer dazu veranlasst hat Kajii zu verfallen. Nun muss sie allerdings aufpassen der Serienmörderin nicht auch in die Falle zu gehen...

Asako Yuzuki lässt Leser:innen in ihrem Debüroman nicht nur das Wasser im Munde mit expliziten Beschreibungen über köstliche Speisen zusammenlaufen, sondern sie stellt auch unmögliche Erwartungen der japanischen Gesellschaft infrage, die vornehmlich Männer an Frauen richten, ohne die sie nicht “lebensfähig” wären. Dieser Roman ist ein bisschen feministisch und ganz schön lecker und hat mich mit seinen Speisenbeschreibungen positiv ein wenig an Hiromi Kawakamis “Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß” erinnert.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Allmachtsansprüche und Antifeminismus aus den dreckigsten Ecken des Patriarchats ans Licht gezerrt

Die letzten Männer des Westens
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Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für eine unsägliche Qual es für Tobias Ginsburg, der sich für seine Recherche als „Anton“ unter Antifeministen und Verfechtern des Patriarchats gemischt hat, gewesen ...

Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für eine unsägliche Qual es für Tobias Ginsburg, der sich für seine Recherche als „Anton“ unter Antifeministen und Verfechtern des Patriarchats gemischt hat, gewesen sein muss. Eine Qual zwischen all diesen testosterongefüllten Dummbatzen zu sitzen und den monotonen Vorträgen aus Frauenhass, Fremdenfeindlichkeit, Ungerechtigkeit und rechtem Gedankengut zu lauschen.

Ginsburg ist Incels begegnet, hat sich mit misogynen Gangsta-Rappern, Maskulisten, Pick-up-Artists und selbsternannten germanischen Übermenschen zu Gesprächen getroffen. Leser:innen wird schnell klar: im Grunde wollen diese Männer Aufmerksamkeit und Anerkennung. Und die kriegen sie nur in ihrer Bubble dadurch, sich über andere Gruppen zu stellen, in diesem Fall Frauen und nicht-weiße Europäer. Dieses Buch ist eine Dokumentation der Neuentflammung des Frauenhasses, einem verdrehten Männlichkeitswahn und dem Verlangen nach einem stählernen Patriarchat. Gleichberechtigung Fehlanzeige. Die Männer, die in diesem Buch investigativ unter die Lupe genommen werden, wollen endlich mal wieder harte, raue und gnadenlose Kerle sein.

Eine Beschreibung in Ginsburgs Buch hat mich besonders betroffen gemacht, «Kai hat nicht die Stärke, traurig zu sein. Nicht die Größe, Schwäche zu zeigen. Nicht die Kraft, seinen Fanatismus zu erkennen. So schwach und klein und kraftlos ist er, dass er eher einen Bürgerkrieg beginnen und das Land niederbrennen würde, als einfach mal zu weinen.», denn mir persönlich ist es schleierhaft wie man ein Leben bevorzugen wollte, das einem bestimmte Verhaltensmuster aufdrängt wie man als Mensch und Mann zu sein hat, als einem die Wahl zu lassen wie man aus der ganzen Vielfalt des Menschseins sein möchte.

Ginsburgs Buch ist lesenswert, es ist aber auch verdammt schwer zu ertragen.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Dieses Hörbuch tritt mit einer erbarmungslosen Heftigkeit in den Gehörgang

Schwarzes Herz
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Was ich zuerst höre, sind Triggerwarnungen. Die sind auch notwendig, weil es direkt losgeht mit einer Schilderung aus sexueller Gewalt und Angst.


Die Frau mit dem schwarzen Herz erzählt von ihrer problematischen ...

Was ich zuerst höre, sind Triggerwarnungen. Die sind auch notwendig, weil es direkt losgeht mit einer Schilderung aus sexueller Gewalt und Angst.


Die Frau mit dem schwarzen Herz erzählt von ihrer problematischen Kindheit. Schon im Mutterleib löste sie familiäre Kontroversen aus. Für ihre Mutter war sie Unfall und Wunschkind zugleich. Den Vater lernte sie nie kennen. Ihre Oma, jugoslawische Gastarbeiterin, empfand die ungewollte Schwangerschaft der Tochter als Schande. Lieber wäre ihr eine Abtreibung gewesen statt das uneheliche Kind eines schwarzen Mannes. Die Kindheit und Jugend der Protagonistin sind von Rassismus geprägt. Zu Hause sagt man das N-Wort als Kosenamen, denn ihre jugoslawische Familie kennt keine Schwarzen und ordnet das Wort unwissend wohlmeinend ein. Draußen wird ihr das N-Wort als Beleidigung an den Kopf geworfen.

Die Erzählungen aus der Kindheit wechseln sich mit den Schilderungen ihrer Partnerschaft zu einem gewalttätigen Mann ab. Erst bleibt sie aus Abhängigkeit in der toxischen Beziehung, später aus Liebe zu ihrem Sohn und ihrer Tochter. Sie hat Angst, dass der Typ ihren Kindern etwas antun könnte. Dass er seine Partnerin irgendwann umbringen wird, ist für sie mit jedem Gewaltausbruch, jedem Schlag und jeder erneuten Hand an ihrer Kehle eine unabwendbare Tatsache. Seine Wut wird sie nicht überleben, das sagt sie sich, um vermutlich auf das Schlimmste vorbereitet zu sein.


Die Themen dieses Hörbuchs vielschichtiger, als ich es hier im Detail schildern könnte. Dieses Hin-und-her durch die verschiedenen Zeitebenen und durch die Scheiße des Lebens dieser Protagonistin verwirren nicht. Man braucht keine Chronologie, um der Erzählung zu folgen. Der rote Faden ist keine stringente Zeitlinie, sondern die rassistisch motivierte Gewalt, die Misogynie, die psychische sowie häusliche Gewalt und der systemische Rassismus.

Die Autorin hat ihr Hörbuch selbst eingelesen, und das ballert mein Hirn noch einen Ticken mehr, weil ich mich fühle, als würde ich wie uneingeladen im Wohnzimmer der Protagonistin und ihres Partners stehen und all diesem abgefuckt ungerechten Scheiß zuschauen bzw. zuhören. Dieses Hörbuch war intensiv.

Veröffentlicht am 05.08.2023

Da will ich auch übernachten!

Vincent und das Großartigste Hotel der Welt
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Vincent hat von seinem verstorbenen Großvater dessen Schuhputzkiste geerbt. Es ist aber nicht irgendeine Schuhputzkiste, sondern sie besitzt nach Aussage von Opa Zauberkraft. Mit dieser Kiste macht Vincent ...

Vincent hat von seinem verstorbenen Großvater dessen Schuhputzkiste geerbt. Es ist aber nicht irgendeine Schuhputzkiste, sondern sie besitzt nach Aussage von Opa Zauberkraft. Mit dieser Kiste macht Vincent sich auf den Weg zum Markt, um dort Schuhe zu putzen. Mit dem Geld möchte er sich ein Sportgetränk und eine Tüte Chips kaufen. Dass er von der gleichaltrigen Florence, die oben in den Bergen das großartigste Hotel „The Grand“ mit ihrem Assistenten angesprochen werden würde und das Angebot zu bekommen, der Schuhputzjunge an einem solch tollen Ort zu werden, hätte Vincent sich nicht träumen lassen. Doch bevor er seinen Dienst beginnt, darf er selbst eine Nacht als Gast im Hotel verbringen. Er lernt das aufregende, wundersame Hotel kennen, das es mit seinen vielen unterschiedlichen Zimmern schafft, Menschen zum Besseren zu verändern. Fortan ist Vincent der glücklichste Junge, weil er hier arbeiten darf!
Er lernt die tollen Mitarbeiter:innen des Hotels kennen und merkt, dass es eher eine Familie als ein Arbeitsplatz ist. Bald freundet er sich mit Florence an. Sie vertraut ihm an, was für eine Bürde es ist das Großartigste Hotel der Welt zu leiten. Vincent hat noch nie einem anderen Menschen als Florence erzählt, in was für ein bedrückende Situation er abends nach der Arbeit nach Hause kehrt. Vincend und Florence werden beste Freunde.

Vincent erfährt von einem Zimmer im Hotel, das einem Einblicke in die Zukunft ermöglicht. An seine familiäre Situation denkend, ignoriert er die Warnung dieses Zimmer jemals zu betreten, und löst damit ein großes Unglück aus.


Das Großartigste Hotel der Welt hat seinen Namen zu Recht verdient, wenn man liest, was für tolle Zimmer es darin gibt und was für exotische Tiere in den Parks des Hotels herumlaufen. Es macht großen Spaß dieses Buch zu lesen und sich vorzustellen, wie es wäre selbst einen kleinen Hund zu haben, der in die Hemdtasche passt und Vincents Arbeit im Hotel zu verfolgen. Was für ein ausgesprochen fantasievolles und schönes Kinderbuch!