Profilbild von Fornika

Fornika

Lesejury Star
offline

Fornika ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Fornika über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Hommage an die Literatur… und die Queen

The Uncommon Reader
0

Königin Elisabeth II hat einen taffen Job und keine Zeit für Hobbies. Erst recht nicht für die Leserei. Doch eines Tages entdeckt sie zufällig die mobile Leihbücherei im Hof und muss, höflich wie sie ist, ...

Königin Elisabeth II hat einen taffen Job und keine Zeit für Hobbies. Erst recht nicht für die Leserei. Doch eines Tages entdeckt sie zufällig die mobile Leihbücherei im Hof und muss, höflich wie sie ist, ein bisschen Smalltalk machen und ein Buch ausleihen. Obwohl Lesen nicht ihre Sache ist, wird sie vom Buchvirus infiziert und ist mit der Hilfe von Norman, dem einzig anderen Leser im Buckingham Palace immer auf der Suche nach neuem Stoff. Sehr zum Missfallen ihrer Umgebung, denn die sind wahrlich not amused, dass Ihre Majestät ständig mit der Nase im Buch unterwegs ist…

Alan Bennett hat mit The Uncommon Reader ein köstliches Buch geschaffen, witzig und charmant, mit einer gehörigen Portion echten englischen Humors. Obwohl die Ereignisse reine Fiktion sind, nimmt man dem Autor jede Handlung der Queen ab. Trotz ihres gesetzten Alters weiß diese durchaus noch gehörig auszuteilen und die z.T. herrlich bissigen Kommentare von Ihrer Majestät sind einfach nur großartig. Das steife Hofzeremoniell wird gehörig durcheinander gewirbelt und es kommt zu einigen urkomischen Szenen, die hier natürlich nicht verraten werden. Der gemeine Bücherwurm wird sich so manches Mal in der Queen wiederfinden: wer kennt es nicht, das Entsetzen über vergessene Lektüre, die Enttäuschung beim ersten Treffen des liebgewordenen und so hochgeschätzten Autors und nicht zuletzt die fruchtlosen Bekehrungsversuche des Nicht-Lesers… Die Queen macht so Manches durch, entdeckt die alten und neuen Klassiker der Literatur und zeigt im Buch eine erstaunliche Entwicklung, die in einem doch recht unerwarteten Ende gipfelt.

Dem Kenner der Roten Reihe von Reclam sind die Vokabeln und Infos am jeweiligen Seitenende bekannt und auch hier dürfen sie natürlich nicht fehlen. Wie viele der Vokabeln man selbst zum Textverständnis braucht, ist natürlich vom eigenen Wissensstand abhängig, die kleinen Erläuterungen zu genannten Schriftstellern und Werken fand ich in jedem Fall hilfreich. Wer die Angewohnheit hat, das Nachwort zur Einstimmung auf das Buch zu lesen, sollte das bei diesem hier unterlassen, denn die Handlung wird grob zusammengefasst und man nimmt sich so Einiges vorweg.

Fazit: Ein kleines feines Buch, welches man an einem Nachmittag gemütlich bei einer Tasse Tee (englischem natürlich) mit großem Genuss lesen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm
0

Anna Lehtonen leidet an zunehmendem Gedächtnisverlust und wohnt deswegen in einem Pflegeheim. Obwohl sie schon nicht mehr alleine leben kann, hat sie auch noch einige klare Erinnerungen an glücklichere ...

Anna Lehtonen leidet an zunehmendem Gedächtnisverlust und wohnt deswegen in einem Pflegeheim. Obwohl sie schon nicht mehr alleine leben kann, hat sie auch noch einige klare Erinnerungen an glücklichere Zeiten: das Leben auf ihrer kleinen finnischen Insel mit ihrem Verlobten Antti. Was mit Antti passiert ist und wie sie schließlich in dem Pflegeheim gelandet ist, erfährt man erst durch das Zusammensetzen mehrerer Erinnerungsfetzen.

„Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ hat es wirklich in sich. Auch wenn es nicht direkt bestätigt wird, scheint Anna an Demenz zu leiden und der Leser erlebt ihre Entwicklung von einem relativ normalen Geisteszustand zu völliger Verwirrung hin mit. In Erinnerungsfetzen und unklar umrissenen Rückblenden kehrt man mit Anna zurück nach Finnland und zu ihrem späteren Wohnsitz London. Die zunehmende Verwirrung von Anna macht es nicht einfach ihr Leben chronologisch nachzuvollziehen, die einzelnen Lebensabschnitte verschwimmen manchmal ineinander; zwischenzeitlich ist der Leser schon fast genau so verwirrt wie sie und kann nicht mehr zwischen Realität, Erinnerung und Wahnvorstellung unterscheiden. Hinzu kommt noch, dass manche Ereignisse im Laufe der Geschichte unterschiedlich dargestellt werden, Anna kann nicht mehr genau sagen was wie abgelaufen ist und füllt diese Lücken mit ihrer außergewöhnlichen Phantasie bzw. mit ihren Wunschvorstellungen. Nicht alle aufgeworfenen Fragen und Gegebenheiten werden am Ende aufgeklärt, einfach weil Anna diese Dinge selbst nicht (mehr) beantworten kann.

Selja Ahava erzählt diese besondere Geschichte in ganz leisen, fast poetischen Tönen. Klare und ausdrucksstarke Beschreibungen der Natur und von Annas Umgebung zeichnen ein deutliches Bild und gerade durch seine wunderschöne Sprache wird „Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ ganz intensiv und wirkt noch lange nach.

Mich hat dieses Buch wirklich sehr beeindruckt und ich würde es jedem, der Interesse an etwas außergewöhnlicher Literatur hat empfehlen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Kupfersternträger

Der Teufel von New York
0

Timothy Wilde lebt im New York des Jahres 1845. Er ist Mitglied der frisch gegründeten Polizei, ein "Träger des Kupfersterns" wie er es gerne bezeichnet. Bei einem nächtlichen Kontrollgang findet er ein ...

Timothy Wilde lebt im New York des Jahres 1845. Er ist Mitglied der frisch gegründeten Polizei, ein "Träger des Kupfersterns" wie er es gerne bezeichnet. Bei einem nächtlichen Kontrollgang findet er ein kleines Mädchen, das nur im Nachthemd bekleidet und mit Blut besudelt durch die Straßen irrt. Auf der Flucht vor - ja vor wem eigentlich? Timothy ermittelt und stößt auf ein fürchterliches Verbrechen, bei dessen Aufklärung er nicht nur gegen die üblichen Widrigkeiten zu kämpfen hat, sondern sich auch mit dem allgegenwärtigen Hass gegen irische Einwanderer und das Papsttum beschäftigen muss.

Lyndsay Faye hat hier einen tollen Serienauftakt abgeliefert, ihre Geschichte ist sehr anschaulich und flüssig geschrieben und ließ sich nur schwer aus den Händen legen. Die New Yorker Szenerie ist sehr bildhaft beschrieben, man sieht Timothy vor dem geistigen Auge durch den städtischen Sumpf waten. Wilde ist ein vielschichtiger Charakter, den man auch durch die Verwendung der erzählerischen Ich-Perspektive sehr gut kennen und schätzen lernt. Zunächst etwas naiv und planlos nimmt er seine Rolle als Polizist immer mehr an und der Leser kann diese Entwicklung gut nachvollziehen.

Neben der Spannung kommt aber auch der historische Aspekt nicht zu kurz. Jedem Kapitel sind kurze Ausschnitte aus Zeitungen, Briefen o.ä. vorangestellt, die die aufgeheizte Stimmung zur damaligen Zeit mehr als deutlich machen. Authentisch ist auch die verwendete Gaunersprache „Flash“, die von zwielichtigen Gestalten gesprochen wurde und deren Übersetzung man im Anhang des Buches finden kann. Die Entstehung des ersten Flash-Wörterbuches wird gekonnt in die Story eingearbeitet.

Mir hat „Der Teufel von New York“ wirklich sehr gut gefallen und ich warte jetzt sehnsüchtig auf den zweiten Teil dieser vielversprechenden Reihe um die ersten Kupfersternträger des Big Apple.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wundervoll

Der Distelfink
0

Theodore Decker ist gerade einmal 13 Jahre alt, als seine Mutter bei einem gemeinsamen Museumsbesuch durch einen Terroranschlag ums Leben kommt. Völlig verwirrt irrt Theo durch die Museumstrümmer und nimmt ...

Theodore Decker ist gerade einmal 13 Jahre alt, als seine Mutter bei einem gemeinsamen Museumsbesuch durch einen Terroranschlag ums Leben kommt. Völlig verwirrt irrt Theo durch die Museumstrümmer und nimmt aus einem Impuls heraus ihr liebstes Bild mit: Ein kleines Gemälde des Künstlers Carel Fabritius namens Der Distelfink. Es war das erste Gemälde in das sich seine Mutter verliebt hat und Theo muss es einfach „retten“. Und irgendwie gelingt es ihm nicht es wieder zurückzugeben, denn sein Leben verläuft nach Mutters Tod sehr turbulent; der Distelfink scheint da die einzige Konstante zu sein.

Wundervoll. Dieses eine Wort hätte als Rezension völlig ausgereicht. Ich war begeistert von Theos Geschichte und absolut verzaubert von Tartts Art diese zu erzählen. Selten habe ich ein Buch gelesen, bei dem jedes Wort so gut durchdacht ist, Kleinigkeiten so liebevoll ausgearbeitet sind und so manche Weisheit geschickt eingearbeitet wurde. Donna Tartt zeichnet Theos Leben nach, die Höhen und (leider häufiger vorkommenden) Tiefen. Schonungslos, ausdrucksstark, feinsinnig. Gerade im ersten Teil des Buchs kommt sie auch immer wieder auf verschiedene Kunstwerke zu sprechen und beschreibt diese so, dass man sie direkt vor dem geistigen Auge sehen kann; jeden einzelnen Pinselstrich. Ich denke man muss ihre Art zu erzählen mögen, mich aber hat sie mit dem Distelfink völlig gefangen genommen und so manchen Satz hätte ich mir gerne eingerahmt.

Fazit: Für mich ein absolutes Lesehighlight, denn ich habe jede einzelne Seite genossen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Literarische Perle über ein großartiges Stück Musik

Der Dirigent
0

1941: Deutschland bereitet sich auf die Belagerung von Leningrad vor und schneidet die Stadt systematisch von jeglicher Versorgung ab. Da treffen in der belagerten Stadt zwei völlig unterschiedliche Menschen ...

1941: Deutschland bereitet sich auf die Belagerung von Leningrad vor und schneidet die Stadt systematisch von jeglicher Versorgung ab. Da treffen in der belagerten Stadt zwei völlig unterschiedliche Menschen aufeinander. Der eine ist der große Komponist Dmitri Schostakowitsch, Mitglied der musikalischen Elite Leningrads. Der andere, Karl Eliasberg, Dirigent des Radioorchesters, stand bisher immer außerhalb dieses elitären Zirkels. Doch während ein Großteil der wichtigen Künstler auf Befehl von oben nach Sibirien evakuiert wird, bleiben beide in der Stadt. Schostakowitsch schreibt in den Trümmern und unter ständiger Bombardierung seine berühmte siebente Sinfonie, genannt „Leningrader Sinfonie“.

Sarah Quigley hat hier die Entstehungsgeschichte eines der berühmtesten Stücke seiner Zeit aufgezeichnet. Es ist wirklich eine bewegende und mutige Geschichte, inmitten des Chaos und der Verzweiflung, des Hunger und Tod. Schostakowitsch und Eliasberg könnten nicht unterschiedlicher sein, egal ob das Persönlichkeit oder Ansehen in der Gesellschaft betrifft. Quigley charakterisiert ihre Protagonisten sehr gut, man lebt und fühlt mit ihnen mit. Selbst der unmusikalische Leser kann den Schaffensprozess des Komponisten sehr gut nachvollziehen, auch wenn mancher Fachterminus vielleicht einer Erklärung bedürft hätte. Ich würde jedem empfehlen sich die Sinfonie einmal anzuhören, denn Musik lässt sich nun einmal nicht wirklich perfekt in Worte fassen, auch wenn Quigley ihren Job sehr gut gemacht hat.

Für mich war „Der Dirigent“ eine wirklich außergewöhnliche Geschichte über die Menschen Leningrads, die knapp 900 Tage Belagerung mit eisernem Willen durchstehen mussten. Und über zwei Menschen, die die klassische Musik auch in diesen harten Zeiten am Leben gehalten haben und so vielleicht manchem etwas Hoffnung geben konnten.