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Veröffentlicht am 09.08.2024

Girlhood

Die schönste Version
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"Die schönste Version" von Ruth-Maria Thomas ist die maximal schönste Version eines Romans, der im Großen und Ganzen wenig schöne Themenfelder verhandelt. Es geht um Jella, die sich auf einer Polizeiwache ...

"Die schönste Version" von Ruth-Maria Thomas ist die maximal schönste Version eines Romans, der im Großen und Ganzen wenig schöne Themenfelder verhandelt. Es geht um Jella, die sich auf einer Polizeiwache wiederfindet, nachdem ihr Freund Yannick im Streit ihren Hals zugedrückt hat. Danach steht sie vor den Scherben ihrer Beziehung. Zurück im ehemaligen Kinderzimmer rekapituliert sie ihr bisheriges Leben. Die Kindheit und Jugend, in der ostdeutschen Kleinstadt. Die Freundschaften und Begegnungen, die sie geprägt haben. Zwischen all diesen Erinnerungen sucht sie Antworten auf die eine große Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Seit im vergangenen Jahr "Barbie, der Film" so ein großer Hit gewesen ist und Taylor Swift mit ihrer Eras Tour alle Rekorde bricht, ist der "Girlhood" zu einem Modebegriff in den sozialen Medien geworden. Endlich habe ich ein Schlagwort, mit dem ich beschreiben kann, worum es in den meisten meiner literarischen Lieblingswerke geht: Ums Frauwerden und ums Frausein.
Es ist nicht immer eine leichte Art von Girlhood, die Jella da durchlebt. Aber eine, die greifbar und authentisch geschildert wird. Ich habe die Atmosphäre der späten 00er Jahre wiedererkannt. Eine Zeit vor Me Too, als noch niemand wusste, was woke sein bedeutet. Vor diesem Hintergrund wird Jella vom Mädchen zur Frau und vor diesem Hintergrund nimmt die intensive, turbulente und vor allem gefährliche Beziehung, die sie mit Yannick führen wird, ihre Anfänge. Die Autorin beschreibt emphatisch, emotional und manchmal auch derb dieses Aufwachsen. Schreibstil und Inhalt sind fesselnd. Das Buch ist kurz und liest sich schnell. Es ist ein wilder Ritt durch eine Zeit, die gerade erst zur Vergangenheit geworden ist und doch schon fern von der Gegenwart ist.
Besonders gefallen hat mir außerdem, wie die Identitätsbildung durch weibliche Freundschaften besprochen wurde. Neben anderer schwieriger Themen, wie häuslicher Gewalt oder toxischer Beziehungsstrukturen ist das einer der größten Stärken dieser Geschichte.

Fazit:
"Die schönste Version" der besten deutschsprachigen, die ich dieses Jahr gelesen habe.

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Veröffentlicht am 06.04.2024

Mutterland

Issa
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Ich bin vor wenigen Tagen durch eine Bahnhofsbuchhandlung gelaufen und habe einen Stapel von Mirrianne Mahns Debüt Roman "Issa" dort liegen sehen. Das hat mich so froh gemacht, nicht nur, weil ich das ...

Ich bin vor wenigen Tagen durch eine Bahnhofsbuchhandlung gelaufen und habe einen Stapel von Mirrianne Mahns Debüt Roman "Issa" dort liegen sehen. Das hat mich so froh gemacht, nicht nur, weil ich das Cover und die Gestaltung wunderschön finde, sondern auch, weil ich den Text bereits gelesen habe, und er so gelungen ist.

Im Buch geht es um Issa, die in Deutschland zuhause ist, und, als sie mit ihrem ersten Kind schwanger ist, von ihrer eigenen Mutter in deren Heimatland Kamerun geschickt wird. Die Autorin erzählt nicht nur Issas Geschichte, sondern auch die Geschichten der Frauen, die vor ihr kamen. Eine Perlenkette aus Müttern, sozusagen. Eine Abfolge aus Liebe und Schmerz. Aus Heimat und Fremde. Da sind Issas Mutter Ayudele, ihre Großmutter Namondo, ihre Urgroßmutter Marijoh und ihre Ururgroßmutter Enanga. Ihnen allen wird mehr oder weniger viel Raum in diesem Buch gewidmet.

Ich habe in den letzten Jahren viele Bücher über Mutterschaft gelesen. Es ist eines der Themen, das mir am häufigsten unterkommt, und zur Zeit aus zahlreichen Perspektiven in verschiedensten Romanen bearbeitet wird.
Ich gebe zu, ich habe einen gewissen Überhang, was dieses Thema betrifft, und bin recht wäherlerisch geworden. Auch die Herangehensweise von Mirrianne Mahn ist nicht ganz neu, aber ich halte "Issa" dennoch vor ausgesprochen lesenswert, weil sie das Thema des Mutterseins und Mutterwerdens, mit so vielem anderen verknüpft, ohne dass das Buch überladen wirkt. Es geht um Heimat und Kultur, um Weiblichkeit in patriarchalen Gesellschaften, um Gewalt und Rassismus. Was heißt es, in Deutschland Schwarz zu sein? Was bedeutetet es, wenn die eigenen Wurzeln in der Fremde liegen? Und was sind diese Wurzeln überhaupt wert? Die Nuancierung all dieser Themen ist der Autorin wirklich gut gelungen. Die Sprache selbst liest sich angenehm und authentisch. Auch auf emotionaler Ebene haben mich das Leben dieser Frauen und die Geschichte ihrer Familie erreicht.

Die Gestaltung des Buchs ist außerdem wundervoll. Es ist für mich eines der schönsten dieses literarischen Frühjahrs, ich habe beim Lesen so gerne mit den Fingern über die großen rauen Buchstaben auf dem Titel gestrichen.

Fazit: Issas Reise in das Land ihrer Mutter und all der Mütter davor ist ein großartiges Buch. Ein feministischer Familienroman, der berührend von einer Vergangenheit erzählt, die bis in die Gegenwart reicht.

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Veröffentlicht am 18.09.2023

Mütter, Mädchen, Hexen

Marschlande
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In "Marschlande" erzählt Jarka Kubsova parallel voneinander die Geschichten zweier Frauen, die sie über die Jahrhunderte hinweg miteinander verknüpft. Im Jahr 1580 bewirtschaftet Abelke Bleken als alleinstehende ...

In "Marschlande" erzählt Jarka Kubsova parallel voneinander die Geschichten zweier Frauen, die sie über die Jahrhunderte hinweg miteinander verknüpft. Im Jahr 1580 bewirtschaftet Abelke Bleken als alleinstehende Frau ihren Hof und kämpft gleichermaßen gegen Gesellschaft und Natur. Sie ist eine Eigenbrötlerin und Außenseiterin in einer Zeit, in der genau diese Eigenschaften für eine Frau lebensgefährlich sind.

In der Gegenwart gibt Britta, verheiratet und Mutter zweier Kinder, ihren Job als Geografin an der Universität auf und zieht mit der Familie nach Ochsenwerder in den Hamburger Marschlanden. Eine Umstellung, die ihr nicht leicht fällt. Während sie versucht in der neuen Umgebung heimisch zu werden, stößt sie auf Abelkes Lebensgeschichte und je mehr sie sich mit dieser beschäftigt, desto klarer wird, wie sehr das Leben der einen mit dem Leben der anderen Frau verbunden ist.

Meine Meinung:
"Marschlande" ist ein ungewöhnlich historischer Roman, der ein Schicksal einer Frau nachzeichnet, das zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht. Gleichzeitig ist das Buch ein feministischer Roman, der die Rolle der Frau im Verlauf der Geschichte vom Heute bis zum Damals verhandelt. Ich mochte die szenischen Naturbeschreibungen der Deichlandschaften. Die Geschichte von Abelke habe ich besonders gerne gelesen. Man kommt nicht darum herum, berührt von ihrer Stärke und Klugheit zu sein. Eine wahre Heldin. Die literarische Aufarbeitung der Hexenverfolgung in Deutschland hat mir sehr gut gefallen. Ein Thema, das mich schon als Jugendliche sehr interessiert hat, über das ich allerdings seit sehr langer Zeit nichts mehr gelesen habe.
Generell gelingt es der Autorin außerordentlich gut, Empathie für ihre Figuren entstehen zu lassen, ein Bewusstsein für die Ungerechtigkeiten zu schaffen, die ihnen widerfahren, und sie dabei trotzdem nicht als Opfer dazustellen. "Marschlande" ist dabei kein klassischer historischer Roman, dafür steht die übergeordnete Bedeutung von Abelkes Leben zu sehr im Vordergrund, und Brittas Leben nimmt zu viel Raum ein. Die größte Stärke des Textes ist vielleicht sogar, dass er genau das tut. Die Geschichte zu erzählen und sie dabei von der Geschichte zu lösen, um sie etwas Universellem zu machen.

Fazit:
"Marschlande" ist das erste Herbstbuch, das ich 2023 gelesen habe. Die diesige Deichlandschaft, das dunkle Zeitalter der Hexenprozesse - das sind für mich eindeutig Zutaten, die es zu einem Buch für kühlere Abende machen. Ich empfehle eine Tasse Kaffee/Tee/Schokolade und eine Reise in den rauen Norden.

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Veröffentlicht am 14.08.2023

Die Ausladung

Die Einladung
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In "Die Einladung" von Emma Cline geht vorrangig gar nicht so sehr um eine Einladung, sondern viel mehr um eine Frau, die sich mit ihrem Körper Zutritt in die Welt der Reichen und Schönen erarbeitet hat, ...

In "Die Einladung" von Emma Cline geht vorrangig gar nicht so sehr um eine Einladung, sondern viel mehr um eine Frau, die sich mit ihrem Körper Zutritt in die Welt der Reichen und Schönen erarbeitet hat, und dann quasi über Nacht wieder ausgeladen wird.
Alex ist jung, schön und in einer finanziell angespannten Situation. Mit ihrem alternden Sugardaddy verbringt sie lange, sorglose Tage in seinem Haus in den Hamptons bis ein Fehltritt auf dem gesellschaftlichen Parkett zu ihrem Rauswurf aus diesem Leben führt, in dem sie nur ein Gast auf Zeit gewesen ist. Danach irrt sie ziellos durch die Gegend. Eine Art Zaungast, ein Abfallprodukt, im schrecklichsten Sinne des Wortes, dieser Gesellschaft, in der nur Materielles und Oberflächlichkeiten zu zählen scheinen.
"Die Einladung" ist ein spannendes Porträt einer Protagonistin, die sich nicht recht einfügen will in die gängigen Klischees eines Täter-Opfer-Bilds. Sie tut, was getan werden muss, um mit den für sie zur Verfügung stehenden Mitteln das beste Ergebnis zu erzielen. Dabei geht sie nicht immer den legalen oder den moralisch saubersten Weg. Der Roman lotet jedoch feinsinnig aus, wie sehr Alex' Schicksal und ihr Handlungsspielraum durch eine vorgegebene Klassenzugehörigkeit und nicht zuletzt durch ihr Dasein als Frau begrenzt werden. Wie sie trotz aller Gegenwehr doch so oft ein Spielball der Mächtigeren bleibt.
Das Buch ist auch eine Klassenstudie eines Amerikas, in dem Überdruss und eine auf unverhältnismäßigem Reichtum begründete emotionale Verwahrlosung vorherrschen, und es ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, in der heutigen Welt eine Frau zu sein. Welche Anforderungen, Klischees, Grenzen, Vorurteile, Möglichkeiten und Perspektiven damit einhergehen. Besonders gefallen an der Geschichte hat mir die Ambivalenz, mit der Alex gezeichnet ist. Sie ist nicht gut und nicht schlecht, keine Heldin, aber auch keine Schurkin. Sie ist herrlich echt, roh, verwundbar, berechnend, verschlagen, verloren, suchend.
Ich finde, das Buch ist ein großartiges und spannendes Stück Gesellschaftskritik, das einen Nerv unserer Gegenwart trifft.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Sommerlichtblick

Nachts erzähle ich dir alles
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Ich habe bereits das erste Buch von Anika Landsteiner gelesen und es zwar in Ansätzen für gut, aber dennoch für ausbaufähig befunden. Ich bin froh, nun ein weiteres Mal zu einem Roman der Autorin gegriffen ...

Ich habe bereits das erste Buch von Anika Landsteiner gelesen und es zwar in Ansätzen für gut, aber dennoch für ausbaufähig befunden. Ich bin froh, nun ein weiteres Mal zu einem Roman der Autorin gegriffen zu haben, denn "Nachts erzähle ich dir alles" hat mich vollständig überzeugt.
Im Buch geht es um Lea, die in Deutschland lebt, obwohl ihre Wurzeln in Südfrankreich liegen. Nach vielen Jahren kehrt sie nun in das Haus ihres Großvaters zurück, wo sie einst die Sommer ihrer Kindheit und Jugend verbrachte, um sich dort eine Auszeit von einem Leben zu nehmen, in dem sie nicht weiß, welche Richtung sie als nächstes einschlagen soll. Eines Nachts taucht im Garten dieses Hauses ein junges Mädchen auf. Am nächste Morgen ist das Mädchen tot und sein Bruder steht vor der Tür, mit hundert Fragen, in die sich die beiden nach und nach verstricken.

Die Geschichte liest sich überraschend neu, mir ist eine ähnliche Handlung so noch nicht angekommen. Der Schreibstil ist bildreich und plastisch, manchmal sind die Beschreibungen Südfrankreichs fast ein wenig klischeehaft, aber nie so, dass es eine gewisse Grenze überschreitet. Ich mag, wie die Geschichte zwischen Spannungsroman, Gegenwartsliteratur und Feminismus divergiert. Denn zwischen den Zeilen geht es immer wieder um feministische Themen, insbesondere um weibliche Selbstbestimmung, und die Gefahren, mit denen man als Frau immer zu rechnen hat. Das alles wird auf eine Weise in den Text eingewoben, die niemals aufgesetzt wirkt. Die Figuren wirken authentisch und lebensecht, ich konnte sie greifen und verstehen, was sie angetrieben hat.
Gefallen hat mir außerdem, dass Landsteiner hier den klassischen Urlaubs-/Sommerroman auf eine ganz neue Art und Weise interpretiert. Trotz der an einen Spannungsroman erinnernden Handlung und der ernsten Grundthematik bleibt ein gewisses Urlaubsflair, eine Atmosphäre, ein Feeling irgendwie greifbar. Und gleichzeitig geht dabei auch der Ernst der Thematik nicht verloren. "Nachts erzähle ich dir alles" ist wirklich eine neue Darstellung eines Genres, das man bereits zahllos oft gelesen hat, und in dieser Form wenig kennt.

Fazit:
In das warme gelbgoldene Licht des südfranzösischen Sommers getaucht, ist "Nachts erzähle ich dir alles" ein ernster, atmosphärischer Roman, hinter dem eine starke Idee steckt, die entsprechend stark umgesetzt wurde.

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