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Veröffentlicht am 06.10.2023

Selbsthilfe für chronische Beschwerden mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen

Brain in Balance
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Dass Joey Remenyi weiß wovon sie schreibt und dies ernst nimmt, wird bereits in der Einleitung deutlich, wenn sie ihren Anspruch und ihre Überlegungen deutlich macht, das vorliegende Buch in Layout, Schriftbild ...

Dass Joey Remenyi weiß wovon sie schreibt und dies ernst nimmt, wird bereits in der Einleitung deutlich, wenn sie ihren Anspruch und ihre Überlegungen deutlich macht, das vorliegende Buch in Layout, Schriftbild und Inhalt so zu gestalten, dass es für Menschen mit Einschränkungen gut zu bewältigen ist. So viel Bewusstsein, Sensibilität und Rücksichtnahme hat bei mir direkt dazu geführt, dass ich mich gut aufgehoben fühlte.

Nach der Lektüre muss ich sagen, ihrem Anspruch wird die Autorin eindeutig gerecht. Alles ist verständlich erklärt, übersichtlich gestaltet und angenehm zu lesen.

Das Buch ist in die drei Teile Gewohnheiten, Hilfe und Heilung, jeweils mit Unterkapiteln gegliedert. Das Prinzip der Neuroplastizität wird ebenso vorgestellt wie Hintergründe zu den verschiedenen Erkrankungen und möglichen Untersuchungen. Im Kern geht es jedoch darum, wie das Prinzip der Neuroplastizität genutzt werden kann, um chronische Beschwerden zu heilen oder zumindest zu lindern. Der Ansatz ist eine Form der Selbstermächtigung und Selbsthilfe auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. Besonders gelungen finde ich die kurzen Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels und die dazugehörigen Übungen für die eigene Übungspraxis. Theorie und Praxis werden so unmittelbar und eingängig verbunden.

Die Autorin wiederholt sehr oft die Kerngedanken des Ansatzes, für mich hat sich dies trotzdem nicht redundant angefühlt, da ich so bereits beim Lesen einen Prozess des Lernens und Verinnerlichens durch die Wiederholungen gefühlt habe.

Ich habe das Buch nicht mit Tinnitus- oder Schwindelerfahrung, sondern postviralen Beschwerden (Post Covid mit Me/CFS) gelesen und konnte für mich viele wertvolle Gedanken daraus ziehen, da es aus meiner Sicht einige Parallelen gibt und die Aussagen und der Ansatz der Autorin bis zu einem gewissen Grad für viele chronifizierte Beschwerden generalisierbar sind.

Ich empfehle das Buch allen Menschen mit chronischen Beschwerden, die schon viel ausprobiert haben, vielleicht auch viel Geld ausgegeben haben. Es vermittelt eine andere Haltung, die in jedem Fall hilfreich ist, auch wenn sie keine Wunder bewirken kann. Oder vielleicht doch?

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Veröffentlicht am 27.09.2023

Ein Buch für alle Lebenshandwerkerinnen und Chamäleons, die oft den wichtigsten Menschen in ihrem Leben vergessen - sich selbst!

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
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Katha macht alles richtig - zumindest für alle anderen! Nichts kann sie so gut, wie sich unsichtbar machen, es anderen recht machen, auf magische Weise funktioniert alles, dank Katha! Die Sache hat nur ...

Katha macht alles richtig - zumindest für alle anderen! Nichts kann sie so gut, wie sich unsichtbar machen, es anderen recht machen, auf magische Weise funktioniert alles, dank Katha! Die Sache hat nur einen Haken - funktioniert das auf Dauer auch für Katha? Funktioniert es für irgendeinen Menschen, der oder die alle eigenen Bedürfnisse zurückstellt, und dabei fast zwangsläufig den Zugang zu sich selbst verliert, oder nie findet, und damit auch zum eigenen Glück?

Wie begegnen im Roman zunächst der erwachsenen Katha, Ende 20, wohnhaft in Berlin, die uns bereits nach wenigen Seiten mit in die Erinnerung an ein prägendes Jahr ihrer Jugend, vielleicht das bis dato wichtigste ihres Lebens, mitnimmt. Katha ist in dieser Vergangenheit 14, ihre Eltern haben sich gerade getrennt, sie zieht mit Mutter und der jüngeren Schwester Nadine zurück in die Heimatstadt ihrer Mutter, nach Dortmund.

Während ihre Mutter mit der neuen Situation überfordert ist, ihre kleine Schwester rebelliert, macht Katha, das, was sie immer tut - sie antizipiert die Wünsche und Erwartungen ihres Umfelds, kümmert sich um ihre Schwester, Haushalt etc., versucht Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen, und wenn doch räumt sie sie aus dem Weg. Sie funktioniert perfekt und ist stolz darauf.

Erst als sie auf Lica trifft, Mutter einer ihrer neuen Freundinnen, beginnt sie sich selbst in Frage zu stellen. Denn Lica ist anders, anders als alle Frauen, die sie bisher kennengelernt hat, sie fasziniert Katha und Katha beginnt zu ahnen, dass dieses anders vielleicht genau richtig ist. Doch dann wird Lica krank und Katha muss sich abermals in Frage stellen.

Der Roman bewegt sich zwar in weiten Teilen in Kathas Jugend, doch ihre Überlegungen sind oft fast universell, so dass sich vermutlich viele Frauen unabhängig ihres Alters darin wiederfinden werden.

An der Geschichte und Figur von Katha zeigt Sina Scherzant eindrucksvoll auf wie Strukturen, auch patriarchale, Schönheitsideale etc. auf uns wirken und wir uns unter ihnen verbiegen bis zur Selbstauflösung. Alle anderen sind glücklich, was spielt es da für eine Rolle, dass der Preis mein Selbst ist? Es sind diese internalisierten Erwartungen, die Scherzant an die Oberfläche bringt und damit sichtbar macht.

Emanzipation, Umgang mit Trauer und Schmerz, Frauenfreundschaften und Konkurrenzdenken all das sind Themen die Scherzant wie nebenbei in die Geschichte einflicht und dies in einer leichtfüßigen Sprache, die Schwere und wichtige Themen, quasi spielend vermittelt.

Ein wundervoller Gegenwartsroman, den ich uneingeschränkt empfehlen kann!

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Veröffentlicht am 14.09.2023

Heute Weltuntergang, morgen Tanztee: zwei Frauen, der Krieg, die Hoffnung und das Moor

Als wir an Wunder glaubten
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Das Moor, eine mystische Landschaft, nicht Wasser, nicht fester Boden, ein Dazwischen, ein Niemandsland, eine Kulisse wie geschaffen für das geschichtliche Dazwischen, der Krieg vorbei, die Entbehrungen ...

Das Moor, eine mystische Landschaft, nicht Wasser, nicht fester Boden, ein Dazwischen, ein Niemandsland, eine Kulisse wie geschaffen für das geschichtliche Dazwischen, der Krieg vorbei, die Entbehrungen und Zerstörungen der Infrastruktur, Gebäude und nicht zuletzt in den Seelen der Menschen jedoch so groß, dass auch der Frieden zunächst mit kaum weniger Entbehrungen verbunden ist.

Hier ist Helga Bürsters Roman angesiedelt, mitten in einer ostfriesischen Moorlandschaft zwischen Oldenburg und Leer. Im Mittelpunkt zwei Frauen, Anni und Edith, beide warten noch vier Jahre nach Kriegsende auf ihre Männer. Den Krieg ebenso wie die Zeit danach haben sie nicht zuletzt überlebt, weil sie zusammengehalten, sich unterstützt haben. Als Josef, Annis Mann, schwer verwundet aus dem Krieg zurückkehrt, könnte dies ein Segen sein. Doch was Josef aus dem Krieg mitbringt, trifft auf Verdrängen, alte Weisheiten, Aberglaube und neue Scharlatane im Moordorf. Eine verheerende Mischung, wie man als Leserin schnell zu ahnen beginnt.

Es ist eine Hilflosigkeit in der Dorfgemeinschaft, die zuweilen aus den Zeilen spricht, Orientierungslosigkeit, das Bedürfnis nach Sinn, nach all dem Leid, an einigen Stellen jedoch auch das Bedürfnis nach Aufbruch in eine neue Zeit. Es verwundert daher kaum, dass es auch die Zeit der Wunderheiler ist, die den Menschen vermeintlich Sinn geben in einer oft sinnlos anmutenden, harten und unsicheren Zeit. Der Preis dafür ist hoch. Für den Einzelnen, der sein letztes Hemd gibt, für Heilung, Befreiung von Schuld und für den Zusammenhalt in der Gemeinschaft.

Der Boden des Moores wird so im doppelten Sinne zur Keimzelle der Mystik, als landschaftliche Kulisse sowie Abgeschiedenheit und Armut der Bewohnerinnen, die als Nährboden für Aberglaube dienen.

Sehr authentisch und bedrückend fängt Helga Bürster die Kriegsgräuel und auch das Mitwissen und die individuelle Schuld in diesem Krieg ein. Da gibt es Erinnerungen an die Erfahrungen an der Front, aber auch an ein Lager für Zwangsarbeiter im Moor, alle wussten es, haben es beobachtet, doch nun will keiner davon wissen, sich erinnern. Fast nebenbei flicht die Autorin furchtbare Details ein und macht diese damit nur noch eindringlicher.

Bei allen Entbehrungen und Leid, enthält der Roman einige wirklich komische Anekdoten und Aussagen mit denen die Autorin auch die Skurrilitäten der Region, Charaktere und Zeit einbindet, wie beispielsweise das Ausfallen des Weltuntergangs, stattdessen Tanztee, Gustes Weisheiten als alte Moorfrau oder Bettys flottes Mundwerk. Auch die immer wieder eingeschobenen, kurzen Aussagen und Weisheiten auf Platt, lassen tief in die Geschichte eintauchen, als befinde man sich mitten in Unnenmoor.

Die Figuren sind durchweg sehr liebevoll und authentisch ausgearbeitet. Ich habe bis zum Ende mit diesen vielen starken Frauen im Roman mitgefühlt, nicht zuletzt mit Betty (Ediths Tochter), deren Geschichte die Handlung abrundet und der weisen alten Guste.

„Als wir an Wunder glaubten“ ist ein Buch über Nachkriegsdeutschland, die Macht und Verführbarkeit von Mythen, Zauber und nicht zuletzt Verschwörungstheorien, die Mystik der Moorlandschaft und besonders auch über starke Frauen. All diese Aspekte verknüpft Helga Bürster in einer atmosphärischen und mitfühlenden Sprache zu einem wundervollen Leseerlebnis mit Relevanz bis in die Gegenwart.

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Veröffentlicht am 29.08.2023

Humorvoll, manchmal fast bissig, klug, und berührend zugleich

Eigentum
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Wolf Haas ist mit Eigentum ein kleines Kunstwerk gelungen. Die Sätze und Gedanken sind schneidend, schnell, galoppieren nahezu angesichts des nahenden Ablebens der 95 Jährigen und doch erzeugt das Geschriebene ...

Wolf Haas ist mit Eigentum ein kleines Kunstwerk gelungen. Die Sätze und Gedanken sind schneidend, schnell, galoppieren nahezu angesichts des nahenden Ablebens der 95 Jährigen und doch erzeugt das Geschriebene gleichzeitig so viel Wärme und Empathie für den Lebensweg seiner Mutter, den Wolf Haas, mal bissig, mal melancholisch, mal genervt, jedoch immer liebevoll und mit viel Humor beschreibt.

1923 geboren hat die Mutter Inflation, die Kriegsjahre in den Arbeitsdienst 1000km verschickt von Österreich nach Norddeutschland, die Nachkriegsjahre als Serviererin in der Schweiz, und später ein Leben immer am Existenzminimum im ländlichen Österreich. Dieses Leben, es hat sie hart gemacht, eigenbrödlerisch, unnachgiebig und seltsam. Wolf Haas beweist sich als Chronist mit Sinn für die Entbehrungen, zuweilen sehr lustigen Kuriositäten, und auch Leistungen der Mutter in diesem ereignisreichen Leben, dessen Ende er nun begleitet.

Ein wundervolles Buch zum Erinnern!

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Veröffentlicht am 09.08.2023

Die junge Frau und das Meer

Mattanza
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Mattanza, so viel sei verraten, ist die traditionelle Thunfischjagd bzw. konkret das Töten der Thunfische, als eine der Phasen des Thunfischfangs (Tonnara). Der Roman beschreibt das Leben auf der süditalienischen ...

Mattanza, so viel sei verraten, ist die traditionelle Thunfischjagd bzw. konkret das Töten der Thunfische, als eine der Phasen des Thunfischfangs (Tonnara). Der Roman beschreibt das Leben auf der süditalienischen Insel Katria von 1960 an über 5 Jahrzehnte bis ins Jahr 2012. Katria lebt vom Thunfischfang, der Takt und Leben aller EinwohnerInnen bestimmt. Im Mittelpunkt Eleonora Greco, genannt Nora, der „göttliche Fehler“, denn sie kam gegen alle Erwartungen und Hoffnungen als Mädchen, und nicht als Junge und gebührender Nachfolger des großen Raìs zur Welt. In Ermangelung an Alternativen wird Nora trotz ihres Geschlechts zum Nachfolger ihres Großvaters ernannt und von diesem als Oberhaupt der Thunfischfänger, und aufgrund seiner stillen Autorität implizit der ganzen Gemeinschaft, ausgebildet.

Der Stil und die Geschichte erinnern mich unmittelbar an Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Marquez. Dort das fiktive Macondo als Ausgangspunkt einer Familiensaga an der kolumbianischen Karibikküste, hier die süditalienische Insel Katria (die es tatsächlich gibt und heute Favignana genannt wird). Ein Hauch von magischem Realismus weht durch die Zeilen, wenn Noras Gefühl der Ausgrenzung, ihre Verbundenheit mit dem Meer, der Aberglaube in der Dorfgemeinschaft, die vom Thunfischfang geprägte Gemeinschaft, mit ihren BewohnerInnen und all ihren Eigenheiten mit viel Liebe zum Detail, den Menschen und der Sprache beschrieben werden. Germana Fabiano nimmt uns mit in eine Welt aus Geschichten, Gerüchten, Glauben, „kaum wahrnehmbaren Gesten, Blicken, die hin und her gehen, geflüsterten Worten“. Da ist beispielsweise Don Tanino dei Tonni von dem niemand, einschließlich ihm selbst noch seinen richtigen Nachnamen weiß, als er hundert wurde, habe er verkündet nicht mehr zu sterben.

Wenn die Rolle und innere Berufung des Raìs beschrieben wird, „du wirst in deinem Gesicht die Routen tragen, die du auf dem Meer zurückgelegt hast, die Furchen, die dir die Sonne in die Haut brennt, und eine Zärtlichkeit, die niemand je in dir erkennen wird“, dann kommt darin nicht nur eine gewisse Magie zum Ausdruck sondern auch die unbändige Liebe zum Meer und gleichzeitig der Respekt vor der Natur und der Gewalt des Ozeans.

All diese Geschichten und Traditionen sind es die jahrhundertealtes Wissen konservieren und bis in die Moderne das Leben der InselbewohnerInnen prägen. Fabiano verfasst so mit der Geschichte um Nora eine Chronik dieser Insel und des Thunfischfanges bis in die Moderne, die auch das Leben auf der Insel verändert, sei es durch den Tourismus oder den Fluchtbewegungen über das Mittelmeer.

Besonders gefällt mir, dass eine Frau im Mittelpunkt der Geschichte steht und diese damit auch eine Geschichte von Emanzipation und Ermächtigung in einer Welt die Männern vorbehalten war, ist. Über Jahrhunderte war der Raìs ein Mann und man glaubte nur männliche Nachfahren, wären traditionell der Aufgabe gewachsen. In Mattanza kann man Nora beobachten, wie sie mit Talent und ebenso viel harter Arbeit und Disziplin diese vermeintlichen Gewissheiten Lügen straft und sich den Respekt der Männer erarbeitet. Dabei erleben wir beim Lesen immer wieder wie Nora versucht ihre Rollen als Frau und als Raìs auszutarieren und sowohl die Rollen als auch sich selbst dabei neu zu erfinden.

Ein Lesevergnügen, bei dem man ganz nebenbei auch viel über den Thunfischfang lernt (eine sehr schöne Skizze der Fanganlagen ist im Anhang des Buchs beigefügt). Und immer im Mittelpunkt das Meer als Sehnsuchtsort und Respekt erheischende Naturgewalt zugleich.

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