Wie kann etwas ein Zuhause sein, wo nicht richtig gekocht wird?
Dies fragt sich Marieke, als sie die vakuumverpackten Beutel mit undefinierbarem und ungenießbarem Mittagessen im Pflegeheim betrachtet, in dem sie arbeitet. Doch nicht nur dort, auch mit ihrem Freund ...
Dies fragt sich Marieke, als sie die vakuumverpackten Beutel mit undefinierbarem und ungenießbarem Mittagessen im Pflegeheim betrachtet, in dem sie arbeitet. Doch nicht nur dort, auch mit ihrem Freund Blok und in ihrer Familie wurde ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht (mehr) gekocht. Das Zuhause(Gefühl), es fehlt nicht nur im Pflegeheim, auch in Mariekes Privatleben.
Marieke identifiziert sich mit den Seniorinnen, träumt vom Vergessen, Nichts tun, das Leben, Erinnerungen sammeln, möchte sie hinter sich haben, denn offensichtlich spürt sie schon lange, dass die Richtung in die ihr Leben sich entwickelt hat, sie nicht glücklich macht, sie womöglich sogar zerstört. Ihre Partnerschaft, ihre Beziehung zu Mutter, Schwestern und Vater, die katastrophalen Zustände im Pflegeheim, auf all diesen Ebenen hat sie immer nachgegeben, sich angepasst, und sich dabei allmählich selbst verloren oder nie die Chance gehabt sich selbst zu entdecken. Wie es zu dem berühmten Tiefpunkt gekommen ist und wie Marieke sich daraus herauszuarbeiten versucht, beschreibt Amarylis de Gryse in kurzen Kapiteln im Wechsel von Gegenwart, Rückblicken und Träumen. Ihre Sprache ist dabei unglaublich sensibel, nie zu viel oder zu wenig, manchmal traurig, manchmal traurigkomisch, und manchmal entlockt sie ein Lächeln.
Die Beschreibung von Gerichten und ihrer Zubereitung lassen eintauchen in Genuss- und immer parallel auch Gefühlswelten, Lebenswelten und Gemütszustände. Nahrung, Kochen ist Leben in diesem Buch und spiegelt ganz selbstverständlich Glück und Zufriedenheit ebenso wie Traurigkeit und Verlust wider.
Die Einbettung von Pflegealltag und Thematisierung von Rationalisierung der Pflege und Pflegenotstand und seinen Konsequenzen für Personal und Senior*innen finde ich sehr gelungen, und ich kenne bisher keinen Roman, der sich diesem, in unserer Gesellschaft allgegenwärtigen Thema, annimmt. Alleine dieser Aspekt, wäre für sich schon ein Grund das Buch zu lesen. Und es gibt noch so viele Gründe mehr!
Für mich ist dies die schwerste Rezension, die ich bisher geschrieben habe. Weil das Buch so besonders ist, so viele Aspekte und Themen, so klug umsetzt, und man es einfach selbst gelesen haben muss! Ein wunderbares, besonderes Buch!