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Veröffentlicht am 21.08.2023

Das Mädchen

Gebranntes Kind sucht das Feuer
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Das Mädchen ist Dreivierteljüdin, unehelich geboren und anders als die anderen, das merkt es schon im Kindesalter. Mit vierzehn Jahren hat es im Grunde keine Wahl bezüglich einer weitreichenden Entscheidung ...

Das Mädchen ist Dreivierteljüdin, unehelich geboren und anders als die anderen, das merkt es schon im Kindesalter. Mit vierzehn Jahren hat es im Grunde keine Wahl bezüglich einer weitreichenden Entscheidung und rettet die Mutter. So wird das Kind mit einem Judentransport über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und – überlebt den Zweiten Weltkrieg.

Von Klein auf wächst Cordelia ohne spürbare Liebe der Mutter heran, im vorliegenden autobiografischen Roman spricht sie sehr distanziert von sich als „das Mädchen“, möglicherweise, um das Leid und das Böse nicht so nah heranzulassen. Genau das scheint sie auch damals praktiziert zu haben, zur Zeit des Holocaust, um die Schrecken, die sie erlitten hat, auszublenden und nichts als das nackte Überleben vor Augen zu haben. Der Text als Erinnerung lässt die Zeiten verschwimmen, die Kindheit in Berlin geht immer wieder über in die Baracken von Auschwitz und wieder zurück. Angelehnt an die Glaubensinhalte der katholischen Mutter finden sich etliche Bibelzitate im Buch, ebenso wie Vergleiche mit Figuren aus der griechischen Mythologie. Wer in diesen Bereichen bewandert ist, wird vermutlich noch intensiver in dieses poetisch und gleichzeitig nüchtern verfasste Buch eintauchen können. Sehr persönlich und dennoch mit großer Distanz wird der Leser durch einzelne Szenen geführt, wichtige Ereignisse werden manchmal nur beiläufig erwähnt, sodass es großer Aufmerksamkeit bedarf, nichts zu übersehen.

Ein beispielhafter Rückblick auf ein absolut außergewöhnliches Leben, insbesondere als die Autorin das sichere Schweden verlässt und in Israel im Jom-Kippur-Krieg ankommt. Jeder einzelne Schauplatz lässt einem einen Schauer über den Rücken laufen und geht unter die Haut. Mit ihrem individuellen Blick auf die Gräueltaten rund um erschütterndes Kriegsgeschehen trägt Cordelia Edvardson jedenfalls ihren Teil dazu bei, dass immer wieder Leser wachgerüttelt werden, um Verdrängen und Vergessen zu verhindern.

Ein etwas anderes Buch von einem anderen Mädchen, das – geprägt von schrecklichen Erlebnissen – niemals wirklich ankommen und Frieden finden kann.

Veröffentlicht am 19.08.2023

Stationen der Menschlichkeit

Südfall
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1944. Als Einziger kann sich Dave nach dem Abschuss seines Fliegers mit dem Fallschirm retten und landet im nordfriesischen Watt. Eine sehr alte Dame, siebzig oder achtzig, findet ihn zwischen den Prielen ...

1944. Als Einziger kann sich Dave nach dem Abschuss seines Fliegers mit dem Fallschirm retten und landet im nordfriesischen Watt. Eine sehr alte Dame, siebzig oder achtzig, findet ihn zwischen den Prielen und gewährt dem Briten Unterschlupf. Obwohl er hier ausharren könnte bis zum Kriegsende, treibt ihn eine innere Kraft, von Husum der Küste entlang bis nach Dänemark zu fliehen, um von dort weiter nach England zu gelangen.

Von recht unterschiedlichen Personen erzählt Florian Knöppler in dieser ungewöhnlichen Geschichte. Jeder ist ein Kapitel gewidmet, alle begegnen Dave auf seinem Weg in die Heimat. Wie werden sie auf das Aufeinandertreffen reagieren, werden sie ihm helfen, ihn ignorieren oder ihn gar verraten? Etliche einzelne Episoden, die doch wiederum zusammenhängen und mit vielerlei Gedanken und Gefühlen aufwarten, präsentiert Florian Knöppler mit seinem angenehm ruhigen Schreibstil. Manche Figuren geben mehr von sich preis, manche weniger, nicht immer erfährt der Leser, welche Gründe die einzelnen Menschen zu ihrem Tun bewegen, aber auch der Feind ist ein Mensch, das ist wohl die wesentliche Aussage dieses Romans.

Ein Buch über Mut und Aufrichtigkeit, welches berührend anders ist als ein typischer Fluchtroman. Gerne vergebe ich vier Sterne und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.08.2023

Interessante Einblicke

Wal macht Wetter
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Steigende Lufttemperaturen, schmelzende Polkappen, sinkende Walpopulation und emsige Termiten – was das miteinander zu tun haben kann? In ihrem aktuellen Sachbuch mit dem klingenden Namen „Wal macht Wetter“ ...

Steigende Lufttemperaturen, schmelzende Polkappen, sinkende Walpopulation und emsige Termiten – was das miteinander zu tun haben kann? In ihrem aktuellen Sachbuch mit dem klingenden Namen „Wal macht Wetter“ erklären Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg auf für jedermann gut verständliche Art und Weise, was es mit dem Klimawandel auf sich hat und wie wir uns ganz einfach von der Natur abschauen können, was der Mensch tun kann, um dem Ganzen noch (ein wenig) Einhalt zu gebieten.

Sehr übersichtlich strukturiert gliedert sich dieses interessante Buch in drei große Abschnitte – wo liegen die Ursachen – was zeigt uns die Natur vor – was sollten wir selber tun? Auch für Laien verständlich werden Kohlenstoffkreislauf und andere chemische und physikalische Grundlagen erklärt, auf kleine effekthaschende Tricksereien wie Änderung der Maßeinheit (erst „21 bis 24 Zentimeter“, kurz darauf „97 Millimeter“, kindle Pos. 287) hätte man durchaus verzichten können. Ebenso käme das Buch gut aus ohne „müssen wir hier gleich warnend den Finger erheben“ (kindle, Pos. 592), die Fakten sprechen für sich, wenngleich zugegeben wird, dass es so manch nötigen Mess- und Vergleichswert gar nicht gibt (kindle, Pos. 341) und daher vieles auf Annahmen und Modellierungen beruht. Trotz allem kann man eben die Tatsache einer – rascher als früher – voranschreitenden Klimaänderung nicht leugnen. Ob es für diese Erkenntnis teils komisch zu lesende Kunstwörter mit Gendersternchen braucht, sei dahingestellt.

Sehr anschaulich werden die einzelnen Kapitel beleuchtet, Tabellen, Abbildungen und Fotografien untermauern den Text und sorgen sowohl für Abwechslung als auch für besseres Verständnis. Alles eigentlich ganz einfach, denkt man sich nach dem optimistisch gehaltenen Ende, warum nur passiert denn das alles (noch) nicht? Denn statt komplizierter, hochpreisiger technischer Lösungen zeigen uns Termiten und Mangroven, wie es preiswert und mit oftmals einfachen Mitteln geht. Das Wissen aus diesem Buch muss an die breite Öffentlichkeit dringen, damit nicht nur große Konzerne als Gewinner hervorgehen, sondern unser gesamter Erdball, samt seiner vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt, einschließlich des Menschen.

Einmal gelesen, kann ich dieses Buch trotz kleiner Kritikpunkte jedenfalls weiterempfehlen.


Veröffentlicht am 14.08.2023

Auf der Suche

Paradise Garden
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Die 14jährige Billie, die eigentlich Erzsébet heißt, lebt mit ihrer Mutter in einer billigen Wohnhausanlage am Stadtrand, selbst zwei Jobs reichen kaum zum Leben. Dennoch verschafft Mutter Marika ihrer ...

Die 14jährige Billie, die eigentlich Erzsébet heißt, lebt mit ihrer Mutter in einer billigen Wohnhausanlage am Stadtrand, selbst zwei Jobs reichen kaum zum Leben. Dennoch verschafft Mutter Marika ihrer Tochter ein zufriedenes Leben, am Monatsanfang leisten sie sich sogar einen bunten Eisbecher mit dem strahlenden Namen Paradise Garden, während das Geld um den Monatsletzten herum gerade noch für Nudeln mit Ketchup reicht. Auch im Schwimmbad oder einfach bei guter Musik kann man eine unbeschwerte und vergnügliche Zeit erleben. Alles ändert sich, als die kranke Großmutter plötzlich aus Ungarn anreist. Billie kennt sie gar nicht, die Erzählungen lassen nichts Gutes ahnen. Und dann wird Billies Mutter aus dem Leben gerissen, Billie verliert ihr Paradies. Eine Suche nach der Herkunft, nach dem Vater, beginnt.

Mit einer bitteren Erinnerung an den Sommer, in dem die Mutter verstorben ist, beginnt diese Geschichte, die trotz aller Wehmut auch Lebensfreude und Zuversicht versprüht. Wie man auch mit kleinen Dingen sein Glück finden kann, zeigt Marika ihrer Tochter Billie immer wieder. Billie erzählt in der Ich-Form ihre Sicht der Dinge, beschreibt ihre Gedanken und Gefühle. Während es in der ersten Hälfte des Romans um eine Mutter-Tochter-Beziehung geht, mischt ab der Mitte dann noch die fremde Großmutter mit und Billie setzt sich bald kurzerhand in den rostigen Nissan, auf der Suche nach einem unbekannten Vater. Auch wenn ab diesem Punkt die Handlung eher unglaubwürdig wirkt, so passt sie doch zu einer Jugendlichen, die plötzlich allein dasteht und Antworten will. Ihre Motivation ist jedenfalls gut nachvollziehbar.

Ein interessantes Buch aus Sicht einer 14jährigen, das ich durchaus empfehlen kann.

Veröffentlicht am 12.08.2023

Schokolade vor dem Ersten Weltkrieg

Salz und Schokolade (Die Halloren-Saga 2)
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Halle an der Saale, 1905: In der Küche eines kleinen Cafes hält sich Chocolatier Julius am liebsten auf, denn da kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen und feinste Pralinen kreieren. Sein Stiefvater ...

Halle an der Saale, 1905: In der Küche eines kleinen Cafes hält sich Chocolatier Julius am liebsten auf, denn da kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen und feinste Pralinen kreieren. Sein Stiefvater Leopold Mendel würde ihn jedoch gerne öfter in der Fabrik sehen, wo man sich um den Import von Kakao und anderen erlesenen Zutaten kümmert. Um den Fortbestand der Firma David zu sichern, einer traditionellen Schokoladenmanufaktur, soll sich Julius mit Cäcilie David vermählen. Beide jungen Leute haben mit ihren Herzen aber schon andere Partner gewählt. Allerdings entsprechen die nicht den herrschenden Konventionen.

Die Fortsetzung der Halloren-Saga ist zeitlich gesehen dem ersten Band vorgelagert, nämlich von 1905 bis 1923, beschreibt die Zeit der aufkommenden Arbeiterbewegung und des Rufes nach einem Frauenwahlrecht, schildert den Trend zum Auswandern nach Amerika und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Vor einer bestens recherchierten historischen Kulisse erlebt der Leser bewegende Schicksale rund um die Schokoladenfabrik und gesellschaftliche Normen. Geheiratet wird, um Vermögen und Macht zu sichern, die Liebe wird sich gelegentlich schon einstellen.

Anfangs ist es ein wenig schwierig, den verschiedenen Handlungssträngen und der großen Zahl an Personen zu folgen, insbesondere, wenn man den ersten Band schon kennt und sich doch hier – etliche Jahrzehnte zuvor – wieder völlig neu orientieren muss, anstatt bereits bekannten Figuren neuerlich zu begegnen, wie man es sonst von solchen Familiengeschichten eher gewohnt ist. Nichtsdestotrotz sind auch diesmal sämtliche Akteure klar charakterisiert, durch die recht unterschiedlichen Positionen wird alles lebendig und gut vorstellbar. Amelia Martin verpackt eine Menge interessanter Themen ins Geschehen, sodass ein sehr umfassendes Bild der genannten Jahre entsteht.

Auch dieser Teil der Halloren-Saga ist unterhaltsam und informativ, sodass ich ihn gerne weiterempfehle.

Titel Salz und Schokolade, Süße Wunder
Autor Amelia Martin
ASIN B0BG4XT3F6
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (496 Seiten)
Erscheinungsdatum 27. Juli 2023
Verlag Ullstein
Reihe Die Halloren-Saga