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Venatrix

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Veröffentlicht am 16.08.2023

Ein penibel recherchierter hist. Roman

Der Zauberer vom Cobenzl
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Dieser historische Roman, der im Wien des 19. Jahrhunderts spielt, beginnt ein wenig makaber: Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach (1788 bis 1869) spaziert mit seiner Tochter Hermine und einem ...

Dieser historische Roman, der im Wien des 19. Jahrhunderts spielt, beginnt ein wenig makaber: Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach (1788 bis 1869) spaziert mit seiner Tochter Hermine und einem sensitiven Medium nächtens über den Grinzinger Friedhof, um das „Od“, das den Toten entweichende Fluidum des Lebens zu erforschen.

Reichenbach ist Forscher und Erfinder, der unter anderem das Paraffin entwickelt hat. Neben Handfestem erfindet er auch diverse Wortschöpfungen. Seine Töchter Hermine und Ottone wachsen für diese Zeit recht unkonventionell auf. Während Hermine in des Vaters Fußstapfen tritt und sich der Botanik widmet, ist Ottone eine begnadete Musikerin. Doch irgendwann, die Familie zieht aus dem Böhmischen nach Wien, kippt Reichenbachs fortschrittliches Denken. Die Töchter sollen unverheiratet bleiben und ihm den Haushalt führen und Gesellschaft leisten. Die aufmüpfige Ottone bricht als Erste mit dem Vater und verlässt das Elternhaus.

„Das Wichtigste, das ich von Vater lernte, war jedoch nicht das Botanisieren und Mikroskopieren, das Studieren und Analysieren, die Arbeit im freien Feld, in Labor und Herbar, sondern etwas ganz anderes, das ich erst viel später verstand: Rückschläge durften niemals Endpunkte sein, wer vom Pferd fiel, saß sofort wieder auf (S. 160)“

Als Hermine mit dreißig Jahren dann doch heiratet, muss sie ihre Mitgift einklagen - eine für damalige Zeiten ungehörige Aktion. Außerdem widerlegt sie die Vorhersage des Vaters und eines behandelnden Arztes, dass sie infolge einer schweren Erkrankung im Kindesalter, selbst keine Kinder bekommen kann. Als quasi „beschädigte Ware“hat sie doch im Haushalt des verwitweten Vaters zu bleiben, oder? Allen zum Trotz schenkt sie einer gesunden Tochter das Leben.

Spät aber doch, wird ihre wissenschaftliche Arbeit (als Hermine Schuh) anerkannt, „man fand, dass man für mich eine Ausnahme machen müsse, manchmal lebe der Geist der Wissenschaft eben auch in einer Frau.“

Meine Meinung:

Wie ich es von Bettina Balàka gewöhnt bin, verwendet sie ein wunderschöne, beinahe poetische Sprache, um ihre Protagonisten in Szene zu setzen.

Die Geschichte zu diesem Buch liest sich selbst schon wie ein Roman: Bei ihren Recherchen zu „Die Tauben aus Brünn“ ist sie über die Persönlichkeit Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach (1788 bis 1869), der als „Zauberer von Schloss Cobenzl“ bekannt war, quasi gestolpert.

Die Autorin lässt Hermine die Familiengeschichte erzählen und gibt ihr damit eine Stimme. Hermine Schuh erlebt die Revolutionen des Jahres 1848 mit, die auch von bürgerlichen Frauen getragen wird. So begegnen wir hier Karoline Perin-Gradenstein und ihrem Lebensgefährten, dem Herausgeber der revolutionären Zeitung „Der Radikale“ Alfred Julius Becher, der im November 1848 standrechtlich erschossen wurde.

Warum die Figur des Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach nicht mehr in unserer Erinnerung ist? Wie aus der Familiengeschichte unschwer zu erkennen ist, ist er „nur“ ein Selfmademan, der trotz Nobilitierung in der Wiener Gesellschaft nicht anerkannt wird. Zunächst hat er mit seinen Erfindungen seine Arbeitgeber reich gemacht, sein eigenes Vermögen mit allen seinen Liegenschaften schließlich verloren und das Schloss Cobenzl ist nach Jahren des Verfalls im Jahr 1966 abgerissen worden.

Fazit:

Wer gerne historische Romane und Familiengeschichten in geschliffener Sprache lesen will, ist hier genau richtig. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 13.08.2023

Ein eindrucksvolles Zeitzeugnis

Mattanza
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Germana Fabiano entführt uns auf die kleine sizilianische Insel Katria. Sie ist so klein, dass es keine Straßen für Autos gibt, nur unbefestigte Wege für Motorräder.

Seit Jahrhunderten leben die Menschen ...

Germana Fabiano entführt uns auf die kleine sizilianische Insel Katria. Sie ist so klein, dass es keine Straßen für Autos gibt, nur unbefestigte Wege für Motorräder.

Seit Jahrhunderten leben die Menschen vom Fischfang, genauer gesagt von den Thunfischen, die auf dem Weg zu ihren Laichplätzen in die „Tonnara“, einem ausgeklügelten System von Netzen geraten und in der „Kammer des Todes“ von den Tonnaroti getötet werden. Das Kommando zum Beginn der „Mattanza“ gibt traditionell der Raís, der seit Jahrhunderten aus einer bestimmten Familie stammen muss.

Doch nun, im Jahr 1960 gibt es keinen männlichen Nachfolger, weder Neffe noch Cousin. Also bestimmt der regierende Raís, seine Enkelin Nora als seine Nachfolgerin. Nirgends, so argumentiert er, steht geschrieben, dass nicht eine Frau die verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen kann. Nora widmet sich der Ausbildung, wird aber gleichzeitig von den Dorfbewohnern scheel angesehen. Sie lebt wie „hinter Glas“.

Als er 1979 einen Schlaganfall erleidet, muss Nora die schwere Arbeit übernehmen und sie meistert die Aufgabe mit Bravour. Der Fang ist überaus üppig. Doch langsam gehen die ertragreichen Jahre zu Ende, bis es 2003 nur mehr weniger als ein Dutzend Thunfische sind, die den Fischern ins Netz gehen. Denn die großen Fangflotten haben durch Überfischung den Thunfischbestand fast ausgerottet.

Meine Meinung:

Germana Fabianos Erzählstil ist fesselnd und ich konnte das Meer und die blutige Arbeit riechen. Die Menschen sind von Wind und Wetter gegerbt, tief in ihren Traditionen verwurzelt und nehmen dennoch ihr Schicksal in ihre eigenen Hände, als der Verkauf der Konservenfabrik droht. Leidenschaftlich und äußerst eindrucksvoll schildert die Autorin die Ereignisse vom Höhepunkt bis zum Niedergang des traditionellen Fischfangs.

Das Buch kann einige Leser verstören, denn die „Mattanza“ ist eine blutige und archaische Angelegenheit, die mehrmals genau geschildert wird.

Fazit:

Ein grausames, aber eindrucksvolles Stück Zeitgeschichte, das es wert ist, gelesen zu werden.

Veröffentlicht am 12.08.2023

Eine gelungene Fortsetzung

Düstergrab
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Der neueste Krimi mit Frida Paulsen führt uns zunächst an das Grab von Fridas Schulfreund, an dem just am Tag nach der Beerdigung offensichtlich manipuliert worden ist. Als man das Grab und den Sarg öffnet, ...

Der neueste Krimi mit Frida Paulsen führt uns zunächst an das Grab von Fridas Schulfreund, an dem just am Tag nach der Beerdigung offensichtlich manipuliert worden ist. Als man das Grab und den Sarg öffnet, findet man die sorgfältig zurechtgemachte Leiche eines jungen Mädchens. Noch größer ist der Schreck, als man die Tote als jenes Mädchen identifiziert, das gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester vor vier Jahren aus dem Haushalt der Pflegeeltern geflüchtet ist. Die Vermisstenakte ist einer jener Cold Cases, die nun Bjarne Haverkamp, Livs ehemaliger Kollege, als nunmehriger Mitarbeiter des Cold Case-Teams in Kiel, bearbeiten soll. Fieberhaft wird nun abermals nach der anderen Zwillingsschwester Sophie gesucht. Lebt sie noch?

Während der Suche nach Sophie gerät ein Ehepaar, das der Glaubensgemeinschaft der Hutterer angehört, in den Fokus der Ermittler.

Gleichzeitig wird Bootz, der wortkarge Ermittler und Nachfolger Haverkamps an Livs Seite, direkt vor der PI niedergeschossen. Ein Racheakt? Zufall? Hat die Kugel Liv gegolten? Und warum handelt es sich bei der Waffe um ein Beweismittel, das eigentlich in der Asservatenkammer verwahrt sein sollte? Fragen über Fragen, die das Vertrauen der Polizisten zueinander stark erschüttern. Gibt es einen Maulwurf unter ihnen?

Meine Meinung:

Wie wir es von Romy Fölck gewöhnt sind, sind einfache Krimis ihre Sache nicht. Schon allein das Verschwinden und die Suche nach den Zwillingen füllt einen ganzen, dichten Handlungsstrang in diesem Krimi. Da kommt es mit dem Attentat auf Bootz noch viel dicker. Die Ermittler kommen kaum zum Essen oder Schlafen, sind ziemlich am Limit und müssen sich Gedanken darüber machen, ob Nick Wallner, der Chef Dreck am Stecken hat. Ein ziemlich komplexer Plot, der sowohl Polizisten als auch Leser in die eine oder andere Sackgasse manövriert.

Trotzdem kommt das Privatleben von Liv und Bjarne, der nun mit Sonja sein Glück versuchen will, nicht zu kurz.

Das Tempo ist hoch. Ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wer erstens die kleinen Lilly ermordet hat und zweitens wer auf Bootz geschossen hat. Beide Auflösungen sind schlüssig, wenn auch nicht gleich ersichtlich.

Schön zu lesen ist, dass der familiäre Zusammenhalt rund um Liv so toll ist.

Fazit:

Eine fesselnde Fortsetzung, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 12.08.2023

Eine gelungene Fortsetzung

Mühlviertler Todesspur
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Der Beginn des 6. Krimi rund um Chefinspektor Oskar Stern und sein Team lässt mich ein wenig schmunzeln. Oskar Stern und Mara Grünbrecht werden jeweils zu einem Fahrtechniktraining verdonnert. Er, weil ...

Der Beginn des 6. Krimi rund um Chefinspektor Oskar Stern und sein Team lässt mich ein wenig schmunzeln. Oskar Stern und Mara Grünbrecht werden jeweils zu einem Fahrtechniktraining verdonnert. Er, weil er so langsam fährt wie eine Schnecke, während sie jeden Einsatz fährt, als müsste sie eine Rallye gewinnen. Beide sind natürlich wenig begeistert und fügen sich nur laut murrend. Da kommt ihnen der Anruf, in der Ratgöbluckn, einem der bekannten Erdställe in Perg, liegt eine Tote, gerade recht. Grünbrecht prescht davon und Stern hängt sich, den Fahrinstruktor auf dem Beifahrersitz, an ihre Stoßstange.

Die Tote, eine junge Lehrerin, liegt sorgfältig hergerichtet inmitten von zahllosen Teelichtern. Ein Unglücksfall wird schnell ausgeschlossen und ins Visier der Ermittler geraten der Freund und beste Freundin der Toten, die Oskar Stern blöderweise gerade gemeinsam im Bett überrascht.

Als dann wenig später eine weitere Frauenleiche in ähnlicher Aufmachung gefunden wird, scheint die Idee von einem persönlichen Motiv nicht mehr haltbar zu sein.

Die Einwohner Pergs sind verunsichert und werfen der Polizei Untätigkeit vor, behindern aber gleichzeitig die Ermittlungen. Es gibt zahlreiche Spuren, die alle mehr oder weniger schnell in einer Sackgasse enden. Dann eröffnet sich eine neue und Chefinspektor Oskar Stern tappt nichts ahnend in die Falle des Täters.

Meine Meinung:

Ich kenne die Reihe ja schon vom ersten Fall weg. Mir sind die Protagonisten so richtig ans Herz gewachsen. Oskar Stern, weil er ein integrer Polizist und ein guter Chef ist. Seine einzige Schwäche, das langsame Autofahren, was nicht nur die Grünbrecht an den Rand des Wahnsinns bringt, sollte nun der Vergangenheit angehören. Stern ist ist auch ein liebevoller Vater und Großvater. Es sieht so aus, als ob ihm Autorin Eva Reichl noch ein spätes Liebesglück gönnt.

Oder, Mara Grünbrecht, die nach dem Tod ihres Verlobten im Einsatz (siehe „Mühlviertler Kreuz“) langsam wieder lächeln kann.

Schmunzeln musste ich, als Stern in Socken ermittelt, weil seine Schuhe möglicherweise einen Hinweis auf den Täter geben könnten.

Ich gebe zu, den Täter recht bald entdeckt zu haben. Aber, auf der Couch lässt sich leicht ermitteln, während das Team um Oskar Stern die Laufarbeit umgeben von blöden Sprüchen der Perger und der Presse arbeiten muss.

Die Auflösung ist so tragisch wie stimmig.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem 6. Fall für Oskar Stern und sein Team 5 Sterne.

Veröffentlicht am 12.08.2023

Eine Hommage an eine starke Frau

Paukenschläge aus dem Paradies
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Diese Erinnerungen der Ethel Smyth (1858-1944), die wohl die wenigsten von uns kennen, wirft einen Blick auf unbequeme, außergewöhnlich, unangepasste und rebellische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ...

Diese Erinnerungen der Ethel Smyth (1858-1944), die wohl die wenigsten von uns kennen, wirft einen Blick auf unbequeme, außergewöhnlich, unangepasste und rebellische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ohne die es die Fortschritte in der Emanzipation nicht geben würde.

»Wenn du nichts Nettes zu sagen hast, dann halt gefälligst den Mund!« Dieser Satz ist einer aus ihrer Kindheit, wie sie schreibt. Mädchen sollen nett und stumm sein und dümmlich vor sich hin lächeln.

Wer ist sie nun, diese Rebellin?

Ethel Smyth wächst mit ihren fünf Schwestern und einem Bruder auf dem elterlichen Landsitz auf. Ethel begehrt schon sehr früh auf. Um sich ihrer geliebten Musik widmen und ordentlichen Unterricht zu erhalten, tritt sie sogar in den Hungerstreik bis die Eltern nachgeben. Mit einer wilder Entschlossenheit, die kaum zu überbieten ist, überwindet sie die zahlreichen gesellschaftlichen Hürden und Fallstricke, die ihr auf dem Weg zur professionellen Komponistin in den Weg gelegt werden. Sie lernt Clara Schumann, Edvard Grieg und Johannes Brahms kennen, bekennt sich zu ihrer Homosexualität und steht auf der Seite der Suffragetten. Mit Emmeline Pankhurst ist sie befreundet und komponiert die Suffragetten-Hymne »The March of the Women«.

Im Nachwort wird ihre Beziehung zu Virginia Woolf (1882 - 1941) beleuchtet. Stellvertretend für die so verschiedenen, wie doch ähnlichen Frauen sei Virgina Woolfs Beschreibung von Ethel erwähnt:

»Sie ist vom Stamm der Pioniere, der Bahnbrecher. Sie ist vorausgegangen und hat Bäume gefällt und Felsen gesprengt und Brücken gebaut und so den Weg bereitet für die, die nach ihr kommen.«

Interessant zu lesen ist, dass Ethel Smyth durchaus Phasen der Selbstreflexion durchmacht und sich ihrer Schwächen bewusst ist. Sie erkennt, dass mit ein bisschen Diplomatie, der eine oder andere Affront vermieden werden hätte können, was ihrer Karriere als Komponistin durchaus dienlich gewesen wäre. Mit dem Kopf durch die Wand, kommt leider bei den durchwegs männlichen Zeitgenossen nicht so gut an. Auch Ethels Engagement für die Suffragetten ist schädlich für ihr Fortkommen.

»Ich bin tatsächlich berühmt – oder sollte man doch lieber sagen, bekannt? Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich seit über vierzig Jahre sozusagen meinen Job mache, und es ist mir dabei nicht gelungen, auch nur ein winzig kleines Rädchen im englischen Musikapparat zu werden.«

Was bleibt von Ethel Smyth?

Wie im Nachwort der Herausgeberin und Übersetzerin zu lesen ist, wurde am Weltfrauentag 2022 eine Statue, die Ethel Smyth dirigierend und in Lebensgröße zeigt, in ihrem Wohnort Woking enthüllt.

»Ich bin den ganzen Weg gegangen, traurig und glücklich. Denke nicht an die Traurigkeit, das betrifft nur das vergängliche Selbst und existiert daher nicht wirklich.«

Fazit:

Ein interessantes autobiografisches Vermächtnis einer Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.