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Veröffentlicht am 29.01.2024

Handwerklich leider kein gut gemachtes Buch zu einem eigentlich interessanten Thema

Schwerkraft der Tränen
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Die Autorin Yara Nakahanda Monteiro behandelt im vorliegenden Roman ein Thema, welches vermutlich mit ihrer eigenen Geschichte eng verbunden ist. Sie selbst ist, wie die Protagonistin Vitória, 1979 in ...

Die Autorin Yara Nakahanda Monteiro behandelt im vorliegenden Roman ein Thema, welches vermutlich mit ihrer eigenen Geschichte eng verbunden ist. Sie selbst ist, wie die Protagonistin Vitória, 1979 in der Region Huambo in Angola geboren und als kleines Kind nach Portugal, welches noch bis kurz davor Kolonialherrschaft über Angola besaß, ausgewandert. Im Roman flüchten die Großeltern mit Vitória vor dem Unabhängigkeitskrieg, welcher zu dieser Zeit schon in einen Bürgerkrieg übergegangen ist, nach Portugal, ins „Mutterland“. Eine ihrer drei Töchter, Rosa, die Mutter Vitórias, bleibt zurück, da sie als Soldatin kämpfen will. In 2003 kehrt nun Vitória zurück nach zunächst Luanda (Hauptstadt von Angola) und reist später weiter nach Huambo, um ihre Mutter zu finden. Wie viel davon einen biografischen Hintergrund hat, ist mir nicht bekannt, aber wie gesagt, ist der Autorin sicherlich viel am Thema gelegen.

So gern ich dieses Buch aufgrund der Grundthematik und meinem Interesse dafür gemocht hätte, hat es mich leider mit fortschreitender Lektüre mehr und mehr enttäuscht.

Gleich zu Beginn (und durchgängig bis zum Ende) ärgerte ich mich über den Schreibstil der Autorin. Dieser besteht von Anfang bis Ende aus den banalsten Satzaufbauten (Subjekt, Prädikat, Objekt) ohne gleichzeitig eine gewollte Einfachheit oder Redundanz als Stilmittel an den Tag zu legen. Das Buch klingt von vorn bis hinten wie der Aufsatz einer Schülerin des Abiturjahrgangs (bestenfalls). Als Beispiel diese Passage, obwohl man jede Seite des Buches aufschlagen könnte und eine ähnliche finden würde. Diese habe ich gezielt mit allen Zeilenumbrüchen übernommen:

„Nádia und Katila fragen, ob sie aufstehen dürfen. Sie wollen sich umziehen gehen.

Katila fragt, ob ich mitkommen will, etwas trinken und tanzen.

'Es wird bestimmt lustig', ermuntert mich Romena. 'Es sind schon viele zurück vom Studieren in Lissabon, London, Houston.'

Ich entschließe mich mitzukommen.

Ich will helfen, den Esstisch abzuräumen. Romena sagt, ich solle bloß nichts tun:

'Du bist zu Besuch.'

Cousine Salala darf weiter abräumen helfen. [usw. usf.]“

Neben dem zu simplen Satzaufbau und der geringen Aussagekraft der mitunter banalen, vermittelten Inhalte, fällt der nicht nachvollziehbare Wechsel der Erzählperspektive negativ auf. So beginnt der Text aus der Perspektive von Vitória in der Ich-Form erzählt, wechselt nach 50 Seiten kurz in einen personalen Erzählstil, wobei hier von Person zu Person innerhalb der Kapitel wild hin und her gewechselt wird. Diese Personen, in die wir hineinhören, sind aber keine für den Plot wichtigen Figuren. Vielleicht handelt es sich auch um einen allwissenden Blick, das ist tatsächlich schwer zu eruieren. Dann erfahren wir ganze gedankliche Monologe von einer bisher unbekannten und später auch nicht mehr wichtigen Figur in Kursivschrift, ein Stilmittel, was viel später im Roman noch einmal für Vitória angewandt wird. Die Perspektive wechselt zurück zur Ich-Erzählerin Vitória, nur um irgendwann wieder innerhalb eines Kapitels von einem Satz zum nächsten personal/allwissend zu werden. Dahinter scheint aber kein Muster durch, welches stilistisch oder inhaltlich diese Wechsel begründet würde. So scheint es eher, als ob die Autorin ihre eigene Erzählstimme noch finden müsse und sich hier und dort mal ausprobiert. Es wirkt tatsächlich weniger geplant als vielmehr aus Versehen so passiert.

Wenn schon der Schreibstil nicht sonderlich originell erscheint, so möchte man meinen, dass es dies dann der Inhalt hergeben sollte. Eigentlich ist das auch der Fall, da dieser Blick auf sowohl das heutige Angola als auch dessen nähere Vergangenheit im Sinne des Unabhängigkeits-/Bürger-/Stellvertreterkriegs es nicht oft oder gar nicht nach Deutschland zwischen zwei Buchdeckel schafft. Nur leider wird hier die Autorin überhaupt nicht speziell im Geschilderten. Die Handlung könnte, um es hart auszudrücken, in jedem anderen afrikanischen Land spielen. Das an sich könnte auch schon eine Aussage sein, keine Frage. Aber doch wird zu stark, auch vom Verlag, genau dieses angolanische Thema propagiert, um es dann nicht auszureizen. Leider wird wenig bis gar nichts zum Geschehen, in welches die Mutter der Protagonistin im Krieg verwickelt war, ausgeleuchtet. Gerade diese Stellung zwischen Ostblock und dem Westen, welche Angola zu einem Paradebeispiel für Stellvertreterkriege machen würde, erfährt keine Zuwendung der Autorin. Es gibt derzeit aktuelle Bücher von Autor:innen verschiedenster afrikanischer Länder auf dem Buchmarkt, die diese Zerrissenheit ihrer heutigen Protagonisten mit der Historie ihres Heimatlandes oder des Heimatlandes ihrer Vorfahren viel besser zeichnen, als es Monteiro schafft. Wenn dann noch eine Konversation über den Krieg in einer Schlüsselszene folgendermaßen abläuft:

„ ‚Jeder Krieg ist Verbrechen.‘

‚Verbrechen und seelisches Elend.‘

‚Ein Verbrechen, das ungesühnt bleibt.‘ “

hat Monteiro zwar nichts falsches geschrieben, bleibt aber auch weit unter meinen Erwartungen an einen anspruchsvollen Roman zurück. Eine Reflexion über den Krieg oder eine tiefgründige Beschäftigung der Protagonisten damit sucht man hier leider vergebens.

Selbst wenn mein eigener Anspruch an ein Buch, etwas mehr über die Lebens- oder geschichtlichen Umstände der Protagonisten zu lernen, nicht der der Autorin dieses Buches ist, so sollte es zumindest der sein, ihren Protagonist:innen näher zu kommen und etwas Tiefgründiges über diese zu erfahren. Leider gelingt auch dies der Autorin nur schwerlich. Die Charaktere bleiben meines Erachtens eher flach, ihre Beweggründe und Motive erscheinen nur teilweise nachvollziehbar und eine Charakterentwicklung wird nur behauptet und wenig erfahrbar gemacht. Nie habe ich deshalb so richtig mit Vitória mitfiebern können. Leider.

Die Handlung des Romans bekommt im späteren Verlauf plötzlich neue Stränge, unabhängig von den nicht nachvollziehbaren Perspektivwechseln, die ebenso wenig nachvollziehbar bleiben und nicht zielführend für die Gesamtaussage des Romans scheinen. Letztendlich wirkt es fast unerheblich, dass die Mutter Soldatin war. Der Plot um die Tochter Vitória und ihre Selbstfindung in Angola hätte auch ohne dieses Detail erzählt werden können. So verpufft der Roman zum Schluss, obwohl ab und an gute Ansätze durchscheinen konnten, ohne irgendeinen Nachhall bei mir hinterlassen zu haben.

Somit komme ich auf eine Gesamtbewertung von 2,5 Sternen = „unterdurchschnittlich“ bis “okay“. Ich habe mich für ein Abrunden auf 2 Sterne entschieden, da ich diesen Roman einfach nicht weiterempfehlen würde und mir aus dem Stegreif mindestens vier andere Romane mit ähnlichem Inhalt einfallen, die meiner Meinung nach handwerklich viel besser gemacht sind. Schade, da mich auf den ersten Blick der Klappentext in Kombination mit dem Titel und der Covergestaltung direkt ansprechen konnte.

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Veröffentlicht am 02.10.2023

Für Einsteiger:innen beim Thema Pflegeheim

Zwischen Mauern
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Margareta Blum, kurz Meta, arbeitet für sechs Nächte als ehrenamtliche Sitzwache in einem von der Schließung bedrohten Pflegeheim, in welchem auch Moses als Nachtschicht den einzigen Pfleger für 52 Bewohner:innen ...

Margareta Blum, kurz Meta, arbeitet für sechs Nächte als ehrenamtliche Sitzwache in einem von der Schließung bedrohten Pflegeheim, in welchem auch Moses als Nachtschicht den einzigen Pfleger für 52 Bewohner:innen darstellt und Dr. Pomp die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit nur schwer ziehen kann. Meta soll Herrn T. betreuen, den dieser ist geistig aufgrund eines Hirntumors verwirrt, schreit, fordert Pflegearbeit ein, für die nicht genug Personal da ist.

Wir begleiten nun die drei Personen Meta, Moses und Dr. Pomp in sechs Buchabschnitten, welche die sechs Nachtdienste darstellen, durch die Nacht und begleiten dadurch auch Herrn T. In seinem Sterbeprozess. Ein moralischer Konflikt entsteht für Meta, als sie in der dritten Nacht, nach ersten empathischen Annäherungen an Herrn T., erfährt, dass dieser gerüchteweise ein Alkoholiker gewesen sein und seine Frau geschlagen haben soll. Ab diesem Zeitpunkt hadert Meta mit sich, ob sie weiterhin zu Herrn T. Die nötige Nähe aufrechterhalten kann, um ihn zu betreuen.

Leider konnte mich weder sprachlich noch inhaltlich das Buch vom Hocker reißen. Sprachlich ist der Roman zwar solide geschrieben aber sehr einfach gehalten, äußerst dialoglastig und ohne einen größeren literarischen Anspruch, eher Unterhaltungsniveau. Die Unterkapitel innerhalb der Buchabschnitte sind äußerst kurz gehalten und innerhalb dieser wiederum gibt es sehr kurze Absätze, die immer wieder durch Leerzeilen getrennt sind. Das macht die Lektüre unruhig und streckt höchstens die Seitenzahl. Inhaltlich geht mir der Roman einfach bezüglich zu vieler Punkte nicht genug in die Tiefe. So bleiben die Figuren sehr flach, bekommen leider keine tiefergehende Hintergrundgeschichte und handeln dementsprechend nicht nach einem psychologisch hergeleitetem Muster. Es wird z.B. lediglich erwähnt, dass Meta in einer Bank arbeitet und für diese Woche Ehrenamt Urlaub genommen hat. Im Laufe des Romans wird sie eine verstorbene Heimbewohnerin sehen und mit ihr Unterhaltungen führen. Ob die Auszeit bei der Arbeit mit Metas psychischem Befinden oder was es generell mit diesen Halluzinationen zu tun hat, bleibt vollkommen ungesagt. Über Moses und Dr. Pomp erfahren wir auch nicht mehr. Des Weiteren ist der in den Roman eingebaute moralische Konflikt, ob man eine Person, die etwas Schlechtes getan hat, pflegen kann und ob es einen Unterschied macht, dass man dies ehrenamtlich oder beruflich tut, fußt auf einem sehr schwammigen Sachverhalt, nämlich einem Gerücht. Die Infos zu Herrn T. sind nämlich ausschließlich Gerüchte, die nur kurz erwähnt werden. Daraus wird dann eine riesige Sache gemacht, die aber unter der Voraussetzung des Hörensagens gar nicht sinnvoll diskutiert werden kann. Somit konnten weder die Figuren noch die moralische Fragestellung bei mir eine emotionale Reaktion evozieren und blieben mir immer fern.

Grundsätzlich finde ich das Setting des Romans, das Pflegeheim mit all seinen Problemen im Pflegenotstand interessant. Neben diesem Themengebiet hatte ich mir inhaltlich eigentlich eine differenzierte Betrachtung der moralischen Frage, wie jemand mit einer problematischen Vorgeschichte zu behandeln ist, erhofft. Hier kommt allerdings sowohl das eine wie auch das andere zu kurz, weshalb für mich letztlich, auch nach einem befremdlichen Ende des Romans, offen bleibt, welches Anliegen mit dem Roman eigentlich verfolgt wird.

Ich könnte mir vorstellen, dass der Roman etwas für Leser:innen ist, denen auf ganz basaler Ebene die Situation in einem Pflegeheim heutzutage noch fremd ist, die sich mit dem Sterbeprozess noch nicht tiefergehend beschäftigt haben und den moralischen Konflikt erstmals anhand eines Beispiels dargestellt bekommen wollen. Meines Erachtens ist der Roman aber für Personen, die schon ein wenig in der Materie drin sind, zu flach angelegt.

Trotzdem wünsche ich dem Roman viele „thematische Erstleser:innen“, die dadurch ins Nachdenken kommen und sich dann an anderer Stelle tiefgründiger mit der Thematik beschäftigen werden. Denn wichtig sind die Themen des Buches definitiv.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 22.08.2023

Krimi? Dystopie? Beides?

Hund 51
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In „Hund 51“ bekommen wir eine Welt präsentiert, die mindestens dreißig Jahre in der Zukunft liegt, denn der Hilfspolizist Zem Sparak musste vor dreißig Jahren mit Mitte Zwanzig aus seinem Heimatland Griechenland ...

In „Hund 51“ bekommen wir eine Welt präsentiert, die mindestens dreißig Jahre in der Zukunft liegt, denn der Hilfspolizist Zem Sparak musste vor dreißig Jahren mit Mitte Zwanzig aus seinem Heimatland Griechenland fliehen, als dieses nach seiner staatlichen Insolvenz von dem Megakonzern GoldTex übernommen und in eine Müllhalde umgewandelt wurde. Nun lebt er in einer Megacity mit dem Namen Magnapolis, welche ein Konglomerat aus Ex-Bürgern verschiedenster Nationen zu sein scheint. Die Stadt ist in verschiedene Zonen (von Zone 1 für die absolute Reichen-Elite über Zone 2 für die Bessergestellten über Zone 3 für die ärmlichen Malocher) eingeteilt und Sparak lebt und arbeitet in Zone 3 als sogenannter „Hund“, denn er spürt kriminellen Fährten nach. Für die Ermittlungen zu einem brutalen Mordfall muss er nun mit Salia Malberg, einer Kommissarin aus Zone 2, zusammenarbeiten. Er entspinnt sich eine verstrickte Ermittlung, die sie bis in die höchsten Kreise Magnapolis‘ führt.

Bei dem Roman „Hund 51“ weiß man irgendwie nie so richtig, mit was man es hier eigentlich zu tun hat. Ist es ein Krimi oder eine Dystopie? Kann es auch beides sein? Ich denke, es hätte beides und darüber hinaus auch noch gut werden können, wenn der Autor nicht aus beiden Genres die absoluten Standards abgespult hätte.

Der Krimi-Anteil, der im Verlaufe des Romans immer mehr die Überhand gewinnt, ist mit klassischen Rollen, klassischen Dialogen und auch einem klassischen Plot bestückt. „Klassisch“ meint hier „wie ein 08/15-Krimi“, denn es gibt die etwas abgehalfterten, mit seinem Leben hadernden Altermittler, die junge, ambitionierte Jungermittlerin aus besseren Kreisen, dialoglastige Sequenzen, in denen Überlegungen zum Tathergang usw. diskutiert werden, Guter-Cop-böser-Cop-Verhöre, politische Verstrickungen, die wahnwitzige, bis schlecht nachvollziehbare Zusammenhänge zwischen den Taten und zwei konkurrierenden Politikern offenlegen. Letztlich ein einfacher Spannungsbogen von „Wer war es?“ und „Warum?“. Allerdings interessierte mich die Auflösung zuletzt kaum noch, da ich den ganzen politischen Intrigen nicht mehr so recht folgen konnte.

Der Dystopie-Anteil beschreibt vor allem in der ersten Hälfte des Romans eine Szenario, dass hinlänglich aus anderen Werken bekannt ist und ein wenig bis stärker an „Bladerunner“ etc. denken lässt. Wir erfahren durch Rückblicke nur sehr spärlich, wie es eigentlich zum Bankrott und dem Komplettverkauf eines ganzen Landes an einen Konzern kommen konnte. So richtig klar werden die Hintergründe bis zum Schluss nicht. Da bleibt Gaudé recht oberflächlich und auch an den Standards des Genres verhaftet. Es gibt wieder einmal die Zonen, die Arm und Reich voneinander trennen, es gibt Gesundheitsimplantate, die ein längeres Leben versprechen, was aber nur den Reichen zugänglich gemacht wird. Ironischerweise begeht Gaudé den Fehler, dass selbst in 2055 (oder später, wir bekommen keine Zeitangabe im Buch) noch Polizeiakten und ähnliche Unterlagen in Papierform existieren… Und das, wo wir doch jetzt schon kaum noch Papierakten in Krankenhäusern usw. führen. Nun denn, es zeigt, dass der Autor eher mit simplen Ideen glänzt statt mit einem durchdachten Worldbuilding dieser Zukunftswelt.

Ich hatte ehrlich gesagt, nicht so viel Krimi und mehr Dystopie erwartet. Sprich, ich hätte gern mehr über diese zukünftige Welt erfahren und hätte nicht die ganzen politischen Verwicklungen und Intrigen zum Schluss noch gebraucht. Die beiden Hauptfiguren sind zwar gut skizziert, aber auch dort hätte es noch mehr psychologische Tiefe geben können. Während mich der Roman größtenteils mit seiner soliden Schreibe gut unterhalten, manchmal vielleicht etwas verwirrt hat, finde ich das Ende allerdings nicht sonderlich gelungen. Um es deutlicher zu sagen: Das Ende ist hanebüchen, nicht nachvollziehbar und lächerlich, wenn es nicht so ernst wäre. Es hat mich einfach nur noch aufgeregt und verärgert, ob seiner fehlenden Glaubhaftigkeit.

Zuletzt könnte man konstatieren, dass zwar die Idee gar nicht schlecht ist, einen Krimi-Plot mit einer Dystopie zu koppeln, manchmal es aber auch einfach gut ist, entweder das eine oder das andere zu machen, dafür dann aber auch kreativ und ausgegoren.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 17.08.2023

Starke Prämisse, schwacher Roman

Frau des Himmels und der Stürme
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Dass die Wiege der Menschheit in Afrika liegt, ist wissenschaftlich hinreichend nachgewiesen. Der vorliegende Roman des 1968 geborenen, kongolesischen Autors Wilfried N‘Sondé in der Übersetzung aus dem ...

Dass die Wiege der Menschheit in Afrika liegt, ist wissenschaftlich hinreichend nachgewiesen. Der vorliegende Roman des 1968 geborenen, kongolesischen Autors Wilfried N‘Sondé in der Übersetzung aus dem Französischem von Brigitte Große setzt nun eine hochinteressante Prämisse: Was wäre, wenn vor 10.000 Jahren die Königin eines afrikanischen Nomadenstammes ihr Volk sogar bis nach Sibirien auf die Jamal-Halbinsel ans Nordpolarmeer geführt hätte?

Num, ein Schamane der nordischen indigenen Volkgruppe der Nenzen, findet während einem seiner Meditationsausflüge die im Permafrost erhaltenen, aber durch den Rückgang eben jenes Permafrostes freigelegten, sterblichen Überreste genau dieser afrikanischen Königin. Er hat Kontakte zu einem Professor aus Frankreich, Laurent, welchen er daraufhin kontaktiert, um sich wissenschaftliche Hilfe nach seinem Fund zu verschaffen. Die Zeit drängt, denn in wenigen Wochen soll in der Gegend ein Gasvorkommen durch russische Unternehmen ausgebeutet werden. Der archäologische Fund könnte das Vorhaben kippen, so der Gedanke Nums, und die sowieso schon angeschlagene Natur der Tundra vor diesem Eingriff bewahren. Laurent trommelt noch einen jungen kongolesischen Archäologen sowie eine deutsch-japanische Rechtsmedizinerin zusammen, um eine Expedition nach Sibirien zu starten und Num zu helfen. Gleichzeitig möchte aber ein Unternehmer und Mitglied der russischen Mafia sein Gasförderungsvorhaben durchdrücken und ist zu allem bereit, um seinen Reichtum zu mehren.

Der Roman hätte unter dieser Prämisse ein hoch spannender Wissenschaftsroman werden können, der mithilfe starker Figuren und den magischen Anklängen durch mystische Bilder die Geschichte von der Zerstörung der Erde durch den Menschen erzählt. Leider ist er das nicht geworden.

Auf der Rückseite des Buches ist ein Zitat von Jeune Afrique abgedruckt, welches besagt: „Ein vielstimmiger Roman, in dem starke Frauen zu Wort kommen.“ und NDR Kultur meint: „Wilfried N’Sondé trifft mit seiner Geschichte ins Herz“. Vielstimmig ist der Roman eventuell dahingehend, dass es viele Charakter- bzw. Figurenvorstellungen gibt. Leider erstrecken sich diese Figureneinführungen mindestens über das erste Drittel des Romans. „Vielstimmig“ im eigentlichen Sinne sind sie aber kaum, da die Gruppe um Num alle relativ dasselbe denken, nämlich das moralisch „Richtige“, dass kulturelle Funde von indigenen Völkern ebenso wie die Natur bewahrt werden müssen (ganz kurz und einfach zusammengefasst). Dem entgegen steht „der böse Russe“, nämlich Sergej, der ohne jede psychologische Schattierung als der Proto-Bösewicht angelegt ist. Ich gehe hier nicht ins Detail, würde mich auch langweilen das zu tun, aber er entspricht eher einem Holzschnitt, als einem echten Menschen. Kommen wir zum Thema „starke Frauen“. Die deutsch-japanische Cosima hat sich in ihrer Vergangenheit klar gegen eine Grenzüberschreitung von Laurent gewehrt und setzt sich nun im Expeditionsvorhaben scheinbar gestärkt und selbstbewusst gegen ihn durch. Leider verkommt die Figur im Laufe des Romans wieder zu einem reinen Lustobjekt, welches aus der Gefahr gerettet wird. Natürlich von einem Mann. Stark sind tatsächlich die Geister von vorkommenden, verstorbenen Königinnen, die scheinbar die Geschehnisse hintergründig lenken können. „Ins Herz“ hat zumindest mich Wilfried N‘Sondé mit seiner Geschichte nicht treffen können. Viel zu sehr regte mich der zu Beginn schleppende Verlauf und zum Schluss die wahrlich unglaubwürdige (außerhalb der mystischen Vorgänge) Handlung auf. Das letzte Viertel des Romans ist wirklich hanebüchen in den Handlungen der Figuren als auch deren Gedanken und Gefühle.

So wurde der Roman, dessen Plot eigentlich fast vollständig im Klappentext zusammengefasst wird, für mich zuletzt eher quälend in der Lektüre. Psalmodierend werden Predigten über den allumfassenden Zusammenhang von Mensch und Natur eingebaut und die Haltung des Autors wenig subtil im Text verarbeitet. So kommt es immer wieder zu solchen oder ähnlichen Textpassagen (S. 85):

„Was auch geschehe, die Natur handle in sehr langen Zeiträumen und würde am Ende triumphieren, die anmaßenden Menschen, die sich in der Illusion wiegten, sie zu besitzen, oder geblendet sehen von dem Willen, sie sich untertan zu machen, liefen in ihr Verderben. Die allmächtige Natur mit ihrem herrlichen Chaos und ihren unbegreiflichen Gesetzen würde recht behalten. Er wisse doch selbst, dass für die Völker des Nordens die Erde seit unvordenklichen Zeiten weiblich war; nur sie als Nährerin und Beschützerin könne den allem Seienden innewohnenden Geist gebären, beseelen und bewahren. Nur sie könne das Mosaik des Lebendigen zu jenem einzigartigen Bild Anordnen, in dem jedes Teilchen, so unwichtig es auch erscheine, seinen Platz und seine Daseinsberechtigung habe.“

So wird bezogen auf die Lehren aus der Natur schwülstig ein Sermon vorgetragen, während andererseits bezogen auf die Figuren und die Handlung die allseits bekannte literarische Prämisse „Show, don‘t tell!“ leider kaum Beachtung findet. Jedweder Gedankengang und Vorgehensweise der Figuren wird bis aufs Kleinste ausformuliert, kaum etwas wird dem Denkvermögen der Leserschaft zugemutet.

So lässt mich der Roman enttäuscht zurück. Während ich ihn über weite Strecken als "gut, solide" (also bei mir 3 Sterne) empfand und noch auf ein interessantes Ende gehofft hatte, fiel meine innere Bewertung mit dem letzten Drittel noch einmal ab, sodass ich bei 2,5 Sternen lande. Da wir ja hier und auf anderen Plattformen nur runde Bewertungen abgeben können, würde ich mich aber allein aufgrund der liebevollen und hochwertigen Gestaltung des physischen Buches aus dem noch jungen, unabhängigen Verlag Kopf & Kragen (was für ein cooler Name!) für das Aufrunden auf 3 Sterne entscheiden. Den Verlag werde ich aufgrund der bibliophilen Gestaltung ihrer Veröffentlichungen und des Verlagsprogramms weiterhin im Blick behalten.

2,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 11.08.2023

Eine Panoramaaufnahme ohne Fokus

Abtrünniger vor Inselpanorama
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Der noch recht junge Verlag Edition CONVERSO (gegründet 2018) hat sich inhaltlich allen Regionen rings um Mittelmeer, Adria und den Küsten Kleinasiens verschrieben. Er bringt uns Literatur aus den bisher ...

Der noch recht junge Verlag Edition CONVERSO (gegründet 2018) hat sich inhaltlich allen Regionen rings um Mittelmeer, Adria und den Küsten Kleinasiens verschrieben. Er bringt uns Literatur aus den bisher häufig übersehenen Regionen in bibliophiler Gestaltung näher. Der Roman „Abtrünniger vor Inselpanorama“ wurde vom kroatischen Schriftsteller Edi Matic in 2020 unter dem kroatischen Titel „POP“ (dt. der Pope, der Priester) erstveröffentlicht und erscheint nun in der Übersetzung von Alida Bremer.

Der Roman verbindet inhaltlich die beiden Themen, die der Verlag geschickt in den deutschen Titel hat einfließen lassen: Zum einen lernen wir zu Beginn in einer Verhörsituation Jadran Grobarek (der Abtrünnige) kennen. Er war bis zu einem folgenschweren Vorfall der Bodyguard eines kroatischen Ministers und floh unter falscher Identität auf eine kleine Insel vor der kroatischen Küste. Diese falsche Identität ist die eines Franziskaners, unter dessen Soutane Jadran nun einige Zeit unentdeckt auf der Insel verbringen konnte. Dass er aufgeflogen ist, erfahren wir bereits im ersten Kapitel, in welchem er von einem Kriminalist befragt wird. Zum anderen lernen wir ab dem zweiten Kapitel die kleine Insel mit deren Natur und vielen ihrer kauzigen Bewohner kennen (das Inselpanorama).

Leider schöpft der Roman nicht ansatzweise das Potential aus, welches er zu Beginn noch durch die angedeuteten Möglichkeiten definitiv vorhanden war. Welch wunderbare Verwechslungsgeschichte hätte dies werden können, welch mitreißender Spannungsroman, welch tiefgründiges Abbild einer kleinen, vergessenen Inselgesellschaft, welch Roman mit dem Fokus auf die faszinierende Flora und Fauna dieser Adria-Insel. Aber leider hat der Autor all diese Bereiche nur leicht tangiert und keins davon mit Bravour gemeistert. Dem Roman geht der Fokus verloren. Das ist wirklich schade, ließen doch die wunderbare Aufmachung und der interessante Titel so viel erhoffen.

Die Qualität des Romans lässt im Verlauf immer mehr nach und damit fiel auch mein Interesse an der Geschichte immer stärker ab. Mir blieb die Hauptfigur viel zu flach und unausgeleuchtet, ebenso wurden mir dann ab der zweiten Hälfte noch zu viele neue Nebencharaktere eingeführt, die nur kurz erwähnt werden, aber gar keine große Rolle spielen. Die Handlung plätschert zunehmend so dahin. Für mich war letztlich vieles zu unemotional geschildert. Es gab zwar den ein oder anderen Moment, bei dem ich "drin" war, aber nie so richtig mitgefiebert habe. Dafür wurde irgendwie jede Anekdote um diese Inselbewohnerin oder jenen Fischer, dieses Kulturprojekt oder jene kapitalistische Ausbeutung zu schnell hintereinander abgearbeitet. Letztlich bleibt vollkommen offen, welche Geschichte mit welchem Fokus der Autor überhaupt erzählen bzw. den Lesenden näher bringen wollte. War ich zu Beginn noch gespannt, wohin die Reise literarisch geht, konnte mich der Roman spätestens ab der Hälfte aufgrund des fehlenden Fokus‘ nicht mehr fesseln und ich habe mich dann im letzten Viertel so richtig darüber geärgert. Auch geht meines Erachtens der vom Autor nach dem ersten bzw. vor dem letzten Kapitel angewandte Perspektivwechsel von der Ich-Perspektive des Ermittlers hin zu einer personalen Erzählperspektive im Mittelteil nicht auf. Der Mittelteil ist wie die Zeugenaussage von Jadran angelegt, dort gibt es aber Einblicke in die Köpfe der Inselbewohner und Geschehnisse, die Jadran so ausführlich nicht kennen kann.

Trotzdem freue ich mich, dass der Verlag diesen häufig übersehenen Teil Europas in den Blick nimmt und einen Titel aus der Region veröffentlicht hat. Wenn man also an dem wuseligen und gleichzeitig mitunter anachronistischen Leben auf einer kroatischen Adria-Insel interessiert ist und bibliophile Buchausgaben mag, könnte einem dieses Buch gefallen, welchem allerdings ein erneutes Lektorat gut zu Gesicht stehen würde, um Flüchtigkeitsfehler zu bereinigen.

Wenngleich ich auch vom Roman als solchen sehr enttäuscht bin, habe ich mich bei 2,5 Sternen bezogen auf die Romangeschichte dennoch für das „Aufrunden“ auf 3 Sterne entschieden. Das liegt allein an der Arbeit des Verlags, denn dieser hat dem Roman nicht nur eine wunderschöne Verpackung mit liebevollen Illustrationen auf dem Vorsatz, hochwertigem Papier sowie beim genaueren Hinsehen einer interessanten Schriftart gegeben, sondern auch mit dem deutschen Titel "Abtrünniger vor Inselpanorama" den Roman viel besser getroffen als es der Originaltitel "POP" schafft.

2,5/5 Sterne

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