Im Mädchenpensionat
Im steirischen Gratwein, nahe der Landeshauptstadt Graz, führt Oberlehrerin Fräulein Berta Stieglitz ihr Mädchenpensionat mit der im Jahre 1882 gebotenen Strenge. Trotz aller Vorsicht liegt nach dem Tanzerl-Abend ...
Im steirischen Gratwein, nahe der Landeshauptstadt Graz, führt Oberlehrerin Fräulein Berta Stieglitz ihr Mädchenpensionat mit der im Jahre 1882 gebotenen Strenge. Trotz aller Vorsicht liegt nach dem Tanzerl-Abend eines der behüteten Mädchen tot am Wegesrand, geschmückt mit rosa Bändern, obwohl Charlotte Linhard gar kein Rosa mochte. Schon mit den ersten Befragungen ist Gendarm Wilhelm Koweindl sehr gefordert, duldet doch die Oberlehrerin keine Männer vor und schon gar nicht in ihrer ehrenwerten Schule. So lässt er sich gerne darauf ein, mit dem Fräulein Lehrerin Ida Fichte, welche jung und aufgeschlossen ist, gemeinsam Informationen zusammenzutragen und entsprechende Schlüsse daraus zu ziehen.
Anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, aber schnell durchaus überzeugend ist Gudrun Wiesers eloquenter Schreibstil, der bestens zum Genre des historischen Krimis passt und viele längst vergessene Wörter wieder zum Vorschein bringt. Das Pensionat samt Schülerinnen und Personal wird treffend beschrieben, die Kaiserzeit zum Leben erweckt. Als Leser fühlt man sich gleichsam zurückversetzt in ein Jahrhundert, in dem Gehorsam unabdinglich war und jeder strikt seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen hatte. Nichtsdestotrotz schafft es das kluge und unerschrockene Fräulein Ida, selbst Nachforschungen anzustellen und sich mit dem eher zurückhaltenden Gendarmen Koweindl auszutauschen. An mehr denken die beiden gewiss nicht, denn ein Gspusi gehört sich nicht, und Heiraten geht auch nicht, denn Ida hat schon zwei Anträge ausgeschlagen und Koweindl fehlt schlicht das Geld für eine anständige Ehekaution. Neben solcherlei zwischenmenschlicher Überlegungen gilt es aber ohnehin, einen Täter zu finden, denn mittlerweile gibt es eine zweite tote Schülerin zu betrauern.
Ein Mädchenpensionat als Schauplatz für polizeiliche Ermittlungen, bestens recherchierte Details zum Lehrerinnenalltag und zum Gendarmeriedienst (siehe „Ein Wort zum Schluss“), verknüpft mit glaubwürdiger Phantasie, das ergibt den sehr lesenswerten Kriminalroman „Jenseits der Mur“. Der Folgeband „Die Kälte der Mur“ liegt schon griffbereit. Ich kann nur empfehlen, zuzugreifen und sich ebenfalls in weit zurückliegende Jahre entführen zu lassen und mitzurätseln mit Ida Fichte und Wilhelm Koweindl!