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Veröffentlicht am 29.09.2018

Eine Fata Mayana

Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste
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Wie viele Kinder hatte auch mich einst das Karl May Fieber gepackt. Während meine Mitschüler im Skilager Party machten habe ich in den wenigen Tagen dort alle Winnetou-Bände verschlungen und hatte auch ...

Wie viele Kinder hatte auch mich einst das Karl May Fieber gepackt. Während meine Mitschüler im Skilager Party machten habe ich in den wenigen Tagen dort alle Winnetou-Bände verschlungen und hatte auch das Glück, das Karl May Fest in Radebeul besuchen zu dürfen - ein unvergessliches Erlebnis. Nun also ein Buch über den Karl May hinter den Bücher, bei dem mir sofort klar war: Das muss ich lesen!

Der Roman begleitet den gealterten Karl May auf seiner ersten Orientreise und beschreibt dabei seine, mehr oder weniger, aufregenden Abenteuer, seine Gedankenwelt und nicht zuletzt seinen Alltag - die ständige Korrespondenz um seine Aufenthalte zu belegen, die Geisterbeschwörung zusammen mit seinen Freunden und auch das Verhältnis zu seiner Frau Emma. Die Geschichte springt dabei zwischen der Reise und der Zeit danach, zurück in Radebeul, hin und her, weil die beiden Stränge (natürlich) miteinander verwoben sind und so wird immer mehr ein abstruses Bild enthüllt, eine Fata Mayana.

Karl May, wie er hier erscheint, hat viele Facetten. Auf der einen Seite ist es ein liebenswerter Alter, mit dem man Mitleid hat und dessen Gedanken zu Gott, der Welt und dem Frieden vielleicht gar nicht so verkehrt sind. Und dann ist da der andere Karl May, der sich nicht von der Vorstellung von Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand lösen kann. Der sich selbst für diese Männer hält und fest davon überzeugt ist, die Reisen der Romanhelden tatsächlich selbst durchlebt zu haben. Der sich so einfach von anderen beeinflussen lässt und jede gut eingeredete Meinung übernimmt. Der vollkommen von sich selbst eingenommen ist. Zwei vollkommen unterschiedliche Charaktere in einer Person - ein Wahnsinniger?

Dieses Jekyll und Hyde Prinzip ist vermutlich einer der Gründe, warum mich das Buch hin und her gerissen zurückgelassen hat. Den einen Karl hat man gern, der andere ist mir so vollkommen unsympathisch das ich die Sticheleien seiner Frau nur allzu gut verstehen kann. Im Verlauf des Buchs verfährt sich die Geschichte immer mehr, es wird fast unangenehm, mitzulesen, weil man nicht weiß, was echt ist und was nicht und weil man auch einiges nicht echt haben möchte. Selbst nach dem Klimax zieht sich diese Spannung fort und lässt mich mit einem gewissen Unwohlsein zurück, so als ob sich selbst die Sachen um mich herum nicht mehr greifen lassen würden.

Eindeutig also: Es handelt sich um ein schriftstellerisches Meisterwerk, denn der Leser ist am Ende bewegt! Über den Inhalt jedoch lässt sich streiten. Wähernd Karl May selbst sich damit rühmte, seine Bücher auch ohne "unsittliche Inhalte" gut verkaufen zu können scheint Phillip Schwenke an seinen eigenen Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu zweifeln - jedoch wird immer Distanz gewahrt, so dass das Lesen nicht zu einer gänzlich unangenehmen Erfahrung ausartet.

Insgesamt bin ich mir mit einer Empfehlung bezüglich dieses Buches nicht sicher. Ich habe bei weitem nicht alle seine Werke gelesen und dabei eher die Wildwest-Geschichten als die Orienterzählungen weshalb das Buch für mich vermutlich nur halb so amüsant war wie es hätte sein können. Einiges habe ich über den Mann Karl May dazugelernt, vor allem seine Beziehung zum Spirituellen, die im Buch immer wieder thematisiert wird, hat mich überrascht und auch beeindruckt.

Man kann festhalten: Das Buch ist etwas Besonderes. Dem Leser sei eine Reisewarnung ausgesprochen, da sich unterwegs die Fata Mayanen häufen und am Ende besteht die Gefahr, dass man selbst Schwierigkeiten bekommt, Wirklichkeit und Gedachtes auseinander zu halten. Auf jeden Fall wird jedoch jeder Leser, wie auch May, verändert von dessen Reise zurück kommen.

Veröffentlicht am 12.09.2018

Irrungen und Wirrungen mitten in Schweden

Ein besoffener Bär im Bergwerkswald
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In seinem neuen Roman beschreibt Petteri Nuottimäki das Leben auf dem Land, in all seinen Facetten und all seinem Wahnsinn. Dieses Buch ist tatsächlich zwingend notwendig, denn anders lässt sich das, was ...

In seinem neuen Roman beschreibt Petteri Nuottimäki das Leben auf dem Land, in all seinen Facetten und all seinem Wahnsinn. Dieses Buch ist tatsächlich zwingend notwendig, denn anders lässt sich das, was dort passiert nicht beschreiben.

Per, der Bürgermeister des Dorfs, begegnet samt Frau und Sohn einem "unbekannten Laufobjekt", dass sie während ihrer Pilzsuche heimsucht. Der Sohnemann ist natürlich fix dabei, filmt das schwankende Ungetüm, lädt den Film bei YouTube hoch - und das Video geht viral. Plötzlich wird der Ort von Touristen überschwemmt, die den unterschiedlichsten Verschwörungstheorien anhängen und natürlich wollen alle nur eins: Herausfinden, was es mit diesem Wesen auf sich hat. Mitten in all dem steckt Per fest und weiß sich bald nicht mehr zu helfen, denn selbst als er die Erklärung findet will niemand etwas davon wissen.

Die Charaktere des Buchs sind alle auf ihre Art und Weise nachvollziehbar - der gutmütige Per, seine immer positive Frau, die Teenagertochter, die immer mit den nettesten Namen bedacht wird und prinzipiell gegen alles ist, was ihr Vater sagt und tut, der pubertierende Sohn, der über Nacht vom normalen Gamer zum Waldführer wird, der alteingesessene Jäger, der das Tier am Liebsten schießen möchte und und und ...

Sprachlich ist das Buch nicht sonderlich auffällig. Erzählt wird aus der dritten Person, wobei der Fokus auf Per und seiner Sicht der Dinge liegt. Stilistisch besonders schön sind vor allem die herrlichen Spitznamen seiner Tochter - "Samtauge", "tanzender Glücksschmetterling" und "Marzipanröschen" sind nur einige von ihnen.

Das Cover ist interessant gestaltet, wirkt auf mich allerdings wesentlich düsterer als die Geschichte ist. Bei dem nebligen Nadelwald denkt man eher an einen Krimi oder Thriller und nicht an so ein lustiges und unterhaltsames Buch.

Insgesamt kann ich das Buch nur empfehlen, allerdings sei vor Verschrobenheit und verwirrenden Wendungen gewarnt. Die Geschichte ist an sich wirklich aberwitzig und wer weiß, ob es am Loch Ness damals, zur Zeit der Erstentdeckung von Nessie, nicht ähnlich aussah.

Veröffentlicht am 26.08.2023

Ein roman-isiertes Tagebuch?

Tasmanien
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Wenn man über Bücher redet, spielt häufig die Frage des "Ersten Satzes" eine große Rolle. In Paolo Giordanos "Tasmanien" ist jedoch der letzte Satz der entscheidende, denn erst durch ihn versteht man das ...

Wenn man über Bücher redet, spielt häufig die Frage des "Ersten Satzes" eine große Rolle. In Paolo Giordanos "Tasmanien" ist jedoch der letzte Satz der entscheidende, denn erst durch ihn versteht man das vorher auf über 300 Seiten präsentierte Durcheinander.

Auch wenn das Buch die Bezeichnung "Roman" auf dem Cover trägt, weist dieser "Roman", dessen Hauptcharakter ebenfalls Paolo heißt, Physik studiert hat, in Rom wohnt und als Journalist arbeitet, doch starke Parallelen zur Biografie seines Verfassers auf, sodass sich unweigerlich die Frage stellt, wo die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verläuft. Eine intendierte autobiografische Orientierung würde erklären, warum nicht alles Sinn ergibt, manche Handlungslinien unvollendet bleiben etc. - doch zunächst zurück zum Anfang.

"Tasmanien", was mit dem Land gleichen Namens nichts zu tun hat (es wird im Buch insgesamt zweimal erwähnt, hat für die Handlung allerdings keinerlei Relevanz) folgt den Erlebnissen eines freien Schriftstellers in der Zeit zwischen 2016 und 2020. Mit der Arbeit an seinem neuen Buch über die Atombombe beschäftigt, verweben sich Leben des Protagonisten und zeitgeschichtliche Themen: Klimawandel (allerdings mehr als Politikum, als als inhaltliches Thema), terroristische Anschläge und Organisationen (zu denen die Hauptfigur eine fast ambivalente Haltung zu haben scheint) und die "Gender-Frage", welche v.a. im Kontext der Rolle von Frauen im akademischen Umfeld behandelt wird, wenn auch (erneut) sehr ambivalent. Paolo geht es dabei meist eher um persönliche Beziehung als um ein Richtig oder Falsch. So erklärt es sich auch, dass moralische und politische Fragen häufig unter dem Drama seiner Gefühlswelt verschwinden, wie etwa der schwierigen Beziehung zu seiner deutlich älteren Frau oder seinem Wunsch nach einem Kind, der eigentlich der Wunsch danach ist, Vater zu sein.

An sich wäre das gar nicht einmal ein so schlechtes Konzept für einen Roman, doch gelingt es Giordano nicht, dieses auch voll durchzuziehen. Politisch fehlen etwa sehr auffällig Themen wie die #metoo Debatte oder der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, die kaum erwähnt werden. Auch inhaltlich scheint Giordano Paolo nicht ganz zu folgen - die am Ende erwartete Katharsis, die Selbsterkenntnis des Protagonisten, bleibt in vielerlei Hinsicht aus. Andere Aspekte bleiben ebenfalls offen.

So entsteht insgesamt der Eindruck, eine Art "roman-isiertes" Tagebuch zu lesen, mit zu starken autobiografischen Einflüssen, als dass man sie ignorieren könnte, auffälligen Lücken und dem bleibenden Gefühl, dass das Schreiben des "Romans" als Ersatz für einen Besuch beim Psychologen diente. Besonders deutlich wird das hinsichtlich der Identitätskrisen des Protagonisten, bei denen man sich als Leser fünf Schritte voraus fühlt und am liebsten mit der Hauptfigur ins Gespräch treten möchte, um ihr zu zeigen, wo sie sich vor sich selbst versteckt. (Selber erkennt sie das bis zum Ende des Buches nicht.) Für eine Autobiografie wäre das sicher vertretbar, als Roman liest sich das jedoch schmerzhaft und unvollendet.

Mit einer Empfehlung tue ich mich deshalb schwer. Wer aufgrund der politischen Teaser-Themen im Klappentext, insbesondere des Klimawandels, auf dieses Buch aufmerksam geworden ist, dem würde ich sogar explizit von der Lektüre abraten. Für Fans von Paolo Giordano mag es dagegen genau das richtige sein, genau wie für Personen, die gern Romane über zwiegespaltene Persönlichkeiten lesen, deren Ende weder glücklich noch tragisch, sondern einfach offen ist - so wie das Leben. Sprachlich ist das Buch auf jeden Fall nicht schlecht. Ich wünschte nur, Giordano hätte sein Schreibtalent dafür genutzt, einen auch inhaltlich überzeugenden Roman zu präsentieren.

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Veröffentlicht am 07.01.2021

Wesentlich weniger berauschend als Harry Potter

Die Tiermagierin – Schattentanz
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Gleich vorab für den Entertainment Weekly: Nur, weil es sich um eine Fantasygeschichte handelt, ist es kein neuer Harry Potter und abgesehen von der Existenz magischer Tierwesen haben die beiden Buchreihen, ...

Gleich vorab für den Entertainment Weekly: Nur, weil es sich um eine Fantasygeschichte handelt, ist es kein neuer Harry Potter und abgesehen von der Existenz magischer Tierwesen haben die beiden Buchreihen, zumindest im ersten Band, nichts gemeinsam.

Hauptcharakter von "Die Tiermagierin" ist Leena, die, wer hätte es gedacht, eine Tiermagierin ist und infolge dessen, großer Schock, magische Tierwesen zähmen kann. Anscheinend ist das eine recht besondere Eigenschaft, den in ihrem Umfeld kann das sonst keiner - nur dort, wo sie herkommt, in Hireath, der Tiermagierstadt, können das alle. Ohne Exil verlässt die jedoch keiner, auch Leena nicht ... Auf diese junge Frau werden Noc und seine Assassinen-Kumpels von Cruor angesetzt, die schon einmal tot waren und jetzt als Todesbringer unterwegs sind. Die brilliante Leena überlistet sie jedoch gleich bei ihrem ersten Anschlagsversuch und beschließt, sich aus ihrer Lage heraus zu verhandeln. (Ohne zu wissen, dass das nicht geht.) Ihr Angebot für den Leiter von Cruor (Noc, welche Überraschung): Vier Tierwesen für Noc und seine besten Kumpel, dafür lassen sie sie wieder gehen. Weil sie an die aber erstmal herankommen müssen, beginnen sie eine Reise quer durch das Land, während der sie sich natürlich auch näher kommen und ... den Rest kann man sich fast denken.

Einen guten Roman machen vier, vielleicht fünf Aspekte aus: die Handlung, die Charaktere, die Handlungsorte, der Erzählstil und das Konzept dahinter.

Beginnen wir mit letzterem: Titel und Klappentext legen nahe, dass es sich um eine spannende Fantasygeschichte handelt, die später durch einen romantischen Plot ergänzt wird. Dass dieser stattdessen quasi von Anfang an da ist, mag dem Buch verziehen sein, dass mit der Fantasy ist allerdings so eine Sache - was mich zu den Handlungsorten führt. Hier wirkt vieles wie "gewollt und nicht gekonnt" oder eben gleich gar nicht gewollt. Martineaus Welt hat immer wieder Anklänge von High Fantasy und ist dann doch wieder banal oder sogar modern. Es gibt Züge (aber weder Autos noch Kutschen) und Gegenstände des täglichen Bedarfs aus unserer Welt, die innerhalb von Lendria (der Fantasywelt) nicht unbedingt Sinn ergeben. Wirklich gelungen sind die Tierwesen, die durch ihren Facettenreichtum und ihre interessanten Eigenschaften ein echtes Highlight sind.

Martineau erzählt ihre Geschichte flüssig und spannend, auch wenn die Charaktere immer wieder entweder eine ungewöhnlich banale oder gestelzte Sprache verwenden, so als ob sie selbst nicht wüssten, wie sie sprechen sollten. (Liegt das an der Übersetzung? So oder so stört es.) Die Handlung ist (wie vielleicht oben schon deutlich wurde) etwas sehr vorhersehbar, wenn auch das Ende noch einige Überraschungen bereithält. Dazu kommen unerwartet explizite Szenen, die weniger dem Plot als mehr der Unterhaltung bestimmter Zielgruppen diente und meines Erachtens nicht notwendig waren.

Fehlen noch die Charaktere: Anders als sonst oft überzeugen hier vor allem die Nebencharaktere. Während des Buchs lernt man verschiedene Facetten von ihnen kennen, sie wachsen über sich selbst heraus und am Ende mag man sie wirklich gern. Mit den Hauptcharakteren Leena und Noc bin ich leider nicht sonderlich warm geworden, da sie mir persönlich einfach zu platt waren und einen langweiligen Charakter macht halt auch eine mysteriöse Hintergrundgeschichte (die man nach den ersten zwei Andeutungen weitestgehend durchschaut hat, auf die aber noch gefühlt ein weiteres Dutzend Male hingewiesen wird und deren Spannungsbogen trotzdem bis ins zweite Buch reichen soll ...) nicht wett.

Insgesamt hat mich das Buch enttäuscht, weil ich wirklich mehr erwartet hatte. Z.B. bei der Welt, in der die Geschichte spielt aber auch bei den Handlungssträngen (auch der Nebencharaktere) hätte es so viel mehr Potential gegeben, was aus meiner Sicht für einen seichten Plot aufgegeben wurde. Schade!

Empfehlen kann ich das Buch LeserInnen, denen romantische und sinnliche Unterhaltung wichtiger ist als die tatsächliche Handlung und denen High Fantasy Literatur zu viel ist, aber eine mittelalterlich angehauchte Fantasy-Welt genau richtig.

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Veröffentlicht am 17.09.2020

Wie sieben Stunden Bühnenprogramm

Omama
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Als ich Lisa Eckharts erste Auftritte gesehen habe, gehörte ich, ehrlich gesagt, eher zu den Skeptikern. Zu provokativ, zu auffällig, zu dramatisch. Doch nach einer Weile habe ich ihr doch noch ...

Als ich Lisa Eckharts erste Auftritte gesehen habe, gehörte ich, ehrlich gesagt, eher zu den Skeptikern. Zu provokativ, zu auffällig, zu dramatisch. Doch nach einer Weile habe ich ihr doch noch einmal eine Chance gegeben und war erstaunt, wie sie sich gemausert hat. Der Weg, den sie gewählt hat, ist sicher kein leichter - zumal sie es sich ja zum Ziel gesetzt haben zu scheint, früher oder später jeden mindestens einmal anzufeinden. Hat man jedoch einmal den eigenen gekränkten Stolz überwunden, kann man ihre kunstfertige Art bewundern. Ihre Bühnenauftritte sind keine Zufallsprodukte sondern sorgfältig ausgefeilte Performances und das merkt man auch in "Omama": Jedes Wort ist genau ausgewogen, geschickt platziert und trifft haarscharf zu. Rhetorisch sind die Erzähleinheiten ein Meisterwerk.

Aber (es musste natürlich kommen) als Gesamtwerk funktioniert das Buch eher mäßig. Wie bereits erwähnt, liest sich der Roman wie einer ihrer Auftritte - nur dass dieser eben, je nach Lesegeschwindigkeit, über sieben Stunden dauert. Bei den normalen Auftritten, 10-15 min, ist man danach schon ziemlich geschafft - hier ist das ganze um das 30ig-fache potenziert. Und so findet man zwar gut in den Text rein, hat aber nach einer Weile keine Lust mehr, weiter zu lesen. Der Leser wird von einer haarscharfen Beobachtung zur nächsten Pointe zur nächsten Philosopherei quer durchs Gemüsebeet gejagt und schon bald geht einem die Puste aus. Und weil man weiß, dass die Hatz jedes Mal, wenn man das Buch aufnimmt, weiter geht, vergeht einem irgendwann ganz die Lust am Lesen.

Der Fehler hängt, meiner Ansicht nach, in der Formatierung des "Romans". Statt alles durcheinander zu wurschteln, manchmal nur mit halb erkennbarem roten Faden, hätte dieses Buch so viel mehr sein können. Eine Sammlung von Erzählungen zum Beispiel. Kürzer und pointierter als die Kapitel und dadurch leichter, vielleicht auch mal zwischendurch zu lesen. Im Zweifelsfall hätten auch ein paar Zwischenüberschriften gereicht, um das Buch aufzulockern. So wirkt es nicht nur erschlagend, sondern ist es auch.

Da es ein Roman ist anbei noch ein paar Worte zur Geschichte. Die "Omama", die eigentlich eine Großmutter ist (was natürlich die Frage aufwirft, warum das Buch nicht so benannt wurde) ist ein ziemlicher Charakterkopf. Nicht unbedingt symphatisch, aber auch nicht zwingend unsymphatisch. Eine Entwicklung der Figur innerhalb des Buches ist, abgesehen vom Alter, eher nicht zu sehen. Aber die Großmutter steht ja auch nur scheinbar im Mittelpunkt, denn eigentlich sind es die anderen Charaktere, die im Vordergrund stehen. Die Inge zum Beispiel, die zwar auch kein sonderlich tiefer, dafür aber sehr lustiger Charakter ist. Oder die Wirtin, die von allen Figuren am lebendigsten wirkt. Man kann natürlich sagen, dass Lisa Eckhart nichts dafür kann, dass ihre Hauptfiguren, da dem echten Leben entnommen, zeitweise etwas langweilig sind, aber dem möchte ich entgegen halten, dass a) jede Person spannend wird, wenn man nur lang genug "im Dreck" wühlt und irgendwelche Charakterticks entdeckt, die dann auf der Romanbühne entwickelt werden können und v.a. dass b) ein Roman nicht ohne Grund nicht Biographie heißt. Dem ("toten") Autor ist alles erlaubt und er sollte sich nicht von der rein zufällig ähnlichen Realität einschränken lassen in dem, was er mit seinen Figuren und der Handlung anstellt.

Insgesamt bin ich mit meiner Empfehlung für "Omama" eher zurückhaltend. Man braucht viel Geduld, viel Durchhaltevermögen und sollte sicherheitshalber vorher überprüfen, ob man mit Lisa Eckharts Art klar kommt. Fans ihrer ausgefeilten Texte sei das Buch jedoch empfohlen, denn zumindest aus dieser Hinsicht steht es ihren Auftritten in nichts nach.

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