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Veröffentlicht am 19.11.2023

Porträt einer längst vergangenen Epoche

Unsereins
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Inger-Maria Mahlkes neuer Roman “Unsereins“ spielt überwiegend in Lübeck in der wilhelminischen Zeit von 1890-1906. Im Mittelpunkt steht Rechtsanwalt Lindhorst mit seiner Frau Marie und den sechs Söhnen ...


Inger-Maria Mahlkes neuer Roman “Unsereins“ spielt überwiegend in Lübeck in der wilhelminischen Zeit von 1890-1906. Im Mittelpunkt steht Rechtsanwalt Lindhorst mit seiner Frau Marie und den sechs Söhnen und zwei Töchtern. Anfangs geht es der Mittelschichtfamilie mit jüdischen Wurzeln finanziell gut, später müssen sie immer mehr zurückstecken, zumal sich Lindhorsts Pläne, in der Politik Karriere zu machen, nicht verwirklichen lassen. Es geht aber auch um viele andere Familien und ihr Personal und Figuren wie Ratsdiener Isenhagen, den schwulen Lohndiener Charlie Helms oder Lindhorsts Dienstmädchen Ida, deren Schicksal zeigt, wie rechtlos und schlecht bezahlt die unteren Schichten in einer hierarchisch geordneten Gesellschaft ihr Leben fristen mussten. Um die Chancen von Frauen, ein selbst bestimmtes Leben zu führen, stand es generell schlecht. Da waren auch die von acht Geburten überforderte manisch-depressive Marie Lindhorst und ihre Töchter Alma und Marthe keine Ausnahme. So muss auch Alma Lindhorst schon mal die Aufgaben eines Dienstmädchens übernehmen. Bei Eheschließungen ging es sowohl bei Söhnen als auch bei Töchtern nicht um Liebe, sondern um finanziell lohnende Verbindungen mit Vorteilen in Bezug auf das gesellschaftliche Ansehen.
Die in epischer Breite ungeheuer detailreich erzählte, dennoch relativ handlungsarme Geschichte enthält zahlreiche Anspielungen auf real existierende und fiktive Personen, z.B. auf Thomas Mann und Figuren aus seinen Romanen. Da brauchte man zum Verständnis eigentlich umfangreiche Vorkenntnisse. Die ungeheure Personenvielfalt macht die Lektüre nicht leichter. Ich musste immer wieder im längst nicht vollständigen Personenverzeichnis zu Beginn des Romans nachschauen und war dennoch oft ratlos, um wen es sich nun eigentlich handelte und wie die erwähnten Figuren zu einander standen. So richtig warm geworden bin ich mit der Geschichte und ihren Figuren nicht. Schade.

Veröffentlicht am 27.08.2023

Wenn Großmaulrüssler die Hecke zerstören

Hinter der Hecke die Welt
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In Gianna Molinaris Roman “Hinter der Hecke die Welt“ verbinden sich zwei Themen auf ungewöhnliche Weise. Mutter Dora arbeitet auf einem Forschungsschiff in der Arktis. Sie bohrt auf dem Meeresgrund nach ...


In Gianna Molinaris Roman “Hinter der Hecke die Welt“ verbinden sich zwei Themen auf ungewöhnliche Weise. Mutter Dora arbeitet auf einem Forschungsschiff in der Arktis. Sie bohrt auf dem Meeresgrund nach Sedimenten, von denen dann die eine Hälfte untersucht, die andere für später konserviert wird. Ihre Tochter Pina lebt beim Vater Karsten in einem namenlosen Dorf. Hier leben nur noch wenige Menschen und nur zwei Kinder, die seit zwei Jahren nicht mehr wachsen. Dennoch ruht auf ihnen die Hoffnung der Dorfbewohner, die nur noch Leerstände verwalten und hoffen, dass die riesige Hecke, die sie vom Umland trennt, auf Dauer genug Touristen anzieht, damit sich die Dorfkasse nicht völlig leert. Nur die Hecke und das Unkraut wachsen. Alles Übrige unterliegt der totalen Stagnation. Dann wird eines Tages ein Loch in der Hecke sichtbar, es gibt eines nachts einen Brand, und Schädlinge beginnen, die Hecke zu zerstören, die doch die einzige Attraktion des Dorfes ist. Die Zukunftsaussichten sind schlecht. Dem Dorf droht das Verschwinden.
In wechselnden Kapiteln berichtet Molinari aus Doras Sicht über Begebenheiten und Erkenntnisse der kleinen Gruppe in der Arktis und über Geschehnisse im Dorf. Sie beschreibt unbekannte Tierarten und das Schmelzen riesiger Eisberge als Folge des Klimawandels. Der Leser erfährt hier mit Sicherheit vieles, was er bisher nicht wusste. Das ist sowohl interessant als auch besorgniserregend, hat mich aber nicht wirklich begeistert. Die Protagonisten blieben mir fremd, die Ereignisse rund um das Schrumpfen des Dorfes Teil einer nicht als realistisch empfundenen Wirklichkeit. Sprachlich-stilistisch ist das zweifellos gut gemacht, aber ich bin dennoch etwas enttäuscht von dem Roman.

Veröffentlicht am 23.07.2023

Eine Mordserie in japanischem Ambiente

Mord auf der Insel Gokumon
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Der vorliegende Roman ist der zweite Band von insgesamt 77 aus der Serie um Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Er erschien im Original vor über 50 Jahren. Kindaichi reist nach Kriegsende auf die Insel Gokumon, ...


Der vorliegende Roman ist der zweite Band von insgesamt 77 aus der Serie um Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Er erschien im Original vor über 50 Jahren. Kindaichi reist nach Kriegsende auf die Insel Gokumon, um sein dem bei Rücktransport verstorbenen Freund Chimata gegebenes Versprechen einzulösen. Chimata war nach dem Tod des Großvaters Kaemon, dem Patriarchen der Familie Kito als Nachfolger vorgesehen, denn Chimamatas Vater Yosamatsu ist verrückt geworden und lebt in einem Verschlag eingesperrt auf dem Familiensitz. Der Ermittler soll der Familie die Todesnachricht überbringen, will aber außerdem ergründen, was Chimatas letzte rätselhafte Worte zu bedeuten haben. Seine drei Halbschwestern würden ermordet, wenn der Freund es nicht verhindert. Die Menschen auf der Insel, Nachfahren von Piraten und Kriminellen, begegnen dem Fremden mit viel Misstrauen. Dann geschieht der erste Mord, und Kosuke Kindaichi gerät prompt unter Verdacht, wird sogar vorübergehend verhaftet. Dann geschehen weitere Morde, jeweils unter skurrilen Begleitumständen. Die Morde scheinen bekannte Haikus nachzustellen, und die Leichen werden entsprechend arrangiert. Der Ermittler tappt lange im Dunkeln – genauso wie die örtliche Polizei und der Leser.
Die undurchsichtige, weitschweifig erzählte Geschichte verwirrt den Leser mit ihrer Personenvielfalt und dem ausführlich dargestellten japanischen Ambiente. Religion, Mythen, Hexerei spielen ebenso eine Rolle wie Sitten und Gebräuche und die spezielle Bedeutung von familiären Hierarchien für die Erbfolge. Das ist für uns eine völlig fremde Welt, die man ohne Vorkenntnisse nicht wirklich versteht. Nur Kosuke Kindaichi, der beste Privatdetektiv Japans, entdeckt allmählich die rätselhaften Hinweise und kann am Ende die Puzzleteile zusammensetzen. Mir hat der nicht besonders spannende Roman deutlich weniger gefallen als „Die rätselhaften Honjin-Morde“.

Veröffentlicht am 29.05.2023

Schwieriger Neuanfang für Danny Ryan

City of Dreams
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“City of Dreams“ ist der zweite Band der Trilogie um irische und italienische Mafiosi in den USA. Der kürzlich verwitwete Danny Ryan ist nach den blutigen Bandenkriegen von der Ostküste nach Kalifornien ...


“City of Dreams“ ist der zweite Band der Trilogie um irische und italienische Mafiosi in den USA. Der kürzlich verwitwete Danny Ryan ist nach den blutigen Bandenkriegen von der Ostküste nach Kalifornien geflohen – in Begleitung seines alten Vaters, seines kleinen Sohnes und seines Teams. Obwohl er in Rhode Island an Verbrechen beteiligt war, sichert ihm ein Deal mit dem FBI Straffreiheit zu. Er muss sich allerdings bedeckt halten, damit ihn auch seine alten Feinde von der italienischen Mafia nicht aufspüren und töten. Danny ist entschlossen, ein neues Leben anzufangen, damit sein Sohn Ian eine Zukunft hat. In Hollywood wird ein Film über den Bandenkrieg gedreht, zu dem ein Kellner von der Ostküste die nötigen Informationen geliefert hat und in dem auch Danny als Nebenfigur vorkommt. Danny taucht am Set auf genauso wie zwei seiner Kumpel. Dann verliebt sich Danny in die schöne Hauptdarstellerin Diane Carson und investiert eine größere Summe in die Produktion, als das Projekt in Schwierigkeiten gerät. Damit steht er auf einmal wieder im Rampenlicht, und die Medien nehmen ihn ins Visier. Schon bald ist sein Leben wieder in höchster Gefahr. Dass er überlebt, weiß der Leser, weil es eine Fortsetzung gibt.
Don Winslow liefert einen mäßig spannenden, ziemlich düsteren Roman über das bekannte Milieu mit der üblichen Portion Gewalt ab. Die Charakterzeichnung und die Wendungen des Plots sind nicht überragend. Von daher bin ich etwas enttäuscht. Den dritten Teil werde ich wohl nicht mehr lesen.

Veröffentlicht am 16.05.2023

Ein Mörder, der gern ein Erlöser wäre

Der Bojenmann
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„Der Bojenmann“ von Kester Schlenz und Jan Jepsen ist der Auftakt einer Krimiserie und spielt in Hamburg. Da wird eines Tages die im Hafen auf einer Tonne aufgestellte echte Holzfigur durch eine plastinierte ...


„Der Bojenmann“ von Kester Schlenz und Jan Jepsen ist der Auftakt einer Krimiserie und spielt in Hamburg. Da wird eines Tages die im Hafen auf einer Tonne aufgestellte echte Holzfigur durch eine plastinierte Leiche ersetzt, und das ist nur der Anfang. Es folgen weitere, und das Team um Kommissar Thies Knudsen und seine Kollegin Dörte Eichborn tappt lange im Dunkeln. Knudsens bester Freund, der ehemalige Kapitän und Lotse a.D. Oke “La Lotse“ Anderson hat einige gute Ideen, die die Ermittlungen weiterbringen und ermittelt schließlich auch eigenmächtig mit, wodurch er sich in Lebensgefahr bringt. Bald weiß man, wer hinter den Taten steckt, bekommt den Täter, der sein Handwerk perfekt beherrscht, aber nicht zu fassen. Ein Polizist wird im Einsatz entführt, und es ist zu befürchten, dass auch er ein Opfer des Serientäters wird.

In dem mäßig spannenden Krimi kommen neben der durch die Ausstellung „Körperwelten“ bekannte Technik der Plastinierung eine Reihe weiterer Themen zu Sprache, z.B. Klimawandel und Belastung der Umwelt durch Container- und Kreuzfahrtschiffe, außerdem die prekäre Situation der Matrosen auf den Handelsschiffen, deren Arbeitsbedingungen wie eine moderne Form der Sklaverei wirken. Hamburg als attraktiver Schauplatz der Handlung spielt eine zentrale Rolle und schließlich auch die Überzeugung des Täters. Er fühlt sich nicht schuldig, denn er erspart den Menschen, die er zu Kunstwerken umgestaltet, das übliche unrühmliche Ende: von Maden gefressen stinkend in Fäulnis überzugehen. Er tötet nicht, er transformiert und erlöst Filipinos, die seiner Ansicht nicht einmal als Menschen bezeichnet werden können, sondern für ihn Abschaum sind.
Was mich an diesem Krimi neben der weitgehend fehlenden Spannung stört, ist das offene Ende. Der Roman ist mir zu offensichtlich auf Fortsetzung angelegt. Gut gelungen ist dagegen die Charakterisierung der Figuren und neu die zugrundeliegende Idee der plastinierten Leichen, die der Öffentlichkeit als Kunstwerke präsentiert werden. Das reicht mir aber nicht. Ich hatte mir mehr von diesem Roman versprochen.