Eine Prise neu, viel alt
Yours casuallyDie Grundgeschichte, sich nur zum Körperlichen zu treffen und sich dann zu verlieben, ist nicht neu, aber ich wollte einen flotten Liebesroman haben. Leider fehlt es dem zentralen Konflikt an Würze und ...
Die Grundgeschichte, sich nur zum Körperlichen zu treffen und sich dann zu verlieben, ist nicht neu, aber ich wollte einen flotten Liebesroman haben. Leider fehlt es dem zentralen Konflikt an Würze und dem zweiten an Logik. Immerhin versucht die Autorin, feministische Ansätze einzubinden.
Rezi enthält Spoiler!
Worum geht es?
Studentin Sienna hat die Trennung ihrer Eltern nicht verarbeitet und sieht sich mit zwei verschiedenen Beziehungsformen konfroniert: Ihr Vater hat eine neuen Partnerin, mit der Sienna gut klar kommt, ihre Mutter dagegen wechselt nach ein paar Monaten zur nächsten "großen Liebe", einschließlich Trennungsdrama. Koch Rafael hat vor zwei Jahren seine Freundin bei einem Autounfall verloren und hat das noch nicht verarbeitet. Ähnlich wie Sienne denkt er, das Sex die Lösung ist.
Die Figuren
Beide Figuren spielen gern Mario Kart, gucken gern alte Filme (was EINMAL erwähnt wird) und lieben Essen. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht. Die Chemie zwischen den beiden ist kaum vorhanden, es gibt weder spritzige Dialoge noch ein Gemeinschaftsgefühl.
Auch die Figuren sind blass: Sienna studiert Online-Marketing und arbeitet bei einer Frauenzeitig. Dort schreibt sie manchmal eher kolumnen-hafte Artikel. Man sieht sie weder im Bereich Werbung noch als Journalistin wirklich arbeiten. Immerhin hat Sienna durch ihren Vater eine Liebe zu Weingütern entwickelt, was sie einzigartig macht. Sienna ist umgeben von Frauen, die kein Problem mit Körperlichkeiten hat und die sie gut auffangen. Die kleine Chefin geht offen mit Dates um und versucht Sienna zu ermutigen, aktiv zu sein. Ich fand's etwas aufdringlich, aber die beiden kommen gut klar. Ihre Halbschwester Molly lebt mit Partnerin Paisley und Sienna in einer WG und auch die beiden sind locker. Ihr Vater tritt wenig auf, wirkt aber auch sympatisch. Die neue Frau des Vaters ist eher mütterlich und ein guter Kontrast zu Siennas eigener Mutter. Diese übertritt ständig Grenzen ihrer Tochter und erscheint mir als Antagonistin.
Was Sienna auszeichnet, ist ein Kollektiv, mit dem man sich auch als Leser:in wohlfühlt. Die Figuren machen den Text lebhaft und lenken gut vom Hauptkonflikt ab.
Außerdem hat sie kein Problem mit ihrem Körper - schön, dass diese Variation mal gezeigt wird und wir keine Figur haben, die sich zu dick findet.
Rafael hat einen Cousin, der anfangs sehr präsent ist, später nicht mehr. Auch diese beiden funktionieren gut. Rafael experiment gern und versucht, den alten Gerichten frischen Wind einzuhauchen. Er wirkt auf mich eher bescheiden.
Der Ausgangspunkt
Die beiden wirkten nicht, als bräuchten sie Körperliches, aber sie tun es trotzdem. Dabei stellen sie Regeln auf, die vor allem darin gründen, außerhalb des Körperlichen keinen Kontakt zu haben. Was durch zahlreiche Zufälle torpediert wird.
Ich dachte eher, dass sie über Soft und Hard Limits reden oder über Vorlieben. Körperstellen, die gut und schlecht sind, Berührungen, die mehr oder weniger gut funktionieren. Sienna sagt, sie sei unerfahren, aber trotzdem wirkt alles ziemlich glatt. Außerdem würden Menschen, die beziehungs-ängstlich sind, stärker darauf achten, dass ihre Grenzen gewahrt bleiben und diese auch deutlich machen, auch wenn sie damit andere vor dem Kopf stoßen. Die einzige Grenze, die die beiden bis zum Schluss einhalten, ist, dass sie keine Handy-Nummern tauschen, sondern nur über Tinder kommunizieren.
Ich habe nicht verstanden, was die beiden sein wollen - keine Beziehung, kein One-Night-Stand, aber auch kein Friends-with-Benefits. Denn man baut zu seinem Partner meistens irgendeine Form der Beziehung auf. Schlimmer ist aber, dass daraus keinerlei Humor entsteht oder Würze enthalten ist. Wenn das Konzept nur mäßig glaubwürdig ist, sollte es wenigstens unterhaltsam sein.
Allerdings sind die Zufälle, die die beiden zusammenführen, nett.
Die Erotik
Im Buch gibt es wenige ausführliche Sexszenen. Im Bett, auf der Toilette eines Kinos und unter der Dusche, wobei diese nur angedeutet wird. Nicht besonders kreativ, aber nett. Hervorzuheben ist, dass die Befriedigung der Frau im Vordergrund steht ohne, dass der Mann dafür eine Gegenleistung möchte. Der Genuss der Frau mit dem Mann kam mir aber zu kurz - wieder nimmt sie eine eher passive Rolle ein, nur das Machtgefälle ist dabei weniger stark.
Der zweiten Konflikt
Das Problem im zweiten Teil des Buches ist, dass Sienna über eine Bloggerin schreibt, die zufällig die tote Freundin Rafaels ist. Was diesem nicht gefällt. Der Konflikt wird damit begründet, dass Rafael den Tod seiner Freundin nicht verarbeitet hat. Der Mann reagiert über und entschuldigt sich, obwohl auch Sienna mehrere Fehler gemacht hat.
Die Aufgabe lautet "[...]über ein Paar schrieben, das sich unter besonderen Umständen kennengelernt hatte, eine außergewöhnliche Beziehung führte oder eine, die sich von anderen durch ein bestimmtes Ereignis unterschied." (S. 121) Das ist schwammig genug und gibt ihr die Möglichkeit, nicht mit Lebenden kommunizieren zu müssen. Es ist eine Leistung, sich durch jahrelange Blogbeiträge zu wühlen und daraus einen Artikel zu tippen. Warum sie nicht mal den Versuch unternimmt, mit ihrem Umfeld in Kontakt zu treten, um das Thema differenzierter betrachten zu können, leuchtet mir nicht ein. Denn am Ende schickt sie ihren Eltern den Artikel, weil sie ein schlechtes Gewissen hat. Weder ihren Professor noch ihr Umfeld interessiert das. Natürlich stellt sich die Frage, ob Angehörige einbezogen werden müssen oder das die journalistische Unabhängigkeit untergräbt, aber man hätte darüber reden können.
Abgesehen davon, dass die Freundin über die Höhen und Tiefen der Beziehung geschrieben hat, was auch für das Buch interessant gewesen wäre. Welche Gemeinsamkeiten Sienna zwischen ihr und sich sieht, wie das Verhältnis zwischen Objekt und Betrachter ist. Was der Ex-Freund darüber denkt, dass die Freundin über die Beziehung geschrieben hat.
Der zweite Fehler besteht aus meiner Sicht darin, dass Sienna scheinbar nicht versteht, warum Rafael sauer ist. Sie erkennt seine Gefühle schwer an. Sie rechtfertigt sich, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie kapiert, was es mit einem macht, wenn ein geliebter Mensch öffentlicht so dargestellt wird, selbst wenn es positiv ist. Denn mit dem Artikel schreibt sie nicht nur über eine Person, sondern auch über eine Beziehung, an der zwei Menschen beteiligt waren.
Die restlichen Probleme
Im Laufe des Buchs konfrontiert Sienna außerdem ihre Mutter mit deren emotionaler Grenzüberschreitung und bekommt dabei nicht einmal vom Vater Rückendeckung. Das Schlimme an dieser Szene war, dass von Anfang an klar ist, dass es nicht gut ausgeht. Die Spannung war wenig vorhanden.
Gut herausgearbeitet ist aber, dass sie die Trennung der Eltern noch schmerzt. Aber sie arbeitet es nicht mir ihren Eltern auf.
Sprachstil
Der Text liest sich flüssig, allerdings nervten manche Wortwiederholungen.
Fazit
Der Text versucht mit feministischen Elementen dem Genre etwas Leben einzuhauchen, bewegt sich aber zu sehr auf ausgetretenen Pfaden. Die Geschichte ist vorhersehbar, die Chemie zwischen den Figuren und deren Besonderheiten nicht vorhanden. Ich fand's ok, war aber froh, als es vorbei war.