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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.09.2023

Ein penibel recherchierter hist. Roman

Eisflüstern
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„Wenn Beck bei minus 45 Grad ausatmete, entstand vor seinem Mund eine Wolke aus weißen Kristallen, mit einem eigenartigen, knisternden Geräusch. Eisflüstern wurde das genannt.“

Als Balthasar Beck im ...

„Wenn Beck bei minus 45 Grad ausatmete, entstand vor seinem Mund eine Wolke aus weißen Kristallen, mit einem eigenartigen, knisternden Geräusch. Eisflüstern wurde das genannt.“

Als Balthasar Beck im Jahr 1922, nach siebenjähriger Kriegsgefangenschaft, die er zum großen Teil unter unmenschlichen Bedingungen in Sibirien verbracht hat, nach Wien zurückkehrt, ist es für ihn sehr schwer, wieder in sein altes Leben hineinzufinden. Zum einen ist seine kleine Tochter während seiner Abwesenheit geboren und kennt ihn natürlich nicht und zum anderen hat sich seine Frau, genau wie er, verändert. Beck ist zwar körperlich nahezu unversehrt, doch die Kriegsgefangenschaft hat ihre Spuren hinterlassen

Mit viel Glück erhält er seinen Posten bei der Kriminalpolizei - vorerst probeweise - zurück. Denn es treibt sich augenscheinlich ein Serienmörder herum, der es auf Kriegsveteranen abgesehen hat. Zunächst misst man dem wenig Bedeutung bei, man hat ja andere Sorgen wie die Geldentwertung oder die schlechte Versorgungslage, die immer mehr Leute auf die Straße treibt, um zu demonstrieren.

Erst als sich herausstellt, dass die Toten mit Balthasar Beck in russischer Kriegsgefangenschaft waren, kommt Bewegung in die Ermittlungen. Die Frage ist nur, ist Balthasar das nächste Opfer oder der Täter?

Meine Meinung:

Ich kenne schon einige Bücher von Bettina Bálaka und bin nach wie vor von ihrem Schreibstil beeindruckt. In geschliffenen Sätzen und wohlgesetzten Worten schildert sie die Nachkriegszeit in Wien. Es gelingt der Autorin, die Sprachlosigkeit zwischen dem Ehepaar Beck sehr gut einzufangen. Die kleine Tochter, die den fremden Mann argwöhnisch betrachtet und nun in der Abstellkammer schlafen muss, weil der für sie Unbekannte an der Seite der Mutter im Ehebett liegt. Beck vermutet, dass ihm seine Frau nicht immer treu geblieben ist, aber sie hat sich hartnäckig geweigert, ihn für tot erklären zu lassen, um eine neue Beziehung eingehen zu können. Er selbst hat ja auch in Sibirien ein neues, kurzes Familienglück gefunden.

Dieser historische Krimi ist nicht nur fesselnd, sondern besticht auch die penible Recherche. Er ist auch ein Kaleidoskop der Zeitgeschichte. Wir Leser erfahren, dass das Ehepaar Beck vor dem Großen Krieg ein gut bürgerliches Leben in einem Haus mit Personal geführt hat. Nun ist alles anders, man muss sich einschränken.
Sehr gut ist auch der latent vorhandene Antisemitismus, der aufgrund verschiedenster Gerüchte um jüdische Kriegsgewinnler, wieder aufkommt, dargestellt.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Krimi, der auch ein Psychogramm einer Zeit ist, 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 29.08.2023

Ein komplexer Krimi

Verlogen
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Bereits der Titel „Verlogen“ deutet darauf hin, dass hier die Unwahrheit gesagt wird. Nur von wem und warum? Wie schon im ersten Fall „Verschwiegen“ ist der Krimi wieder in der isländischen Kleinstadt ...

Bereits der Titel „Verlogen“ deutet darauf hin, dass hier die Unwahrheit gesagt wird. Nur von wem und warum? Wie schon im ersten Fall „Verschwiegen“ ist der Krimi wieder in der isländischen Kleinstadt Akranes angesiedelt.

Als man in einer Lavahöhle die halb verweste Leiche eine Frau findet, ist schnell klar, dass es sich um die seit Monaten vermisste Maríanna, eine alleinerziehende Mutter, handelt. Ursprünglich hat man das Verschwinden der Frau als Selbstmord klassifiziert. Doch nun sind alle Zweifel beseitigt - Maríanna wurde ermordet.

Parallel zu den Ermittlungen, die sich schwierig gestalten, wird, in mehreren Abschnitten, die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die ein ungewolltes Kind zur Welt bringt. Obwohl man annehmen könnte, dass es sich um Maríanna handelt, die mit fünfzehn Jahren ebenfalls eine Tochter geboren hat, merkt man schnell, dass es eine andere Frau sein muss.

Das Ermittlerteam mit Elma und Sævar sowie dessen Chef Hörður, den aber ganz andere Sorgen plagen, tragen Puzzleteil für Puzzleteil zu diesem Kriminalfall zusammen, bis ein stimmiges Bild entsteht. Doch ist es wirklich die Wahrheit?

Meine Meinung:

Der Beginn ist zwar ein wenig zäh, doch dann hat der Krimi recht bald Fahrt aufgenommen und der Spannungsbogen ist recht hoch gehalten.

Der Schreibstil ist fesselnd, und wie schon im ersten Fall, tappen Ermittler und Leser recht lange im Dunkeln. Es gibt jede Menge Lügen und Halbwahrheiten sowie allerlei Geheimnisse, die wohl besser nicht ans Tageslicht gekommen wären.

Kaum einer der Charaktere ist der, der er oder sie zu sein vorgibt.

Fazit:

Ein komplexer Krimi, der Lust auf Band 3 („Verborgen“) macht. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 28.08.2023

Auf den Spuren der Vergangenheit

Die Bücherjägerin
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Als die Eltern von Sarah und Milena bei einem Flugzeugabsturz in Südamerika ums Leben gekommen sind, wurden sie von ihrer Tante, einer Buchhändlerin und Restauratorin aufgenommen. Die beiden Mädchen wachsen ...

Als die Eltern von Sarah und Milena bei einem Flugzeugabsturz in Südamerika ums Leben gekommen sind, wurden sie von ihrer Tante, einer Buchhändlerin und Restauratorin aufgenommen. Die beiden Mädchen wachsen in einem unkonventionellen Frauenhaushalt auf. Milena heiratet einen Banker und scheint mit ihrem Leben zufrieden zu sein.

Sarah tritt in die Fußstapfen der Tante und gemeinsam jagen sie seltenen Büchern und alten Landkarten nach, die liebevoll restauriert und verkauft werden. Nach dem Tod der Tante erben die Schwestern die Villa, in dem sie aufgewachsen sind, und leider auch die Schulden. Um diese begleichen zu können, begibt sich Sarah gemeinsam mit einem charismatischen englischen Bibliothekar auf die Jagd nach dem verschollenen Teil der Tabula Peutingeriana, der wohl berühmtesten Straßenkarte, die in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird.

Durch das gemeinsame Interesse an alten Karten und Büchern entspinnt sich zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Menschen eine zarte Beziehung. Werden die beiden den verschollenen Teil der Tabula Peutingeriana finden?

Meine Meinung:

Dieses Buch zu lesen, hat mich gleich mehrfach gereizt. Zum einen bin ich je selbst Geodätin kartenaffin und liebe Bücher. Und zum anderen lebe ich in Wien und gehe gerne in die Nationalbibliothek, die immer wieder imposante Kartenwerke ausstellt. Die letzte war die sogenannte „Pasetti-Karte“, deren 54 aneinandergereihte Kartenblätter im Original-Maßstab von 1:28.800 eine Länge von 36m ergibt. Sie zeigt den Verlauf der Donau innerhalb des Habsburgerreiches von Passau bis zur Eisernen Pforte und bildete die Grundlage zur Donauregulierung von 1862

Der Aufhänger, nach dem verschollenen Teilstück der Tabula Peutingeriana, zu suchen hat mir natürlich sehr gut gefallen. Davon hätte es durchaus mehr sein können. Obwohl, die Familiengeschichte von Sarah und Milena auch recht interessant ist. Auf den ersten Blick scheinen die Schwester ziemlich diametrale Lebensvorstellungen zu haben. Milena eben bei Mann und Kindern, während Sarah nicht nur unter Bindungsängsten leidet. Bücher oder Landkarten sind ihr lieber als Menschen. Die aufopfernde Fürsorge der Tante, die auf ihr eigenen Privatleben verzichtet, kann die Selbstzweifel und die nicht wirklich verarbeitete Trauer um die Eltern von Sarah nicht ganz heilen.

Das Buch lässt sich ob des flüssigen Schreibstils sehr gut lesen. Die Charaktere sind glaubwürdig dargestellt. Der interessierte Leser erfährt einiges über die Restaurierung von Büchern und Landkarten. - jz

Schmunzeln musste ich über das Ende der Jagd nach dem verschollenen Kartenteil.

Meine Meinung:

Ein gelungener Ausflug in die Welt der antiquarischen Bücher und alten Landkarten, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 28.08.2023

Ein verdrängtes Thema penibel recherchiert

In den Häusern der anderen
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Dieses Sachbuch der polnischen Historikerin Karolina Kuszyk beschäftigt sich mit einem Tabu-Thema, nämlich mit der Beschlagnahme und In-Besitznahme von Eigentum der vertriebenen Deutschen durch den polnischen ...

Dieses Sachbuch der polnischen Historikerin Karolina Kuszyk beschäftigt sich mit einem Tabu-Thema, nämlich mit der Beschlagnahme und In-Besitznahme von Eigentum der vertriebenen Deutschen durch den polnischen Staat im ehemals deutschen Westpolen.

Die Autorin ist mit einem Deutschen verheiratet und hat zahlreiche Familienschicksale penibel recherchiert. Sie spricht mit Augenzeugen bzw. deren Nachkommen. Dabei schafft sie es, dieses emotionsbeladene Thema sachlich und in angemessenen Ton darzustellen. Die Übersetzung aus dem Polnischen hat sicherlich auch großen Anteil daran, weswegen Bernhard Hartmann hier vor den Vorhang geholt werden muss.

Es gibt zwar meterweise Bücher über Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Polen um und nach 1945, doch wenige Bücher widmen sich diesem Thema aus polnischer Sicht. Dass viele Menschen aus Ostpolen, das von der UdSSR annektiert worden ist, nach Westpolen zwangsweise umgesiedelt worden sind, ist vermutlich nicht allgemein bekannt. Diese Familien kamen, da selbst vertrieben, oft nur mit wenigen Habseligkeiten an und mussten mit den deutschen Hinterlassenschaften vorliebnehmen und damit zu leben lernen.

„Es war nicht schön, das deutsche Zeug zu benutzen, aber was hätten wir tun sollen?“

So kommt es, dass bei einem Besuch des Ehemanns der Autorin bei den Schwiegereltern zu der kuriosen Situation, dass aus einer Schüssel mit dem Hakenkreuz gegessen wird.

Zahlreiche polnische Familien lebten Jahrzehnte lang in der Angst, die Deutschen kämen zurück und würden sich ihr ehemaliges Eigentum wieder zurückholen wollen. Daher unterließ man häufig, die Gebäude zu verändern, ja selbst dringend notwendig Instandhaltungsmaßnahmen vorzunehmen, was wiederum das Vorurteil, Polen wären faul, befeuert hat. Aber, wer würde schon freiwillig eigenes Geld in fremdes Eigentum investieren? Eben.

Erst die Nachkommen der vertriebenen Polen beginnen „alles Deutsche“ zu tilgen. Diesem „sozialistischem Bauboom“ fallen Jugendstilvillen, Denkmäler und Friedhöfe zum Opfer. Erst ab 1990, dem Zerfall der UdSSR und dem Hinwenden zum Westen (NATO statt Warschauer Pakt) besinnt man sich des deutschen Erbes. Es ist nun an der dritten Generation, zu der sich die Autorin zählt, die „Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen“ wieder zu entdecken und zu bewahren. Wo früher deutsche Denkmäler abgerissen worden sind, ereilt dieses Schicksal nun jene aus den Sowjetzeiten.

Vermutlich wird erst die vierte Generation durch Bücher wie das vorliegende, ohne die üblichen Vorurteile erkennen, dass die beiden, durch ihre Geschichte eng verwobenen Länder mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Möge es durch Bücher wie dieses gelingen, gegenseitigen Respekt und Vertrauen aufzubauen. Aufrufe der aktuellen nationalistisch eingestellten Politiker nach Entschädigungszahlungen sind hier kontraproduktiv.

Fazit:

Wer sich für die Geschichte interessiert und im Speziellen für diejenige von Deutschland und Polen, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Gerne gebe ich diesem interessanten Blick auf jene Menschen, die „in den Häusern der anderen“ leb(t)en, 5 Sterne.

Veröffentlicht am 28.08.2023

Schwere Kost

Gebranntes Kind sucht das Feuer
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„Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Sie war nicht wie andere. Mit ihr war ein Geheimnis verknüpft, ein sündiges, schamvolles, dunkles Geheimnis. Es war nicht ihre ...

„Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
Sie war nicht wie andere. Mit ihr war ein Geheimnis verknüpft, ein sündiges, schamvolles, dunkles Geheimnis. Es war nicht ihre eigene Sünde und Scham; sie war hineingeboren worden, auserwählt für das, weshalb sie ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde.
Und darin fand sie ihren Stolz, um nicht zu sagen Hochmut. Wer ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde, der war auch auserwählt! Auserwählt — wozu?“

Mit diesen Worten beginnt die Lebensgeschichte von Cordelia Edvardson (1926-2012), die 1986 erstmals erschienen. Darin erzählt die Autorin in drei Teilen über ihre Kindheit als unehelich Geborene in Deutschland bis zu ihrer Deportation zuerst nach Theresienstadt und anschließend nach Auschwitz, dem Überleben dort und der Befreiung sowie ihres weiteren Lebens in Schweden.

Das Buch wirkt seltsam distanziert, spricht die Autorin doch von sich als in der dritten Person, als „das Mädchen“. Das beginnt schon vor der Deportation, dieses in die Anonymität abgleiten, dieses Unsichtbarmachen, denn sie will alles, nur nicht auffallen. Daher fällt es ihr nicht allzuschwer in Auschwitz als „Schutzhäftling A 3709“ jeder Würde
und Persönlichkeit beraubt zu sein. Nur als man ihr die Haare schert, fühlt sie sich verloren.

Die Zeit im KZ ist durch zahlreiche andere Bücher schon hinreichend beschrieben worden, daher stören die sparsamen Einblicke in den grausamen Lageralltag nicht. Über Selektionen, Menschenversuche von Mengele und Ähnliches ist schon mehrfach berichtet worden.

Was dieses Buch so besonders und so besonders bedrückend macht, ist das toxische Verhältnis von Mutter und Tochter. Cordelias Mutter ist die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899-1950), den Nürnberger Gesetzen nach selbst eine halbe Jüdin, die sich schon recht früh zu einer fast besessenen Katholikin entwickelt. Langgässers Versuche, ihre Tochter durch eine Adoption zur spanischen Staatsbürgerschaft zu verhelfen und damit retten zu wollen, erscheinen halbherzig.

Letztlich werden sich Mutter und Tochter 1949 das einzige und letzte Mal nach der Befreiung Cordelias sehen.

Sehr einfühlsam und gut gelungen ist Daniel Kehlmanns Nachwort.

Fazit:

Diese Lebenserinnerungen der Cordela Edvardson sind keine leichte Kost. 5 Sterne und eine Leseempfehlung.