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Veröffentlicht am 12.10.2023

Ghost Theatre

Das Vogelmädchen von London
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London. Das siebzehnte Jahrhundert hat gerade erst begonnen. Shay, das Vogelmädchen, ist Mitglied und seit dem Tod ihrer Mutter die Anführerin einer Sekte namens Aviscultarier; sie kann aus dem Flug der ...

London. Das siebzehnte Jahrhundert hat gerade erst begonnen. Shay, das Vogelmädchen, ist Mitglied und seit dem Tod ihrer Mutter die Anführerin einer Sekte namens Aviscultarier; sie kann aus dem Flug der Vögel die Zukunft vorhersagen. In London arbeitet sie als Botin und viel zu oft befreit sie Vögel und wird deshalb gejagt. An so einem Tag, als sie über die Dächer der Stadt um ihr Leben rennt, begegnet sie Nonesuch, einem Jungen, der im Blackfriars-Theatre für den Adel auftritt. Sie verlieben sich und gründen gemeinsam das Ghost Theatre. Doch Shays besondere Fähigkeiten bleiben nicht unbemerkt und als selbst Königin Elisabeth ihr Augenmerk auf sie richtet, hat das nicht nur gute Folgen.

Wow. Was für ein verrückter Genre-Mix. Wir haben hier eine äußerst fantasievolle Reise in die Vergangenheit, ins elizabethanische Zeitalter und der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Dreck, die Armut und das Elend werden so beschrieben, dass man geradezu mit poetischer Wucht überrollt. Als Nonesuch das erste Mal seinen Auftritt im Theater hatte, war ich geradezu mittendrin, genau da, wo sich Shay als Souffleuse betätigte. Anfangs dachte ich eher an einen fantastischen Jugendroman im historischen Gewand (schon allein wegen der Wölfe, mit denen sie anfangs gejagt wird), doch ich glaube, der Autor möchte sich gar nicht festlegen lassen. So verrückt sein Genre-Mix ist, so interessant ist auch sein Schreibstil, der sich zwischen poetischem Feinsinn und brutalem Slang hin- und herbewegt, ohne dass es einen Bruch geben würde. Manchmal war mir die Geschichte ein bisschen zu langatmig; obwohl sie entschleunigte, ließ sie trotzdem keine Sekunde einen Zweifel daran, dass es dramatisch werden würde, sodass ich mich trotzdem immer ein bisschen unter Druck fühlte. Trotzdem hat das Ganze was. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit etwas belohnt, das sich abseits ausgetretener Pfade und dem 08/15-Einheitsbrei bewegt.

Veröffentlicht am 08.10.2023

Gelb in grau

Die graue Stadt
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Robin ist ein kleines Mädchen, das mit Vater und Kater in eine große, graue Stadt zieht. Alles ist grau: die Häuser, die Kleidung, selbst die Stimmung. Robin liebt ihre gelbe Regenjacke, ihre bunten Stifte, ...

Robin ist ein kleines Mädchen, das mit Vater und Kater in eine große, graue Stadt zieht. Alles ist grau: die Häuser, die Kleidung, selbst die Stimmung. Robin liebt ihre gelbe Regenjacke, ihre bunten Stifte, alles, was fröhlich ist, doch in der Schule muss sie jeden Tag nachsitzen und sich auf einem kleinen, schwarz-weißen Fernseher ein Filmchen über Anpassung anschauen. Dort lernt sie auch Alani kennen, einen Jungen, der wie sie gerne singt, fröhlich ist und für ein buntes Leben einsteht. Robin und Alani finden heraus, dass die Grauwerke hinter all der Indoktrination stehen und beschließen, etwas gegen diese und für ein buntes Leben zu unternehmen.

Ich liebe die Mäusegeschichten von Torben Kuhlmann, seine Ideen und Zeichnungen sind außergewöhnlich und das zeigt sich auch hier wieder. Auf jeder Seite entdeckt man etwas Neues und man kann dieses Buch garantiert öfter anschauen und findet immer wieder Kleinigkeiten, die man vorher übersehen hat. Auch für Kinder ist das Buch gut geeignet, um sich mit ihnen über all das zu unterhalten, was Gleichförmigkeit und Diktatur bedeutet. Allerdings fand ich, dass die Story zu knapp gehalten wurde, überhaupt keine richtige Gelegenheit bekommen hat, sich richtig zu entfalten und wenn man bedenkt, dass die Mäuseabenteuer doppelt so viele Seiten bekommen haben, ist das auch logisch.

Veröffentlicht am 02.10.2023

Hidden Memories

Ein Fluss so rot und schwarz
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Desorientiert und ohne Erinnerung an sich selbst wacht ein Mann auf einem Militärboot auf. Seine Haare sind rasiert, er hat OP-Narben und auf seinem Handgelenk steht ein Name: Huxley. Zusammen mit ihm ...

Desorientiert und ohne Erinnerung an sich selbst wacht ein Mann auf einem Militärboot auf. Seine Haare sind rasiert, er hat OP-Narben und auf seinem Handgelenk steht ein Name: Huxley. Zusammen mit ihm befinden sich fünf weitere Personen auf dem Schiff, alle in derselben Situation, sowie ein toter Mann, der offensichtlich Selbstmord begangen hat. Nach und nach finden die Frauen und Männer heraus, dass sie sich auf einer Selbstmordmission ins zerstörte London befinden, auf einer Themse, in und an der es vor tödlichen Wesen wimmelt, die einmal Menschen waren. Nur ein Satellitentelefon begleitet sie und gibt automatische Anweisungen. Was ist passiert? Warum können sie sich nicht erinnern? Doch Erinnerungen sind tödlich ...

Ich bin ein großer Fan von Anthony Ryans Fantasyepen und so war klar, dass mich auch seine erste Dystopie/sein erster Mysteryhorror interessieren würde. Es ist ein typischer Vertreter des Genres, nicht wirklich etwas Neues, aber gut erzählt und mit einigen Monstern und Hintergründen, wie man es für eine Mischung aus den Glorreichen Sieben meets Walking Dead erwartet. Die Stimmung ist düster - nicht wirklich gruselig oder gar echter Horror, aber mit einer unterschwelligen Erwartung ständiger Gefahr trotzdem fesselnd und gut zu lesen. Von mir aus darf sich der Autor gern öfter in dieses Genre wagen.

Veröffentlicht am 26.09.2023

Höllenpflanze

Der Wald
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In aller Welt treffen sie ein: die kleinen Päckchen ohne Absender und nur mit ein paar seltsamen Samen. Wer sie einpflanzt, bereut es schon bald, denn sie wuchern, vermehren sich, verdrängen nicht nur ...

In aller Welt treffen sie ein: die kleinen Päckchen ohne Absender und nur mit ein paar seltsamen Samen. Wer sie einpflanzt, bereut es schon bald, denn sie wuchern, vermehren sich, verdrängen nicht nur die anderen Pflanzen, sondern verbreiten Krankheiten. Dann gibt es die erste Tote und sie wird nicht die Einzige bleiben. Als der Pflanzenneurologe und Autor Marcus Holland auf einer Leserese in den USA ist, passiert etwas Schreckliches: Zuerst versucht eine Frau, ihn umzubringen, dann wird er von den Behörden gebeten, ihnen bei der Bekämpfung der "Höllenpflanze" zu helfen. Bald findet sich Holland nicht nur auf einer fieberhaften Suche nach einem Gegenspieler wieder, die ihn nicht nur nach China und in historische Geheimnisse führt, sondern auch sein Leben und das der gesamten Menschheit bedroht.

Hier haben wir einen ökologischen Thriller vorliegen, der mit What-ifs spielt, deren Eintreffen gar nicht mal so unwahrscheinlich ist. Pflanzen, die miteinander kommunizieren (kennt man schon), Pilze, die eine Art unterirdisches Wood Wide Web bilden (kennt man auch schon), megaschlaue Ki (bestimmt nicht mehr so fern): Das wird in rasante Szenen mit einer Jagd um den Erdball verpackt, in viele kurze Kapitel, mit sehr guter Recherche und dem Verknüpfen verschiedener Erkenntnisse, die man bereits hat. Nicht ganz glücklich war ich mit einigen Actionszenen, die entweder James-Bond-like abliefen oder bei denen sehr unwahrscheinliche Zufälle aus der Patsche halfen. Gut hingegen hat mir der offene Schluss gefallen, in den man dann doch wieder selbst hineininterpretieren konnte, was man wollte. Alles in allem eine kurzweilige, spannende Lektüre.

Veröffentlicht am 03.09.2023

Der Pfandleiher

The Red-headed League / Die Liga der Rothaarigen (mit kostenlosem Audio-Download-Link) (Sherlock Holmes Collection)
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Das Geschäft des rothaarigen Pfandleihers Jezeb Wilson läuft nicht sonderlich gut, weshalb er sich auch nur einen Assistenten leisten kann, weil der für die Hälfte des üblichen Lohns arbeitet. Ein Glücksfall, ...

Das Geschäft des rothaarigen Pfandleihers Jezeb Wilson läuft nicht sonderlich gut, weshalb er sich auch nur einen Assistenten leisten kann, weil der für die Hälfte des üblichen Lohns arbeitet. Ein Glücksfall, zumal ihn dieser Assistent auch auf eine Anzeige in der Zeitung aufmerksam macht: Die Liga der rothaarigen Männer bezahlt viel Geld für jemanden mit roten Haaren, nur damit er seine Vormittage damit verbringt, die Enzyklopädia Brittanica abzuschreiben. Wilson ist hocherfreut, als er den Job erhält, und tieftraurig, als nach ein paar Wochen plötzlich sein Büro geschlossen ist und niemand weiß, wer die Liga der rothaarigen Männer ist. Mit diesem Problem sucht er Sherlock Holmes und dessen Freund Dr. Watson auf. Der Detektiv ahnt schnell, dass ein Verbrechen hinter dieser scheinbaren Banalität steckt ...

Wieder eine amüsante und kurzweilige Folge bester detektivischer Unterhaltung, in der Holmes wieder mit messerscharfen Schlüssen glänzen kann. Die Sprecher sind routiniert und machen einen guten Job, und auch wenn die ganze Geschichte ein bisschen an den (roten) Haaren herangezogen wirkt, so macht sie doch wirklich Spaß, sie zu hören und ins Viktorianische London einzutauchen.