Ein spannender historischer Krimi mit Jack-the-Ripper-Morde, Frankenstein und Sherlock-Holmes-Vibes
Stalking Jack the Ripper"Stalking Jack the Ripper" von Kerri Maniscalco steht auf meiner Wunschliste seit ich mit der "Kingdom of the Wicked"-Reihe der Autorin so viel Spaß hatte. Als ich gesehen habe, dass nun im November die ...
"Stalking Jack the Ripper" von Kerri Maniscalco steht auf meiner Wunschliste seit ich mit der "Kingdom of the Wicked"-Reihe der Autorin so viel Spaß hatte. Als ich gesehen habe, dass nun im November die deutsche Ausgabe ihres Historienkrimis über geheimnisvolle viktorianische Morde erscheint, habe ich mir sofort ein Exemplar angefragt. Ganz meine Erwartungen konnte die Geschichte leider nicht erfüllen, ich werde aber trotzdem an der Reihe dranbleiben!
Zunächst wieder einige Worte zur Gestaltung. Der Piper Verlag hat das Originaltitel mit nur wenigen Anpassungen übernommen. Mit der dunkelgrünen Farbgebung, einem Ausschnitt dreckiger Londoner Straßen und einer elegant gekleideten jungen Frau mit einem Dolch in der Hand, passt das Cover sehr gut zur Geschichte und deren Stimmung, ist aber mit den typischen Elementen eines historischen Romans nicht gerade originell. Sehr schön finde ich allerdings den farblich passenden Farbschnitt mit dem Dolch vom Cover, die Karte von Whitechapel mit den Standorten der Ripper-Morde in den Innenlaschen der broschierten Ausgabe und die neun Schwarz-Weiß-Abbildungen, die die Geschichte ergänzen.
Erster Satz: "Ich legte Daumen und Zeigefinger auf das eisige Fleisch und spannte die Haut über dem Brustbein, wie es mir mein Onkel gezeigt hatte."
Mit diesem Satz beginnt dieser historische Roman, der neben den historischen Jack-the-Ripper-Morden Frankenstein und Sherlock-Holmes-Vibes verbindet. Wir begleiten die junge angehende Gerichtsmedizinerin Audrey Rose dabei, wie sie gemeinsam mit ihrem Onkel und dessen jungen Protegé Thomas den Spuren des Mörders folgt und dabei in ihrem eigenen Umfeld landet. Die Idee, die geheimnisvollen, bis heute ungelösten Morde in einem historischen Krimi neu aufzurollen und eine junge Frau ermitteln zu lassen, finde ich grandios. Die Umsetzung des Ganzen hatte aber leider ein paar Schwächen. Zunächst war für mich das Netz an möglichen Verdächtigen viel zu wenig komplex ausgebreitet, sodass die Identität des Rippers war für mich leider vorhersehbar war. Schon nach drei Kapiteln hatte ich einen Verdacht, der sich dann immer mehr erhärtet und am Ende auch bestätigt hat. Neben der Vorhersehbarkeit fand ich auch schade, dass Audrey Rose und Thomas nicht wirklich aktive Ermittlungsarbeit betreiben, sondern trotz ihrer angeblichen Genialität nur offensichtlichen Hinweisen folgen und dabei stark in ihrem privilegierten Milieu bleiben.
"Diamanten waren alles, was ich zu sein hoffte: schön, doch zugleich unvorstellbar stark. Irgendwie war ich allerdings eher ein Herkimer Diamant: eine recht gute Imitation, aber eben nicht ganz."
Auch die Hauptfigur war für mich leider nicht so überzeugend wie erhofft. Zwar ist Audrey Rose Wadsworth auf den ersten Blick eine starke, moderne Hauptfigur, die aus den Erwartungen ihrer Gesellschaft an sie und ihre Geschlechterrolle auszubrechen versucht, für meinen Geschmack hat sie aber viel zu viele Pick-Me-Girl-Momente, in denen sie beteuert, ja "sooo anders als alle anderen Frauen" zu sein. Dies gepaart mit der eher lächerlichen Darstellung ihrer weiblichen Zeitgenossinnen (beispielsweise auf einer Teeparty) macht jeden feministischen Eindruck, den das Buch entwickeln könnte, leider wieder zunichte. Außer ihr gibt es keine nennenswerte kompetente weibliche Figur und trotz ihrer angeblichen Intelligenz rennt sie am Ende ahnungslos in eine Falle, während ihr männlicher Sidekick durch Schlussfolgerungen im Off den Fall löst.
"Führe deine Vorzüge wie eine Klinge, Cousinchen. Kein Mann hat je ein Korsett für unseren Verstand erfunden. Sollen sie doch denken, sie würden die Welt regieren! Auf dem Thron sitzt immer noch eine Königin. Vergiss das nicht."
Eben dieser Sidekick - der brillante Student Thomas Cresswell - konnte mich ebenso nur teilweise überzeugen. Er ist charmant, arrogant, emotional kalt und intelligent und damit das perfekte Gegenstück zu Audrey Rose, was ihr Gekabbel sehr amüsant macht. Seine Hintergrundgeschichte und sein gesamter Charakter bleiben hier aber noch eher blass und da er ebenfalls im Verdacht steht, der Ripper zu sein, entwickelt sich die Liebesgeschichte der beiden auch sehr zögerlich. Da die Reihe ja aber noch drei weitere Bände hat, finde ich das völlig in Ordnung und bin gespannt, die beiden weiterhin zu verfolgen.
"Wer Respekt verdient, dem wird er freiwillig erwiesen. Wer Respekt einfordern muss, der wird ihn nie wirklich bekommen. Ich bin deine Tochter, nicht dein Hund."
Dass es Kerri Maniscalco draufhat, düstere Settings zum Leben zu erwecken, hat sie in ihrer "Kingdom of the Wicked"-Reihe ausführlich bewiesen. Gerade im Vergleich zu eben dieser späteren Reihe ist ihr Schreibstil in diesem Debüt noch nicht ganz so atmosphärisch und knisternd. Dennoch lässt sich der Roman flüssig lesen und vermittelt gepaart mit vielen blutigen Beschreibungen der Leichen und neun Fotografien und Zeichnungen wie Jacks Brief, Fotografien von Straßenzügen oder eine Anleitung zum Eröffnungsschnitt bei einer Obduktion dunkle, spannende Gothic-Vibes. Das historische Setting des viktorianischen Londons ist dabei grundsätzlich gelungen in die Geschichte eingebaut worden. Sei es die vorherrschende Mode, das gesellschaftliche Frauenbild oder Stand der Medizin und Forschung - die vielen nebenbei genannten Details setzen sich nach und nach zu einem lebendigen Bild zusammen. Dass einige Details wie beispielsweise die verwendete Sprache der Figuren oder die Darstellung des Wissensstands zu psychischen Krankheiten nicht zu 100% passen, kann man dabei gut ignorieren. Auch die historischen Gegebenheiten des Ripper-Falls hat die Autorin an einigen Stellen zugunsten ihrer Geschichte und Charaktere etwas verändert. Was genau weggelassen wurde oder nicht den historischen Tatsachen entspricht, erklärt sie in einer Übersicht im Nachwort am Ende des Buches.
"Während sich der Nachmittag hinzog, betrachtete ich die anderen und erkannte, welche Rollen sie spielten. Ich bezweifelte, dass sich auch nur eine von ihnen wirklich darum scherte, was sie so alles von sich gaben, und auf einmal taten sie mir furchtbar leid. Ihr Verstand schrie danach, freigelassen zu werden, doch sie weigerten sich, ihre Ketten abzulegen."
Ich fasse also zusammen: "Stalking Jack the Ripper" ist ein spannender historischer Krimi, der die Jack-the-Ripper-Morde mit Frankenstein und Sherlock-Holmes-Vibes sowie einer Liebesgeschichte verbindet. Dabei ist der Fall jedoch für einen Krimi zu wenig komplex und auch die Figuren teilweise zu sexistisch, um vollständig überzeugen zu können. Da ich die Autorin und ihren Stil sehr mag, werde ich dennoch weiter an der Reihe dranbleiben und ihr noch eine weitere Chance geben - auch weil Band 2-4 mit der Begegnung mit Graf Dracula in Rumänien, einer blutigen Überfahrt über den Atlantik mit einem Zirkus an Bord und der Weltausstellung in New Orleans sehr vielversprechend und abwechslungsreich klingen!
"Rosen haben sowohl Blütenblätter als auch Dornen, meine dunkle Blume. Man darf etwas nicht für schwach halten, nur weil es zart aussieht. Zeig der Welt deinen Heldenmut."
Fazit:
"Stalking Jack the Ripper" ist ein spannender historischer Krimi, der die Jack-the-Ripper-Morde mit Frankenstein und Sherlock-Holmes-Vibes sowie einer Liebesgeschichte verbindet. Dabei ist der Fall jedoch für einen Krimi zu wenig komplex und auch die Figuren teilweise zu sexistisch, um vollständig überzeugen zu können.