Überraschend
Viktor [TW: Antisemitismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung, Gewalt]
"Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber was es bedeutete. Mein jüdisches Bewusstsein bestand hauptsächlich ...
[TW: Antisemitismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung, Gewalt]
"Das wir jüdisch waren, wusste ich von Kind an, nicht aber was es bedeutete. Mein jüdisches Bewusstsein bestand hauptsächlich aus dem vagen Gefühl, dass wir ein unergründliches Geheimnis mit uns herumtragen, ein Geheimnis das auch mir anhaftet, wie eine nicht benennbare angeborene Abweichung, ein zusätzlicher Makel zu all meinen anderen. Erst im Laufe der Zeit fanden sich Schlüssel, die mir unsere in Mysterien gehüllte Existenz begreiflich machten."
Viktor. S 17f.
Judith Fanto erzählt die Geschichte einer Wiener Familie die ebensogut für viele andere Jüdische Familien nach dem Zweiten Weltkrieg stehen könnten. Man spricht nicht über das Judentum, nicht über die Geschichte und am allerwenigsten über Viktor den gescheiterten, unliebsamen Spross der die Familie enttäuscht hat. Geertje, das jüngste Mitglied der Familie beschließt das sich das ändern muss und begibt sich auf Spurensuche um nicht mehr denken zu müssen das ihr Jüdisch sein ein Makel wäre. Diese Suche führt sie unter anderem nach Polen
So entfaltet sich ihr die Geschichte von Viktor die auch Teil ihrer eigenen ist und sie beginnt den Teil ihrer Identität zu entdecken den ihre Familie ihr ganzes Leben verleugnet hat. Während der Handlung wird immer deutlicher das Viktor alles andere als das schwarze Schaf der Familie war und auch Geertje, die seit sie denken konnte ein Gefühl von unvollständigkeit verfolgte verändert sich sehr.
"Als Kind war ich immer bestrebt gewesen, mein Anderssein auf ein Minimum zu reduzieren, vor allem innerhalb der Familie. Jetzt empfand ich eine innere Leere, einen Mangel an erworbener Identität, und mir wurde klar, dass ein Mensch, der sich im eigenen Stamm nicht zu Hause fühlt, die nicht automatisch anderswo ist." S. 85
Erzählt wird teilweise Geertjes und teilweise Vikrots Geschichte die sich ja aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse durchaus manchmal überschneiden. So wird ein lebhaftes Bild der Wiener Gesellschaft, ein Soziogramm der jüdischen Gesellschaft und ein Stück Zeitgeschichte gekonnt in eine spannende Romanhandlung verwebt die wirklich wunderbar zu lesen ist, einem sowohl das Gefühl des damaligen Zeitgeistes sowie auch den Eindruck vermittelt sich unmittelbar in der Geschichte zu befinden zeigt auf wie sich Jahrhundertelanger Internalisierter Antisemitismus auf die betroffenen auswirken kann und welche Folgen das für viele Menschen der Jüdischen Gemeinde haben könnte.
Ein toller Roman mit einem total unerwarteten plottwist.